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Streit um Stickoxide: Wie die Schadstoffdebatte eskalierte

Dieter Köhler hält nicht erst seit gestern wenig von Stickoxidgrenzwerten - aber lange widersprach ihm niemand. Das rächt sich nun.
Ein Auspuff stößt Abgase aus

Dieter Köhler ist Deutschlands bekanntester Lungenarzt. Der 70-Jährige profitiert bei seinen Fernseh- und Radioauftritten von seiner eloquenten Art, wenn er über die Auswirkungen von Luftschadstoffen und Stickoxiden auf die Gesundheit redet. Er spricht eine Sprache, die die Menschen verstehen – und kann damit große Teile des Publikums überzeugen. In Kommentaren im Internet bewerten Menschen Köhler als kompetent, angenehm sachlich und als mutig, weil er eine unerlaubte Wahrheit ausspreche.

Mit seinen Auftritten und einer von mehr als 100 Lungenärzten unterzeichneten Stellungnahme ist dem ehemaligen ärztlichen Direktor einer Lungenfachklinik im Sauerland etwas Erstaunliches gelungen: Er hat die Debatte über Luftschadstoffe in Deutschland zu einem brisanten Politikum gemacht.

Doch nur, weil man Köhlers Argumentation leicht folgen kann, bekommen seine Worte nicht mehr Gewicht. Fast alles, was der Professor über Stickoxide und Feinstaub sagt, widerspricht aus Sicht der europäischen und deutschen Fachverbände der Pneumologen dem aktuellen Stand der Forschung. »Die Stellungnahme bietet keine Grundlage, um den derzeitigen Konsens über das Verständnis in diesem Bereich in Frage zu stellen«, schimpft etwa Roy M. Harrison, Mitglied der Royal Society und Umweltmediziner in Birmingham.

Hat Köhler falsch gerechnet?

Nun hat sich auch noch herausgestellt, dass ein Teil von Köhlers Zahlen falsch berechnet sind und er gelegentlich das Gasgemisch der verschiedenen Stickoxide (NOx), das beispielsweise bei der Verbrennung in der Zigarette und im Dieselmotor entsteht, gleichgesetzt hat mit Stickstoffdioxid (NO2), für das Grenzwerte existieren. Köhler hatte das gegenüber der »taz«, die den Fehler entdeckt hat, zunächst eingeräumt, wenige Tage später widersprach er in der »Welt« dann jedoch. Von seiner Bewertung der Gefahren durch Stickoxide und Feinstaub will er nicht abrücken.

Es sagt einiges über die Art der Debatte aus, dass viele Wissenschaftler, die Köhlers Stellungnahme unterschrieben haben, den Fehler ebenso wenig bemerkten wie diejenigen, die vehement widersprochen haben. Der Rechenfehler wurde erst jetzt durch Journalisten entdeckt. Man kann das als symptomatisch für den hitzigen Streit über Stickoxide sehen, in dem manches nicht optimal lief, auf beiden Seiten des Grabens.

Dieter Köhler

Dieter Köhler ist zur zentralen Figur dieses Streits geworden. Man kann ihm noch einen anderen, vielleicht größeren Vorwurf machen als den, nicht sauber gerechnet zu haben: Die Grenzwerte, gegen die er nun wettert, sind ihm nicht erst seit gestern bekannt, lange nahm er sie aber anscheinend ohne großen Widerstand hin. Der gültige NO2-Jahresmittelwert für die Außenluft von 40 µg/m3 wurde 1999 auf Vorschlag der EU-Kommission von den EU-Mitgliedstaaten beschlossen und 2008 von der EU bestätigt. Köhler hat das zweiffelos mitbekommen: Von 2005 bis 2007 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), der wissenschaftlichen Gesellschaft der Lungenärzte.

»Die Grenzwerte haben keine Personen interessiert, bis die Fahrverbote kamen«, antwortet Köhler per E-Mail auf diesen Vorwurf. Er habe damals viele Dinge in der DGP geändert. Aber man könne nicht 100 Baustellen aufmachen. In seiner Antwort heißt es weiter: »Zudem wäre das gar nicht möglich gewesen, denn es ist ja eine WHO Empfehlung. Man muss dann in den Gremien (der WHO) sein, und in diesen war ich nicht.« Generell habe man keine Chance, wenn man das System kritisiere. »Die Gruppe ist weltweit klein, vielleicht 1000 Kernwissenschaftler. Ein kritisches Editorial wäre nie gedruckt worden.«

Diese Art zu antworten, passt zu seinem Auftreten, das er seit mehr als einem Jahr in der Öffentlichkeit zeigt. Kaum ein Interview von ihm kommt ohne den Verweis auf vermeintliches Insiderwissen aus. »Meine Kollegen bestätigen mir unter der Hand, dass ich Recht habe«, sagte er bereits vor einem Jahr den »Stuttgarter Nachrichten«. »Aber sie sagen dann: Das ist die falsche Botschaft.« Immerhin gehe es um enorme Forschungsgelder.

