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Gewittercluster: Was die Unwetter über Deutschland so heftig machte

Eine Kettenreaktion machte aus einigen Wärmegewittern einen 300 Kilometer großen Sturm. Besonders spektakulär machte ihn seine enorme Zahl an Blitzen.
Stylische Langzeitbelichtung eines Blitzes in der Nacht.
Ein Blitz über Häusern im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen. In Frankfurt überschwemmten die Wassermassen den Südbahnhof.

Enorme Regenmengen in kurzer Zeit, Sturmböen und vor allem ungewöhnlich viele Blitze brachte die Sturmzelle, die am Abend des 16. August 2023 über Südwestdeutschland hinwegzog. Mehr als 25 000 Blitze hätten binnen einer Stunde den Himmel erhellt, meldete der Hessische Rundfunk. Platzregen überschwemmte Keller, Straßen und Unterführungen – in Frankfurt, wo binnen zwei Stunden 63 Liter Regen pro Quadratmeter fielen, stand der Südbahnhof zeitweilig fast vollständig unter Wasser. Ursache war ein großer Gewittercluster, der von Frankreich kommend in nordöstlicher Richtung über Deutschland zog.

So ein Cluster, auch mesoskaliges konvektives System (MCS) genannt, ist ein Zusammenschluss einzelner Gewitterzellen, die sich gegenseitig stabilisieren und die Bildung weiterer Gewitterzellen anregen. Dadurch kann so ein Gewittercluster stundenlang bestehen bleiben und hunderte Kilometer weit ziehen. Das gestrige MCS entstand über Frankreich, wo warme, feuchte Luft langsam Richtung Nordost strömte. Nördlich davon bestand eine Luftmassengrenze: Im Nordwesten ist die Luft derzeit kühler und trockener als im Südosten. Entlang dieser Grenze bildeten sich schon in den Tagen zuvor immer wieder Gewitter, weil die Schichtung der Atmosphäre hier großräumig labil ist. Bodennahe Luft hat stets die Tendenz, aufzusteigen.

Die derzeitige drückende Schwüle kann schwere Gewitter befeuern – denn je wärmer die Luft, desto leichter steigt sie auf. Und je mehr Feuchtigkeit sie enthält, desto mehr Wasser kondensiert beim Aufstieg in kühlere Höhen. Das erzeugt nicht nur Regen, sondern setzt Wärmeenergie frei, die die Luft noch schneller aufsteigen lässt, und noch mehr Wasser kondensieren lässt. Diese Rückkopplung macht aus Luftfeuchtigkeit einen heftigen Sturm.

Gewittercluster entstehen durch eine Kettenreaktion

Passen die äußeren Umstände, kann es zu einer Art Kettenreaktion kommen. »Wenn die untere Atmosphäre vor sich hin blubbert und sich erste Gewitterzellen bilden, dann wird dadurch auch die mittlere Atmosphäre feuchter und wärmer«, erklärt der Klimamodellierer Daniel Klocke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. »Dadurch wird es auch für nachfolgende Gewitterzellen einfacher, die stabile Schichtung der Atmosphäre zu durchbrechen und sich zu großen Gewitterzellen auszuwachsen.«

Schon den ganzen Mittwoch über war die schwüle Luft im Südwesten Deutschlands kurz davor aufzusteigen; erste einzelne Gewitterzellen bildeten sich. Richtig in Gang kam die Kettenreaktion dann am Abend. »Wenn einer eine Schneise in den Wald schlägt, können die anderen leichter folgen«, erklärt Klocke. Durch diesen Prozess bildete sich ein Gewitterkomplex mit bis zu 300 Kilometer Durchmesser. Solche Systeme sind viel langlebiger als einzelne Gewitter – und außerdem deutlich heftiger.

