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Vulkanforschung: Auf dem Weg zur Eruptionsvorhersage

Mit Seismografen, Satellitendaten und künstlicher Intelligenz wollen Wissenschaftler Vulkane besser verstehen, um Ausbrüche künftig punktgenau vorhersagen zu können. Immerhin werden die Prognosen stetig besser.
Der Vulkan Krakatau zwischen Java und Sumatra

Der Kollaps der indonesischen Vulkaninsel Anak Krakatau begann schleichend. Anfang 2018 rutschten an der Süd- und Südwestseite die Flanken des aktiven Schlots des Vulkans Krakatau mit einer Geschwindigkeit von etwa vier Millimetern pro Monat ins Meer, ohne dass jemand davon Notiz nahm. Im Juni des Jahres fing der Feuerberg dann an, für alle Welt sichtbar zu rumoren. Während einer Serie kleinerer Eruptionen spuckte er glühende Asche und Gesteinsbrocken gen Himmel, und seine Temperatur stieg deutlich. Satelliten zeichneten eine Wärmestrahlung von 146 Megawatt auf – das ist mehr als das 100-Fache des normalen Werts. Mit der erhöhten Aktivität nahm auch das Abrutschen auf zehn Millimeter pro Monat zu.

Am 22. Dezember 2018 stürzte schließlich die Südflanke ins Meer und löste einen Tsunami aus, bei dem mindestens 430 Menschen an den benachbarten Küsten Javas und Sumatras starben. Niemand hatte diese Katastrophe vorhergesehen. Allerdings kam eine 2019 veröffentlichte Studie zu dem Ergebnis, dass Instrumente am Boden und auf Satelliten eine Reihe von Signalen empfangen hatten, die dem Kollaps vorangegangen waren. In Radardaten erkannten Forscher etwa die geringfügigen Verschiebungen des Vulkans. Solche Anzeichen könnten künftig dazu dienen, ähnliche Ereignisse vorherzusagen.

Der überraschende Kollaps von Anak Krakatau offenbarte, welche Herausforderungen auf die Wissenschaftler warten, wenn sie nicht nur einen, sondern tausende potenziell gefährlicher Vulkane weltweit überwachen wollen. Verschiedene Entwicklungen auf dem Gebiet der Vulkanologie machen jedoch Hoffnung, dass die Prognosen katastrophaler Ausbrüche in Zukunft deutlich zuverlässiger werden. Eine Flut von Satellitendaten erlaubte es etwa jüngst, fast unmerkliche Bewegungen der Feuerberge festzustellen. Sensoren am Boden erkennen zusätzlich, wie Magma in großen Tiefen wandert, und auf Drohnen installierte Messgeräte können beim Flug über brodelnden Vulkanen verräterische Gase aufspüren. Auch die theoretischen Erkenntnisse haben merklich zugenommen. Das liegt daran, dass die Forscher auf Basis der gewonnenen Daten Computermodelle entwickelt haben, die Auskunft über die Vorgänge im Inneren von Vulkansystemen geben. Mittlerweile versuchen sie mit künstlicher Intelligenz (KI) in den Datenbergen subtile Muster zu identifizieren, die schon Monate vor dem tatsächlichen Ausbruch Hinweise auf die bevorstehende Entwicklung geben können.

Katastrophe läutet neue Ära der Vulkanologie ein

Für viele Experten begann die moderne Vulkanologie am 18. Mai 1980 mit der größten Vulkankatastrophe in der Geschichte der Vereinigten Staaten, dem Ausbruch des Mount St. Helens. Das Ereignis nahm mit dem umfangreichsten dokumentierten Erdrutsch seinen Lauf und forderte 57 Menschenleben. Asche deckte einen großen Teil des US-Bundesstaats Washington sowie seiner Nachbarstaaten zu und führte in der Region zu einem mehrtägigen Stillstand. Bereits in den Monaten vor der Explosion waren Wissenschaftler zu dem Vulkan geströmt und hatten sein Verhalten genau beobachtet. »Es handelte sich um den ersten bedeutenden Vulkanausbruch, der durch moderne wissenschaftliche Instrumente erfasst wurde«, konstatiert Seth Moran, leitender Wissenschaftler am Cascades Volcano Observatory des US Geological Survey (USGS) in Vancouver, Washington. »Daher wurde er weltweit in vielerlei Hinsicht zum Maßstab für einen neuen Blick auf Vulkane.«

