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Metzler Philosophen-Lexikon: Xenophon

Geb. ca. 430 v. Chr. in Athen;

gest. ca. 355 v. Chr. in Korinth oder Athen

Ähnlich wie bei seinem Generationsgenossen Platon, so war auch bei X. die Begegnung mit Sokrates von nachhaltigster Wirkung; anders als Platon, widmete sich X. einem tätigen Leben in der Praxis, wirkte als Söldnerführer und Gutsherr. 401 zog er mit dem persischen Prätendenten Kyros gegen den Großkönig, wurde nach verlorener Schlacht zum Anführer gewählt und rettete mit dem geordneten Rückmarsch 6000 Soldaten das Leben. Sein berühmter Bericht über das Unternehmen Anabasis wird ergänzt durch die Hellenika, die Griechische Geschichte von 410 bis 362 v. Chr., die zeitlich an die Geschichtsdarstellung des Thukydides anschließt und so das Werk des größten griechischen Historikers fortführt. Nachdem X. nahezu ein Jahrzehnt in Kleinasien beim Heer verbracht hatte, lebte er auf seinem Landgut in der Nähe von Olympia; nach zwanzig weiteren Jahren, wie es heißt, in Korinth. Seine Schriften zählen in ihren Stoffen der früheren, in ihrer Ausarbeitung der späteren Periode seines Lebens zu.

Am wichtigsten sind uns heute die Erinnerungen an Sokrates (Memorabilia; um 370/360). Hier liegt eine unschätzbare Quelle für das Leben dieses Lehrers vor – der ja selbst nichts Schriftliches hinterlassen hat – und zugleich ein wichtiges Gegenstück zu der so anders gearteten Darstellung Platons. Die früher vertretene Ansicht, das Sokrates-Bild X.s sei unhistorisch und unterliege einer kynischen Färbung, wird heute nicht mehr geteilt. Dasselbe gilt von der entgegengesetzten Annahme, daß in X.s Bericht die allein richtige Quelle vorliege. Vielmehr gilt es, in sorgfältiger Abwägung Detail um Detail gegenüber der anderen Tradition zu prüfen und den jeweiligen Wahrscheinlichkeitsgrad gesondert zu klären.

Auch die Kyrupädie handelt von einer historischen Persönlichkeit. Man mag in ihr den ersten »Erziehungsroman« Europas sehen. Geschildert werden Leben und Erziehung des älteren Perserkönigs Kyros. Diese vier Generationen zurückliegende Gestalt des Reichsgründers wird von X. als eine Art Idealherrscher porträtiert, so daß man nicht fehlgeht, die Schrift dem Bereich der Utopie zuzuordnen. Neben die Erörterung über die gute Führung des Staatswesens tritt die Diskussion über die beste Verwaltung des Hauswesens, der »oikonomikós«. Ferner kommt, gleich wie bei Platon, auch ein Symposion hinzu, das wiederum Sokrates zeigt, nun in heiterer Gesellschaft, im Gespräch über Liebe und Ehe. Eine weitere Parallele zu Platon ist: X. hat ebenfalls eine Apologie verfaßt, deren Authentizität jedoch nicht unbezweifelt ist. Sie referiert Gedanken der Verteidigung des Sokrates, freilich lange Zeit nach dem gerichtlichen Geschehen. Ein Dialog Hieron schließlich schildert die Diskussion zwischen einem Dichter und einem Tyrannen, dem der Rat zuteil wird, für das Wohl seiner Bürger zu wirken und so sie wie auch sich selbst glücklich zu machen. Auch Über die Staatseinkünfte hat X. gehandelt und in einer Lobschrift den König Agesilaos verherrlicht.

Während X. als wichtiger Zeuge, aber nicht eigentlich als gewichtiger Denker seinen Platz in der Philosophiegeschichte hat, ist seine reizvolle sprachliche Kunst in alter wie in neuer Zeit unbestritten. Der Charme der attischen Rede findet in ihm ihren meisterlichen Gestalter. Das hat ihn, zusammen mit seiner konsequenten Haltung als Verfechter sokratischer Idealvorstellungen, in Griechenland wie auch im römischen Imperium, nicht minder in der Renaissance bis zum Ende des 18. Jahrhunderts weithin Interesse und Zustimmung finden lassen. Das kritiksüchtige 19. Jahrhundert hat ihn entthront; ob eine neue Sicht gefunden werden wird, bleibt abzuwarten.

Schütrumpf, Eckart E.: Art. »Xenophon«. In: Der Neue Pauly. Stuttgart/Weimar 1996ff., Bd. 12,2, Sp. 633–642. – Wilms, Hartmut: Techne und Paideia bei Xenophon und Isokrates. Stuttgart/Leipzig 1995. – Nickel, Rainer (Hg.): Xenophon. Darmstadt 1979. – Breitenbach, Hans Rudolf: Xenophon von Athen. Stuttgart 1966.

Bernhard Kytzler

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