»Köhler und seine Koautoren verfügen über keinerlei epidemiologische Ausbildung«Nino Künzli, Universitätsspital Basel

Weiter behauptet der Professor, dass bestimmte Studien totgeschwiegen würden. Er beklagt die Ideologisierung der Wissenschaft sowie den Hypothesenverlust in der Medizin und gibt sich dabei als kritischer Rationalist. Die Epistemologie – ein Teilgebiet der Philosophie, das sich mit der Frage nach den Bedingungen von begründetem Wissen befasst – sei sein Hobby, sagt Köhler. Und auch vor Selbstkritik scheut er nicht zurück. »Ich habe selbst Jahre gebraucht, um zu sehen, dass wir da mit Zitronen gehandelt haben«, sagte er unter anderem bei »Stern TV«. »Man will manchmal auch Dinge für wahr sehen, die offensichtlich nicht wahr sind.«

Wer sich online über Köhler informiert, findet schnell einen Bericht der »Süddeutschen Zeitung« aus dem Jahr 2015, der das Bild des mutigen Kritikers untermauert. Damals hatte Köhler seinen Posten als Herausgeber des Blättchens »Kompakt Pneumologie« verloren. Hintergrund: Er habe sich geweigert, eine von der Pharmaindustrie finanzierte Studie zu veröffentlichen, deren wissenschaftlichen Gehalt er anzweifelte.

Eine Koryphäe spricht Klartext?

Eine Koryphäe, die Klartext redet – das kommt gut an. So wird Dieter Köhler im Verlauf des Jahres 2018 immer stärker als intellektuelle Größe in der Schadstoffdebatte wahrgenommen. Stets legt er Wert auf die Feststellung, dass er ein unabhängiger Experte sei.

Unabhängigkeit lässt sich nur schwer überprüfen. Doch man muss wohl zweifeln, ob alle Koautoren der »Stellungnahme zur Gesundheitsgefährdung durch umweltbedingte Luftverschmutzung, insbesondere Feinstaub und Stickstoffverbindungen (NOx)« diesem Anspruch genügen. Zum Quartett der Autoren gehören auch die Professoren Thomas Koch und Matthias Klingner, beide sind keine Mediziner. Koch entwickelt am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Verbrennungsmotoren. Und Klingner hat als Leiter des Fraunhofer-Instituts in Dresden im Juni 2018 seine Position im Bundestagsausschuss für Verkehr sehr deutlich formuliert: »Bei aller berechtigten Kritik am Management der Automobilindustrie ist es weder volkswirtschaftlich noch sozial zu verantworten, eine Schlüsselbranche der deutschen Industrie angesichts zunehmender Spannungen im Welthandel derart massiv unter Druck zu setzen, denn vieles an der derzeitigen Diskussion ist schlichtweg falsch.«

Köhler hingegen wird vor allem mit inhaltlichen Argumenten kritisiert: Mittlerweile gibt es gegen fast jeden Satz aus seiner Stellungnahme eine ablehnende Kommentierung durch deutsche und internationale Fachkollegen und -gesellschaften. Teils erfolgt die Kritik mit harschen Worten, die für den Umgang in einer Wissenschafts-Community ungewöhnlich sind. »Köhler und seine Koautoren verfügen über keinerlei epidemiologische Ausbildung, die sie dazu befähigen würde, die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Umweltepidemiologie sachkundig zu beurteilen«, sagt etwa Nino Künzli vom Universitätsspital Basel. Der Präsident der Eidgenössischen Kommission für Lufthygiene (EKL) der Schweizer Regierung vermisst bei Köhler »nicht nur die Fähigkeit, diese Wissenschaft kritisch zu würdigen, sondern auch die Einsicht über die Grenzen der eigenen Kompetenzen«.

