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Artenschutz: Ein Puma-Highway in Hollywood

Der Großraum Los Angeles war den Pumas lange eine gute Heimat. Doch plötzlich ist alles anders. Warum ein abgeknickter Schwanz zu einem Rettungsprojekt der Superlative führte.
Puma aus Santa Susana

Seit 2002 arbeitet Jeff Sikich nunmehr im kalifornischen Santa Monica Mountains National Park. Vieles hat er gesehen und erlebt seitdem. Viel Seltsames auch. So wie damals, als er zu einem Einsatz gerufen wurde, um einen Puma zu betäuben, der sich dann vor Ort als ein Meter hohe Skulptur entpuppte. Aber was er an jenem Märztag im Jahr 2020 entdeckte, das war so unheilvoll, wie es kurios war. Eigentlich hätte es ihn überraschen müssen.

Tat es aber nicht. »Ich hatte immer im Hinterkopf, dass es passieren könnte«, sagt Sikich. Nur gerechnet hatte er damit nicht.

Sikich hatte eine Käfigfalle aufgestellt und sie mit einem totgefahrenen Hirsch bestückt, um ein junges Pumamännchen anzulocken. Als die Falle zugeschnappt war, legte er das Tier mit seinem Betäubungsgewehr schlafen und sah sich seinen Fang genauer an. »Etwas an seinem Schwanz sah komisch aus«, erzählt er heute. Dessen Spitze stand rechtwinklig ab, so präzise, wie mit dem Geodreieck gezogen. Außerdem hatte das Männchen nur einen Hoden, der zweite hatte sich nicht abgesenkt. Der Biologe befestigte ein Sendehalsband an dem jungen Männchen. Nun konnten sie »P-81«, wie der 81. in der Region besenderte Puma fortan heißen sollte, aus der Distanz verfolgen.

Es sollte nicht der letzte Puma mit Gendefekten sein, den Sikich zu Gesicht bekam. Als der Biologe später Videoaufnahmen begutachtete, entdeckte er zwei weitere Katzen mit abgeknicktem Schwanz. Zwar konnte er ihre Hoden nicht beurteilen, die Katzenschwänze waren aber schon schlimm genug – ein unheilvolles Omen für eine so kleine Gruppe von Pumas.

Denn exakt dieselben genetischen Defekte hatten Fachleute vor 30 Jahren schon einmal gesehen, damals allerdings auf der anderen Seite des amerikanischen Kontinents, in Florida. Dort war eine andere Unterart der Pumas betroffen, der Florida-Panther. Die Katzen haben in den USA eine Vielzahl von Bezeichnungen, neben Puma vor allem »Cougar« oder eben auch »Panther«. Auf Deutsch kann man sie ebenfalls Berglöwen oder Silberlöwen nennen. In jedem Fall handelt es sich biologisch gesehen um dieselbe Art, Puma concolor.

Santa-Monica-Puma | P-81 weist genetische Defekte auf, die wohl durch Inzucht entstanden sind, darunter ein geknickter Schwanz.

Trotz der räumlichen und zeitlichen Entfernung zeigen nun die kalifornischen Pumas genau die gleichen Gendefekte, die seinerzeit als Vorboten für das Aussterben der Florida-Panther gehandelt wurden. »Es ist sicherlich ein schlechtes Zeichen«, sagt Stephen J. O'Brien, Gründer und Leiter des Laboratory of Genetic Diversity am National Cancer Institute im US-Bundesstaat Maryland. O'Brien arbeitete damals mit den Behörden Floridas zusammen, um die Florida-Panther zu retten. »Es ist ein Weckruf.«

Der Florida-Panther konnte nur gerettet werden, weil Menschen einen außergewöhnlichen Eingriff wagten. Bei der Rettung der Santa-Monica-Pumas wird das nicht anders sein – wenn auch auf andere Weise. Ein Glück, dass es die Unterstützung einer Katze gibt, die in den Hollywood Hills umherschleicht – ganz in der Nähe des berühmten weißen Schriftzugs.

