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Leseprobe »Mehr Ich. Mehr Du. Mehr Wir.«: Beziehungszufriedenheit - Was ist das genau?

Aus Sorge vor Veränderung bremsen sich Partner:innen oft gegenseitig in ihrer persönlichen Entwicklung aus – das kann zu schwelenden Konflikten und Frustration führen. Die Psychologin und Wissenschaftlerin Janina Larissa Bühler zeigt, dass persönliche Weiterentwicklung keine Gefahr ist, sondern eine wichtige Voraussetzung für eine langfristig glückliche Beziehung. Gegenseitige Unterstützung ist dabei essenziell: Wenn sich Partner:innen den Raum geben und den Mut zusprechen, sich als Individuen weiterentwickeln zu dürfen, kann auch die partnerschaftliche Bindung wachsen. Anhand neuster Erkenntnisse aus der Persönlichkeits- und Paarforschung, bewährten Reflexionsfragen und konkreten Übungen für den Beziehungsalltag macht dieser Ratgeber Partner:innen neugierig darauf, sich gegenseitig immer wieder neu kennenzulernen und gemeinsam auf dem Weg zu sein.
Paar trennt sich

Die Beziehungszufriedenheit wird generell als eine individuelle Bewertung der eigenen Beziehung verstanden. In der Beziehungsforschung lassen sich dabei zwei Herangehensweisen an das Konzept Beziehungszufriedenheit unterscheiden. Bei der ersten Herangehensweise wird unter Beziehungszufriedenheit eine globale Bewertung der Beziehung verstanden, gewissermaßen eine Vogelperspektive auf die Beziehung. »Wie gut kommt Ihr Partner oder Ihre Partnerin Ihren Bedürfnissen entgegen?«, oder: »Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit Ihrer Beziehung?« Dies sind zwei der sieben Fragen, mit denen anhand der Relationship Assessment Scale die Beziehungszufriedenheit erfasst wird. Die Skala wurde 1988 von Susan S. Hendrick (1988) entwickelt und mittlerweile in verschiedene Sprachen übersetzt (1993 unter anderem von Joachim Sander und Susanne Böcker in die deutsche Sprache). Die Skala ist seitdem eine der am häufigsten verwendeten Skalen zur Erfassung der Beziehungszufriedenheit.

Neben dieser globalen Bewertung der Beziehung gibt es eine zweite, spezifischere Herangehensweise. Bei dieser stehen das Beziehungsmiteinander und der Beziehungsalltag im Zentrum. Eine typische Skala zur Erfassung wäre hier die Dyadic Adjustment Scale, welche von Graham B. Spanier (1976) entwickelt wurde. Welche Themen müsste man bei Ihnen erfassen, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie Sie Ihren Beziehungsalltag gestalten? Nachfolgend sehen Sie einige der Themen, die anhand dieser Skala erfasst werden. Zusätzlich zu diesen Themen wird auch erfragt, wie oft Partner:innen streiten und wie sie sich dabei verhalten. Ebenso wird erfragt, wie viel sie miteinander lachen oder wie oft sie einen spannenden Austausch miteinander erleben.

Aspekte des Beziehungsmiteinanders

Umgang mit Finanzen

Lebensphilosophie

Möglichkeiten der gemeinsamen Erholung

Häufigkeit der gemeinsam verbrachten Zeit

Ausdruck von Zuneigung

Sexualität

Treffen wichtiger Entscheidungen

Karriereentscheidungen

Umgang mit Schwiegereltern

Aufteilung der Hausarbeit

Welche der beiden Herangehensweisen bildet nun aber die »wahre« Beziehungszufriedenheit ab? Auf diese Frage gibt es keine klare Antwort, denn beide Herangehensweisen sind wahr und wertvoll, denn sie ermöglichen, unterschiedlich über die eigene Beziehung nachzudenken und verschiedene Perspektiven auf die eigene Beziehung einzunehmen: eine übergeordnete, globale Perspektive und eine detaillierte, alltagsnahe Perspektive. Interessant ist jedoch, dass bei beiden Herangehensweisen nicht danach gefragt wird, ob sich Partner:innen in ihrer Beziehung persönlich entwickeln können. Dies könnte unter anderem dem Zustand geschuldet sein, zu welchem Zeitpunkt die Skalen entwickelt wurden, nämlich in den 1970er- und 1980er-Jahren – ein Zeitpunkt, an dem Selbstentwicklung in Beziehungen noch wenig Aufmerksamkeit erfuhr. Ein Aspekt, auf den wir im Laufe dieses Kapitels noch näher eingehen werden.

Wie sich Beziehungen entwickeln

Unsere Beziehungszufriedenheit ist oft nicht konstant, denn Beziehungen verändern sich im Laufe des Lebens. Sie sind dynamisch. Aber wie entwickeln sich Beziehungen genau? Ich möchte Sie dafür zu einer Reflexionsübung einladen.

Meine Beziehungsbiografie

Nehmen Sie sich einen Stift zur Hand und zeichnen Sie einen Zeitstrahl, der von Ihrer Jugend bis heute reicht. Tragen Sie dann all jene Beziehungserfahrungen ein, die für Sie bedeutsam waren. Dabei spielt es keine Rolle, wie lange eine Beziehung gedauert hat (oder ob sie überhaupt zustande gekommen ist). Es geht vielmehr darum, zu entdecken, welche Erfahrungen Sie geprägt haben. Sie können sich diese Übung wie eine Reise vorstellen: An manchen Stationen steigen wir aus, an anderen fahren wir vorbei, aber die Eindrücke bleiben haften.

