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Naturkatastrophen: Warum Vulkantourismus so gefährlich ist

Die tödliche Explosion von White Island zeigt: Auf einem Vulkan ist man nie ganz sicher. Ein Überblick über die Gefahren der Feuerberge und warum es so schwierig ist, Ausbrüche vorherzusagen.
Eine Gruppe von lebensmüden Knalltüten steht direkt am Krater eines aktiven Vulkans.

Einmal eine Naturgewalt von Nahem sehen. Sie spüren. Und dabei einen Hauch Ewigkeit erhaschen. Das erhoffen sich viele Touristen, die einen aktiven Vulkan besuchen. Doch weil sie die Gefahr unterschätzen, riskieren Menschen dabei oft ihr Leben. Denn aktive Vulkane sind grundsätzlich bis heute unberechenbar. Ein Berg, der eben noch ruhig dampfend dalag, kann ohne Vorwarnung explodieren. So wie White Island, Neuseelands einzige Vulkaninsel. Am frühen Nachmittag des 9. Dezember stieß der bisher 321 Meter hohe Vulkan ohne jede Warnung eine kilometerhohe Säule aus Asche und Gestein aus, während einige Dutzend Touristen gerade die Insel erkundeten.

Mit Messinstrumenten horchen Forscherinnen schließlich in den Untergrund, Forscher beobachten das Auf und Ab des Bergs und wieder andere die Zusammensetzung der austretenden Gase. Tatsächlich hatten Fachleute bereits im November vom zunehmenden Rumoren der Insel berichtet. Das aber schien sich auf eine spektakuläre Fontäne zu beschränken, die am Kratersee Schlamm und Gestein bis zu 30 Meter in die Höhe katapultierte. Für Besucher, hieß es in einer kurzen Zusammenfassung am 3. Dezember, stelle das grandiose Schauspiel trotz erhöhter Warnstufe keine Gefahr dar. Ein folgenschwerer Irrtum.

Stratovulkane sind besonders riskante Reiseziele

Der Grund dafür liegt in der Beschaffenheit von White Island. Wie der Ätna gehört er zu einem gefährlichen, weil unberechenbaren Vulkantyp, den Stratovulkanen. Darunter fallen einige der gefährlichsten Feuerberge der Erde, zum Beispiel der Pinatubo auf den Philippinen, bei dessen Ausbruch 1991 mindestens 400 Menschen starben, und der Vesuv, der in der Antike Pompeji vernichtete. Die chemische Zusammensetzung des geschmolzenen Gesteins in ihrem Inneren macht sie so gefährlich.

Das Magma von Stratovulkanen enthält einen großen Anteil Silikat, der die Schmelze sehr zäh macht. Sie fließt bei einem Ausbruch nicht einfach durch Spalten ruhig aus, sondern verstopft den Vulkanschlot; dabei hält die Masse gelöste Gase und Flüssigkeit gefangen. Je näher das Magma der Erdoberfläche kommt, desto schwächer presst das darüberliegende Gestein das Magma zusammen, und die zuvor gelösten Fluide bilden nach und nach Gasblasen. Allmählich steigt der Druck im Vulkan. Wenn sich die Blockade schließlich löst, pressen die Fluide das zertrümmerte Gestein mit ungeheurer Gewalt durch den Schlot. Eine solche Eruptionssäule kann 20 oder gar 40 Kilometer hoch in die Atmosphäre reichen.

Doch auch auf andere Feuerberge zu klettern, ist nur bedingt sicherer. Denn Vulkane mit dünnflüssigem Magma können ebenso schwere Lavabomben und Asche weit schleudern. So zum Beispiel der Stromboli, dessen spektakuläre Lavafontänen viele Besucher anlocken.

Leichtsinn ist die größte Gefahr

Auf einem aktiven Vulkan ist man nie ganz in Sicherheit. Das gilt schon für den Weg zum Krater. Vulkane erzeugen unwegsame Schuttlandschaften aus scharfkantigen Brocken und Geröll; schmale Pfade an kahlen Hängen führen oft steil aufwärts. Verpflegung und ausreichend Wasser sind meist nötig, festes Schuhwerk und geeignete Kleidung ebenfalls. Die größte Gefahr beim Vulkantourismus ist allerdings Leichtsinn.

Sicherheitszonen und Warnschilder sollte man beachten, und zwar ganz besonders jene, die auf giftige Gase hinweisen. Die Ausdünstungen des Vulkans sammeln sich unter Umständen in Senken und Hohlräumen und verdrängen dort den Sauerstoff, es besteht Erstickungsgefahr. Zusätzlich sind einige der Gase wie Fluorwasserstoff, Chlorwasserstoff, Schwefeldioxid und Schwefelwasserstoff hochgiftig.

Wie schwierig es ist, Vulkanausbrüche vorherzusagen, war schon vor White Island bekannt. Am Ätna starben am 12. September 1979 neun Menschen, als der Lavadom – der »Stopfen« im Schlot des Bergs – plötzlich explodierte und etwa 150 Touristen nahe dem Gipfel sich einem Bombardement aus Lavabrocken ausgesetzt sahen. Nahe dem Gipfel des Galeras in Kolumbien kamen im Jahr 1993 sechs Vulkanologen und drei Journalisten bei einem Ausbruch ums Leben.

