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Gentechnik-Kinder in China: Streit um Nebenwirkungen des CRISPR-Menschenversuchs

Es könnte schwere gesundheitsschädliche Spätfolgen haben, wie bei den chinesischen »CRISPR-Babys« Gene zu verändern; das hatte eine Studie im Sommer 2019 nahegelegt. Diese Untersuchung war allerdings fehlerhaft, räumen die verantwortlichen Wissenschaftler nun ein. Ist es an der Zeit, sich zu beruhigen?
In-vitro-Befruchtung einer blauen Eizelle

In China leben seit 2018 die ersten Menschen mit vor ihrer Geburt gentechnisch verändertem Erbgut: Ein Forscherteam um den Genetiker He Jiankui hatte 2018 ihre DNA im frühen Embryonalstadium mit Hilfe des CRISPR/Cas9-Systems umgeschrieben und mit diesem Verstoß gegen wissenschaftliche und ethische Richtlinien einen handfesten Forschungsskandal ausgelöst. Die Wissenschaftler sorgen sich dabei auch um die Gesundheit der im Menschenversuch behandelten Kinder – es ist noch immer unklar, ob die Manipulation des Gens CCR5 schwer wiegende gesundheitliche Nebenwirkungen haben könnte. Versuche in Mäusen hatten nahegelegt, dass das Gen eine Funktion bei der Gehirnentwicklung hat. Im Juni 2019 veröffentlichten Genforscher zudem in »Nature Medicine« eine Studie, die darauf hindeutet, dass Menschen mit zwei Kopien des veränderten CCR5-Gens ein insgesamt höheres Sterberisiko aufweisen. Diese Studie haben die Forscher nun allerdings zurückgezogen: Ihre Schlussfolgerung beruht auf nun als fehlerhaft erkannten Daten aus einer Biodatenbank, berichtet »Nature News«.

Nach den kontrovers diskutierten CRISPR-Experimenten von He Jiankui waren einige Studien durchgeführt worden, um die möglichen Nebenwirkungen und Folgen der Menschenversuche besser abschätzen zu können. Bei der nun zurückgezogenen Arbeit hatten Rasmus Nielsen und Xinzhu Wei von der University of California eine Analyse mit Hilfe von Genom- und Gesundheitsdaten von 500 000 britischen Bürgern erstellt: Sie untersuchten dabei die Daten von Menschen mit der natürlichen Mutation Delta-32 im CCR5-Gen, die auch bei den chinesischen Kindern eingeführt werden sollte. Menschen mit dieser Mutation in beiden Kopien des Genoms sind bekanntermaßen resistent gegen eine Infektion mit dem HI-Virus. Nielsen und Wei wollten ermitteln, ob diese Mutation mit Gesundheitsproblemen einhergeht, und wurden vermeintlich fündig: Die Datenanalyse wies darauf hin, dass Träger der Mutation ein erhöhtes Sterberisiko tragen. Zudem fanden sich in der Datenbank weniger Menschen in bestimmtem Alter mit zwei Kopien von Delta-32, als statistisch zu erwarten wäre: Auch dies sei ein Beleg, so spekulierten die Forscher, dass Menschen mit zwei Kopien im Durchschnitt tatsächlich früher sterben.

Nach der Publikation der Studie bekamen die Forscher allerdings bei Diskussionen in sozialen Medien und auf Konferenzen Hinweise von anderen Wissenschaftlern; danach produziert speziell die Suche nach der fraglichen Genvariante in der britischen Biobank-Datenbank einen systematischen Fehler: Aus methodischen Gründen hatten die Forscher nicht alle Menschen mit der fraglichen Mutation identifiziert. »Es gab Kontrollen, die wir hätten durchführen können und sollen, was wir nicht getan haben. Wir haben die Tatsache übersehen, dass es einen Genotypisierungsfehler gab«, entschuldigt sich Nielsen gegenüber »Nature News«. In einer gerade veröffentlichten Folgestudie, in der Genomdatenbanken aus Island und Finnland analysiert wurden, finden sich keine Hinweise darauf, dass Menschen mit zwei CCR5-Delta-32-Kopien früher sterben.

Eine Entwarnung wäre jedoch voreilig: Es bleibt unklar, welche Folgen die Mutation neben der HIV-Resistenz mit sich bringt. Das Genprodukt von CCR5 ist bei Zellen im Immunsystem aktiv und könnte bei der Verknüpfung von Neuronen und Lernprozessen im Hippocampus eine Rolle spielen, wie Versuche bei Mäusen nahegelegt haben. Es ist unklar, ob diese Experimente auf den Menschen übertragen werden können. Bei ihnen ist das gesamte Gen gentechnisch entfernt worden. Die gentechnisch veränderten Kinder in China bilden einige Zellen des gentechnisch vermeintlich ausgeschalteten Rezeptors dagegen nach wie vor; teilweise ist das Rezeptorgen zumindest in einer Chromosomenkopie weiter offenbar ganz intakt. Mögliche Spätfolgen sind noch nicht abzusehen.

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