Wichtig bei dieser Übung ist Folgendes. Schreiben Sie bitte dazu, wie alt Sie bei jeder der Erfahrungen waren, und denken Sie über folgende Fragen nach: Wie waren Sie zu dieser Zeit? Was war Ihnen zu dieser Zeit wichtig? Welche Bedürfnisse und Ziele hatten Sie?

Welche Entdeckung haben Sie auf Ihrer kurzen Beziehungsreise gemacht? Waren Sie in Ihren Beziehungen immer dieselbe Person mit denselben Bedürfnissen? Oder haben sich Ihre Bedürfnisse und Ziele im Laufe der Jahre verändert – und wenn ja, wie? Einige von Ihnen werden vielleicht beobachtet haben, dass sich die Bedürfnisse im Laufe der eigenen Biografie verändert haben. Dieser Trend ist entwicklungspsychologisch zu erklären: Je nach Alter und Lebensphase, in der wir uns befinden, sind unterschiedliche Entwicklungsaufgaben wichtig und unterschiedliche Bedürfnisse präsent.

Die Rolle des Alters

Im jungen Erwachsenenalter (18 bis 40 Jahre) steht die Suche nach der eigenen Identität im Zentrum. Junge Menschen wollen herausfinden, wer sie sind und was ihnen wichtig ist. Sie beginnen erste Partnerschaften, die oft von kurzer Dauer sind. Gerade am Anfang des jungen Erwachsenenalters, wenn die möglichen Lebenswege unbegrenzt scheinen, haben das Explorieren und Erkunden oberste Priorität. Ziel dieser Suche ist es, jene soziale und berufliche Nische zu finden, die dem eigenen Wesen am besten entspricht.

Im mittleren Erwachsenenalter (40 bis 65 Jahre) tritt die Suche in den Hintergrund. Stattdessen stehen die Konsolidierung und das Bewahren im Mittelpunkt. Personen des mittleren Erwachsenenalters haben ihre soziale und berufliche Nische meist gefunden und möchten diese erhalten. Sie spüren ein gewisses Maß an Klarheit und Stabilität, weil das eigene Leben in bestehenden Bahnen verläuft. Gleichzeitig kann dadurch auch das Gefühl aufkommen, weniger Freiraum und geringe Freiheitsgrade zu haben. Die eigenen Wege können vorgezeichnet erscheinen, was zu einer reduzierten Lebenszufriedenheit führen kann und oft auch als midlife crisis beschrieben wird, aber als Phänomen in der Forschungsliteratur nicht unumstritten ist.

Die reduziertere Zufriedenheit in der Lebensmitte zeigt sich interessanterweise auch in der Beziehung, wie die Ergebnisse einer aktuellen Metaanalyse – also einer Studie über viele Studien hinweg – darlegen. Meine Kolleg:innen und ich konnten Daten von über 165 000 Personen auswerten und dabei beobachten, dass Personen in der Mitte des Lebens, mit 40 Jahren, tendenziell am unzufriedensten in ihrer Beziehung sind. Gründefür dieses Beziehungstief können sein, dass die Beziehung eintönig geworden ist oder sich negative Kommunikationsmuster eingeschliffen haben. Die Ergebnisse der Metaanalyse zeigen aber auch, dass bei Paaren, die diesen Tiefpunkt überwinden, die Beziehungszufriedenheit wieder ansteigt. Diese Paare möchten bewahren, was sie miteinander erschaffen haben. Allerdings braucht es dafür Durchhaltewillen, Weitblick und die Bereitschaft, am Bestehenden zu arbeiten.

Im höheren Erwachsenenalter (ab 65 Jahren) bekommt das Bewahren nochmals einen ganz eigenen Wert. Verluste – körperliche wie soziale – werden vordergründiger, was den Blick auf das Hier und Jetzt schärft. Die Entwicklungspsychologin Laura Carstensen und ihre Kolleg:innen haben dieses Phänomen als sozioemotionale Selektivitätstheorie beschrieben: Ältere Personen nehmen ihre Zeit bis zum Lebensende als begrenzt wahr und widmen sich daher verstärkt ihren sozialen Begegnungen im Hier und Jetzt. Aus diesen Begegnungen schöpfen sie Freude und positive Gefühle. Diese Positivität zeigt sich auch in ihrer Beziehungszufriedenheit, denn wie wir bereits gesehen haben, steigt die Beziehungszufriedenheit im höheren Erwachsenenalter wieder an – möglicherweise, weil ältere Paare verstärkt zu schätzen wissen, was sie aneinander haben und dass sie einander haben.

Die Liebe

Für glückliche Beziehungen braucht es, unter anderem, Liebe. Aber was ist Liebe genau? Gemäß des Psychologen Robert Sternberg besteht die Liebe aus drei zentralen Komponenten – Leidenschaft, Nähe und Verbindlichkeit –, aus denen sich verschiedene Formen von Liebe und Beziehung ergeben. Sehen wir uns die drei Komponenten der Liebe und die Kombinationen, die sich daraus ergeben, einmal genauer an.

Leider endet die Leseprobe an dieser Stelle. Das Buch »Mehr Ich. Mehr Du. Mehr Wir...« bietet den Rest des Kapitels und mehr.

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