Es war nicht die einzige heftige Reaktion aus der Wissenschaft. Epidemiologen wie Künzli scheinen sich von Köhler persönlich angegriffen zu fühlen. Denn die Stellungnahme von Köhler und Kollegen entpuppt sich zwischen den Zeilen als Fundamentalkritik an dieser Wissenschaftsrichtung: Die Kritiker der Grenzwerte, häufig klinische Mediziner, bezweifeln, dass man anhand der groß angelegten Auswertung von Statistiken eine allgemeine Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung belegen kann – aber genau das ist ein wesentlicher Teil der Arbeit von Umweltepidemiologen wie Künzli. »Ich habe mich mit dem Problem der Lungenschädigung durch Stäube und Gase vor 40 Jahren habilitiert. Ich kann das besser beurteilen als jemand, der sich das nur anliest«, sagte dieser in mehreren Interviews.

Der Wert der Epidemiologie

Die Bedeutung der Epidemiologie steht für Experten seit Langem außer Frage: Ohne die Auswertung großer Kohorten mit zehntausenden Menschen ließen sich die teils chronischen und oft eben nicht akuten Folgen von Giften auf die Bevölkerung gar nicht beziffern und in Grenzwerte umwandeln. In der Regel werden die Werte akzeptiert oder stehen eher im Verdacht, zu lasch zu sein. Beim Thema Stickoxide hat Köhlers Vorstoß nicht nur große Teile der Bevölkerung verunsichert, sondern dient auch in den Spitzen von Bundesministerien als Argument.

Den Umweltexperten Roy M. Harrison erinnert die aktuelle Debatte um den Wert der Epidemiologie an längst überwundene Grabenkämpfe. »Die in Köhlers Erklärung erhobenen Einwände gegen den vorherrschenden wissenschaftlichen Konsens über Luftverschmutzung und Gesundheit haben viel mit denen zu tun, die vor mehr als 20 Jahren erhoben wurden«, urteilt das Mitglied der Royal Society. So betont Köhler immer wieder, dass es nahezu unmöglich sei, die Bedeutung der geringen Menge der Stickoxide angesichts der viel größeren anderen Umweltfaktoren exakt zu berechnen. Einer der Sätze, die bei Köhlers Zuhörern hängen bleiben, ist beispielsweise dieser: »Die Grenzwerte sind aus Studien entstanden, die schon 20 Jahre zurückliegen.«

Grenzwerte im Jahr 2018, die aus dem vergangenen Jahrhundert stammen? Andere Fachleute wollen das nicht so stehen lassen. Die Internationalen Gesellschaft für Umweltepidemiologie (ISEE) und die European Respiratory Society (ERS) betonen in einer gemeinsamen Expertise, dass sich »seit 2005 die Datenlage für Feinstaub, Ozon und Stickstoffdioxid noch einmal deutlich verbessert« habe. Eine der Autorinnen, Barbara Hoffmann von der Universität Düsseldorf, berichtet, dass die zahlreichen neuen Studien regelmäßig in die wissenschaftlichen Bewertungen der WHO und der US-Umweltschutzbehörde EPA eingehen.

Nur 47 Prozent der befragten Lungenfachärzte stimmten dafür, die Grenzwerte beizubehalten

Für NO2 wurde die letzte Bewertung der EPA im Jahr 2016 veröffentlicht, für Feinstaub 2009, eine neue ist in Vorbereitung. Die Expertise der ISEE und der ERS erwähnt einige neue Erkenntnisse bereits. Demnach könnte der Grenzwert für NO2 eher sinken als steigen. »Bereits ab einem Langzeitwert von 20 µg/m3 NO2 sieht man statistisch signifikante Effekte auf die Mortalität«, berichtet Hoffmann.

Wie passt das zusammen? Hat Köhler seit 20 Jahren keine epidemiologischen Studien mehr gelesen? Auf Nachfrage von Spektrum.de weist er jegliche Kritik an seiner Qualifikation zurück. »Natürlich kenne ich die Literatur rauf und runter«, sagt der Professor, »auch die zu Stickoxiden und Asthma«. »Wenn man einmal in der Aerosolmedizin war und sich damit habilitiert hat, dann bleibt man drin.« Köhler verweist nicht nur auf das Amt bei der DGP, er war viele Jahre im Vorstand der Internationalen Aerosolgesellschaft in der Medizin (ISAM) und erhielt zwei US-Forschungspreise. Die Auszeichnung von 2008 mit dem Thomas-Mercer-Award würdigte Arbeiten aus den 1980er Jahren zur Inhalation von Insulin, die maßgebend für die spätere Entwicklung wurden.

So steht es in einer Pressemitteilung der DGP, die zwei weitere Forschungsschwerpunkte Köhlers nennt: die Messung der Bioverfügbarkeit von inhaliertem Insulin, die bei Rauchern deutlich größer sei als bei Nichtrauchern, und die Messung der Lungenreinigung durch die Flimmerhärchen in der Atemwegsschleimhaut und durch Husten.

