Direkt zum Inhalt

Kakao: Die größte Bedrohung, seit es Schokolade gibt

In den kommenden 10 bis 30 Jahren könnte Schokolade zur Mangelware werden. Vom Klimawandel geschwächte Kakaobäume in Westafrika sind immer öfter von Seuchen befallen. Forscher sorgen sich dabei besonders über einen Ausbruch der Swollen-Shoot-Krankheit in Ghana.
Schokolade

Die Vorhersage klingt für Schokoladenliebhaber wie die Ankündigung des Weltuntergangs: Schon im Jahr 2030 werden Kakaoproduzenten den weltweiten Bedarf nicht mehr decken können. Bis zu zwei Millionen Tonnen Kakao werden fehlen. In den darauf folgenden 20 Jahren wird der Klimawandel in Westafrika den Anbau zusätzlich erschweren.

Die Region ist derzeit für rund drei Viertel der weltweiten Kakaoproduktion verantwortlich. »Die für 2050 in Westafrika prognostizierten höheren Temperaturen werden wahrscheinlich nicht mit mehr Niederschlag einhergehen«, warnt die amerikanische Wetter-und Ozeanografiebehörde NOAA. Die NOAA bezieht sich mit dieser Aussage unter anderem auf Studien des International Center for Tropical Agriculture (CIAT) und berechnet auf dieser Basis, dass 2050 in Ghana und der Elfenbeinküste, den beiden größten Kakaoproduzenten, fast 90 Prozent der derzeitigen Ertragsflächen nicht mehr geeignet sein werden und der gesamte Anbau auf Hochlagen stattfinden müsse.

»Diese Prognosen zirkulieren schon seit einer Weile. Aber jetzt sehen wir, dass der Klimawandel in Westafrika die Realität ist«
Judith Brown

»Diese Prognosen zirkulieren schon seit einer Weile. Aber jetzt sehen wir, dass der Klimawandel in Westafrika die Realität ist«, sagt Judith Brown, eine Pflanzenvirologin von der University of Arizona. »Die Kakaobäume dort sind unter Stress, weil sie keinen Regen mehr erhalten, wenn sie ihn benötigen. Und später im Jahr ist es dann zeitweise zu viel Regen«, erläutert die Virenforscherin. Doch damit nicht genug: Aggressive Krankheiten, die dem Kakao in Afrika schon seit fast einem Jahrhundert zu schaffen machen, würden den bereits geschwächten Bäumen noch mehr schaden, sagt Brown. »Wenn zu den Effekten des Klimawandels die derzeit großen Auswirkungen von Pflanzenviren, Pilzbefall und Schädlingen hinzukommen, gelangen wir zu einer erschreckenden Lage.«

Kakaoseuche reduziert Anbau massiv

Die momentan wohl größte Gefahr geht dabei von der Cacao Swollen Shoot Disease aus, kurz CSSD. Ein schon seit einigen Jahren andauernder Ausbruch der Seuche in Ghana hat 2019 seinen Höhepunkt erreicht und dazu geführt, dass das Land seine Lieferzusagen an den Weltmarkt für Kakao nach unten korrigieren musste. Dort sind bereits bestätigte 16 Prozent aller Kakaobäume infiziert. Die tatsächliche Zahl liegt nach Einschätzung von Brown noch höher, da die Symptome der Krankheit erst nach ein bis drei Jahren deutlich zu sehen sind. Wissenschaftler versuchen zu verhindern, dass die Seuche auf die Gewächse der Elfenbeinküste übergreift, den weltweit mit Abstand größten Kakaoproduzenten.

Die Kakaopflanze stammt ursprünglich aus dem Amazonas-Becken und wurde zunächst in Zentralamerika und dem südlichen Mexiko angebaut. Portugiesen brachten die Pflanze erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts nach Westafrika. Kolonialmächte wie Portugal, England und vor allem Frankreich begannen schließlich um 1930 mit kommerziellem Anbau in der Region.

Die klimatischen Bedingungen Westafrikas mit hohen Temperaturen und viel Niederschlag machten die Gegend schnell zum Weltführer im Anbau der Pflanze, die nur jeweils bis zu 20 Grad nördlich und südlich des Äquators wachsen kann. Nach fünf bis sieben Jahren entwickelt der Kakaobaum seine Früchte, die an einen Rugbyball erinnern. Aus deren gerösteten Samen, den Kakaobohnen, wird Kakaopulver hergestellt.