Gemacht für die Jagd

Noch im 18. Jahrhundert streiften Pumas durch ganz Nord- und Südamerika. Auch heute kann man sie noch von Kanada bis Argentinien antreffen, allerdings sind ihre Verbreitungsgebiete zu einzelnen Flecken geschrumpft. Genetisch betrachtet ist Puma concolor nicht überall exakt dieselbe Katze. Dennoch sind alle Vertreter dieser Art leise, schnelle Jäger und zähe Kämpfer. Ihre langen, dünnen Körper sind wie für hohe Geschwindigkeiten gemacht. Von der Nasenspitze bis zum Ende ihres langen, schweren Schweifs messen Männchen 1,8 bis 2,4 Meter; Weibchen erreichen 1,5 bis 2,1 Meter in der Länge. Wenn sie sprinten, erreichen sie Geschwindigkeiten von bis zu 80 Stundenkilometern. Sie leben als Einzelgänger. Tagsüber schlafen sie, in der Abenddämmerung machen sie sich allein auf die Suche nach Beute. In der Wildnis werden Pumas etwa zwölf Jahre alt – sofern sie nicht überfahren oder von einem Artgenossen getötet werden.

Als Neugeborene sind Pumas niedliche kleine Flauschbälle mit gepunktetem Fell. Sind sie ausgewachsen, schreit geradezu alles an ihnen »Raubtier«. Mit dem leichten, aber starken Skelett, das den schweren Muskeln Halt gibt, ist der Pumakörper ganz auf die Jagd ausgelegt. Sie haben längere Hinterbeine als andere Großkatzen, mit denen sie bis zu 4,5 Meter hoch und beinahe 14 Meter weit springen, eine phänomenale Sprungfähigkeit. Dank ihr überraschen sie ihre ahnungslose Beute, indem sie wie aus dem Nichts kommend angeflogen kommen. Mit dem schweren Schwanz halten sie dabei das Gleichgewicht. Bei Verfolgungsjagden geben ihre knapp zwölf Zentimeter breiten Pranken den nötigen Halt für abrupte Richtungswechsel. Die darin verborgenen Krallen fährt die Katze erst aus, wenn sie nah genug ist, um sie in ihr Opfer zu schlagen. Dann erfolgt der kraftvolle Biss: 16 Zähne oben und 14 unten bohren sich in das Fleisch der Beute.

Pumas sind essenziell für die Gesundheit ihrer Ökosysteme. Sie halten die Population von Beutetieren in Schach. Außerdem verhelfen sie vielen anderen Fleischfressern zu einer Mahlzeit: Sie verschlingen ihre Beute selten auf einmal. Wenn sie satt sind, verstecken sie die Überreste für später. In der Zwischenzeit bedienen sich Vögel und Säugetiere von über 200 verschiedenen Arten an dem Fertiggericht. Im Anschluss ziehen die Insekten ein, manche von ihnen verbringen ihr ganzes Leben in den Tierkadavern. Die Insekten zerlegen die Überbleibsel und setzen dabei Nährstoffe in den Erdboden frei.

Damit diese ausgeklügelte Nahrungskette funktioniert, brauchen die Katzen viel Platz. Männchen bewegen sich in einem Umkreis von knapp 260 Quadratkilometern, Weibchen in einem Gebiet zwischen 50 und 155 Quadratkilometern. Genau hier liegt das Problem der Santa-Monica-Pumas.

Dort, wo Los Angeles in das Umland hineinwächst, liegt der Santa Monica Mountains National Park, der als größter »städtischer« Nationalpark der USA gilt. Seine Täler wurden mit Beton zugepflastert, hier verbinden einige der meist befahrenen Highways der Nation ein wachsendes Gebilde aus Wohn- und Bürogebäuden. Mit jedem Neubaugebiet, mit jeder neuen Shopping Mall gehen zigtausende Quadratmeter des Nationalparks verloren, manchmal bis zu 60 000 auf einmal. So fragmentiert wie die Landschaft ist auch die Pumapopulation: Die intakten Flecken werden immer kleiner, die Distanz zwischen ihnen immer größer. Im schlimmsten Fall schaffen es die Männchen nicht mehr, zu fortpflanzungsfähigen Weibchen zu gelangen. Auf diese Weise ist der Datingpool der kalifornischen Pumas gefährlich klein geworden – so wie es seinerzeit dem Florida-Panther geschah.

Die Rettung der Sumpfkatzen

Die meisten Florida-Panther leben in einem sumpfigen Quellgebiet der Everglades, der Big Cypress National Preserve. Sie sind die letzten Überbleibsel jener Tiere, die die spanischen Entdecker und die ersten Siedler als »Löwen« oder »Catamounts« bezeichneten. Pumas lebten einst im gesamten Südosten des Landes, seit den 1980er Jahren gibt es östlich des Mississippi nur noch die Florida-Panther.