Fortan erfuhr das Forschungsgebiet eine gewaltige Aufstockung an Finanzmitteln und Personal, was den Weg für rasche Erkenntnisgewinne ebnete. Inzwischen hat die Zahl an Überwachungsdaten von Boden- und Satelliteninstrumenten deutlich zugenommen. Computer sind viel leistungsfähiger geworden und ihre Analysen erheblich besser. Die Entwicklung hat das Verständnis der Wissenschaftler von Vulkansystemen revolutioniert. »Ich glaube, im Rückblick wird man diese Epoche als goldenes Zeitalter der physikalischen Vulkanologie ansehen«, meint Christopher Kilburn vom University College London. Das nächste Ziel der Forscher lautet nun, die Wahrscheinlichkeit eines Ausbruchs innerhalb eines konkreten Zeitraums zu prognostizieren – ähnlich wie Meteorologen die Niederschlagswahrscheinlichkeit für einen bestimmten Tag vorhersagen.

Beim Mount St. Helens gab eine Serie kleinerer Erdbeben, die am 15. März 1980 begann, erste Hinweise auf eine drohende Explosion. Rund eine Woche später sprengten Dampfexplosionen die Eiskappe am Gipfel des Vulkans und hinterließen einen Krater, der innerhalb weniger Tage einen Durchmesser von 400 Metern erreichte. Forschungsteams vom USGS und anderen Institutionen trafen ein, um den Berg zu überwachen. Flugzeuge flogen über den rauchenden Krater und maßen die austretenden Gasmengen. Seismometer verzeichneten Erschütterungen im Magma, also der unter der Erdoberfläche wandernden Gesteinsschmelze. Experten erklommen die Berghänge, um die sich wölbende Nordflanke mit Maßbändern und Lasergeräten zu vermessen. Eindeutig stieg Magma im Vulkan nach oben und drückte gegen den Hang. Die Forscher warnten zwar, dass eine größere Eruption bevorstünde. Von dem, was dann geschah, wurden sie allerdings überrumpelt: Am 18. Mai 1980 um 8.32 Uhr stürzte eine gewaltige Erdlawine den Berghang hinab. Sie riss den schnee- und eisbedeckten Gipfel mit sich. Die Druckentlastung entkorkte sozusagen den Vulkan, eine wuchtige Explosion war die Folge. Steine, Asche, Gas und Dampf wurden mit Überschallgeschwindigkeit herausgeschleudert und zogen bis zu 25 Kilometer nach Norden.

Erdrutsch am Mount St. Helens | Am 18. Mai 1980 riss ein gigantischer Erdrutsch – der größte, der jemals dokumentiert wurde – die Nordflanke des Mount St. Helens mit sich und löste eine Eruption aus.

»Wir lernten aus der Eruption vom 18. Mai, wie instabil Vulkane mit steilen Hängen sind, wie sie in sich zusammenbrechen und dabei eine starke seitliche Druckwelle erzeugen können«, sagt der Geologe Don Swanson vom Hawaiian Volcano Observatory des USGS, der die Eruption 1980 beobachtete. »Was jetzt so offensichtlich erscheint, war damals nicht selbstverständlich.« Nach der Eruption fanden Wissenschaftler in der Umgebung des Mount St. Helens zahlreiche Hügel, die als komplette Gesteinsblöcke hangabwärts gerutscht waren. Derartige Formen sind an vielen Stellen der Erde in der Nähe von Vulkanen anzutreffen. Anhand historischer Aufzeichnungen ermittelten die Forscher rund 1000 vergleichbare Erdrutsche an mehr als 550 Feuerbergen. »Große Vulkane wachsen nicht nur an, sondern sie brechen auch in sich zusammen«, erklärt Thomas Walter vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam.

Die Eruption des Mount St. Helens erteilte weitere Lektionen: etwa über die tödliche Wirkung von heißer Asche und heißem Gas, die den Berg mit Orkangeschwindigkeit herabrasen, oder über die Kraft von Schlammlawinen, die alles auf ihrem Weg zerstören. Der Ausbruch setzte außerdem eine enorme Entwicklung der Vulkanologie in Gang. Innerhalb von zehn Jahren baute der USGS Vulkanobservatorien im Nordwesten der USA, auf Hawaii und in Alaska auf. Das Vulkangefahrenprogramm des USGS ist heutzutage finanziell fast zehnmal so gut ausgestattet wie vor dem Ausbruch des Mount St. Helens.

