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Stillprobleme: Was tun, wenn es mit dem Stillen nicht klappt?

Müttern wird empfohlen, ihre Kinder sechs Monate lang zu stillen. Viele hören aber früher auf. Gründe gibt es eine Menge. Helfen könnte manchen Frauen eine Stillberaterin auf Rezept.
Erschöpfte Mutter mit Neugeborenem

Manchmal war Maren Fischer frustriert, manchmal einfach nur sauer. Besonders geärgert habe sie, dass niemand ihre Bedenken ernst genommen habe. »Ich hatte immer dieses Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt«, erzählt sie. Ihr Sohn habe stets nur wenig Milch pro Stillmahlzeit trinken können. Er fasste die Brust nicht gut, schnalzte beim Trinken, schluckte viel Luft. Die Nachsorge-Hebamme war ratlos und schickte die junge Mutter zum Kinderarzt. Der vertröstete sie: Das wird schon.

Wurde es aber nicht. Weil der neugeborene Junge immer nur kleine Mengen Muttermilch zu sich nehmen konnte, hatte er öfter Hunger und trank in kurzen Abständen – auch nachts. Fischer hatte Angst, dass er wegen der Luft im Bauch aufstößt und sich an der Milch verschluckt. »Ich habe wochenlang auf dem Rücken geschlafen, mit dem Kind auf meiner Brust«, erinnert sich die 37-Jährige. Der wenige Schlaf, die ständige Sorge und die kurzen Stillabstände strengten die Mutter an. Nach ein paar Wochen war sie völlig erschöpft.

Dabei hatte Fischer mit ihrem ersten Kind positive Erfahrungen gemacht. »Bei meiner Tochter gab es keine Probleme dahingehend«, erinnert sich die Psychologin in Elternzeit. Sie wusste also, wie entspannt es sein kann. Umso überraschter sei sie gewesen. Eigentlich erwarte man solche Schwierigkeiten eher bei erstgebärenden, unerfahrenen Müttern. »Das hat mich schon belastet und mir – ja, auch – diese Leichtigkeit genommen.« Trotzdem sei es ihr wichtig gewesen, zu stillen: »Neben der emotionalen Komponente, den Kuschelmomenten, der innigen Geborgenheit, hat Stillen ja auch viele Vorteile für die Gesundheit des Kindes – und auch für meine.«

Stillen ist gesund für Mutter und Baby

Tatsächlich gibt es einige wissenschaftliche Evidenz dafür, dass gestillte Kinder gesünder sind: Sie bekommen seltener Durchfall, Atemwegsinfekte und Mittelohrentzündungen als Kinder, die mit Formulanahrung für Säuglinge ernährt werden. Außerdem senkt Stillen das Risiko von plötzlichem Kindstod, Übergewicht sowie Diabetes Typ 2. Aber nicht nur die Kinder profitieren. Frauen, die gestillt haben, erkranken seltener an Brust- und Eierstockkrebs, Herz-Kreislauf-Störungen oder ebenfalls Diabetes Typ 2. Außerdem bildet sich bei Stillenden die Gebärmutter schneller zurück.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt deshalb, Säuglinge mindestens sechs Monate ausschließlich zu stillen – das Neugeborene sollte also laut dieser Empfehlung nichts anderes als Muttermilch zu sich nehmen. Dagegen erhält es beim überwiegenden Stillen neben Muttermilch noch Tee oder andere Flüssigkeiten. Wird zusätzlich noch Muttermilchersatz, also Säuglings-Formulanahrung und/oder Beikost gefüttert, spricht man vom Teilstillen.

Doch während etwa neun von zehn Frauen in Deutschland nach der Geburt ihres Kindes mit dem Stillen beginnen, stillt nach sechs Monaten nur noch gut die Hälfte. Besonders nach dem zweiten Lebensmonat des Säuglings stillen viele Frauen ab. Ausschließlich an die Brust gelegt werden bis zum sechsten Monat sogar nur zwölf Prozent der Kinder, wie die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) des Robert Koch-Instituts aus dem Jahr 2018 ergeben hat.