Als sie ihren Lebensraum verloren und ihre bevorzugte Beute abwanderte, sank ihr Bestand auf nicht mehr als 30 Tiere. Manche Schätzungen gehen sogar davon aus, dass nur eine einstellige Zahl von Pumas übrig blieb. In so einer kleinen Population war Inzucht unvermeidlich. Väter paarten sich mit ihren eigenen Töchtern, Brüder mit ihren Schwestern und Mütter mit ihren Söhnen. Nach kurzer Zeit bekamen die Pumas Nachwuchs mit Knick im Schweif und Hodenhochstand. Einige von ihnen hatten sogar Atriumseptumdefekte – Löcher in der Herzwand. Es war, als wären sie gegen eine biologische Wand gefahren.

Populationen, in denen es eine große genetische Vielfalt gibt, sind überlebens- und anpassungsfähiger. Ist die genetische Vielfalt gering, kann schon eine einfache Infektionskrankheit den gesamten Bestand dahinraffen. Die Gendefekte der Florida-Panther waren sichtbare Anzeichen eines unsichtbaren Verfalls. Von den Spermien der Pumamännchen seien sechs Prozent gesund gewesen, sagt O'Brien. 94 Prozent der Samen hätten Fehlbildungen gezeigt. Einige Fachleute schlugen daher ein Aufzuchtprogramm vor, um die Pumapopulation zu stärken. Jungtiere sollten in freier Wildbahn eingefangen und in einer Spezialeinrichtung aufgezogen werden. Die ausgewachsenen Tiere wiederum hätte man gezielt miteinander paaren können, um eine genetisch vielfältigere Pumapopulation heranzuzüchten. Der Plan wurde jedoch nie in die Tat umgesetzt, weil alle für die Aufzucht in Frage kommenden Jungtiere bereits Gendefekte aufwiesen.

Schließlich bewilligte die zuständige Naturschutzbehörde, der U.S. Fish and Wildlife Service (USFWS), ein bisher beispielloses Experiment. Im Jahr 1995 wurde der Fährtensucher Roy McBride damit beauftragt, acht Pumaweibchen in Texas einzufangen und sie in Florida auszusetzen. Die Hoffnung war, dass sich Florida-Panther und texanische Pumas erneut paaren würden, ganz so wie sie einst getan hatten, als sich ihre beiden Lebensräume noch überschnitten. Tatsächlich bekamen fünf der acht Pumaweibchen Jungen ohne Gendefekte. Die gesunden Nachkommen lösten einen Babyboom unter den Pumas aus. Heute pirschen schätzungsweise 130 bis 200 ausgewachsene Pumas durch die Überreste der Wildnis Floridas.

Vorsicht vor Bär und Puma | Das Schild im texanischen Big Bend National Park warnt davor, dass auch die einzelgängerischen Großkatzen dem Menschen gefährlich werden können. Der Texas-Cougar ist im Staat so häufig, dass er als Plage gilt und von jedem, der eine Jagdlizenz besitzt, abgeschossen werden darf.

Bis zu diesem Zeitpunkt war ein solches Experiment nicht durchgeführt worden, weil man fürchtete, dass die Nachkommen nicht mehr als gefährdete Art eingestuft würden. Kritische Stimmen gaben zu bedenken, dass die Jungen aus der Kreuzung zwischen Florida-Panthern und texanischen Pumas nicht mehr zu den Florida-Panthern zählen und deshalb rechtlich nicht unter das Artenschutzgesetz fallen würden. Der USFWS setzte daraufhin provisorische Regelungen in Kraft, die eine Fortführung des Unterfangens sicherstellten. Die andere Angst: Die Gene der texanischen Weibchen könnten das Erbgut der Florida-Panther verdrängen. Denn der »Texas-Cougar«, wie er meist genannt wird, und der Florida-Panther gehören zwar zur selben Art, dennoch gibt es charakteristische Unterschiede zwischen den beiden im Erbgut, die nahelegen, dass sie verschiedene Unterarten von Puma concolor sind.