Nachdem fünf Jahre später, 1985, eine Schlammlawine nach einer Eruption in Kolumbien 23 000 Todesopfer gefordert hatte, richtete der USGS das Volcano Disaster Assistance Program (VDAP) ein, um anderen Ländern bei der Vorbereitung auf vulkanische Krisensituationen zu helfen. Bereits 1991 konnte die Initiative ihren Wert unter Beweis stellen: Forscher des USGS kamen in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Philippinen zu dem Schluss, dass vom Pinatubo eine akute Gefahr ausgehe, und sprachen eine Warnung aus. Zehntausende Menschen konnten aus der Region evakuiert werden, bevor es am 15. Juni 1991 schließlich zu einer gewaltigen Eruption kam.

Wie ein Vulkan erwacht

Ausbrüche wie die des Mount St. Helens oder des Pinatubo lieferten den Wissenschaftlern wichtige Erkenntnisse. In der Regel sind seismische Erschütterungen die ersten Anzeichen für das »Erwachen« eines Vulkans. Denn schon bevor Magma an die Oberfläche dringt und es zu sichtbaren Eruptionen kommt, kann die aufsteigende Gesteinsschmelze Erdbeben auslösen. Zusätzlich bläht die Magmabewegung mitunter den Berg vor seinem Ausbruch auf, wie beim Mount St. Helens geschehen. Aus diesen Gründen überwachen mittlerweile nicht nur seismische Netzwerke Dutzende der weltweit gefährlichsten Vulkane, sondern auch GPS-Empfänger sowie in jüngster Zeit satellitengestütztes Radar. Diese Techniken zeichnen ihre Bewegungen permanent auf.

Noch bevor sicht- oder fühlbare Warnsignale auftreten, können wachsende Kohlendioxidkonzentrationen im Krater oder in Schloten nahendes Unheil ankündigen. Denn im Magma sind Gase gelöst, die aufsteigen und austreten, sobald die Gesteinsschmelze nach oben wandert und somit der Umgebungsdruck nachlässt. Da Kohlendioxid eines der am schlechtesten löslichen vulkanischen Gase ist, entweicht es schon dann, wenn sich das Magma noch vergleichsweise tief unter der Erde befindet. »Im Prinzip bekommt man bei einer Eruption ein Gassignal, lange bevor das Magma die Oberfläche erreicht«, sagt der auf vulkanische Gase spezialisierte Geochemiker Alessandro Aiuppa von der Universität Palermo, Italien.

Früher mussten die Wissenschaftler Gasproben in der Nähe der Krater oder Schlote sammeln, was ein gefährliches Unterfangen war und lediglich Informationshappen lieferte. Im Jahr 2005 entwickelten italienische Forscher dann ein schuhkartongroßes Instrument zur Spurengasanalyse. Mit diesem Apparat lassen sich schon sehr geringe Konzentrationen der fünf wichtigsten Gase messen, die von Vulkanen ausgestoßen werden. Heutzutage werden solche Messgeräte in der Nähe von Schloten installiert und auf Drohnen montiert, die anschließend über aktive Krater fliegen. »Das war eine wirkliche Revolution bei der Erforschung der Vulkangase«, schwärmt Aiuppa. »Man sieht nun im Sekundentakt und in Echtzeit auf dem Computer deren Zusammensetzung.«

Als der Stromboli explodierte

Die Multi-Gas-Instrumente erprobten italienische Wissenschaftler etwa beim Ausbruch des Stromboli vor der Nordküste Siziliens. Im Jahr 2005 hatten sie dort einige Exemplare neben Kameras und Spektrometern installiert und fortan Gasdaten gesammelt. Am 27. Februar 2007 begann dann eine so genannte effusive Eruption, bei der Lava mehr oder minder ruhig herausquillt. Die Forscher beobachteten im Anschluss rund zwei Wochen lang eine Verzehnfachung der Kohlendioxidwerte, bevor der Stromboli am 15. März 2007 explosiv ausbrach. Mit Hilfe der Daten konnten sie modellieren, wie sich dieser komplexe Vulkan verhält. Demnach gehen Explosionen von einer in sieben bis zehn Kilometer Tiefe unter dem Gipfel gelegenen Magmakammer aus. Den Forschern zufolge nimmt die Wahrscheinlichkeit einer explosiven Eruption zu, wenn die Kohlendioxidemissionen 2000 Tonnen pro Tag übersteigen.

