Direkt zum Inhalt

Metzler Lexikon Philosophie: Form/Materie

geben im MA. das aristotelische Begriffspaar Eidos (F.) bzw. Morphe (Gestalt) und Hyle (M.) wieder. Anlass der Unterscheidung ist der Befund, dass Aussagen über Einzelnes mehrdeutig sind: Wer von etwas sagt, dies ist Marmor, gibt die M. an, aus der die Sache besteht; wer sagt, dies ist ein Standbild, gibt die F. bzw. Gestalt der Sache an; wer sagt, dies ist ein Marmorstandbild, gibt das beides umfassende Ganze an. In diesem Sinne gilt für alles Konkrete (von lat. concrescere = Zusammengewachsenes), dass es aus einer M. besteht, die durch eine F. bestimmt ist. Im Bereich der empirischen Erfahrung kommen F. und M. je für sich nicht vor: Jede M. tritt stets unter einer F. und jede F. an einer M. auf. So konstituieren erst F. und M. gemeinsam eine konkrete Sache. Dabei ist die F. das Prinzip der washeitlichen Bestimmtheit, die M. dagegen das Prinzip der raum-zeitlichen Begrenztheit (materia quantitate signata). – Da die Frage, woraus etwas besteht, wiederholbar erscheint (Marmor besteht aus Kalkgestein, Kalkgestein aus Calciumsalzen, etc.), meint M. im primären Sinne (m. prima) ein letztes Woraus-es-besteht, das selbst durch keinerlei Was-es-ist mehr bestimmt ist, während alle bereits geformten Materialien als M. im nachgeordneten Sinne (m. secunda) aufzufassen sind. – Die Entstehung konkreter Dinge geschieht, indem an einer M. ein Übergang vom F.-Mangel zur F. stattfindet: Der Bildhauer verleiht dem zunächst ungeformten Marmor die F. der Statue; bei der Zeugung eines Lebewesens wird die in den Eltern verwirklichte F. einer Keimzelle mitgeteilt, aus der dann eigenständig ein den Eltern artgleiches Lebewesen heranwächst. In beiden Fällen ist die F. das Prinzip, welches das Werden in dem, was wird, artlich bestimmt (Species), die M. aber das Prinzip, das selbst artlich unbestimmt für die entsprechende artliche Bestimmung offen ist. Künstliche Dinge und Lebewesen unterscheiden sich darin, dass bei Artefakten einem schon bestehenden Material (Holz, Erz) das, was es werden soll (Beil, Stuhl), als hinzukommende F. (akzidentelle F.) aufgeprägt wird, während bei natürlichen Lebewesen die F. selbst als die primäre Ursache (Causa) der M., an der sie auftritt, und daher als die primär tragende Form (substantielle F.) aufzufassen ist. Daher können künstliche F.n (Statue) unterschiedlichen Materialien (Erz, Stein) mitgeteilt werden, während es wesentlich zur artlichen Bestimmung von Lebewesen gehört, dass ihre M. (organischer Körper) in einem spezifischen Wachstumsprozess durch die jeweilige Lebens-F. (Seele) selbst ausgebildet wird. – Die frühe ma. Verwendung des Begriffspaars steht unter dem Einfluss des neuplatonischen Emanationsgedankens und des platonischen Dialogs Timaios. Bei Plotin erscheint die M. als letzte und schwächste Emanation; als an sich völlig unbestimmt und nahezu nichtseiend ist sie das Prinzip des Schlechten. Nach Augustinus schafft Gott durch sein Wort aus nichts primär die ungeformte M., zugleich aber auch die F.n, die mit der M. zusammen die Gestirne, die vier Grundstoffe (Elemente) und die in allem samenhaft wirksamen Vernunftkräfte (rationes seminales) begründen. Gottes Wort wird, wie der Geist (Nous) bei Aristoteles, als die selbst ungeformte F. aller F.n. verstanden. Da M. als Vermögen, etwas zu sein (possibilitas, potentia), die F. dagegen als Akt (actus), es wirklich zu sein, erscheint, wird die erste M. als reines Vermögen ohne jeden Akt, hingegen Gott als reiner Akt ohne jede Potentialität gedacht. Kontrovers wird diskutiert, ob nur körperliche oder auch unkörperliche Substanzen (Seelen, Engelwesen) durch F. und M. konstituiert werden, ferner, ob es in ein und demselben Seienden nur eine oder aber mehrere substantielle F.n zugleich geben könne. – Die Lehre von F. und M. wird seit dem 19. Jh. als Hylemorphismus bezeichnet.

Literatur:

  • Aristoteles: Met. VII 1–3; 7–8; 17; De an. II, 1–2
  • Thomas v. A.: De ente et essentia 2; De trinitate q.5 a.4; S.th.I q.3 a.2; q.5 a.5; q.75f; q.85 a.1; q.105 a.1c
  • C. v. Bormann u.a.: Form und Materie. In: HWPh.II, 977–1030
  • M. Forschner: Thomas von Aquin, München 2006. Kap. 3
  • J. de Vries: Grundbegriffe der Scholastik. Darmstadt 1980. S. 41–48; 63–67.

CS

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
IR Ines Riemer, Hamburg
JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
KH Kai-Uwe Hellmann, Berlin
KHG Karl-Heinz Gerschmann, Münster
KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
KRL Karl-Reinhard Lohmann, Witten
KS Kathrin Schulz, Würzburg
KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
LG Lutz Geldsetzer, Düsseldorf
LR Leonhard Richter, Würzburg
MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
OFS Orrin F. Summerell, Bochum
PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.