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Meeresströmungen: Rettungsringe für den Golfstrom

Gewaltige Wasserwirbel schießen von der Südspitze Afrikas in den Atlantik. Sie stammen von einer der wichtigsten Meeresströmungen der Südhalbkugel - dem Agulhasstrom.
Leuchtturm von Kap Agulhas.
Der Leuchtturm von Kap Agulhas markiert die Südspitze Afrikas. Dahinter macht einer der bemerkenswertesten Meeresströme der Welt einen scharfen Knick um fast 180 Grad.

Alle kennen das Kap der Guten Hoffnung – dabei hat Afrikas wahre Südspitze, das Kap Agulhas, einiges mehr zu bieten: Atlantischer und Indischer Ozean treffen hier aufeinander, regelmäßig strömt kaltes Wasser vom Südpolarmeer heran und mischt die See heftig auf. Das macht dieses Meer besonders wild und zum Paradies für Surfer – aber einen Albtraum für unerfahrene Kapitäne, wie die unzähligen Schiffswracks vor der Küste belegen. Die Gewässer sind sehr fischreich, man sieht Haie, Rochen und Wale – und schon wenige Kilometer vor der Küste geht es tief hinab. Dort stürzt der Kontinentalhang des Kapbeckens bis zu 4500 Meter in die Tiefsee. Die wahre Sensation des Orts ist jedoch die gleichnamige Meeresströmung, der Agulhasstrom.

Während schon Kinder vom Golfstrom hören, ist eine der wichtigsten Meeresströmungen der Südhalbkugel hier zu Lande fast nur Ozeanografen bekannt. Dabei beeinflusst der Agulhasstrom sogar das Wetter in Europa, und er wird wahrscheinlich in einem zunehmend wärmeren Erdklima sogar immer wichtiger für unseren Kontinent. Die Strömung beginnt östlich von Mosambik, umrundet küstenparallel das Kap Agulhas und dringt noch dazu in den Atlantik ein. Am Kap der Guten Hoffnung, Afrikas Südwestspitze, macht der Strom abrupt kehrt und fließt als Agulhasrückstrom wieder in den Indischen Ozean. Ein Teil des Wasser bleibt aber im Atlantik und mischt in Europas Wetterküche mit. Er transportiert enorme Mengen Wärme und Salz – und stärkt dadurch den Golfstrom.

Das Kap der Nadeln

Wie weit der Arm des Agulhasstroms reicht, konnte Bartolomeu Dias am Ende des 15. Jahrhunderts nicht ahnen. Als der portugiesische Seefahrer 1488 als erster Europäer Afrikas Südspitze umsegelte, beschäftigte ihn vielmehr der hohe Wellengang in der rauen See. Weil zudem scharfe, gefährliche Klippen und Riffe die Umsegelung begleiteten, taufte er die Stelle Cabo das Agulhas, nach dem portugiesischen Wort für Nadeln. Als Nadelkap ist die Südspitze Afrikas auch heute noch bekannt, zumindest findet man den Begriff in älteren Atlanten. Es gibt aber noch eine andere Erklärung für den ungewöhnlichen Namen: Demnach trägt das Kap diesen Namen, weil damals, im ausgehenden 15. Jahrhundert, die Kompassnadel am Kap exakt nach Norden zeigte.

Mit beiden Theorien ist Arne Biastoch vertraut. Der Ozeanograf am Geomar in Kiel hat seine Doktorarbeit über den Agulhasstrom geschrieben und beschäftigt sich seither mit der Meeresströmung am anderen Ende der Welt. Vom fernen Norddeutschland aus hat er die Grundlagen erarbeitet, um die Geheimnisse der ungewöhnlichen Meeresströmung zu entschlüsseln. Als Student war ihm der Agulhasstrom natürlich schon ein Begriff, erzählt er, aber nur dem Aufenthalt eines Gastforschers aus Südafrika Mitte der 1990er Jahre ist es zu verdanken, dass er sich eingehender mit der Meeresströmung beschäftigte. Biastoch suchte damals ein Thema für eine Doktorarbeit, und der Gast aus Südafrika brachte seinen Doktorvater auf eine Idee. Zum Agulhasstrom gebe es kein Computermodell, um die Strömung um Südafrika zu beschreiben, sagte er beiläufig beim Mittagessen. Damit war das Thema gefunden: »Machen Sie doch mal ein Modell!«, hieß es später. Biastoch sagte zu.