Im August 2019 floss aus dem Stromboli erneut Lava aus. In den darauf folgenden zwei Wochen stellten die Italiener wie 2007 eine allmähliche Zunahme des Kohlendioxidausstoßes fest. »Also wussten wir, dass etwas passieren würde«, sagt Aiuppa. Die Wissenschaftler wurden wachsamer und erfassten nun auch leichteste Veränderungen der Hangneigung. Am 28. August 2019 waren sie schließlich sicher, dass eine Explosion kurz bevorstand. Sie alarmierten die örtlichen Behörden  und schon wenig später kam es zum Ausbruch.

Vulkane
Im neuen Hyperraum-Video geht es um Vulkane und wie man sie erforscht.

Neben Gasen können auch niederfrequente Schallwellen, die einige Vulkane kurz vor einer Eruption aussenden, auf einen bevorstehenden Ausbruch hindeuten. Im Jahr 2008 installierten italienische Wissenschaftler ein entsprechendes Messsystem am Ätna auf Sizilien. Bei 59 Ausbrüchen in den folgenden acht Jahren konnten sie die Wirksamkeit der Methode prüfen: Bis auf zwei sah das System alle voraus; rund eine Stunde vor der jeweiligen Eruption hatte es jeweils einen Warnhinweis gegeben. Angesichts dieses Erfolgs schickt das System seit dem Jahr 2015 automatische Warnungen in Form von E-Mails und SMS an die Zivilschutzabteilung in Rom und an die Verwaltung der am Fuß des Vulkans gelegenen Stadt Catania. Ursprünglich wollten Forscher mit der Schallwellenmessung eine einfache Methode entwickeln, um Eruptionen von Bergen vorherzusagen, die nicht mit Bodenmessgeräten überwacht werden. Denn gegenwärtig sind Letztere an weltweit weniger als der Hälfte der aktiven Landvulkane im Einsatz. Überdies handelt es sich in vielen Fällen nur um ein paar wenige Seismometer.

»Von Vulkanen ausgehende Risiken kennen keine Grenzen«Maurizio Ripepe, Geophysiker

Gleichwohl können selbst Ausbrüche in abgelegenen Gegenden weit reichende Folgen haben – etwa die des Eyjafjallajökull auf Island 2010. Die Eruption erzeugte eine Aschewolke, die den Flugverkehr in ganz Europa wochenlang unterbrach. »Von Vulkanen ausgehende Risiken kennen keine Grenzen«, betont Geophysiker Maurizio Ripepe von der Universität Florenz, der dabei half, das automatische Frühwarnsystem am Ätna einzurichten. Allerdings haben Wissenschaftler im vergangenen Jahrzehnt neue Wege gefunden, alle Vulkane weltweit mittels auf Satelliten montierter Instrumente zu überwachen. Schallwellenmessungen sind daher nicht mehr unbedingt notwendig.

Nach dem katastrophalen Tsunami im Dezember 2018 entdeckten deutsche Vulkanologen ein auffälliges Muster in NASA-Satellitendaten des Krakatau, aufgezeichnet mit dem Moderate Resolution Imaging Spectroradiometer, kurz MODIS, also einem bildgebenden Radiospektrometer mittlerer Auflösung. Bereits sechs Monate vor dem Ereignis, im Juni 2018, zeigten die Infrarotspektralbänder eine sprunghafte Zunahme der Wärmeemissionen. »Der gesamte Vulkan war vollkommen überhitzt, so stark wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen«, sagt Walter. »Es handelte sich also eindeutig um ein abnormes Verhalten.«

Die Forscher zogen zusätzlich Radarbeobachtungen von Satelliten zu Rate, mit denen sich feine Bewegungen in vertikaler und horizontaler Richtung aufspüren lassen. So fanden sie heraus, dass die Flanke des Vulkans zunächst mit einer Geschwindigkeit von zehn Millimetern pro Monat Richtung Meer rutschte, bevor der Berg schließlich kollabierte (siehe »Insel in Bewegung«). Solche Beobachtungen zeigen, dass Wissenschaftler allein aus Satellitendaten die Vorboten einer Eruption oder eines Erdrutsches bemerken können. »Als Vulkanologen pflegten wir immer zu sagen, wir hätten nicht ausreichend Daten zur Verfügung«, meint Michael Poland, leitender Wissenschaftler am Yellowstone Volcano Observatory des USGS in Vancouver, Washington. »Doch die Satellitendaten erweitern nun unsere Möglichkeiten, herauszufinden, was die Vulkane wirklich treiben.«

