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Sars-CoV-2: Coronaviren in Japan und Kambodscha eng verwandt mit Pandemievirus

Erstmals haben Forscherteams Verwandte von Sars-CoV-2 in Fledermäusen außerhalb Chinas gefunden. Sie könnten verraten, ob das Pandemievirus direkt vom Tier auf den Menschen übersprang oder über einen Zwischenwirt wanderte.
All jene Genvarianten, die Sars-CoV-2 besonders machen, finden sich im Erbgut von Coronaviren, die in diversen Fledermausarten kursieren.

Zwei Laborkühlschränke in Asien haben eine überraschende Entdeckung bereitgehalten. Wie Forscher dem Magazin »Nature« berichteten, haben sie in Fledermäusen, die in einem Gefrierschrank in Kambodscha gelagert waren, ein Coronavirus gefunden, das eng mit Sars-CoV-2 verwandt ist. Zudem hat ein Team in Japan über die Entdeckung eines weiteren eng verwandten Coronavirus berichtet, das man ebenfalls in gefrorenem Kot von Rhinolophus-Fledermäusen, auch Hufeisennasen genannt, entdeckt hat.

Die Viren sind die ersten bekannten Verwandten von Sars-CoV-2, die Teams außerhalb Chinas gefunden haben. Es gibt bereits starke Hinweise dafür, dass Sars-CoV-2 von Hufeisennasen ausging. Doch ob der Erreger direkt von den Fledermäusen auf Menschen oder über einen Zwischenwirt wanderte, ist bislang rätselhaft.

Das Virus in Kambodscha steckte in zwei Rhinolophus shameli, die 2010 im Norden des Landes gefangen worden waren. Das Genom des Virus ist noch nicht vollständig sequenziert, und die bisherigen Daten sind unveröffentlicht, so dass sich nicht abschließend sagen lässt, wie bedeutsam die Funde tatsächlich sind. Doch relevant sind sie allemal.

Die Coronavirus-Entdeckungen sind aufregend

Sollte das Virus sehr eng mit dem Pandemievirus verwandt sein – oder sogar ein Vorfahre davon –, könnte es entscheidende Informationen darüber liefern, wie Sars-CoV-2 von Fledermäusen auf Menschen übertragen wurde, sagt Veasna Duong, Virologin am Pasteur-Institut in Kambodscha in Phnom Penh. Sie hat die Erregersuche in Kambodscha geleitet und »Nature« Anfang November auf die Entdeckung aufmerksam gemacht.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Um bei der Suche nach dem tierischen Ursprung der Pandemie hilfreich zu sein, müsste der Erreger 97 Prozent seines Genoms mit Sars-CoV-2 teilen. Falls das nicht der Fall ist, sei das Virus trotzdem nützlich, weil es Wissenschaftler mehr über die Vielfalt der Coronavirusfamilie lehren könne, sagt Etienne Simon-Loriere, Virologe am Pariser Pasteur-Institut. Er plant, das Virus zu sequenzieren und die Informationen anschließend öffentlich zu machen.

So der Fall bei Virus Rc-o319. Forscher haben diesen Typ in einer Rhinolophus cornutus identifiziert, die 2013 gefangen wurde. Es teilt 81 Prozent seines Genoms mit Sars-CoV-2, wie ein am 2. November veröffentlichtes Papier belegt.

Ganz gleich, was die Analyse des kambodschanischen Teams letztlich ergibt, beide Entdeckungen sind aufregend. Sie bestätigten, dass Viren, die eng mit Sars-CoV-2 verwandt sind, bei Rhinolophus-Fledermäusen relativ häufig vorkommen, sogar bei Exemplaren außerhalb Chinas, sagt Alice Latinne, eine Evolutionsbiologin der Wildlife Conservation Society Vietnam in Hanoi. Latinne hat einige der Analysen des kambodschanischen Teams begutachtet, war aber nicht an der Untersuchung beteiligt.

Der engste bekannte Verwandte von Sars-CoV-2 heißt RaTG13

Und noch eine weitere Vermutung lassen die gekühlten Viren zu: Dass weitere, bis jetzt unentdeckte Sars-CoV-2-Verwandte in Laborgefrierschränken lagern, sagt Aaron Irving, ein Forscher der Zhejiang Universität in Haining, China. Er möchte gespeicherte Proben der Fledermäuse und anderer Säugetiere auf Antikörper gegen Sars-CoV-2 prüfen.

