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Lobes Digitalfabrik: Konservative würden Jim Beam wählen

Was jemand kauft, verrät einiges über den politischen Geschmack. Solche Schlüsse lassen sich heute auch dank künstlicher Intelligenz immer leichter ziehen, schreibt unser Kolumnist Adrian Lobe.
In einer Wahlkabine

Im Oktober 2020, wenige Tage vor den US-Präsidentschaftswahlen, ließ die »New York Times« ihre Leserschaft in einem Quiz raten, ob der Inhalt eines Kühlschranks eher einem Trump- oder Biden-Wähler gehört. Zuvor hatte das Umfrageinstitut Lucid im Auftrag der Zeitung eine repräsentative Gruppe von Wahlberechtigten nach ihren Wahlpräferenzen befragt und diese gebeten, ein Foto ihres Kühlschranks einzusenden.

Ergebnis: Von den knapp 177 000 Rateversuchen waren 52 Prozent richtig. Sprich: Hätten die Befragten, statt zu raten, eine Münze geworfen, hätten sie statistisch gesehen genauso oft richtiggelegen; im Allgemeinen verrät der Kühlschrankinhalt also nicht viel über politische Einstellungen. Doch in Einzelfällen gab es durchaus merkwürdige Abweichungen von dieser Regel. Hier errieten weit mehr als drei Viertel der Befragten die Wahlabsicht der Besitzer. Ein Kanister voll Kakao oder eine Schmelzkäsepackung deuteten offenbar auf einen Haushalt von Trump-Wählern, Jogurt und ein gut gefülltes Gemüsefach werteten die Teilnehmer dagegen als Indikatoren einer Pro-Biden-Einstellung.

Freilich ist das holzschnittartig. Nur weil jemand Grillfleisch im Kühlschrank hat, muss er noch lange kein Trump-Wähler sein. Doch ein Blick in den Kühlschrank kann in der Tat viel über die Persönlichkeit verraten.

Amazon hat 2016 ein Patent für einen smarten Kühlschrank angemeldet, der mit Hilfe von Sensoren verdorbene Lebensmittel erkennt. Eine Person, die im Kühlschrank verfaulte Lebensmittel oder viel Fast Food hat, könnte eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, nicht wählen zu gehen. Kennt Amazon künftig die Wahlbeteiligung noch vor dem Wahlleiter?

Fruchtkekse mit Wodka

Aus der Wahlforschung weiß man, dass das Konsumverhalten stark mit dem Wahlverhalten korreliert. Marktforschungen zeigen, dass amerikanische Frauen, die Demokraten wählen, eine hohe Affinität zu Fruchtkeksen haben. Vor allem zwischen Marken und Wahlpräferenzen gibt es einen sehr robusten Zusammenhang, der durch zahlreiche Studien belegt wurde. So zeigt eine Untersuchung, dass Demokraten eine Vorliebe für Vodka Absolut haben, während Republikaner eher zu Jim Beam greifen.

Vor einigen Jahren war es für Forscher noch relativ schwer, an große Datensätze zu gelangen. Im Zeitalter von Social Media ist das anders. So hat der Mannheimer Ökonomieprofessor Florian Stahl anhand von Twitter und Konsumentenpaneldaten in einer Studie darlegen können, dass sich die politische Einstellung unmittelbar auf Markenpräferenzen und Konsumverhalten auswirkt. So nutzen US-Demokraten überdurchschnittlich häufig den Fahrdienstleister Lyft, während Republikaner bei der Restaurantkette Chick-fil-A essen.

Microtargeting ist »nicht ausdrücklich verboten«

Das Wissen über das Wahl- und Konsumverhalten demografischer Gruppen kann allerdings auch für politische Manipulationsversuche missbraucht werden. Der Whistleblower Christopher Wylie, einst Mitarbeiter bei der Analysefirma Cambridge Analytica, die illegal Daten von 87 Millionen Facebook-Nutzern abgegriffen hat, sagte, dass Präferenzen für bestimmte Marken in sozialen Netzwerken für maßgeschneiderte Trump-Anzeigen genutzt wurden. Laut den Datenanalysen seien (Facebook-)Fans von Jeansmarken wie Wrangler, Hollister und Lee weniger offen für neue Erfahrungen und eher misstrauisch – beides würde sie empfänglicher für Wahlwerbung von Populisten machen.

Zwar gelten in Deutschland strengere Regeln für den digitalen Wahlkampf als in den USA, doch das politische Microtargeting, also die zielgerichtete Ansprache von Wählergruppen auf Grund demografischer und verhaltensbasierter Daten, findet auch hier zu Lande statt – in einem rechtlichen Graubereich. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags stellte hierzu in einem Papier (»Ansätze zur Regulierung von Wahlwerbung im Internet«) lapidar fest: »(Es) existieren keine gesetzlichen Regelungen zum Microtargeting und auch die Verwendung von Social Bots ist nicht ausdrücklich verboten.«

Aus (wahl-)soziologischer Perspektive ist es dennoch interessant, die riesigen Datenmengen aus verschiedenen Lebensbereichen miteinander in Beziehung zu setzen und daraus Erkenntnisse für die Forschung abzuleiten. Was haben CDU-Wählerinnen und -Wähler in ihrem Kühlschrank? Welche Automarken und -typen bevorzugen Grüne? Welche Partei wählt, wer oft im Steakhouse ist? Big Data trägt das Versprechen, die Gesellschaft und ihre Milieus besser zu verstehen.

Wissenschaftlern der Stanford University ist es gelungen, anhand von Fahrzeugen die typische Wählerschaft eines Wohnviertels zu prognostizieren. Die Forscher trainierten einen Algorithmus mit 50 Millionen Google-Street-View-Aufnahmen aus 200 US-Städten. Der Computer sollte in dem Datensatz verschiedene Merkmale wie Fahrzeugtyp, Modell und Baujahr identifizieren. Diese Daten wurden dann mit Daten zur Bewohnerschaft und lokalen Wahlergebnissen kombiniert. Das Ergebnis: Zumindest in den USA gibt es einen Zusammenhang zwischen Automarke beziehungsweise Fahrzeugtyp und Wahlverhalten. Wenn vor der Haustür Limousinen geparkt sind, liegt die Wahrscheinlichkeit bei 88 Prozent, dass die Bewohner Demokraten wählen. Stehen vor der Haustür Pick-ups, gibt es eine 82-prozentige Wahrscheinlichkeit für eine Wahl der Republikaner. Wer wissen will, wo seine Stammwähler sind, braucht daher gar keinen Blick in den Kühlschrank zu werfen, sondern muss sich nur auf den Parkplätzen vor den Häusern umsehen.

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