Insel in Bewegung | Satellitenradardaten offenbaren, wie sich die Bodenoberfläche der Vulkaninsel Anak Krakatau in den zwölf Monaten vor der Eruption am 22. Dezember 2018 verschob. Der Südwestteil der Insel kollabierte im Verlauf der Eruption, was einen Tsunami auslöste. Solche Beobachtungen könnten helfen, Vulkanausbrüche vorherzusagen.
Als 2014 und 2016 die Satelliten Sentinel-1A beziehungsweise Sentinel-1B der Europäischen Weltraumorganisation ESA ins All geschossen wurden, gab das der Vulkanologie weiteren Auftrieb. Die Flugkörper nutzen eine Radartechnik, das interferometrische SAR (Synthetic Aperture Radar), um Bewegungen in bisher nicht gekannten Auflösungen und geringen Zeitabständen zu beobachten (siehe »Das Aufblähen überwachen«). »Diese Satelliten erkennen Deformationen der Bodenoberfläche im Millimeterbereich, so dass wir das Anschwellen eines Vulkans genau verfolgen können«, verrät Charles Mandeville, Programmkoordinator des Vulkangefahrenprogramms des USGS. »Derzeit wird eine Unmenge solcher Daten gesammelt.«

Die Radardaten wiederum kombinieren Forscher mit Satellitenaufzeichnungen von Temperatur und Schwefeldioxidemissionen, um ein mehrdimensionales Bild der Vorgänge in Vulkanen vor und während Eruptionen zu erhalten. Eine Untersuchung der 47 aktivsten Feuerberge in Südamerika anhand von Satellitendaten aus 17 Jahren zeigte, dass Veränderungen in mindestens einer dieser Variablen und manchmal in allen dreien einem Ausbruch vorangehen, manchmal über mehrere Jahre hinweg. Um die oft frei verfügbaren Daten auszuwerten, hat das Forschungsteam um Walter die Vulkanüberwachungsplattform »Monitoring Unrest from Space«, kurz MOUNTS, entwickelt. Sie verwendet Daten der aktuellen Serie von Sentinel-Satelliten sowie am Boden gewonnene Informationen über Erdbeben und überwacht derzeit 17 Vulkane, darunter auch den Krakatau.

Das Aufblähen überwachen | Teile des Vulkans Kilauea auf Hawaii heben sich derzeit an, wie aus dem Farbmuster der interferometrischen Radardaten hervorgeht, die zwischen dem 4. April und dem 1. Mai 2020 aufgenommen wurden.

Am 10. April 2020 spie der Schlot Anak Krakatau dann eine 500 Meter hohe Aschesäule gen Himmel. Walter begann sofort damit, Satellitendaten zu analysieren, um die Lage aus der Entfernung zu bewerten. Wegen schlechter Sichtverhältnisse musste er sich auf Radardaten verlassen, die dicke Wolken durchdringen können. Diese sahen nicht unbedingt sehr beunruhigend aus. Das indonesische Zentrum für Vulkanologie und geologische Risikominderung gab daher lediglich eine Warnung der Stufe 2 heraus, was ein Ausbruchspotenzial mit begrenztem Risiko bedeutete. Walter hofft, dass die Informationen der Satelliten in Zukunft beim Aufbau eines Frühwarnsystems für Tsunamis helfen könnten, die durch Erdrutsche an dem indonesischen Vulkan ausgelöst werden.

Bereits seit Beginn des Projekts mit Sentinel-1A und Sentinel-1B sehen sich die beteiligten Forscher mit ungewöhnlich großen Datenmengen konfrontiert. Die Satelliten senden stetig unzählige Messwerte, mehr, als sich mittels konventioneller Methoden analysieren lassen. »Angesichts der vielen Vulkane brauchten wir elegantere Methoden zum Umgang mit dem umfangreichen Datensatz«, sagt Walter. Die Wissenschaftler wandten sich daher Techniken des maschinellen Lernens zu. Bei dieser Form künstlicher Intelligenz (KI) können Computeralgorithmen, etwa neuronale Netze, darauf trainiert werden, selbstständig Muster in Daten zu finden. Das Team um Juliet Biggs von der englischen University of Bristol schuf ein neuronales Netz, das sich durch etwa 30 000 Sentinel-1-Bilder von über 900 Vulkanen wühlte und rund 100 Aufnahmen markierte, die erhöhte Aufmerksamkeit verdienten. Von diesen zeigten 39 tatsächliche Bodendeformationen. Damit hatte das KI-System den Arbeitsaufwand für die Forscher erheblich reduziert.