»Viele Frauen werden bereits mit einem Stillproblem aus der Klinik entlassen«
Veronika Langenberg, Stillberaterin

Als häufigsten Grund, warum sie vor der empfohlenen Mindestdauer abstillen, nennen Frauen Schmerzen und zu wenig Muttermilch. »Einige Frauen haben am Anfang starke Schmerzen beim Stillen«, sagt die Stillberaterin Veronika Langenberg. Grund seien oftmals Unsicherheiten beim Anlegen des Neugeborenen, was wiederum wunde Brustwarzen nach sich ziehen könne. Langenberg arbeitet seit 2015 als freischaffende Stillberaterin sowie auf der Früh- und Neugeborenen-Intensivstation eines Münsteraner Krankenhauses. Sie zeigt Frauen, wie sie das Kind richtig an der Brust anlegen, damit es optimal »andocken« kann. Denn Lippen und Zunge des Säuglings müssen Brustwarze und einen Teil des Warzenhofs umfassen, damit beim Saugen ausreichend Unterdruck entsteht. Was so banal klingt, ist gerade für Erstgebärende Neuland. Oft fehlt es an Anleitung. »Viele Frauen werden – wenn man so will – bereits mit einem Stillproblem aus der Klinik entlassen«, sagt Langenberg.

Die Weltstillwoche 2021

Vom 4. bis 10. Oktober 2021 findet die Weltstillwoche mit dem Motto »Stillen. Unser gemeinsamer Weg.« statt. Zahlreiche stillfördernde Institutionen und Akteure machen darauf aufmerksam, dass Stillen eine Möglichkeit ist, Babys zu füttern – allerdings nicht die einzige. Das Ziel ist auch, mehr Akzeptanz für Stillen im Alltag zu schaffen.

Wenn die Frauen zu ihr kommen, leiden sie oft bereits seit Wochen: »Komplexe Stillprobleme sind dann wirklich harte Arbeit, und es ist bemerkenswert, was manche Frauen in dieser Zeit leisten und zu leisten bereit sind«, sagt die Stillberaterin. Nachdem Maren Fischer von Hebamme und Kinderarzt keine Hilfe bekommen hatte, fing sie an, selbst zu recherchieren. In einer Facebook-Gruppe traf sie das erste Mal auf professionelle Stillberaterinnen. Kurz darauf saß sie bei Veronika Langenberg im Behandlungsraum.

»Auf einmal musste ich mich nicht mehr rechtfertigen, ich fühlte mich verstanden«, sagt Fischer. »Das war eine große Erleichterung.« Langenberg beobachtete Mutter und Kind beim Stillen, gab Tipps, korrigierte hier und dort. Außerdem fiel ihr auf, dass die Zunge des Säuglings zu wenig Spielraum hatte. Ein verkürztes Zungenbändchen fixierte die Zunge zu nah am Mundboden und erschwerte es dem Kind dadurch, die Brust der Mutter optimal zu fassen. Ein seltenes Problem, das sich durch einen ambulanten Eingriff lösen ließ. Dennoch bedarf es in solchen Fällen einer adäquaten, teils langwierigen Vor- und Nachbereitung, inklusive Übungen und Wundversorgung. »Bereits kurz nach dem Durchtrennen des Zungenbändchens trank mein Sohn deutlich effizienter, war nicht mehr so schnell müde und einfach zufriedener«, sagt Fischer.

Stillfreundlichkeit mäßig in Deutschland

Wie Maren Fischer ergeht es vielen Frauen. Bezeichnungen für das Stillen wie »Das Natürlichste der Welt« sind Hohn in ihren Ohren, während sie mit wunden Brustwarzen, Schmerzen und unendlicher Müdigkeit kämpfen – und das auch heute noch viel zu oft allein. Das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) initiierte Forschungsvorhaben Becoming Breastfeeding Friendly (BBF) attestierte Deutschland im Jahr 2019: moderat stillfreundlich. Gut seien Maßnahmen wie Mutterschutz und Elterngeld. Schwächen gebe es aber bei der Kommunikation, Beratung und Forschung rund ums Stillen.

Das bestätigt Regina Ensenauer, Leiterin des Instituts für Kinderernährung am Max Rubner-Institut und Vorsitzende der Nationalen Stillkommission. Letztere berät die Bundesregierung unter anderem darin, strukturelle Probleme und andere Stillhindernisse zu erkennen und möglichst zu beseitigen. Eines ist, dass das Thema Stillen in der Ausbildung jener Menschen, die in den Monaten vor und nach der Geburt eines Kindes mit den Eltern in Kontakt stehen, so gut wie gar nicht vorkommt. »Geburtsmedizinerinnen, Kinderärztinnen, Hebammen, Krankenpflegerinnen, sie alle müssen auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sein und – vor allem – mit einer Stimme sprechen«, sagt Ensenauer. Was nütze es der Frau, wenn der eine dies, die andere aber jenes sage? Das führe nur zu Verunsicherung.

Mit anderen Organisationen möchte die Nationale Stillkommission diese Informationslücke schließen. »Wir arbeiten an einer Leitlinie, damit wir Ärzten und Pflegenden evidenzbasiert Informationen etwa zur Stilldauer oder Krankheitsprävention im Zusammenhang mit Stillen an die Hand geben können«, erläutert Ensenauer. »Die gibt es nämlich bislang nicht.« Ende 2022 soll die Leitlinie fertig sein.

