Direkt zum Inhalt

Lexikon der Neurowissenschaft: maschinelles Sprachverstehen

maschinelles Sprachverstehen s, E automatic speech understanding, technischer Prozeß, der die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine erleichtern soll. Im Unterschied zu einem sprachgesteuerten Diktiersystem, welches die Benutzeräußerung lediglich in Form einer Wortsequenz wiedergibt, soll ein System zum maschinellen Sprachverständnis den Sinn der formulierten Eingabe erfassen und dem Benutzer über die Sprache einen Zugang zu Informationsquellen ermöglichen. Das Ziel des maschinellen Sprachverstehens liegt somit in der Entwicklung intelligenter Schnittstellen für eine computergestützte Mensch-Maschine-Interaktion. Zum maschinellen Sprachverstehen sind Techniken der Spracherkennung, der semantischen Analyse natürlich gesprochener Sprache, der Dialogführung sowie der Sprachsynthese erforderlich. Als wissenschaftliche Disziplinen kommen dabei die Signalverarbeitung, die Informatik, die künstliche Intelligenz, die kognitiven Wissenschaften sowie die Linguistik zum Tragen. – Als parsing bezeichnet man die Extraktion der Bedeutung eines Satzes, bzw., im Falle des maschinellen Sprachverstehens, einer Benutzeranfrage. Dies geschieht unter Verwendung syntaktischer oder semantischer Regeln (Syntax, Semantik). Die Konzeption eines Parsers zur Analyse natürlich gesprochener Sprache stellt den Systementwickler vor die Aufgabe, einen an die spezifische Anwendung optimal angepaßten grammatikalischen Formalismus sowie die Implementierungsart auszuwählen. – Die Modellierung des Verstehens natürlich gesprochener Sprache beruht häufig auf kognitiven Prozessen, die sich wiederum auf Theorien der Linguistik und Psychologie stützen. Auf der Grundlage einer syntaktischen Satzanalyse liefern kognitive Modelle eine abstrakte Beschreibung der Sprache. Diese Grammatiken eignen sich deshalb besonders gut für die Analyse von Schriftsprache, die von Natur aus syntaktisch meist korrekt ist. Unter realen Benutzerbedingungen treten in der Interaktion mit einem System zum maschinellen Sprachverständnis jedoch eine erhebliche Anzahl spontaner Formulierungen und Phänomene auf, wie z.B. Zögern, Wortwiederholungen und Verbesserungen. Diese können nur sehr begrenzt mit den traditionellen linguistischen Theorien bearbeitet werden. Leistungsfähige Sprachverarbeitungssysteme, die einem breiten Nutzerkreis zugänglich gemacht werden sollen, müssen derartige Phänomene jedoch unbedingt beherrschen. Dabei sollte die Sprache lediglich als Hilfsmittel der Konversation betrachtet werden. Der semantischen Analyse geht es hierbei in erster Linie darum, den Sinn der Benutzeräußerung zu extrahieren, und nicht um die Feststellung syntaktischer Korrektheit. Immer häufiger kommt es zur Anwendung grammatikalischer Formalismen, die einen Satz semantisch interpretieren können, ohne dabei seine vollständige syntaktische Korrektheit zu fordern. Die Semantik, in diesem Zusammenhang eine Art maschineninterne Darstellung, ruft einen Prozeß oder eine Systemreaktion im Rahmen einer spezifischen Anwendung hervor. Derartige sogenannte semantische Grammatiken können eine Vielfalt möglicher Benutzeräußerungen bearbeiten und sind deshalb gegenüber spontaner Sprache robuster. – Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Konzeption eines Systems zum maschinellen Sprachverstehen liegt in einer geeigneten Implementierung des grammatikalischen Formalismus. Wird eine Grammatik in der Form von handgeschriebenen Regeln realisiert, so stellt sich das Problem zunehmender Systemkomplexität und Portierbarkeit. Das im Laufe der Entwicklung immer aufwendiger werdende Regelwerk kann zu Wartungs- und Konsistenzproblemen führen. Außerdem sind die Regeln angepaßt, um optimale Leistungen im Rahmen einer spezifischen Anwendung zu erbringen. Diese Umstände machen ein regelbasiertes System schwerfällig und verringern die Möglichkeiten einer schnellen Anpassung an neue Anwendungen und menschliche Sprachen. – Statistische Methoden, die auf der Anwendung von Hidden-Markov-Modellen beruhen, liefern gute Ergebnisse im Bereich der Spracherkennung und jüngst auch im Rahmen der semantischen Analyse. In diesem Ansatz wird das explizite Regelwerk durch einen Datencorpus, bestehend aus Benutzeranfragen mit zugehöriger semantischer Darstellung, ersetzt. Nach der automatischen Datenanalyse durch das System wird die semantische Information in der Form von Parametern in einem stochastischen Modell gespeichert (Trainingsphase). Dieses Modell wird dann verwendet, um eine unbekannte Benutzeräußerung in eine semantische Darstellung umzusetzen (Testphase). Da die semantische Information in einem anwendungsbedingten Datencorpus codiert ist, ist solch ein statistischer Ansatz im Vergleich zu regelbasierten Systemen wesentlich flexibler und somit leicht wiederverwendbar.