Im Nachhinein belegten zwei Studien unabhängig voneinander, dass die befürchtete genetische Verdrängung nicht stattgefunden hatte. Eine Studie analysierte die Genproben von fast 600 Florida-Panthern, die seit 1981 gesammelt worden waren, und verglich ihr Erbgut mit dem der Pumas, die nach Einführung der texanischen Katzen geboren worden waren. Laut der Studie hatte sich der Bestand der Florida-Panther im Vergleich verdreifacht und die genetische Diversität verdoppelt. Überleben und Fortpflanzungserfolg verbesserten sich, die Inzucht nahm ab. Künftig müssen alle 20 Jahre fünf texanische Pumaweibchen eingeführt werden, um Inzucht zu vermeiden und die Florida-Panther vor dem Aussterben zu bewahren – vorausgesetzt, für die Pumas gibt es dann noch genug Platz in einer Landschaft, die sich die Menschen rasant aneignen.

So erfolgreich das »genetische Rettungsprogramm« der Florida-Panther bisher gewesen sein mag: Die kalifornischen Pumas benötigen eine anders geartete Hilfe, denn ihr Lebensraum ist noch viel stärker durch Fragmentierung geprägt. Um ihnen in dem Flickenteppich, in dem sie leben, eine Zukunft zu eröffnen, braucht es allerdings mehr Beton, nicht weniger.

Ein Aussterben scheint unausweichlich

Als John Benson vor fünf Jahren an einer Studie über Santa-Monica-Pumas schrieb, hatte er immer auch das Schicksal der Florida-Panther im Hinterkopf. Taugen sie als mahnendes Beispiel für ihre kalifornischen Artgenossen? Welche Lehre könnte man daraus ziehen? Konkret befasste sich der Wildtierökologe vom La Kretz Center for California Conservation Science der University of California in Los Angeles mit zwei Pumagruppen, die durch Neubauten von der Hauptpopulation in der Gegend abgeschnitten waren. Mit welcher Wahrscheinlichkeit werden sie binnen 50 Jahren ausgestorben sein? Das war die Frage, die sich Benson und sein Team stellte.

Die Florida-Panther hatte er bereits in seiner Zeit bei der Florida Fish and Wildlife Conservation Commission eingehend studiert. Er kannte sich also aus. Benson wusste auch von dem Zwiespalt, in den der Artenschutz gerät, wenn er es mit einem Spitzenraubtier wie dem Puma zu tun hat.

Einerseits haben die attraktiven Pumas viele Fans in der Öffentlichkeit und auch in der Politik, andererseits werden sie wegen ihrer Größe und Gefährlichkeit zurecht gefürchtet. Zwar vermeiden Pumas den Kontakt zu Menschen, wo es geht. Doch das erleichtert zum einen nicht gerade die Schutzbemühungen, zumal jedes Tier seine eigene, ganz spezielle Persönlichkeit mitbringt. Und zum anderen besteht die Gefahr, dass es bei einer Populationszunahme doch vermehrt zu Konflikten mit Menschen kommt. So lastet auf dem Artenschutz doppelter politischer Druck.

In der Studie, die Benson gemeinsam mit Sikich, dessen Kollegen Seth Riley und weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern veröffentlichte, beschrieb die Gruppe verschiedene Zukunftsszenarien. Ihr Computermodell sagte eine akzeptable Reproduktionsrate voraus und dass die Population stabil bleiben würde. Dass die Wahrscheinlichkeit eines Aussterbens in den nächsten 50 Jahren nur 16 bis 21 Prozent betrug, lag vor allem an der nach wie vor intakten Buschlandschaft, in der die Tiere leben, und an der hohen Verfügbarkeit von Beutetieren. »Natürlich wird in den Santa Monicas viel gebaut, und überall sind Straßen. Aber rund 90 Prozent der Landschaft ist noch einigermaßen naturbelassen, und die Hälfte davon ist sogar in öffentlicher Hand«, sagt Riley.

Das Problem aber, erklärt er, sei, dass »die Santa Monica Mountains für sich genommen nicht groß genug sind für eine überlebensfähige Population, weder demografisch noch genetisch. Und es fehlt ein guter Zugang zu anderen Naturgebieten.« Preist man den Mangel an genetischer Vielfalt im Modell mit ein, ändert sich die Prognose dramatisch. Laut Benson ist das die Folge derselben so genannten Inzuchtdepression, die schon den Florida-Panthern zu schaffen machte. Sowohl die Pumas in den Santa Monica Mountains als auch die in den Santa Ana Mountains im Orange County wiesen bereits die geringste genetische Vielfalt auf, die je für Pumas dokumentiert worden war – abgesehen von ihren Artgenossen in Florida vor der Intervention. Nun habe jeder Durchlauf ihres Modells ergeben, dass die Katzen in den nächsten 50 Jahren wahrscheinlich aussterben würden, sagt Benson.

