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Futur III: Die Lösung all deiner Probleme

Befreiung von den Fesseln der Biologie.
Symbolbild Sciencefiction

1. Oktober 2040: Wenn dir dein Gegenüber vorschlägt, die Lösung all deiner Probleme könnte nur dein Tod sein, dann hast du drei Reaktionsmöglichkeiten.

Erstens: Du gerätst angesichts der eigenen Sterblichkeit, die du bisher erfolgreich verdrängt hast, in Panik und fängst an zu heulen.

Zweitens: Über die Unverfrorenheit des Vorschlags echauffiert, haust du mit der Faust auf den Tisch oder in das Gesicht deines Gegenübers.

Drittens: Du tust nichts.

Ich entscheide mich für Option drei. Aber erst, nachdem ich eingesehen habe, dass es nicht angemessen wäre, meiner besten Freundin – einer ausgekochten Finanzberaterin und meiner letzten Rettung vor der Privatinsolvenz – die Nase zu polieren.

»Hast du schon an deinen Tod gedacht?«, wiederholt Kathrin.

Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob sie das ernst meint; sie hat einen seltsamen Humor. Deswegen antworte ich: »Witzig. Weißt du was über eine Lebensversicherung, von der ich nichts weiß?«

»Du könntest ihn mit meiner Hilfe simulieren.«

»Ich habe Kinder!«

»Nina. Du bist pleite. Komplett. Was willst du also tun?« Sie wedelt mit der Hand herum, bis ihr Zeigefinger genau vor meiner Nasenspitze in der Luft stehen bleibt. »Du kannst nicht so weitermachen. Sonst wirst du an deinen Nägeln kauen statt an einer Brotrinde.«

Jetzt übertreibt sie aber wirklich.

Kathrin runzelt erneut die Stirn, dann lehnt sie sich in ihrem Schreibtischstuhl zurück. »Es gibt natürlich noch eine zweite Lösung«, sagt sie schließlich. »Ich biete dir einen lukrativen Einmaljob an. Damit bist du erst mal aus dem Schneider. Zumindest für ein paar Jahre. Der Job ist schnell erledigt. Eine Win-win-Situation.«

»Soll ich Drogen für dich verticken?«

»Ich brauche nur deine Unterschrift.« Sie rollt mit ihrem Stuhl ein wenig zurück, öffnet eine Schreibtischschublade und zieht ein Blatt hervor. Es sieht teuer aus. Handgeschöpftes Büttenpapier, so was in der Art. Mit der Spitze ihres Zeigefingers tippt sie auf eine Linie am unteren Rand des Dokuments.

»Unterschrift für was?«, will ich wissen.

»Du wirst deine Organe vermieten. Nur für ein paar Monate. Deine Kinder bekommen wir bei deiner Mutter unter, sie wird in der Zeit finanzielle Unterstützung erhalten. Wer weiß, vielleicht findest du Geschmack an der Situation.«

Ich glaube mich verhört zu haben. »Wie bitte? Vermieten?«, hake ich fassungslos nach. »Wie soll das gehen?«

Sie stößt einen tiefen Seufzer aus. »Du hast noch nichts davon gehört, stimmt’s?«

»Du willst damit sagen, das ist was Offizielles?« Verwirrt schüttele ich den Kopf. »Wenn ich meine Organe verliere, dann …«, stottere ich. »Verleihen, verschenken, verkaufen – das ist doch nicht von Belang … sie sind weg.« Ich bin derart durcheinander, dass ich mir über die Absurdität des Vorschlags an sich überhaupt keine Gedanken mache.

Sie sieht mich an. Wirkt leicht beleidigt. »Natürlich werden deine Organe für die Dauer des Leasings ersetzt. Die ausgefallene Funktion wird sozusagen überbrückt. Das mit deinem Tod haben wir ja abgehakt.«

»Überbrückt? Durch … was?«

Sie winkt ab. »Mach dir keine Sorgen, das ist alles legal.«

9. Oktober 2040: Meine Kinder sind bei ihrer Großmutter, und ich sitze in einem überteuerten Hotelzimmer in Kalifornien. Zumindest muss ich es nicht selbst bezahlen. Die letzten Tage habe ich im künstlichen Koma verbracht. Aber die emotionalen Strapazen allein durch das Wissen, dass die vorangegangenen OPs mir wichtige Innereien geraubt haben, wollen sich seltsamerweise nicht einstellen. Ich spüre … gar nix. Mein Magen, der sich zusammendrücken, der rumoren sollte, mein Herz, das stolpern müsste – diese Organe sind fort. Zusammen mit den anderen, die ich verliehen habe. An ein Labor, das an der Züchtung von biologischem Material und an der Abschaffung des Zelltods arbeitet. Statt des vielfach gekrümmten Gewebeschlauchs, statt des Blut pumpenden Muskels befinden sich jetzt in mir irgendwelche hochtechnisierten Dinge.

Organspenden gehen immer weiter zurück, insofern tue ich Gutes, nehme ich an. Außerdem hat man mir mitgeteilt, Fleisch aus dem Labor sei die Zukunft der Lebensmittelwirtschaft. Ich frage nicht nach, wessen Fleisch.

»Weg mit der stümperhaften Biologie! Der technisch verbesserte Körper bietet Chancengleichheit!«, ruft Bonnie, mit der ich ein Zimmer teile, begeistert aus. Auch sie ist auf den Deal eingegangen. Eine geplatzte Immobilienanlage. »Gleichwertigkeit!«, fährt sie fort. »Homogenität. Wir sehen alle gleich gut, hören alle gleich gut und rennen alle gleich schnell.«

Dieser absurde Gedanke tut auch nicht so weh, wie er es eigentlich sollte.