Natürlich hatten die Meeresforscher eine grobe Vorstellung davon, wo und wie der Agulhasstrom verläuft. Immerhin hatte schon Vasco da Gama den warmen Strom auf seiner ersten Indienreise in den Jahren 1497 und 1498 bemerkt. »Zu übersehen ist er nicht«, sagt Biastoch. Doch wo er sich genau bildet, wie schnell er fließt, wie viel Wärme und Salz er transportiert und wie viel davon in den Atlantik gelangt, wusste man Mitte der neunziger Jahre noch nicht. Das lag daran, dass die Satelliten seinerzeit noch nicht gut genug waren und die Expeditionen immer »nur einen Schnappschuss« im sehr wirbeligen Ozean lieferten, wie Biastoch es nennt.

Mehr als alle Flüsse der Welt

Ebenfalls unklar war damals, wo genau der Strom einsetzt. Lange hatten die Ozeanografen angenommen, dass er sich schon in der Straße von Mosambik bildete und als kontinuierlicher Strom das Kap umrundete. Doch mit Fernbeobachtungen und Sonden allein ließ sich das Geheimnis des Stroms nicht lüften. Also programmierte Arne Biastoch ein numerisches Modell und fütterte es mit den wichtigsten Einflüssen, die auf Meeresströmungen wirken: Topografie des Meeresgrunds, Frischwasserflüsse, Salzgehalt und natürlich Wind.

Computermodell des Agulhasstroms | Die Abbildung zeigt eine Momentaufnahme der oberflächennahen Strömungsgeschwindigkeiten aus dem Ozeanmodell INALT20.

Seine Simulation zeigte eindeutig, dass der Agulhasstrom erst an der Grenze zwischen Mosambik und Südafrika einsetzte. Weiter im Norden, in der Straße von Mosambik zwischen afrikanischem Kontinent und Madagaskar, bilden sich hingegen Ozeanwirbel und kein kontinuierlicher Strom. Wie alle Meeresströme transportiert der Agulhasstrom unvorstellbare Mengen Wasser. »Der Strom hat eine Stärke von 65 bis 85 Sverdrup«, sagt Biastoch. Ein Sverdrup entspricht einem Volumen von einer Million Kubikmeter Wasser, das pro Sekunde bewegt wird. Alle Flüsse der Erde zusammen transportieren rund ein Sverdrup.

Sein enormes Volumen kennzeichnet den Agulhasstrom als Abschnitt der weltumspannenden thermohalinen Zirkulation, des globalen Förderbands von Wärme und Salz durch die Ozeane. Dieses Band, angetrieben durch Dichteunterschiede des Wassers, reguliert die Verteilung von Wärme in den Ozeanen und damit auch in der Atmosphäre. Der Agulhasstrom sorgt also für den Austausch von Salz und Wärme zwischen dem Indischen und dem Atlantischen Ozean.

Biastoch war mehrmals vor Ort, um sein Modell mit Messungen vor Ort abzugleichen und sich mit Experten auszutauschen. Ihn fasziniert, dass man den Strom schon nahe der Küste feststellen kann, das gibt es nur in wenigen Regionen der Erde, etwa am Golfstrom in Miami. Einmal, so erzählt er, habe er auf einem Forschungsschiff beobachtet, wie der Draht einer ins Meer gelassenen Sonde, der normalerweise lotrecht ins Wasser taucht, in steilem Winkel zur Bordwand abstand – so stark zog der Strom am Schiff.

Die Rettungsringe des Golfstroms

Mit einer Geschwindigkeit von zwei Metern pro Sekunde bewegt sich der Agulhasstrom von der Ostküste Südafrikas bis zum gleichnamigen Kap. Von dort fließt er als Rückstrom zurück in den Indischen Ozean. Bei der Kehrtwende schießt ein Teil des Wassers in den Atlantik und bildet ebenfalls gewaltige Ozeanwirbel, die Agulhasringe, die langsam nach Norden wandern. Diese gigantischen Wirbel, die wohl größten auf dem Planeten, haben bis zu 200 Kilometer Durchmesser. Am stärksten ausgebildet sind sie in den oberen 1000 Metern, sagt Biastoch, sind aber auch am Meeresgrund nachweisbar. Ein Viertel bis ein Drittel des transportierten Wassers aus dem Indischen Ozean bleibt am Ende im Atlantik, also etwa 15 Sverdrup.