W.M.

Lit.: Bresnan, J. (Hrsg.): The Mental Representation of Grammatical Relations. Cambridge, Massachusetts 1982. Burton, R.: Semantic Grammar: An Engineering Technique for Constructing Natural Language Understanding Systems. BBN Technical Report No. 3353 (1976), Cambridge, Massachusetts. Chomsky, N.: Aspects of the Theory of Syntax. Cambridge, Massachusetts 1965. Fillmore, Ch.J.: The case for case. in: Universals in Linguistic Theory (1968), pp. 1-90. Minker, W., Waibel, A. und Mariani, J.: Stochastically-based Semantic Analysis. The Kluwer International Series in Engineering and Computer Science Vol. 514 (1999). Pieraccini, R. und Levin, E.: Stochastic Representation of Semantic Structure for Speech Understanding. Speech Communication 11 (1992), pp. 283-288. Rabiner, L.R. und Juang, B.H.: An introduction to Hidden Markov Models. IEEE Transactions on Acoustics, Speech and Signal Processing 3(1) (1986), pp. 4-16.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Die Autoren
Redaktion

Dr. Hartwig Hanser, Waldkirch (Projektleitung)
Christine Scholtyssek (Assistenz)

Fachberater

Prof. Albert Ludolph, Ulm
Prof. Lothar Pickenhain, Leipzig
Prof. Heinrich Reichert, Basel
Prof. Manfred Spitzer, Ulm