»Wenn das Stillen nicht auf Anhieb klappt, entsteht häufig ein Teufelskreis, aus dem die Frauen alleine nicht mehr herauskommen«
Regina Ensenauer, Leiterin des Instituts für Kinderernährung am Max Rubner-Institut und Vorsitzende der Nationalen Stillkommission

Projekte wie diese sind Teil der im Juli 2021 beschlossenen Nationalen Strategie zur Stillförderung, deren Initiierung eine Konsequenz aus der BBF-Studie war. Sie sollen die Motivation junger Mütter zu stillen fördern, vor allem jener, die bislang gar nicht oder nur kurz stillen. Wichtig sei, dass die Frauen gut ins Stillen finden, davon ist Ensenauer überzeugt. Dann blieben sie automatisch länger dabei. Dabei helfe eine individuelle Beratung. »Die meisten Frauen wollen stillen«, sagt die Kinder- und Jugendmedizinerin. »Wenn es dann aber nicht auf Anhieb klappt, kommt es häufig zu Stress und Verunsicherung. Irgendwann entsteht ein Teufelskreis, aus dem sie und ihre Kinder alleine nicht mehr herauskommen.« Es gelte Probleme zu vermeiden, bevor sie überhaupt entstehen. Ensenauer fordert eine vorgeburtliche Stillberatung, die bis jetzt nicht flächendeckend praktiziert wird und auch keine Leistung im Rahmen der gesetzlichen Schwangerenvorsorge ist.

Auch Veronika Langenberg wünscht sich für die Zukunft, dass Stillvorbereitungskurse in der Schwangerenvorsorge ebenso selbstverständlich würden, wie es Geburtsvorbereitungskurse bereits seien. »Die Frauen sollten wissen, was auf sie zukommt, und nicht unvorbereitet in die Situation stolpern«, sagt die Stillberaterin. Außerdem ist es aus ihrer Sicht wichtig, dass in mehr Krankenhäusern zertifizierte Beraterinnen eingesetzt werden, um die Frauen gut anzuleiten, damit es erst gar nicht zu Problemen kommt.

Dabei will sie keinen Druck auf die Frauen ausüben. Auch Teilstillen könne ein Weg sein. Oder abgepumpte Milch zu füttern. »Niemand muss stillen, das ist eine hochindividuelle Entscheidung der Frau und der Familie«, ergänzt Langenberg. Ihre Aufgabe sei es, den Familien Hilfsmittel an die Hand zu geben, die für sie funktionieren. »Wenn sie irgendwann an den Punkt kommen, dass sie nicht mehr können oder wollen, dann begleite ich sie auch beim Abstillen«, sagt sie. In einigen Situationen sei dieser Weg der richtige.

Maren Fischers Sohn ist heute fast drei Jahre alt; bis nach seinem zweiten Geburtstag hat sie ihm die Brust gegeben. Und vor Kurzem hat sie ihr drittes Kind geboren. Auch bei ihm hapert es beim Stillen. Aber sie ist zuversichtlich, denn dieses Mal weiß sie, wo sie Hilfe findet.

Sieben Wahrheiten übers Stillen

1. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, Kinder mindestens sechs Monate ausschließlich zu stillen; das heißt ohne den Zusatz von Wasser oder Tee, Säuglingsnahrung sowie Beikost.

2. Praktischer Stillaspekt: Muttermilch ist kostenlos, jederzeit verfügbar und immer richtig temperiert.

3. Frühgeborene haben oft Schwierigkeiten, an der Brust zu saugen. Sie können trotzdem mit Muttermilch gefüttert werden, etwa über eine Sonde oder per Fläschchen.

4. Auch Mehrlinge können gestillt werden. Es gilt die Devise: Die Nachfrage regelt das Angebot. Wird mehr Milch gebraucht, produziert der Körper der Mutter auch mehr Milch.

5. Partner und sogar die Mütter der Stillenden haben einen Einfluss darauf, ob und wie lange eine Frau stillt. Die Familie ist deshalb Teil einer stillfreundlichen Umgebung.

6. Auch wenn es häufig behauptet wird: Vermutlich hat Stillen keinen Einfluss auf die Neigung zu Nahrungsmittelallergien. Das zeigen aktuelle Studienauswertungen und räumen mit einem langjährigen Mythos auf.

7. Rund ein Drittel der Mütter vermeidet es, in der Öffentlichkeit zu stillen, auch aus Angst vor negativen Reaktionen und Stigmatisierung. Fünf Prozent der Frauen stillen deshalb sogar früher ab. Das ergab die Studie Becoming Breastfeeding Friendly.

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