Dazu trägt bei, dass Gewitter weitere Gewitter in ihrer Umgebung auslösen können, wie Klocke erklärt. Denn Gewitter kühlen die Luft sehr stark ab. Die kalte Luft sinkt als eine Art riesiger Kaltlufttropfen zu Boden und breitet sich dort aus. »Vor einem Gewitter merkt man oft einen kalten Wind. Diese Böenfront ist der sich ausbreitende Kaltlufttropfen«, erklärt er. »Der schiebt die feuchte, schwüle Luft vor sich zusammen, deswegen entstehen an der Kante bevorzugt neue Gewitter

Diese können sehr schnell sehr stark werden, denn in der bereits gestörten atmosphärischen Schichtung kann die feuchte, warme Luft leicht aufsteigen. Die dabei entstehenden heftigen Aufwinde sind wohl auch ein Grund, weshalb an einigen Orten sehr viel Regen binnen sehr kurzer Zeit fiel und es zu Überschwemmungen kam. »Die extremen Niederschläge entstehen unter Einfluss sehr hoher Vertikalgeschwindigkeiten«, sagt Klocke. »Die Tropfen können stark anwachsen, weil sie vom Wind in der Luft gehalten werden.«

Eine Besonderheit von MCS ist, dass sie am Abend entstehen und nachts am intensivsten sind. Das mag auf den ersten Blick kurios erscheinen, denn es ist ja normalerweise die von der Sonne aufgeheizte Luft, die Gewitter antreibt. Doch die große Fläche der Gewittercluster begünstigt einen anderen Mechanismus. Nicht nur ein sehr warmer Boden kann das Gewitter füttern – auch eine sehr kalte Oberseite trägt zur atmosphärischen Instabilität bei, durch die der Sturm Energie erhält. Nach Sonnenuntergang wirkt die Wolkenoberseite des Gewitterclusters als Kühlfläche, die Wärme ins All abstrahlt und den Sturm antreibt.

Der Ursprung der Blitze

Der schnelle Aufstieg der Luft, den diese Temperaturdifferenz antreibt, war auch an der Entstehung der enorm vielen Blitze beteiligt. Drei Faktoren nämlich beeinflussen, wie viel es blitzt. Zum einen muss der Sturm sehr hoch in die Atmosphäre reichen, denn dann entsteht besonders viel Eis, und Eispartikel sind für die Entstehung der starken elektromagnetischen Felder in Gewitterwolken unverzichtbar.

Die Höhe der Wolke wiederum hängt davon ab, wie stark der Auftrieb in ihrem Zentrum ist. Je instabiler die Schichtung und je mehr Energie die enthaltene Feuchtigkeit freisetzt, desto höher steigt die Luft auf. Die Feuchtigkeit selbst ist ein weiterer Faktor – denn je mehr Wasser vorhanden ist, desto mehr Eis entsteht. Wie die elektrischen Felder in Gewitterwolken genau entstehen, ist bisher nur zum Teil geklärt, doch klar ist, dass kollidierende Eispartikel Ladungen austauschen und die geladenen Teilchen dann von Auf- und Abwinden in unterschiedliche Teile der Wolke getragen werden. Studien zeigen, dass es einen engen Zusammenhang gibt zwischen dem Eisgehalt einer Gewitterwolke und ihrer Blitzhäufigkeit.

Der dritte Faktor für ungewöhnlich viele Entladungen ist, wie lange eine Gewitterzelle existiert. Je länger der Strom aufsteigender Luft anhält, desto mehr Ladung kann sich ansammeln. Gewitter tendieren allerdings dazu, sich selbst auszuhungern – die kühlen Fallwinde, die sie erzeugen, verdrängen warme Luft, die aufsteigen kann. Deswegen gibt es mehr Blitze, wenn die Windrichtung in der Höhe eine andere ist als näher am Boden – diese so genannte Windscherung treibt die kalten Fallwinde vom Zentrum der Gewitterzelle weg. Während der Gewittercluster am 16. August mancherorts spektakulär war und der Starkregen reichlich Schaden anrichtete, war seine Gewalt insgesamt gering. Erst im Juli zogen schwere Gewittersysteme über Südeuropa. Sie brachten neben heftigen Niederschlägen auch Fallwinde mit mehr als 200 Kilometern pro Stunde und das mit 19 Zentimeter Durchmesser größte je gemessene Hagelkorn Europas.

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