50 Millionen Menschen sind abhängig vom Kakaoanbau

Allein die Elfenbeinküste und Ghana produzieren inzwischen rund die Hälfte des (gesamten) Kakaos weltweit. Nach Angaben des Marktforschungsinstituts Zion Market Research hatte der internationale Handel mit Kakao 2017 einen Wert von rund 103 Milliarden US-Dollar, 2024 soll der jährliche Handel ein Volumen von über 161 Milliarden erreichen. Die wirtschaftliche Abhängigkeit westafrikanischer Staaten von diesen Verkäufen ist enorm. In der Elfenbeinküste leben mehr als 600 000 Kleinbauern vom Anbau, und rund sechs Millionen Menschen arbeiten in der Kakaoindustrie.

Weltweit leben nach Statistiken der Stiftung World Cocoa Foundation (WCF) rund 50 Millionen Menschen von der Kakaoindustrie. »Viele Menschen im ländlichen Westafrika leben in extremer Armut und sind für ihr Einkommen beinahe völlig vom Kakao abhängig«, warnt Brown. Ein von Klimawandel und Pflanzenkrankheiten verursachter Niedergang der Industrie könnte nach Browns Einschätzung zu schweren Unruhen und politischer Instabilität führen.

»Viele Menschen im ländlichen Westafrika leben in extremer Armut und sind für ihr Einkommen beinahe völlig vom Kakao abhängig«
Judith Brown

Forscher haben sich vorgenommen, die schlimmsten Bedrohungen des Kakaos genauer zu untersuchen. Judith Brown und Kollegen beschäftigten sich in einer im Juli 2019 in der Fachzeitschrift Phytopathology erschienenen Analyse mit den gefährlichsten Krankheiten. Die Autoren warnen eindrücklich: »Die Aktivitäten des Menschen stellen die größte Gefahr für die Verbreitung dieser Pathogene dar.« Mitautor und Pflanzenpathologe Jean-Phillipe Marelli betont: »Krankheiten und Schädlinge zerstören schon jetzt jährlich mehr als ein Drittel der weltweiten Kakaoernte.«

Marelli erforscht diese Krankheiten an dem vom Schokoriegelhersteller Mars und dem amerikanischen Landwirtschaftsministerium USDA betriebenen Kakaolabor in Miami. 2008 gelang es den dort ansässigen Forschern in Zusammenarbeit mit weiteren Labors, darunter auch das von Judith Brown, die DNA des Kakaos zu entschlüsseln. Eine vollständige Genomsequenz des Kakaos wurde online publiziert. Von solchem Wissen erhoffen sich die Forscher auch bessere Mittel im Kampf gegen Krankheiten.

Der Kakaobaum hat keine natürliche Resistenz gegen die Seuche

Die Seuche CSSD sei besonders gefährlich für den Kakao, weil die meisten Badnaviren, die sie verursachen, in Afrika vorkommen, sagt Jean-Phillipe Marelli, die Pflanze selbst aber aus Lateinamerika stamme. »In seiner Entwicklung im Amazonas und bei der späteren Kultivierung in Zentralamerika war der Kakaobaum nie den afrikanischen Viren ausgesetzt und konnte deswegen auch keine natürliche Resistenz gegen die Krankheit entwickeln«, so Marelli.

Der erste wissenschaftlich dokumentierte Ausbruch der Swollen-Shoot-Krankheit fand 1936 in Ghana statt. »Innerhalb von sieben Monaten hatte die Seuche ein Kakaoanbaugebiet von über 500 Quadratkilometern vernichtet«, schreibt WCF-Direktor Hervé Bisseleau in einem Beitrag für die Stiftung. Damals fanden Wissenschaftler heraus, dass die Badnaviren von Schmierläusen übertragen werden, die von heimischen Baumarten aus den Kakao befielen.

Kakaofrüchte
»Innerhalb von sieben Monaten hatte die Seuche ein Kakaoanbaugebiet von über 500 Quadratkilometern vernichtet«
Hervé Bisseleau

Nach einer Inkubationszeit von bis zu sieben Wochen kann der Baum erste Symptome zeigen: Die Venen seiner Blätter verfärben sich oder verändern ihre Muster. Später schwellen der Stamm und junge Triebe an (shoot swelling), was der Krankheit ihren Namen gibt. Im ersten Jahr verringert sich das Wachstum von Früchten um 25 Prozent. Sie entwickeln weniger Bohnen, die auch oft von niedriger Qualität sind. Der Baum stirbt nach ein bis drei Jahren. »Weil die Symptome oft erst spät erkannt werden und die Bäume relativ langsam sterben, tragen die Bauern häufig zur Verbreitung der Viren bei, indem sie das Saatgut kranker Bäume weitergeben«, so Bisseleau.