White Island – Rauchwolke nach der Eruption | Die neuseeländische Vulkaninsel White Island ist nach dem tödlichen Ausbruch vom 9. Dezember 2019 mit Asche bedeckt. Nach der ersten Wasserdampfexplosion stieß der Vulkan zwar unter Druck stehendes Magma aus, allerdings reichte der Druck in der Magmakammer selbst nicht aus, um diese zu entleeren. Die Eruption endete, nachdem das Schlotsystem ein neues Druckgleichgewicht erreicht hatte.

Denn es gibt zwar diverse Warnzeichen vor einer Katastrophe – jedoch tun sich selbst Fachleute immer wieder schwer damit, sie richtig zu interpretieren. Das Gute: Die Überwachungssysteme sind in den vergangenen Jahren immer umfassender geworden. So mag jeder Berg in seiner Besonderheit anders sein, doch gewisse Muster gleichen sich. Vor allem bei regelmäßig aktiven und seit langer Zeit überwachten Feuerbergen sind die Prognosen heute recht zuverlässig.

Vulkanologen überwachen Feuerberge aus dem All

Wie man seit dem verhängnisvollen Ausbruch des Galeras in Kolumbien weiß, sind lang anhaltende Brummtöne namens »Tornillos« ein Grund, alarmiert zu sein. Sie hängen wohl mit Bewegungen gasreichen Magmas im Inneren des Bergs zusammen und zeigen, wenn im Innern des Vulkans Bewegung herrscht. Ein weiteres, ernst zu nehmendes Signal: der vulkanische Tremor, eine lang anhaltende Vibration bei niedrigen Frequenzen. Er entsteht vermutlich durch sich aufschaukelnde Druckschwankungen im Magma beim Aufsteigen durch den Vulkanschlot und zeigt in der Mehrzahl der Fälle einen beginnenden Ausbruch an.

Seismometer an den Hängen vieler aktiver Vulkane fangen diese Signale in Echtzeit ein; sie sind die Basis der modernen Vulkanbeobachtung. Neue Verfahren, einen Berg mit Hilfe schwacher seismischer Wellen aus anderen Quellen quasi zu durchleuchten, versprechen ein noch genaueres Bild von den Bewegungen des Magmas. Andere Messgeräte registrieren, wenn sich der Neigungswinkel der Hänge verändert, ein weiteres Indiz für die Druckverhältnisse im Inneren.

GPS-Empfänger am Boden und Satelliten wie Sentinel-1 kontrollieren, wie sich der Berg durch Magma und Fluide in seinem Inneren verformt. Wertvolle Informationen über den Zustand des Vulkans liefert außerdem der Wärmefluss durch die Oberfläche, den ebenfalls Satelliten oder auch Flugzeuge messen. Webcams liefern über das Internet Livebilder aus Kratern – auf White Island beobachteten Forscher so auch den Wasserspiegel des Kratersees, der auf Vorgänge im Inneren des Bergs reagierte.

Im Notfall bleibt nur die Flucht

Eine weitere Informationsquelle sind jene vulkanische Fluide, die permanent aus dem zähen Magma entweichen und als Fumarolen bezeichneten Dampfspalten aus dem Fels austreten. Steht ein Ausbruch bevor, strömen oft deutlich mehr vulkanische Gase wie Kohlendioxid, Schwefeldioxid, Schwefelwasserstoff, Fluorwasserstoff und HCl aus. Auch die Verhältnisse der Gase zueinander verschieben sich, zum Beispiel steigt für gewöhnlich der Anteil von SO2 relativ zu CO2, wenn ein Ausbruch bevorsteht. Diese Veränderungen messen heutzutage empfindliche Spektrometer aus der Entfernung.

Im Fall von White Island aber hat all das nichts genutzt. Neuseeländische Vulkanforscher sind der Ansicht, dass ein verhängnisvolles Zusammentreffen knapp unter der Oberfläche den Berg ohne jede Vorwarnung explodieren ließ: Die andauernde Aktivität des Vulkans öffnete wohl eine Spalte, durch die reichlich flüssiges Wasser direkt zum heißen Magma vordrang und schlagartig verdampfte. Das Gestein des Kraterbodens zerriss, die im Magma gelösten Gase schäumten die Schmelze auf wie ein gut geschütteltes Bier und schossen das zertrümmerte Gestein fast vier Kilometer in den Himmel.

Die Mischung aus pulverisierter Lava und Gas in der Eruptionssäule fiel anschließend wieder zur Erde zurück und wälzte sich in glühenden Wolken die Hänge des Bergs hinab. Nach Angaben der Behörden ist es nahezu ausgeschlossen, dass die etwa 20 auf der Insel vermissten Personen noch leben. Wer sich auf einem ausbrechenden Vulkan wiederfindet, hat nur eine Chance: sofortige Flucht.

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