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Neurodegenerative Erkrankungen: Beginnt Parkinson im Darm?

Breiten sich bei Parkinsonpatienten Proteinablagerungen vom Darm ins Gehirn aus? Forscher haben nun im Tiermodell erstmals nachvollzogen, wie dieser Prozess vonstattengehen könnte.
Neurone

Mehr als 200 000 Menschen in Deutschland leben Schätzungen zufolge mit der Parkinsonkrankheit, in ganz Europa sind es mehr als eine Million. Bei den Betroffenen gehen Nervenzellen, die den Botenstoff Dopamin produzieren, in einer Hirnstruktur namens Substantia nigra rapide zu Grunde. Die Folge davon sind die typischen Symptome der umgangssprachlich auch als »Schüttellähmung« bezeichneten Erkrankung: verlangsamte Bewegungen, Sprach- und Koordinationsschwierigkeiten, steife Muskeln, Zittern.

Der Grund für das Absterben der Neurone sind vermutlich fehlgefaltete Alpha-Synuclein-Proteine, die sich in den Zellen zu Fibrillen zusammenlagern – und womöglich andere Alpha-Synuclein-Proteine dazu anregen, sich ebenfalls falsch zu falten. Inzwischen mehren sich die Hinweise darauf, dass diese Fibrillen bei den Betroffenen nicht nur im Gehirn zu finden sind: Auch im Darm kann sich Alpha-Synuclein offenbar unter anderem ablagern. Zudem klagen viele Patienten schon lange vor dem Auftreten der Bewegungsstörungen über Magen-Darm-Beschwerden, selbst Hinweise auf ein verändertes Mikrobiom gibt es. 2003 stellte der deutsche Neuroanatom Heiko Braak vom Universitätsklinikum Ulm gemeinsam mit seiner Arbeitsgruppe deshalb die Theorie auf, die Parkinsonkrankheit könne womöglich sogar in den Schleimhautzellen des Magen-Darm-Trakts ihren Ursprung haben: Äußere Einflüsse sorgen dafür, dass die Alpha-Synuclein-Proteine sich dort verändern. Anschließend wird die Krankheit über den Vagusnerv, der an der Regulierung der Tätigkeit der inneren Organe beteiligt ist, bis ins Gehirn verbreitet.

Forschern um Sangjune Kim von der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore ist es nun gelungen, diesen Krankheitsverlauf erstmals detailliert in einem Tiermodell nachzuvollziehen. Dazu injizierten die Wissenschaftler Mäusen fehlgefaltete Alpha-Synuclein-Proteine in das Muskelgewebe von Dünndarm und Magenausgang. Einen Monat später, so konnten sie beobachten, hatten sich die Alpha-Synuclein-Ablagerungen bereits bis in den Hirnstamm ausgebreitet. Nach drei Monaten waren auch die Substantia nigra, die Amygdala, die für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist, sowie der Hypothalamus und der präfrontale Kortex betroffen. Sieben Monate nach der Injektion konnten Kim und Kollegen die Fibrillen schließlich auch im Hippocampus, der eine entscheidende Rolle bei der Gedächtnisbildung spielt, im Striatum und im Riechkolben ausmachen. Vor allem aber waren zu diesem Zeitpunkt merklich Dopamin produzierende Nervenzellen in der Substantia nigra verloren gegangen, und die Mäuse zeigten nun neben den typischen Bewegungsstörungen weitere Begleiterscheinungen, die oft mit einer Parkinsonerkrankung beim Menschen einhergehen: depressives und ängstliches Verhalten, kognitive Einbußen sowie Gedächtnisprobleme. Durchtrennten die Forscher hingegen den Vagusnerv direkt nach der Alpha-Synuclein-Injektion, zeigten die Mäuse keine Parkinsonsymptome und auch keine Ablagerungen im Gehirn.

Übertragung vom Gehirn in den Darm ebenfalls möglich

»Aus klinischer Perspektive gibt es bereits eine epidemiologische Studie, die zeigt, dass eine Vagotomie (Durchtrennen des Vagusnervs; Anm. d. Red.) im Rumpf mit einem verringerten Risiko einhergeht, an Morbus Parkinson zu erkranken«, sagt Anja Schneider, Direktorin Gerontopsychiatrie der Klinik für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie am Universitätsklinikum Bonn und Gruppenleiterin im Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Es sei durchaus vorstellbar, dass Nahrung, Entzündungsprozesse oder das Mikrobiom im Darm zu einer lokalen Aggregation von Alpha-Synuclein-Fibrillen im Verdauungstrakt führen und es dann von dort aus zu einer Verbreitung kommen könne. »Im Mausmodell konnte allerdings auch gezeigt werden, dass es offenbar eine Rückwärtsverbreitung der Pathologie gibt, also aus dem Vagusnerv in den Darm«, so die Expertin. Was genau sich aus diesem Grundlagen-Paper für die Patienten ableiten lässt, sei deshalb unklar. Zudem seien die experimentellen Bedingungen in dem Mausmodell sehr artifiziell, da die Forscher Alpha-Synuclein-Aggregate in hohen Dosen in den Dünndarmmuskel injizierten.

Diese Einschätzung teilt auch Walter J. Schulz-Schaeffer, Direktor des Instituts für Neuropathologie am Universitätsklinikum des Saarlandes: »Wir wissen, dass dieser Ausbreitungsprozess entlang von Nerven nicht nur in Richtung des Gehirns, sondern auch aus dem Gehirn in Richtung des Körpers möglich ist. Die Parkinsonkrankheit entwickelt sich höchstwahrscheinlich 20 bis 30 Jahre unerkannt im Körper, bevor klinische Beschwerden auftreten. Die Erkenntnis, dass der Krankheitsprozess sich über Magen und Darm steuernde Nerven ausbreiten kann, bedeutet daher nicht, dass die Krankheit im Magen-Darm-Trakt entstehen muss, aber dass sie den Magen-Darm-Trakt einbeziehen kann. Dieses könnte die Möglichkeit eröffnen, Parkinson frühzeitiger im Krankheitsverlauf zu erkennen als bisher.«

Kim und Kollegen wollen ihr Modell nun im nächsten Schritt an nichtmenschlichen Primaten testen. Außerdem werden sie sich auf die Suche nach gastrointestinalen Biomarkern begeben, mit denen sich die Krankheit schon in ihrem symptomlosen Stadium erkennen lässt – und schließlich nach einer Möglichkeit, die Ausbreitung über den Vagusnerv vielleicht einzudämmen.

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