Autoren

Aertsen, Prof., Ad, Freiburg
Aguzzi, Prof., Adriano, Zürich
Baier, Dr., Harmut, Ulm
Bartels, Prof., Mathias, Tübingen
Becker, Dr., Andreas, Marburg
Born, Prof., Jan, Lübeck
Brecht, Dr., Stephan, Kiel
Breer, Prof., Heinz, Stuttgart
Carenini, Dr., Stefano, Würzburg
Cruse, Prof., Holk, Bielefeld
Culmsee, Dr., Carsten, Marburg
Denzer, Dr., Alain, Waldenburg
Egert, Dr., Ulrich, Freiburg
Ehrenstein, Dr., Walter, Dortmund
Eurich, Dr., Christian , Bremen
Eysel, Prof., Ulf, Bochum
Fischbach, Prof., Karl-Friedrich, Freiburg
Frey, Dunja, Basel
Fuhr, Dr., Peter, Basel
Greenlee, Prof., Marc, Oldenburg
Hartmann, Beate, Basel
Heck, Dr., Detlef, Freiburg
Heller, Prof., Kurt, München
Henkel , Dr., Rolf , Bremen
Herdegen, Prof., Thomas, Kiel
Herrmann, Dr., Gudrun, Bern
Hilbig, Dr., Heidegard, Leipzig
Hirth, Dr., Frank, Basel
Huber, Dr., Gerhard, Zürich
Hund, Martin, Basel
Illing, Dr., Robert Benjamin, Freiburg
Käch, Dr., Stefanie, Basel
Kästler, Dr., Hans, Ulm
Kaiser, Dr., Reinhard, Freiburg
Kaluza, Jan, Stuttgart
Kapfhammer, Dr., Josef P., Freiburg
Kestler, Dr., Hans, Ulm
Kittmann, Dr., Rolf, Freiburg
Klix, Prof., Friedhart , Berlin
Klonk, Dr., Sabine, Stuttgart
Klumpp, Prof., Susanne, Marburg
Kössl, Dr., Manfred, München
Köster, Dr., Bernd, Freiburg
Kraetschmar, Dr., Gerhard, Ulm
Krieglstein, Prof., Josef, Marburg
Krieglstein, Prof., Kerstin, Homburg
Kuschinsky, Prof., Wolfgang, Heidelberg
Lahrtz, Stephanie, Hamburg
Landgraf, Dr., Uta, Stegen
Laux, Thorsten, Basel
Lindemann, Prof., Bernd, Homburg
Löffler, Dr., Sabine, Leipzig
Ludolph, Prof., Albert, Ulm
Malessa, Dr., Rolf, Weimar
Marksitzer, Dr., Rene, Luzern
Martin, Dr., Peter, Kehl-Kork
Martini, Prof., Rudolf, Würzburg
Medicus, Dr., Gerhard, Thaur
Mehraein, Dr., Susan, Freiburg
Meier, Dr., Kirstin, Freiburg
Mendelowitsch, Dr., Aminadav, Basel
Mergner, Prof., Thomas, Freiburg
Metzinger, Dr., Thomas, Frankfurt am Main
Mielke, Dr., Kirsten, Kiel
Misgeld, Prof., Ulrich, Heidelberg
Moll, Joachim, Basel
Münte, Prof., Thomas, Magdeburg
Neumann, Dr., Harald, Planegg-Martinsried
Nitsch, Prof., Cordula, Basel
Oehler, Prof., Jochen, Dresden
Otten, Prof., Uwe, Basel
Palm, Prof., Günther, Ulm
Pawelzik, Prof., Klaus, Bremen
Pickenhain, Prof., Lothar, Leipzig
Ravati, Alexander, Marburg
Reichel, Dr., Dirk, Lübeck
Reichert, Prof., Heinrich, Basel
Reinhard, Dr., Eva, Bern
Rieckmann, Dr., Peter, Würzburg
Riemann, Prof., Dieter, Freiburg
Ritter, Prof., Helge, Bielefeld
Roth, Prof., Gerhard , Bremen
Roth, Lukas W.A., Bern
Rotter, Dr., Stefan, Freiburg
Rubin, Dr., Beatrix, Basel
Ruth, Dr., Peter, Giessen
Schaller, Dr., Bernhard, Basel
Schedlowski, Prof., Manfred, Essen
Schneider, Dr., Werner X., München
Scholtyssek, Christine, Umkirch
Schwegler, Prof., Helmut , Bremen
Schwenker, Dr., Friedhelm, Ulm
Singer, Prof., Wolf, Frankfurt am Main
Spiegel, Dr., Roland, Zürich
Spitzer, Prof., Manfred, Ulm
Steck, Prof., Andreas, Basel
Steinlechner, Prof., Stephan, Hannover
Stephan, Dr., Achim, Rüsselsheim
Stoeckli, Dr., Esther, Basel
Stürzel, Frank, Freiburg
Swandulla, Prof., Dieter, Erlangen
Tolnay, Dr., Markus, Basel
Unsicker, Prof., Klaus, Heidelberg
Vaas, Rüdiger, Bietigheim-Bissingen
van Velthoven-Wurster, Dr., Vera, Freiburg
Walter, Dr., Henrik, Ulm
Wicht, Dr., Helmut, Frankfurt
Wolf, Prof., Gerald, Magdeburg
Wullimann, Prof., Mario, Bremen
Zeilhofer, Dr., Hans-Ulrich, Erlangen
Zimmermann, Prof., Manfred, Heidelberg

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.