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Salzlösungen: Studie stellt Lehrbuchwissen über Wasser in Frage

Untersuchungen aus Deutschland zeigen: Die Oberfläche von Salzwasser verhält sich anders als bisher gedacht. Eine Schicht reinen Wassers trennt die Lösung von der Luft.
Eine Welle bricht an einem Wellenbrecher und erzeugt eine Gischtwolke.

Eine neu erschienene Studie stellt die Ansichten über eine der wichtigsten Oberflächen des Planeten in Frage: die Grenzfläche zwischen den Ozeanen und der Luft. Die Wasseroberfläche sei völlig anders zusammengesetzt und aufgebaut als bislang angenommen, schreibt eine Arbeitsgruppe vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz. Bisher gingen Fachleute davon aus, dass sich an der Grenze zur Luft eine elektrische Doppelschicht aus Ionen, den elektrisch geladenen Bestandteilen der Salze, bildet. Tatsächlich jedoch bestehe die äußerste Schicht meist aus reinem Wasser, berichtet das Team um Yair Litman und Mischa Bonn in der Fachzeitschrift »Nature Chemistry«. In der Wasserschicht direkt darunter wiederum seien die geladenen Teilchen stark angereichert. Die Struktur dieser Grenzfläche wirkt sich auf die Wechselwirkung von Ozeanen und Atmosphäre aus, die für Wetter und Klima entscheidend ist. Sie spielt aber auch eine wichtige Rolle bei vielen technischen Prozessen.

Die Grenzfläche zwischen Wasser und anderen Stoffen ist nur wenige Moleküle dick, doch sie ist eine besondere Zone. Oft spielen sich hier entscheidende Vorgänge ab, zum Beispiel, wenn Wasser von der Meeresoberfläche verdunstet oder eine Autobatterie Strom erzeugt. Die Moleküle sind in der Grenzschicht strenger geordnet als im Großteil des Wassers: Während sie überall sonst ziemlich zufällig herumflitzen, zwingt die nahe Grenze den benachbarten Molekülschichten eine höhere Ordnung auf. Doch welche ist das? Bei elektrischen Prozessen, etwa der Erzeugung von Wasserstoff aus Wasser, weiß man dank präzise gemessener Ströme und Spannungen an den Elektroden recht viel über Strukturen an der Kontaktfläche. Dagegen ist die Grenze zwischen Wasser und Luft sehr schwer zu erforschen.

Anhand bisheriger Untersuchungen vermuteten Fachleute, dass sich immer eine Sorte von geladenen Teilchen an der Oberfläche anlagert: im Fall des Salzes NaCl zum Beispiel das negativ geladene Chlorid (Cl). Die Wassermoleküle besitzen eine positive und eine negative Seite und richten demnach ihre positiven Enden zu den Ionen an der Grenzschicht aus. Ihre negativen Enden zeigen dann nach unten, so dass sich dort die positiv geladenen Natriumionen (Na+) sammeln. So bildet sich die elektrische Doppelschicht.

Ob das an der Grenze zur Luft tatsächlich passiert, ist jedoch heftig umstritten. Das liegt unter anderem daran, dass man die geladenen Teilchen mit den verfügbaren Techniken nicht direkt messen kann. Bei Untersuchungen misst man mit einem Laser verschiedene Molekülschwingungen des Wassers direkt an der Oberfläche, um herauszufinden, wie sich die Wassermoleküle ausgerichtet haben. Allerdings erhält man dabei nur sehr schwache Signale, die darüber hinaus nicht eindeutig sind. Deswegen muss man mit Computermodellen herausfinden, welche Art von Struktur die gemessenen Signale erzeugt.

Das Team um Litman und Bonn verbesserte in der Studie beide Schritte dieser Analyse: Es erstellte eine hoch aufgelöste Messung der Schwingungen an der Oberfläche und kombinierte sie mit einer von einem neuronalen Netzwerk unterstützten Simulation der Moleküle und Ionen an der Oberfläche. Diese Technik wandte die Arbeitsgruppe auf zehn verschiedene Salzlösungen an. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass in den meisten Fällen gar keine geladenen Teilchen an der Oberfläche sind, sondern fast reines Wasser. In der Schicht darunter befanden sich dafür sehr viele Ionen. Nur zwei Lösungen machten eine Ausnahme: Bei Salzsäure und Natriumperchlorat bildete sich die elektrische Doppelschicht. Wasserstoff- und Perchlorationen hätten – ähnlich wie Seifenmoleküle – eine besondere Neigung, sich an der Oberfläche zu sammeln, schreibt das Team in der Veröffentlichung. Die Ergebnisse zeigten, dass aktuelle Lehrbuchdarstellungen über Struktur und Verhalten von Salzwasser erheblich erweitert werden müssten.

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