Obwohl CSSD bereits in der ersten Hälfe des 20. Jahrhunderts auftrat, war die Krankheit für die gesamte Kakaoproduktion nie so gefährlich wie jetzt. Angetrieben von der Nachfrage in neuen Absatzmärkten wie China und Indien, wo Schokolade früher weniger konsumiert wurde, wachsen die Kakaoplantagen in Westafrika immer weiter. Mehr Kakaobäume bieten jedoch den Badnaviren auch mehr Wirte zur Verbreitung der Seuche.

Viele Wirte und Spezies

In einer Analyse von 2016, die untersucht, ob die sofortige Entfernung und Vernichtung kranker Bäume und ihrer Nachbarpflanzen in Ghana seit 1946 die Verbreitung der Viren stoppen konnte, stießen Forscher um George Ameyaw vom Kakaoforschungsinstitut von Ghana auf ein weiteres Problem: Die verarmten Bauern akzeptierten lieber die geringen Erträge infizierter Bäume bis zu deren Tod, als diese sofort zu vernichten – zumal die Regierung für entfernte Bäume keine Kompensation bot. »Hinzu kommt: Es ist inzwischen klar, dass eine ganze Reihe verschiedener Spezies des Badnavirus die Krankheit auslösen. Diese verursachen regional sehr unterschiedliche äußere Symptome, was das Erkennen weiter erschwert«, sagt George Ameyaw.

Noch 1999 gingen Wissenschaftler von nur einer Virusspezies aus, dem Cacao-swollen-shoot-Virus (CSSV). Mit dem Fortschritt in der Genforschung konnten seither immer mehr Spezies nachgewiesen werden. Bei einer umfangreichen Studie in der Elfenbeinküste 2017 konnten die gängigen Testmethoden – inklusive DNA-Sequenzierung für die bislang bekannten Spezies – allerdings nur in 50 Prozent der Bäume, die eindeutige Symptome aufwiesen, Badnaviren auch identifizieren.

Im Juni 2019 verglichen Brown und Kollegen in einer Studie 82 Genomsequenzen des Virus. Noch 2015 seien lediglich sieben Sequenzen bekannt gewesen, so Brown: »Es wurde angenommen, dass sie nur eine Spezies des Virus repräsentieren.« Die Forscher gehen jetzt davon aus, dass es weltweit zehn verschiedene Spezies des Badnavirus gibt, die CSSD verursachen können, vielleicht sogar mehr. »Zum ersten Mal erkennen wir nun, dass es vielfältige Spezies, verschiedene Wirte und verschiedene Quellen gibt«, so Brown.

Man kann der Krankheit nicht davonlaufen

All dies müsse erst in neue Testmethoden und -geräte einfließen. An der University of Queensland in Australien arbeiten Forscher derzeit an einem mobilen DNA-Test-Gerät, das die Bauern direkt an den Bäumen anwenden können. Doch die Testphase ist noch nicht abgeschlossen. Vorläufige Methoden für das Labor, die von amerikanischen Forschern wie Brown und Marelli entwickelt wurden, können derzeit fünf der westafrikanischen Spezies nachweisen.

Schokolade könnte bald knapp werden | Die Kakaopflanze, aus der die Rohstoffe für Schokolade stammen, ist ein empfindliches Gewächs und braucht ein geeignetes Klima. Modelle sagen zum Beispiel für die Kakaoregion Elfenbeinküste/Ghana einen Temperaturanstieg von über einem Grad bis 2030 voraus. Kakaoplantagen liegen bevorzugt in feuchten Regionen mit Jahresmitteltemperaturen zwischen 22 und 25 Grad – bei einer weiteren Erwärmung verschieben sich die für den Kakaoanbau geeigneten Regionen in größere Höhen, wo es kühler ist. Und da Berge zum Gipfel hin meistens schmaler werden, schrumpfen die Anbauflächen dort drastisch. Außerdem ist Theobroma cacao sehr anfällig für Schädlinge und Pilzinfektionen. Dass die Kakaobohne in ihrer Herkunftsregion Mittelamerika global nur noch eine geringe Rolle spielt, dafür ist zum Teil der Pilz Moniliophthora perniciosa verantwortlich. Andere Pilze verursachen erhebliche Ernteverluste in Westafrika. In Asien richten die Larven der Miniermotte enormen Schaden an. Die meisten Kakaobauern sind schlicht zu arm, um Schädlinge effektiv zu bekämpfen.