Als Benson und seine Koautoren ihre Studie veröffentlichten, ahnten sie noch nicht, dass die ersten Anzeichen von Gendefekten schon so bald in Erscheinung treten würden. Dass sie kommen würden, war ihnen klar. Denn das größte Hindernis, das dem Erhalt der Pumas entgegensteht, blockiert den Weg bereits seit 1950.

Gefangen in den Santa Monica Mountains

Los Angeles ist eine Stadt der Highways. Der größte von ihnen, der U.S. Highway 101, verbindet L. A. mit San Francisco im Süden und dem pazifischen Nordwesten im Norden. Die acht- bis zehnspurige Autobahn wird von rund 300 000 Fahrzeugen pro Tag befahren. Und hindert die Santa-Monica-Pumas daran, zu der viel größeren Population ihrer Artgenossen im rund 7700 Quadratkilometer großen Los Padres National Forest zu gelangen.

Rund einem Dutzend Pumas der Santa Monica Mountains hätten sie Halsbänder zur Funkpeilung angelegt, sagt Riley. Die Daten zeigten, wie die Männchen bis zur Route 101 wanderten, den Verkehr sahen und wieder kehrtmachten. Der Lebensraum in den Santa-Monica-Bergen sei eigentlich nicht schlecht, sagt Riley, »sie finden viele Hirsche dort«. Aber wegen des Highways können sie sich nur mit nahen Verwandten paaren.

Dann, im Jahr 2009, geschah ein Wunder. Der zwölfte Puma, den sie besendert hatten, P-12, hatte einen Weg über den Highway gefunden. Das war in einer Gegend namens Liberty Canyon geschehen, wo die Autobahn beiderseits von Natur umgeben ist. »Das war eine ziemlich große Sache«, erinnert sich Riley, »weil er die Straße nicht nur sicher überquert und überlebt, sondern auch noch Nachwuchs gezeugt hat.«

Einige wenige andere Pumas sind seitdem dem Beispiel von P-12 gefolgt, vor allem in der Nacht, wenn der Verkehr weniger dicht ist. Einer von ihnen hat sich eine 1,8 Meter breite unterirdische Wasserleitung zu Nutze gemacht und den Highway 42-mal in weniger als einem Jahr überquert, wie Riley erzählt. Dann aber erlag der Puma seinen Verletzungen, die er sich bei einem Waldbrand zugezogen hatte. Seitdem hat keine Katze mehr die lange, dunkle Wasserleitung betreten.

Theoretisch könnte man Santa-Monica-Pumas einfangen und dahin verfrachten, wo die genetische Vielfalt höher ist. Oder ihnen umgekehrt Weibchen aus stabileren Populationen zuführen, so wie damals in Florida. Doch für die Biologinnen und Biologen aus Kalifornien kam all das nicht in Frage. Zu invasiv erschien ihnen eine solche Maßnahme, zu hoch das Risiko, den Pumas durch das traumatische Einfangen zu schaden. Dass die Tiere auch von sich aus immer wieder die Reviere wechselten, brachte sie jedoch auf eine Idee: Könnte man nicht einen sicheren Überweg über den Highway bauen? Der würde sie wieder in Kontakt mit ihren Artgenossen der nördlich gelegenen Sierra Madre Mountains bringen.

Bei der Umweltschutzbehörde zog man zunächst einen Tunnel in Betracht, verwarf die Idee jedoch wieder als zu teuer und mit zu viel Störung für den Verkehr verbunden. Außerdem gäbe es keine Garantie, dass die Tiere ihn tatsächlich nutzen würden. Damit blieb nur eine Option: Eine Überführung oberhalb der Route 101, die den Pumas jederzeit ermöglichen würde, den Highway von beiden Seiten aus zu überqueren. Eine trichterförmige Umzäunung an beiden Enden der Brücke würde die Pumas in die richtige Richtung leiten, ohne dass sie in den Autoverkehr geraten würden. »Wenn wir ihnen einen mit Pflanzen bewachsenen Überweg beschaffen, machen sie das im Idealfall von allein«, sagt Sikich – kein Einfangen, kein Transportieren nötig.

