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United 328: Was passierte am Himmel über Denver?

Kurz nach dem Start zerlegte sich das Triebwerk einer Boeing vor den Augen und Kameras der Passagiere. Zum Glück passierte nichts Schlimmes. Doch der Vorfall lässt aufhorchen.
Auf Schadenssuche im Hangar von NTSB

Es ist nichts, was man beim Blick aus dem Flugzeugfenster sehen möchte: ein waidwundes Triebwerk, ausgefallen, seiner Verkleidung beraubt und – vor allem – mit einem orangefarbenen Glimmen im hinteren Bereich. Feuer, in fast 4000 Meter Höhe.

Ein Twitter-Video, das sich am Wochenende rasend schnell verbreitet hat, zeigt genau das. Es stammt von Flug United 328, der am Samstag eigentlich nach Honolulu gehen sollte. Doch kurz nach dem Start vom Flughafen in Denver begannen die Probleme: Das rechte Triebwerk zerlegte sich, die Piloten funkten »Mayday«, drehten um und landeten 23 Minuten nach dem Start wieder sicher in Denver.

Noch laufen die Ermittlungen, noch ist wenig Handfestes bekannt. Die ersten Erkenntnisse zeigen allerdings: Das verwendete Triebwerk vom Typ PW4000, das nur in einigen Boeing-777-Flugzeugen verbaut ist, hat womöglich ein strukturelles Problem. Und, die bessere Nachricht: Die technischen Sicherheitsvorkehrungen, die im Fall eines kapitalen Triebwerksschadens eine Katastrophe verhindern sollen, haben offenbar funktioniert.

Derzeit gehen die Ermittler der NTSB, der amerikanischen Untersuchungsstelle für Flugunfälle, von Materialermüdung als wahrscheinlichster Ursache aus. Eines der 22 riesigen Rotorblätter, die von vorne Luft ins Triebwerk pressen, ist demnach nahe seiner Aufhängung gebrochen. Ein zweites Rotorblatt fehlt zur Hälfte. »Es wurde wahrscheinlich von der anderen Schaufel getroffen, als diese sich löste«, sagte NTSB-Chef Robert Sumwalt am Montagabend auf einer im Internet übertragenen Pressekonferenz. Metallteile wurden dabei vermutlich ins Triebwerk gesaugt, wo sie dessen Innenleben zerstörten und zur Abschaltung führten – was bei solchen Unfällen normal ist.

Warum löste sich bei United 328 die komplette Verkleidung?

Nicht normal ist, dass sich auch die komplette Verkleidung des Triebwerks verabschiedet hat – einschließlich des drei Meter großen, ringförmigen Lufteinlasses, der in einem Vorgarten in Broomfield, Colorado, landete. »Dass sich die Verkleidung derartig löst, darf eigentlich nicht passieren«, sagt NTSB-Chef Sumwalt. Allem Anschein nach haben Teile der Abdeckung sogar den Rumpf des Flugzeugs getroffen und unterhalb des Flügels einen Riss in der Außenhaut hinterlassen. Zum Glück haben sie die Druckkabine nicht beschädigt. »Auch an anderen Stellen der Tragfläche haben wir Dellen und Schrammen entdeckt, allerdings keine strukturellen Schäden«, sagte der Chef der Flugunfallbehörde. Die NTSB will nun im Detail untersuchen, wie sich die Verkleidung lösen konnte.

Auch das Feuer wirft Fragen auf: Unmittelbar nachdem die Piloten den Triebwerksschaden bemerkten, stellten sie nach Erkenntnissen der NTSB die Treibstoffzufuhr ab und aktivierten die Feuerlöscher. Trotzdem loderte es weiter. Fehlte die schützende Verkleidung, so dass die Feuerlöscher nicht wie gewünscht wirken konnten? Oder hat sich eine Kohlefaserstruktur entzündet, die für die Schubumkehr benötigt wird? Die weiteren Untersuchungen werden es höchstwahrscheinlich zeigen.

Was schlimmer wiegt: Es ist nicht der erste derartige Unfall mit einem Triebwerk vom Typ Pratt & Whitney PW4000-112. Entwickelt in den 1980er Jahren, sind die Triebwerke mehr oder weniger Exoten auf dem internationalen Luftfahrtmarkt geblieben: Für jede Flugzeugreihe, so auch bei der Boeing 777, können Airlines in der Regel zwischen zwei oder drei Triebwerken unterschiedlicher Hersteller wählen. Das PW4000-112 stieß dabei offenbar auf wenig Gegenliebe: Lediglich Fluggesellschaften in Japan, Südkorea und den USA haben es im Einsatz, nur 60 Flugzeuge sind derzeit nach Berichten des Fachblatts »Flight Global« damit unterwegs, weitere 67 Maschinen wurden bereits eingemottet.

Der Unfall hat einen bekannten Vorläufer

Trotzdem erinnert der aktuelle Unfall fatal an einen Vorfall aus dem Jahr 2018. Auch damals war eine Boeing 777 von United Airlines beteiligt, sie wurde sogar fast zur selben Zeit hergestellt wie das 26 Jahre alte Flugzeug, dessen Piloten nun in Denver »Mayday« funken mussten. Und auch damals brach die Triebwerksschaufel eines PW4000-112.