In der Zwischenzeit bleiben die althergebrachten Methoden zur Bekämpfung. Doch Brown ist skeptisch. »Die infizierten Bäume abzuholzen, funktioniert einfach nicht mehr«, so die Expertin. So würde nach und nach alles abgeholzt, und es bliebe kein Platz mehr zum Ausweichen. »Elfenbeinküste und Ghana haben versucht, der Krankheit davonzulaufen, indem sie Plantagen immer weiter entfernt von den ursprünglichen Ausbruchsherden errichten. Nun wird aber klar, dass die Krankheit auch auf diesen neuen Plantagen auftritt«, so Brown.

Stattdessen die Überträger zu bekämpfen, scheint kaum Chancen zu bieten. Schmierläuse sind wenig erforscht, der Einsatz von Pestiziden aus Gründen des Umweltschutzes problematisch. »Und selbst wenn Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt würden, haben die Läuse effektive Schutzmechanismen«, berichtet Brown. Ameisen, die Schmierläusen melken, helfen bei der Verbreitung der Viren, indem sie die Schädlinge von Baum zu Baum transportieren. Außerdem verstecken sie die Schmierläuse unter einer feinen Schicht Erde, wodurch Pestizide sie nur schwer erreichen können.

Genetische Veränderung soll Kakao resistenter machen

Jean-Phillipe Marelli arbeitet in der Elfenbeinküste an einem anderen Ansatz: Zusammen mit der Regierung und dem World Agroforestry Center erstellt er so genannte grüne Barrieren, die einen Gürtel um die Kakaoplantagen bilden sollen. Pflanzen, die gegenüber dem Virus nicht anfällig sind und ihn nicht weitergeben, sollen ihn vom Kakao fernhalten. Dazu zählen Zitrusfrüchte, Palmölplantagen und Kautschuk. »Außerdem bieten diese den Bauern ein Zusatzeinkommen«, sagt Marelli.

Dennoch sind sich die meisten Forscher darüber einig, dass vor allem der Kakaobaum selbst auf genetischer Ebene widerstandsfähiger werden muss. Deswegen hatte das Mars/USDA-Labor das gesamte Genom der Pflanze nach seiner Entschlüsselung 2008 allen Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt. »Wir wussten, dass dies auch die Forschung zum Widerstand der Pflanze gegen Krankheiten beschleunigen würde«, so Marelli.

Für den Kakao sind inzwischen entscheidende Markergene identifiziert – also jene, die einen direkten Einfluss auf Ertrag, Geschmack oder eben auch auf Krankheitsresistenz haben. Wenn dann für den Kakaoanbau geeignete Hybride geschaffen werden sollen, werden jene Sämlinge ausgewählt, welche die meisten der entsprechenden Markergene aufweisen.

Werden die Verbraucher gentechnisch veränderten Kakao akzeptieren?

Ob damit Swollen Shoot besiegt werden kann, bleibt dennoch ungewiss. Den wohl schnellsten Fortschritt gegen die Krankheit bietet indes die zugleich umstrittenste Methode: genetische Modifizierung (GMO). »Gerade die CRISPR-Technologie bietet uns ein begeisterndes Potenzial – besonders bei Pflanzen wie Kakao, die anfällig für Krankheiten sind«, so Marelli. Judith Brown hofft, schon bald die anfälligen Gene des Kakaos durch widerstandsfähige zu ersetzen. Wegen des Klimawandels verändern sich auch die Viren immer schneller, erklärt Brown: »Wir haben zum Beispiel gerade erst eine neue aggressive Spezies entdeckt, welche die Bäume nach nur einem Jahr tötet.«

George Ameyaw gibt zu bedenken, dass die Skepsis der Konsumenten dabei problematisch werden könnte: »Schokolade wird besonders in Europa konsumiert, und die Menschen dort halten GMO für nicht akzeptabel.« Judith Brown hingegen prognostiziert, dass sich die Verbraucher schon anpassen werden an die Realität einer sich verändernden Umwelt: »Wenn die Menschen ihre Produkte andernfalls nicht mehr erhalten können, werden sie ihre Meinung vielleicht ändern.«

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.