Nach Beratungen mit Wildtierexperten und dem für die Highways zuständigen California Department of Transportation, genannt Caltrans, legten die Nationalparkbehörden Pläne für einen 50 Meter breiten Übergang vor, der knapp fünf Meter über dem Asphalt verlaufen sollte. Im Norden würde er in einen Hang übergehen, im Süden sanft abfallen. Die Oberseite wäre so gestaltet, dass sie wie die Landschaft der Umgebung aussieht, Schallschutzwände halten den Lärm der Autos fern. Es wäre die größte Wildtierbrücke der Welt. Kostenpunkt: geschätzte 87 Millionen US-Dollar.

Wildtierbrücke über dem Highway 101 | So könnte der weltweit größte Überweg für Tiere aussehen, wenn er fertig gebaut ist.

Am besten wäre sie dort aufgehoben, wo P-12 erstmals den Highway überquerte: in Liberty Canyon, wo es zu beiden Seiten der Straße dichten Bewuchs gibt. Die Pumas könnten ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit nutzen, ohne Gefahr zu laufen, versehentlich überfahren zu werden. Vielleicht würden sie nicht einmal bemerken, dass sie sich durch ein Bauwerk aus Menschenhand bewegen. Die Gegend um diesen Abschnitt des Highways ist ideal, um die beiden Pumagruppen zu vernetzen, denn sie steht bereits unter Naturschutz, nach Norden und Süden geht sie sogar in größere geschützte Landstriche über.

Solche Grünbrücken wurden erstmals in den 1950er Jahren von Naturschützern in Frankreich eingeführt. Seitdem erfreuen sie sich in Europa wachsender Beliebtheit. Und langsam auch in den USA. So wurde im Jahr 2018 in Park City, Utah eine 97 Meter lange und 15 Meter breite Brücke eröffnet, um Elchen, Hirschen, Rehen und anderen Wildtieren einen Weg über die sechsspurige Interstate 80 zu ermöglichen. Die Liberty-Canyon-Brücke hat jedoch ein Problem: Caltrans fehlt das Geld für den Bau eines Puma-Highways. Und genau hier kommt der Papp-Puma ins Spiel.

Ein einsamer Junggeselle wird zum Publikumsliebling

Beth Pratt von der National Wildlife Federation, der größten Umweltschutzorganisation der USA, hatte in den Yosemite- und Yellowstone-Nationalparks gearbeitet und kannte die einsame Wildnis und ihre Tierwelt. Als sie erfahren habe, dass es in den Bergen am Stadtrand von L. A. Pumas gibt, sei sie schier vom Glauben abgefallen. »Das hat meine Sicht auf die Tierwelt auf den Kopf gestellt«, sagt sie. Nachdem sie zur regionalen Geschäftsführerin des California Regional Centers der Umweltorganisation wurde, bot sie den Biologinnen und Biologen in Santa Monica die Unterstützung ihrer Organisation an. »Und die sagten dann: ›Naja, es gäbe da diesen kleinen Überweg, den wir bauen wollen.‹«

Daraufhin setzte sie sich Verantwortlichen von Caltrans in Verbindung. »Caltrans hat enorm viel Unterstützung angeboten«, sagt Pratt. »Sie haben mir gesagt: ›Wir haben das Geld nicht, aber wenn Sie uns das Geld besorgen, bauen wir ihn.‹« Ihre Abmachung lautete, dass 80 Prozent des Geldes – mehr als 69 Millionen US-Dollar – aus privaten Spenden kommen sollen und die restlichen 20 Prozent aus öffentlichen Fonds für Umweltschutzprojekte. Zudem muss die Summe bis zum Beginn der Bauarbeiten nicht vollständig aufgebracht worden sein.

Stadt der Pumas | Den Großraum Los Angeles bewohnen über 18 Millionen Menschen. Doch an ihren Ausläufern geht die Stadt in weiträumige, relativ naturbelassene Bereiche über. Sogar der Griffith Park mit Observatorium (Vordergrund) und Hollywood-Schriftzug (Hintergrund) beherbergt einen Puma.