Offenbar, so das Ergebnis der damaligen NTSB-Untersuchung, hatte es Pratt & Whitney bei den regelmäßigen Inspektionen der Triebwerke nicht so genau genommen. Werksinterne Prüfer erhielten keine Schulungen, sie bekamen keine Rückmeldung von den Ingenieuren über beanstandete Mängel, sie hielten Risse im Metall für Schäden an der Lackierung. Das PW4000 macht es den Inspektoren allerdings auch nicht einfach: Um Gewicht zu sparen, sind seine Triebwerksschaufeln, eine jede fast 1,50 Meter lang, innen hohl. Klassische Methoden der Materialprüfung stoßen daher an ihre Grenzen. Pratt & Whitney musste ein eigenes Prüfverfahren entwickeln, eine Art thermische Sonografie.

Ob auch dieses Mal Risse übersehen worden sind oder ob ein anderes strukturelles Problem vorliegt, ist noch offen. Die US-Flugaufsicht FAA hat trotzdem eine genauere Inspektion der PW4000-Triebwerke angeordnet. United will die betroffenen Flugzeuge sogar komplett am Boden lassen. Auch in Japan dürfen sie vorerst nicht abheben.

Auch mit nur einem Triebwerk sicher abheben

Dabei ist der Ausfall eines einzelnen Triebwerks zunächst kein allzu großes Problem. Moderne Flugzeuge sind in puncto Leistung und Gewicht so ausgelegt, dass sie selbst bei einem Defekt während der kritischen Startphase noch genügend Reserven haben, um eine sichere Höhe erklimmen zu können. Reicht die berechnete Notfallleistung einmal nicht aus, zum Beispiel weil es extrem heiß ist oder weil sich ein Flughafen mehrere Kilometer über Meereshöhe befindet, müssen notfalls Gepäckstücke ausgeladen werden oder Passagiere am Boden bleiben.

Zudem trainieren Piloten im Simulator regelmäßig Triebwerksausfälle während der Startphase. Wer dem Funkverkehr von Flug United 328 lauscht, den der Youtube-Kanal VASAviation veröffentlicht hat, hört, wie ruhig und professionell die Crew arbeitet. Und wie sie – als der Fluglotse in Denver verschiedene Landebahnen anbietet – erst einmal ihre Checklisten abarbeiten möchte.

Auch auf Reiseflughöhe kommt es immer wieder vor, dass Triebwerke abgeschaltet werden müssen. Früher durften sich zweistrahlige Flugzeuge auf ihrer Route daher nie weiter als eine Flugstunde vom nächsten Airport entfernen – um mit dem einen verbliebenen Triebwerk noch gefahrlos landen zu können. Heute sind Direktflüge über Atlantik oder Pazifik auch mit Zweistrahlern kein Problem mehr. Neue Sicherheitskriterien namens ETOPS haben dies möglich gemacht: Können die Triebwerksbauer nachweisen, dass ihre Konstruktionen derart zuverlässig sind, dass es rein statistisch gesehen praktisch ausgeschlossen ist, beide Triebwerke innerhalb weniger Stunden zu verlieren, dürfen sich die Maschinen auch deutlich weiter vom nächsten Flughafen entfernen. Bei den PW4000-Triebwerken beträgt diese Grenze drei Stunden.

Herumfliegende Teile sind größte Gefahr

Die eigentliche Gefahr bei einem Triebwerksausfall liegt aber ohnehin woanders. Als »uncontained engine failure« bezeichnet das Fliegerenglisch den größten anzunehmenden Unfall: Schnell rotierende Teile brechen ab und werden mit hoher Geschwindigkeit radial aus dem Triebwerk hinausgeschleudert. Durchstößt ein solches Geschoss die Tragfläche, den Treibstofftank oder die Druckkabine, kann das katastrophal enden.

Triebwerksbauer versuchen, dem mit einer zweistufigen Strategie entgegenzuwirken: Rund um die riesigen Schaufeln am Triebwerkseinlass befindet sich ein Ring aus festem Metall, der davonfliegende Schaufeln aufhalten soll. Bei United 328 hat dies offenbar funktioniert. Die NTSB entdeckte Teile der abgebrochenen Schaufel im schützenden Ring. Das zweite defekte Schaufelblatt wurde offensichtlich nach hinten ins Triebwerk gesaugt. Es landete später auf einem Fußballplatz in Broomfield.

Verkleidung des Triebwerks | Losgeschlagene Teile des Triebwerks krachten in ein Wohngebiet in einem Vorort von Denver. Dabei wurde nach Polizeiangaben niemand verletzt.

Rund um den Triebwerkskern, in dem schwere Verdichterschaufeln mit hoher Geschwindigkeit rotieren, ist eine Abschirmung nicht möglich. Zu viel Metall und damit zu viel Gewicht wäre dafür nötig. Stattdessen verbaut man dort Materialien, die möglichst nicht brechen und auch extremen Belastungen widerstehen können – sogar hindurchfliegenden Metallteilen. Das hat bei United 328 offenbar sogar geklappt. Die NTSB konnte bei ersten Inspektionen keine äußeren Schäden am Triebwerkskern erkennen.

Die Ermittler schließen daher – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – einen »uncontained engine failure« aus. Auch wenn für Robert Sumwalt klar ist, dass es sich dabei um eine eher akademische Diskussion handelt. »Den Menschen ist das letztlich egal«, sagte der NTSB-Chef am Montagabend. »Solch ein Vorfall ist einfach etwas, was niemand sehen will.«

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