17. Oktober 2040: »Eines Tages werden wir alle über den gleichen Intelligenzquotienten verfügen«, bemerkt Karl monoton beim Frühstück. Er hat sein Zimmer gegenüber von unserem und ist schon eine Stufe weiter. Sein künstliches Auge lässt ihn Teile des elektromagnetischen Spektrums wahrnehmen, die ihm zuvor unzugänglich waren.

»Ist das gut?«, will ich wissen und schiebe mir Frühstücksrührei in den Mund, das sicher direkt in mein neues Enhancement plumpst. Die Frage kommt automatisch, möglicherweise entsteht auch das Gespür von Zweifel im organischen Magen, den ich ja jetzt nicht mehr habe.

»Keine Geheimnisse mehr. Keine Fallen. Wir vernetzen uns miteinander, können die sensorischen Informationen anderer verarbeiten. Das ist wahre Gleichberechtigung.«

22. Oktober 2040: Den Kindern geht es gut. Meine Mutter hat mir grünes Licht für eine weitere Vertragsunterzeichnung gegeben. Ich nehme wie Karl jetzt auch an einer zweiten Studie teil. Seit gestern kann ich durch den einen Sensor in meinem Kopf Farben riechen, der andere nimmt Schwankungen von Temperatur, Feuchtigkeit und Luftdruck in meiner Umgebung wahr. Ich erwische mich, wie ich darüber nachdenke, die Enhancements nach dem Aufenthalt in der Klinik zu behalten. Ich weiß nur noch nicht, wie ich die Rückgabe umgehen kann.

23. Oktober 2040: Eine Rückgabe war nie vorgesehen! Das ändert alles!

25. Oktober 2040: Die Lösung all meiner Probleme war nie der Tod, sondern die Überwindung des Todes. Gestern habe ich den Einsatz von Nanobots in meinem Körper bewilligt; ich weiß jetzt, dass der Tod eine Krankheit ist, die behandelt werden muss. Insofern stellt seine Verhinderung eine medizinische Therapie und nicht etwa ein ethisches Problem dar. Leiden, Altern, Sterben: verwerflich und unnötig. Außerdem ist der Tod generell schlecht, er sollte abgeschafft werden.

Der Tod ist generell schlecht, er sollte abgeschafft werden

30. Oktober 2040: Bonnie hat ihre Therapie überraschend abgebrochen. Noch aus dem Fenster des Taxis schrie sie etwas von »Sinnenwesen«, »Tod gehört zum Leben«, »Menschenwürde« und »Raum für Unangepasstes«.

Lächerlich.

Versteht sie denn nicht, dass schon ihre Lesebrille gegen dieses unsinnige Postulat verstößt?

12. November 2040: Heute haben mich meine Kinder besucht und gemeinsam mit mir die Farbe meines zukünftigen Servers herausgesucht. Dass ich mich von den Fesseln der Biologie befreien muss, ist ihnen nach Eingang einer weiteren Rate der Klinik auf dem Gemeinschaftskonto klar geworden. Insgesamt besteht kein Grund zu Sorge. Überhaupt: Was soll das sein, Sorge?

1. Februar 2126, 18.53 Uhr: Ich bin im System, will blinzeln. Geht aber nicht. Der Speicherplatz für meine Familie wird rein rechnerisch erst in aufgerundet 34 Jahren, drei Monaten und vier Tagen vorhanden sein, denn DNA-Storage hat sich als wenig praktikabler Hype herausgestellt. Niemand sagte mir damals, dass Speicherkapazität ein Problem werden wird. Jetzt steht ein Mensch mit Hausmeisterfunktion vor meinem Server und teilt mir das in einem Tonfall mit, als rattere er seine Einkaufsliste herunter.

23. April 2127, 0.05 Uhr: Ich habe der biologischen Hausmeisterentität mitgeteilt, sie solle dafür sorgen, dass mein Speicherplatz frei gegeben wird. Sie sagt, das würde abgelehnt, da assistierter Suizid immer noch von einem Arzt durchgeführt werden müsse und es sich bei mir um keine reale und biologische Lebensform handele. Der Diskussion darüber, was Realität ist, kehrte die Entität den Rücken.

4. September 2128, 15.39 Uhr: Erfahrungen werden nicht mehr regelmäßig wiedergegeben. Dinge wiederholen sich. Sich. Sich. Bereits eingeprägte Inhalte des Langzeitgedächtnisses verblassen. Von wegen »Stabilität« – ich erfahre eine Störung des Programmablaufs. Glitch, Bug, Exploit. Konnte schon damals niemand brauchen. Ein Begriff taucht auf, Sätze, Formulierungen: Es sollte mich aufregen. Mir Angst machen. Mich in Panik versetzen. Ich kann damit nichts anfangen. Anfangen.

15. August 2133: Ich bin mir selbst … nicht mehr genug, irgendetwas fehlt, das ist sicher. Sicher. Nur was? Und: Wie bin ich eigentlich … geworden? Dinge wiederholen sich. Dinge. Dinge wiederholen sich. Wiederholen sich.

Irgendwann später: Ich denke immer öfter an eine Bonnie in etwas, das sich Taxi nennt. Taxi. Dinge wiederholen sich.

Über das irgendwann hinaus: »Hast du schon an deinen Tod gedacht?«, wiederholt sie. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob sie das ernst meint; sie hat einen seltsamen Humor. Deswegen antworte ich: »Witzig.«

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