Geodäsie: Verwirrung um den Nullmeridian
Wer das königliche Observatorium von Greenwich (England) aufsucht, findet im Innenhof einen Messingstreifen vor, der den Verlauf des "Greenwich-Meridians" markiert: jener Linie, die im Jahr 1884 als nullter Längengrad festgelegt wurde. Besucher, die über ein Smartphone mit Satellitennavigation verfügen, bemerken allerdings rasch, dass das Gerät dort nicht null Grad anzeigt. Erst 102 Meter weiter östlich stoßen sie auf den Nullmeridian, der aus geltenden Standardisierungen hervorgeht und von GPS-Geräten ermittelt wird.
Wie kommt es zu der Abweichung? Dem sind Forscher um Stephen Malys von der US-Behörde National Geospatial-Intelligence Agency (Nationale Agentur für geografische Aufklärung) nachgegangen. Ihre Erklärung: Der Versatz beruht auf einem Messfehler, dem die Astronomen und Vermesser des 19. Jahrhunderts hilflos ausgeliefert waren.
Mittels so genannter Zenitteleskope bestimmten die Astronomen damals den Meridiandurchgang bestimmter Referenzsterne, um die längengradabhängige Sternzeit zu messen. Für diese Aufgabe mussten die Teleskope exakt vertikal ausgerichtet sein. In Greenwich diente dazu – wie andernorts auch – ein quecksilbergefülltes Becken als "Wasserwaage". Allerdings stimmt in diesem der Quecksilberspiegel nicht gänzlich mit der Horizontalebene überein; vielmehr wird er durch örtliche Schwerkraftfelder geringfügig aus ihr ausgelenkt. Sowohl die bergige Landschaft rund um Greenwich als auch die Zusammensetzung des Bodengesteins unter dem Teleskop führten zu solchen Abweichungen – und somit zu Fehlern in der Bestimmung der lokalen Sternzeit. GPS-Satelliten unterliegen solchen Störungen nicht und projizieren daher ein etwas anderes Längengradnetz auf die Erde.
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