Die National Wildlife Federation startete die Spendenkampagne »Save LA cougars«, um das Geld zur Rettung der Pumas rund um Los Angeles aufzutreiben. Sie suchten ein Maskottchen aus, das mit Sicherheit die Sympathien der Öffentlichkeit gewinnen würde: ein männlicher Berglöwe, P-22, der sich im Jahr 2012 ausgerechnet im Griffith Park niederließ, wo der berühmte Hollywood-Schriftzug steht. Gentests belegten, dass die Katze ursprünglich aus der in den Santa Monica Mountains beheimateten Population stammte.

Das Tier hatte sowohl die 101 als auch einen anderen großen Highway, die I-405, überquert, um zu seinem aktuellen Zuhause zu gelangen. Trotz der urbanen Umgebung bietet der Griffith Park dem Männchen reichlich Nahrung und Rückzugsorte, an denen er sich tagsüber verstecken kann. Als einziger Berglöwe in dem 15 Quadratkilometer großen »Stadtpark« ist er das ideale Maskottchen der Kampagne. »Es geht hier um einen einsamen Junggesellen, der dazu verdammt ist, niemals eine Freundin zu haben«, sagt Pratt. »Ihm flogen sofort die Herzen der Leute zu.« P-22 sei ein »perfektes Opfer«, weil man sich so leicht mit ihm identifizieren kann.

Pratt ließ einen lebensgroßen Pappaufsteller von P-22 anfertigen, den sie zu Spendenaktionen in ganz Los Angeles und darüber hinaus mitnimmt. Sie konnte bekannte Persönlichkeiten wie den Schauspieler Sean Penn und den kalifornischen Abgeordneten Adam Schiff dazu überreden, mit der Kartonkatze zu posieren, um noch mehr Aufmerksamkeit auf die Notlage der Pumas zu lenken. Das Projekt sei viral gegangen, sagt sie: »Wir haben Spenden aus London, aus Florida bekommen. Ein Paar aus Kansas, das noch nie in Kalifornien war, hat uns 500 000 Dollar geschenkt.« Jeden Oktober feiert Los Angeles sogar einen »P-22-Tag« mit vielen Feierlichkeiten, um auf die Pumas aufmerksam zu machen und Geld zu sammeln. Im letzten Herbst fand das Fest, wie so viele andere auch, gezwungenermaßen online statt. Das habe eine kreativere Vorgehensweise erforderlich gemacht, sagt Pratt: »Wir haben ein paar Spieleentwickler engagiert, um Computerspiele zu programmieren.« Bei einem zum Beispiel musste P-22 mit einem Jetpack über die Autobahn fliegen.

Es gibt immer wieder Menschen, die den Sinn des Übergangs in Frage stellen, aber insgesamt sind es nur wenige. Während der Umweltverträglichkeitsprüfung »gab es mehr als 8000 Stellungnahmen für das Projekt und nur 15 dagegen«, erzählt Pratt. Von allen Seiten des politischen Spektrums hätten sich Menschen hinter die Sache gestellt, weil sie Tiere lieben, »und das hier ist ein handfestes Problem, das es zu lösen gilt«.

Im Mai dieses Jahres knackte die Spendenkampagne die 44-Millionen-Dollar-Marke, mehr als genug, um in die finale Gestaltungs- und Entwicklungsphase zu gehen. Im Juli billigte Gouverneur Gavin Newsom einen Landeshaushalt, der sieben Millionen Dollar für die Wildbrücke im Liberty Canyon vorsieht. Caltrans rechnet damit, den ersten Spatenstich im November zu machen. Das Ziel ist, den Übergang bis 2023 für die Berglöwen zu eröffnen. Es gebe keinen Plan B für die Katzen, sagt Pratt. Sie glaubt auch nicht, dass ein solcher vonnöten sein wird. Wird das Spendenziel nicht erreicht, »würde das nur den Baubeginn verzögern, das Projekt aber nicht verhindern. Zu diesem Zeitpunkt gehen wir aber nicht mal von Verzögerungen aus.«

Nun, da P-81 und zwei andere Katzen mit Knick im Schweif aufgetaucht sind, wurde die Spendenkampagne zu einem Rennen gegen die Zeit. »Ihre genetische Vielfalt wird wahrscheinlich weiter schwinden«, sagt Benson. Niemand könne sagen, ab welchem Zeitpunkt die Gendefekte zum Aussterben führen, aber »wir wollen es auch nicht abwarten«. Und wenn es ihnen sogar gelänge, große Raubtiere am Stadtrand von Los Angeles zu schützen, verheiße das doch Gutes für ihren Schutz im ganzen Rest des Landes, findet Benson.

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