Jetzt testen sie ihr System an etwa einer halben Million Bilder von mehr als 1000 Vulkanen. »Man kann einfach nicht jedes Bild selbst anschauen«, sagt Poland. Maschinelles Lernen sei deshalb wirklich sinnvoll, um die gewaltigen Datenmengen zu filtern. Für die MOUNTS-Plattform haben Wissenschaftler nun auch ein neuronales Netz programmiert, das nach großen Deformationen sucht. Andere bemühen sich, Algorithmen zu entwickeln, die Temperatur- oder Gasemissionsdaten von Satelliten durchforsten können. Biggs ist zwar der Meinung, die Kombination aus Satellitendaten und KI sei ein brauchbares Werkzeug, um Risiken frühzeitig zu erkennen. Allerdings glaubt sie nicht, dass Satelliten jemals in der Nähe von Vulkanen aufgestellte Instrumente vollständig ersetzen können.

Das sehen offenbar auch andere so. In den Vereinigten Staaten werden Forscher daher schon bald über etliche zusätzliche Bodendaten verfügen. Im März 2019 verabschiedeten die USA ein Gesetz zur Finanzierung eines nationalen Vulkan Frühwarnsystems, des National Volcano Early Warning System (NVEWS). Im Zuge dessen sollen auf 104 Vulkanen des Landes digitale Breitbandseismometer installiert werden. Zusätzlich wollen die Verantwortlichen neue digitale Fernmessnetze mit ausreichender Bandbreite schaffen, um Daten von verschiedensten Bodensensoren zu übertragen.

In den vergangenen 40 Jahren haben Wissenschaftler zwar erfolgreich den zeitlichen Ablauf etlicher Eruptionen vorhergesagt, von kleineren Ausbrüchen am Mount St. Helens in den frühen 1980er Jahren bis hin zu aschereichen Lavafontänen am Ätna. Doch nicht immer reicht es für eine Evakuierung. Bei einer kleinen, explosiven Eruption am Ontake in Japan 2014 starben 63 Menschen, und eine heftige Eruption des Volcán de Fuego in Guatemala forderte im Juni 2018 hunderte Todesopfer. Im Jahr 2019 kostete eine kleinere Eruption auf White Island in Neuseeland 21 Menschen das Leben.

»Jeder Vulkan tickt anders«Michael Poland

Offensichtlich stoßen Vulkanologen nach wie vor bei ihren Vorhersagen von Eruptionen an Grenzen. Trotz Daten über Gasemissionen und Bodendeformationen ist es oftmals schwierig, genaue Rückschlüsse auf Vorgänge in großen Tiefen zu ziehen. Erschwerend kommt hinzu, dass jeder Berg eine einzigartige Materialzusammensetzung und Struktur aufweist. »Wenn Vulkanologen die ersten Warnzeichen erkennen, denken sie oft, sie hätten diese schon bei vorherigen Ausbrüchen gesehen und wüssten, was passieren wird«, sagt Poland. »Aber jeder Vulkan tickt anders«, fügt er hinzu. Unser Verständnis für derartige Systeme kratze zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur an der Oberfläche.

Mit noch mehr Daten und verbesserten Erkenntnissen über Vulkansysteme hoffen die Forscher dynamische Modelle zum Erfassen physikalischer und chemischer Vorgänge unter der Erdoberfläche entwerfen zu können. Dann würde sich die Vulkanologie vielleicht ähnlich wie die Meteorologie entwickeln, die dynamische Modelle der Atmosphäre benutzt, um das Wetter auf einige Tage im Voraus vorherzusagen. »Es wäre schön, eines Tages beim Aufschlagen der Zeitung die Vulkanausbruch-Vorhersage neben der Wetterprognose zu sehen«, findet Poland. Er persönlich hat jedoch Zweifel, dass solche Voraussagen jemals so gut sein werden wie die der Meteorologen. Dafür seien Vulkansysteme einfach zu komplex.

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