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»Schwarz. Deutsch. Weiblich.«: Blinde Flecken des Feminismus in Deutschland?

Die Geschichte schwarzer Frauen in Deutschland ist genauso lang wie die ihrer Diskriminierung. Natasha A. Kelly beleuchtet diese Geschichte und kritisiert den von weißen Aktivistinnen geführten Feminismus.
Jeder gegen jeden

Martha Ndumbe wurde nur 42 Jahre alt. Die Tochter einer weißen Hamburgerin und eines kamerunischen Vaters war 1902 in Berlin geboren worden. Von den Nationalsozialisten wurde sie im Konzentrationslager Ravensbrück interniert, wo sie 1945 starb. Marie Nejar, Jahrgang 1930, hatte eine schwarze deutsche Mutter und einen ghanaischen Vater. Nachdem sie im Nationalsozialismus Zwangsarbeit leisten musste und in rassistischen UFA-Filmen mitgespielt hatte, startete sie als »Leila Negra« in den 1950er Jahren eine Schlagerkarriere in Deutschland. Die Historikerin Katharina Oguntoye (geboren 1959) stammt aus Zwickau und ist Mitbegründerin der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e. V. Für ihr Engagement gegen Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit erhielt sie 2022 das Bundesverdienstkreuz. Arabella Kiesbauer, 1969 in Wien geboren, ist die Tochter einer weißen deutschen Schauspielerin und eines ghanaischen Ingenieurs. Sie wurde ab 1994 als Moderatorin des Privatsenders ProSieben in Deutschland bekannt. Sylvie Nantcha wurde 1974 in Kamerun geboren. Sie kam zum Studium nach Deutschland und startete 2009 in Freiburg eine politische Karriere. Bis 2013 war sie Mitglied im CDU-Landesvorstand Baden-Württemberg.

Diese wenigen Beispiele zeigen, dass schwarze Frauen in Deutschland eine lange und sehr unterschiedliche Geschichte besitzen. Sie kann bis in die Kolonialzeit zurückverfolgt werden, wurde aber lange Zeit kaum wahrgenommen oder in Klischees gepresst.

Die Autorin Natasha A. Kelly kritisiert in ihrem Buch, dass die Lebenswirklichkeiten schwarzer Frauen nicht von dem feministischen Diskurs in Deutschland vertreten würden. Vielmehr gehe es vor allem um die Gleichberechtigung weißer Frauen. Damit werde jedoch die Diskriminierung nicht weißer Frauen fortgesetzt. Kelly möchte die lange Geschichte schwarzer Frauen sichtbar machen, ebenso deren Mehrfachdiskriminierung entlang der Kategorien Race, Class und Gender. Rassismus und Diskriminierung hat die Autorin selbst erlebt, wie aus den vielen autobiographischen Passagen ihres Buches hervorgeht. Sie thematisiert die Biographien und Erfahrungen schwarzer Frauen und geht dabei auch über die deutsche Geschichte hinaus: etwa wenn die Versklavung der aus Ghana stammenden Queen Nanny im 18. Jahrhundert auf Jamaika beschrieben wird, die später an der Befreiung von 800 Sklaven beteiligt war. Die 1789 in Südafrika geborene Sarah Baartman wurde von einem weißen Arzt in Großbritannien nackt in der Öffentlichkeit vorgeführt und 1814 als Sexobjekt an einen Pariser Wanderzirkus verkauft. Ihr Skelett stellte man bis in die 1970er Jahre in einem Museum aus.

Ebenso skizziert Kelly schwarze Frauen, die den feministischen Diskurs maßgeblich mitgestaltet haben oder dies immer noch tun. Zu nennen sind unter anderen die amerikanische Frauenrechtlerin Sojourner Turner, die Historikerin Katharina Oguntoye, die Autorin Alice Walker oder die Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen Audre Lorde sowie May Ayim.

Eine provokante Kritik am feministischen Diskurs in Deutschland

Kelly selbst wurde 1973 in London geboren. Ihre Familie hat karibische Wurzeln. Kellys Stiefvater war britischer Soldat und in Norddeutschland stationiert. Er starb 1982 im Falklandkrieg, weshalb die Familie die Militärbasis verlassen musste. Sie beschreibt ihr Aufwachsen im weißen Westdeutschland der 1980er Jahre und berichtet von ihrer Zeit als einziges schwarzes Mädchen an ihrer Schule. Auch sie spielte das umstrittene Kinderspiel »Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?«, das sie rückblickend als rassistisch bezeichnet. In ihrer Phase der Orientierung und Selbstfindung als Kind und Jugendliche seien schwarze Frauen kaum in der Öffentlichkeit präsent gewesen, obwohl es sie in Deutschland gab. Diese Abwesenheit gilt auch für die Medien; das begann sich erst in den 1990er Jahren seit dem Auftreten Arabella Kiesbauers zu ändern.

Kelly kritisiert, dass es auch rund um die Feierlichkeiten zur deutschen Wiedervereinigung 1990 offenbar nicht erwünscht gewesen sei, dass Schwarze oder Immigrantinnen mitfeierten. Vielmehr eskalierten Nationalismus und Rassismus in den 1990er Jahren in Gewalt, Ausschreitungen, Anschläge und Morde. Im Kapitel »Die Baseballschlägerjahre« beschreibt sie, wie auch sie selbst zusammengeschlagen wurde und die Täter anschließend auf sie urinierten.

Der autobiografische Stil des Buches ermöglicht nicht nur einen authentischen Zugang in die Lebensrealität unter den Bedingungen rassistischer und sexistischer Diskriminierung, sondern auch in die Gefühlswelt der Autorin, die das Erlebte ganz persönlich verarbeitet und in diesem Kontext eine eigene Identität sucht. Zudem legt Kelly mit ihrem Buch eine provokante Kritik am feministischen Diskurs in Deutschland vor. Zwar lehnt sie ihn nicht grundsätzlich ab, kritisiert aber seine Unzulänglichkeiten. Ihr Buch ist ein eindrückliches Plädoyer für die verstärkte Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit schwarzer Frauen, um ihre Diskriminierung zu bekämpfen.

Das Buch eignet sich für Leserinnen und Leser, die sich im weitesten Sinne für die Menschen- und Bürgerrechtsthematik sowie speziell für feministische Fragen in Deutschland interessieren. Vorkenntnisse sollten vorhanden sein.

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