Schießen die Wirbel über das Kap Agulhas in den offenen Atlantik hinaus, beginnt der Ferntransport von Salz und Wärme. Damit spielt der Strom eine Schlüsselrolle für die thermohaline Zirkulation, die für das Weltklima so wichtig ist. Die Wärme im Wasser sei allerdings zu vernachlässigen, sagt Arne Biastoch, die werde schnell an die Atmosphäre abgegeben und sei eher in tieferen Schichten ausgeprägt. »Entscheidend ist der Salzgehalt, der in den Atlantik eingetragen wird.« Dadurch erhöht sich die Dichte des Meerwassers im fernen Nordatlantik, mehr Wasser sinkt ab – die thermohaline Zirkulation beschleunigt sich. Kurzum: Der Golfstrom wird stärker.

»Rettungsringe für den Golfstrom« nannte Biastoch im Jahr 2009 diese Fernwirkung des Agulhasstroms auf die Warmwasserheizung vor unserem Kontinent; seine seither viel zitierte Studie dazu erschien in »Nature«. Und sie ist eine der überraschenden Erkenntnisse, die das Fachgebiet der Ozeanografie in den vergangenen Jahrzehnten gewann. Arne Biastoch konnte damals nachweisen, dass sich der Einstrom aus dem Indischen Ozean durch den Klimawandel erhöht. »Dieser Trend ist relativ klar«, sagt er. Doch wie genau, wie schnell und wie sich das auf Europa auswirkt, wird weiter intensiv erforscht. Biastochs Untersuchungen haben bislang gezeigt, dass der Transport mehrere Jahrzehnte dauert und Schwankungen unterliegt.

Der langsame Puls des großen Stroms

Diese dekadische Variabilität, also die über Jahrzehnte ablaufenden Schwankungen, ist unter Ozeanografen umstritten und wird gerade erforscht. »Die meisten Beobachtungszeiträume sind zu kurz, um Schwankungen über Jahrzehnte nachzuweisen«, sagt Biastoch. Die Modelle zeigen allerdings, dass es eine solche Variabilität gibt. Demnach gab es eine Hochphase in den 1990er Jahren, gefolgt von einer Abnahme, wie Biastoch mit Kollegen kürzlich in »Nature Communications Earth & Environment« schrieb. Aber selbst das Zeitfenster von 50 bis 60 Jahren, das die Forscher mittlerweile modellieren können, ist zu kurz, um darin die Schwankungsbreite zu erkennen.

Insofern ergeben sich für die Klimawissenschaft bei den Meeresströmungen große Unsicherheiten: Die Forscher fragen sich, ob etwa die Abschwächung des Golfstroms bereits ein anomales Ereignis ist, das sich nur mit dem Klimawandel erklären lässt – oder ob hier bloß eine natürliche Schwankung der Umwälzbewegung vorliegt. Die Forschungsgruppe um Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung geht davon aus, dass für die Abschwächung bereits der Klimawandel ursächlich ist, andere Forschungsgruppen sind da deutlich zurückhaltender. Sie sagen: Das wissen wir heute einfach noch nicht, die Signale sind uneindeutig, es herrscht Rauschen. Allerdings zeigen alle Klimamodelle für die Zukunft, dass es eine Abnahme geben wird. Einmal wegen der Erwärmung der Ozeane, anderseits durch den Eintrag des Schmelzwassers von Grönland.

Die Frage, die Arne Biastoch vor allem beschäftigt, ist, wie der Agulhasstrom diesem Trend entgegenwirken kann. Kompensieren können die Rettungsringe aus dem Agulhasstrom die Abschwächung des Golfstroms wahrscheinlich nicht, sagt er. Aber seinen zunehmenden Einfluss auf den Atlantik werden wir in Zukunft bei uns in Europa spüren. Die Frage ist nur, wie.

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