Die Webseite des Fachkrankenhauses Kloster Grafschaft, dessen ärztlicher Direktor Köhler von 1986 bis 2013 war, listete bis vor Kurzem seine Publikationen von 1988 bis 2008 auf. Darunter fand sich allerdings keine Arbeit, in deren Titel es um die Wirkungen von Stickoxiden auf den menschlichen Körper geht.

Man darf nun sicher nicht den Fehler begehen, Köhler für einen Idioten zu halten: Ohne wissenschaftliche Meriten wäre er sicher nicht Präsident der DGP geworden. Doch auch das Verhältnis der Gesellschaft zu ihrem Ehrenmitglied wirft Fragen auf. Der Expräsident hält schon seit mehr als einem Jahr Vorträge, in denen er die wissenschaftliche Begründung für die aktuellen Grenzwerte abstreitet. Doch weder die DGP noch der zweite große Verband der Lungenärzte, der Bundesverband der Pneumologen (BdP), der die berufs- und sozialpolitischen Interessen der freiberuflichen und selbständigen Fachärzte für Pneumologie vertritt, haben auf den Konfrontationskurs reagiert.

Dabei ist die offizielle Haltung der Verbände ziemlich eindeutig: Am 9. März 2018 bezeichnet der BdP das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts über die Möglichkeit von Fahrverboten als »wichtigen Erfolg für unsere Patienten«. Die DGP hält vom 14. bis 17. März 2018 ihren Jahreskongress in Dresden ab. Dort wird in der Sitzung des wissenschaftlichen Beirats angekündigt, dass die Gesellschaft ein Positionspapier zur Luftverschmutzung erstellen wolle. Die geplanten Inhalte dieses Papiers seien dem Beirat in einer Präsentation vorgestellt worden, berichtet Pressesprecherin Lisa Ströhlein. »Die Mitglieder der DGP hatten die Gelegenheit, Einwände vorzubringen, es wurden jedoch keine vernommen«, sagt sie.

Köhler ist zu dieser Zeit bereits viel in der Öffentlichkeit unterwegs. Aber aus den Fachverbänden reagiert darauf niemand, zumindest nicht öffentlich. Noch kurz vor dem Jahreskongress gibt er dem »SWR« ein 30-minütiges Interview zu seiner Position. Im September 2018 erscheint im »Deutschen Ärzteblatt« ein Artikel, in dem Köhler seine Behauptungen zu den Grenzwerten mit Zahlen untermauert. Ende November 2018 wird dann das Positionspapier der DGP der Politik in Berlin vorgestellt, das den Aussagen des Expräsidenten Köhler klar widerspricht. DGP-Sprecherin Ströhlein bekräftigt, dass bis dahin niemand Einwände an die Fachgesellschaft adressiert habe.

Der Fachverband begrüßte die Diskussion

Köhler hingegen behauptet, dass das Positionspapier der DGP vom Vorstand »einfach durchgewunken« wurde. Der Vorstand der DGP reagiert erst am 9. Januar 2019 auf Köhlers Stellungnahme, mit einer Mail an die rund 3800 Mitglieder der Gesellschaft. Das Positionspapier mit der Warnung vor Abgasen habe zu Diskussionen auch innerhalb der Fachgesellschaft geführt. Köhler Stellungnahme ist ein Anhang dieser Mail, in der es heißt: »Der Vorstand begrüßt diese Diskussion ganz ausdrücklich.«

Mehr als 100 DGP-Mitglieder unterzeichnen Köhlers Position – etwa 2,5 Prozent der Mitglieder der Fachgesellschaft, darunter viele niedergelassene Mediziner. »Die Liste zeigt, dass die Gruppe der Forscher und Lungenärzte, die der aktuell vorherrschenden Position widersprechen, deutlich größer ist als angenommen«, schreibt der amtierende Präsident der DGP, Klaus F. Rabe, rund zwei Wochen später. Ein kurioses Detail: Unter den Unterzeichnern der Stellungnahme finden sich auch fünf Forscher aus dem 18-köpfigen wissenschaftlichen Beirat der DGP.

Die Grenzwerte sorgt auch bei Mitgliedern der BdP für Unbehagen, wie eine Online-Umfrage zeigt, an der 435 von 1208 BdP-Mitgliedern teilnahmen. Die Mediziner sollten im Januar 2019 zahlreiche Aussagen bewerten, darunter auch diese: »Um unsere Atemwegspatienten bestmöglich zu schützen und die Gesundheitsrisiken der Gesamtbevölkerung zu minimieren, bin ich weiterhin für die Beibehaltung der bestehenden, politisch beschlossenen und gesetzlich festgelegten Grenzwerte.« Nur 47 Prozent der Befragten stimmen dieser Aussage zu; 53 Prozent lehnen sie ab. Die Gründe der Ablehnung sind nach Angaben des Vorstands vielfältig. In Kommentaren gaben die Ärzte sowohl an, sie halten die Grenzwerte für unzureichend begründet als auch, dass sie niedrigere Werte fordern.

Das Fazit des BdP-Vorstandes aus der Summe der Antworten: »Die überwältigende Mehrheit richtet Ihren Fokus der Bemühungen nicht auf einzelne Grenzwerte, den alleinigen Kampf gegen Dieselabgase oder NO, sondern auf den gemeinsamen sinnvollen Einsatz gegen Luftverschmutzung durch Verbrennungsprodukte im Allgemeinen.« Es gehe um maximale Anstrengungen zur Verbesserung der Luftqualität. Dabei müsse sich die Gesellschaft entscheiden, wie viel sie bereit ist für einen optimalen Gesundheitsschutz zu investieren.

Im Positionspapier der DGP ist auffällig, dass NO2 als einzelne Komponente nicht in den Vordergrund gerückt wird, sondern zumeist von der Luftbelastung durch Verbrennungsprozesse im Allgemeinen gesprochen wird. Stickoxide gelten als halbwegs repräsentativer Indikator für die Luftbelastung.

Die Lektüre des Positionspapiers offenbart noch eine weitere Schwäche der Argumentation von Köhler. Dieser brandmarkt immer wieder etwas, das die DGP gar nicht zur Rechtfertigung der Grenzwerte nutzt. »Lungenärzte sehen in ihren Praxen und Kliniken diese Todesfälle an COPD und Lungenkrebs täglich; jedoch Tote durch Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese, nie«, schreibt Köhler in seiner Stellungnahme.

Das Umweltbundesamt hatte Anfang März 2018 eine Studie veröffentlicht, nach der etwa 6000 vorzeitige Todesfälle auf Grund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf die NO2-Hintergrundbelastung im ländlichen und städtischen Raum zurückführen seien. Die Zahl 6000 ist das stark verkürzte Ergebnis einer Abschätzung aus der Umweltepidemiologie und wird von vielen Experten angezweifelt. Walter Krämer von der TU Dortmund zeichnete diese Berechnung als »Unstatistik des Monats« aus.

Verlorene Lebensjahre

Wie man die Gefahr besser beschreiben kann, zeigt das Positionspapier der DGP: Da steht eine andere, deutlich stichfestere Größe, die Zahl der verlorenen Lebensjahre der Bevölkerung, die als viel aussagekräftiger gilt als eine Hochrechnung zur Zahl der Toten. Sie verweist auf eine geringere Lebensqualität und auf das erhöhte Risiko für empfindliche Bevölkerungsgruppen wie atemwegskranke Patienten, solche mit koronaren Herzerkrankungen, Kinder und Schwangere.

»Gesundheitsschädliche Effekte von Luftschadstoffen sind sowohl in der Allgemeinbevölkerung als auch bei Patienten mit verschiedenen Grunderkrankungen gut untersucht und belegt«, heißt es dazu in der Stellungnahme der DGP. Und: »Gesundheitliche Folgen können sowohl akut nach kurzfristigen Erhöhungen der Luftschadstoffkonzentration auftreten, wie sie zum Beispiel von Tag zu Tag zu beobachten sind, als auch infolge einer langfristig erhöhten Luftschadstoffbelastung.«

Auch ohne Köhlers medienträchtige Aussagen war die DGP bei der Formulierung des Positionspapiers schon sicher, dass die Debatte um Grenzwerte uns noch lange beschäftigen wird. »Bisher gibt es keine eindeutigen Hinweise auf Schwellenwerte von Schadstoffkonzentrationen, unterhalb derer keine Gesundheitseffekte zu erwarten sind«, heißt es dort. Sprich: Hier gibt es noch viel zu erforschen. Gemeint war damit aber wohl eher die Möglichkeit, dass die Grenzwerte sogar noch strenger werden könnten und man die Mechanismen besser verstehen will – jedenfalls nicht das, was Dieter Köhler der Republik verkünden will.

In einer früheren Version des Textes wurde die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin mit »DPG« abgekürzt. Richtig ist die Abkürzung »DGP«. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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