Nur eine Hand voll bekannter Coronaviren sind eng mit Sars-CoV-2 verwandt, darunter RaTG13. Es wurde 2013 bei Java-Hufeisennasen (Rhinolophus affinis) in der chinesischen Provinz Yunnan entdeckt und erst Anfang dieses Jahres veröffentlicht. Forscherteams haben zudem mehrere andere Coronaviren in Rhinolophus-Fledermäusen und Pangolinen gefunden, die zwischen 2015 und 2019 gefangen wurden. Von ihnen wissen Wissenschaftler jetzt, dass sie eng mit Sars-CoV-2 verwandt sind.

»Sars-CoV-2 war wahrscheinlich kein brandneues Virus, das ganz plötzlich auftauchte«, sagt Tracey Goldstein, stellvertretende Direktorin des One Health Institute an der Universität von Kalifornien, Davis. »Viren in dieser Gruppe existierten, bevor wir 2019 auf sie aufmerksam wurden«, sagt Goldstein weiter, die mit dem kambodschanischen Team zusammenarbeitet. Laut Latinne bestätigen die Entdeckungen, dass Rhinolophus-Fledermäuse das Reservoir solcher Viren sind.

Etwa 70 Prozent des neuen Kambodscha-Virus sind sequenziert

Duongs Team erbeutete Rhinolophus shameli in Kambodscha im Rahmen des von der US-Regierung finanzierten PREDICT-Projekts, dessen Mitarbeiter jahrzehntelang weltweit Wildtiere auf Viren mit Pandemiepotenzial untersucht haben. Im April gewährte die US-Agentur für Internationale Entwicklung dem Programm zusätzliche drei Millionen US-Dollar und eine sechsmonatige Verlängerung, um nach Beweisen für Sars-CoV-2 in Tierproben – hauptsächlich Fledermäuse sowie Schuppentiere und andere Tiere – zu suchen, die in Laborgefrierkammern in Laos, Malaysia, Nepal, Thailand, Vietnam und Kambodscha lagern. Ein vollständiger Bericht über diese Untersuchungen wird in den kommenden Wochen erwartet.

Duong sagt, die vorläufige Genomsequenzierung eines kurzen Fragments des neuen Fledermausvirus – 324 Basenpaare lang – habe gezeigt, dass es den entsprechenden Regionen in Sars-CoV-2 und RaTG-13 ähnele. Das lässt darauf schließen, dass die drei eng miteinander verwandt sind. Doch auf Basis solch eines kurzen Fragments haltbare Schlüsse zu ziehen, ist schwierig. Die Genome der meisten bekannten Coronaviren enthalten etwa 30 000 Basenpaare.

Das Team in Kambodscha hat bislang etwa 70 Prozent des Genoms des neuen Virus mit der vor Ort verfügbaren Technologie sequenziert, sagt Erik Karlsson, ein Virologe am Institut Pasteur in Kambodscha, der bei der Analyse half. In der untersuchten Sequenz fehlten jedoch die Anweisungen für wichtige Teile des Virus, wie die Gene, die das Spikeprotein kodieren. Damit dringen Coronaviren typischerweise in Zellen ein. Die weitere Sequenzierung werde zeigen, ob dieses Virus menschliche Zellen infizieren kann, sagt Duong.

Das neue Virus müsste zu mindestens 99 Prozent Sars-CoV-2 ähneln, um ein unmittelbarer Vorfahre des aktuellen Pandemievirus zu sein, sagt Irving. Die Genome von RaTG13 und Sars-CoV-2 unterscheiden sich nur um 4 Prozent, aber diese Divergenz steht für 40 bis 70 Jahre Evolution, da sie einen gemeinsamen Vorfahren haben. Obwohl sie Jahrzehnte auseinanderliegen, sind sich die Viren ähnlich genug, um mit demselben Rezeptor in Zellen einzudringen. Zellstudien legen nahe, dass RaTG13 Menschen infizieren könnte.

Ein weiterer naher Verwandter

Von den bekannten Coronaviren, die mit Sars-CoV-2 verwandt sind, scheint das neu entdeckte Rc-o319 am weitesten entfernt verwandt zu sein, sagt Duong. In Zellstudien fand das japanische Team wiederum heraus, dass das Virus nicht an den Rezeptor binden kann, den Sars-CoV-2 verwendet, um in menschliche Zellen einzudringen, was darauf hindeutet, dass es Menschen nicht leicht infizieren kann.

Anfang nächsten Jahres will das Team in Japan mehr Fledermäuse fangen und sie anschließend auf Coronaviren testen. Bereits im Oktober kehrte Hul in die Höhle im Norden Kambodschas zurück, um erneut Tiere zu sammeln. Die Untersuchungen dauern an. Denn wahrscheinlich gibt es weitere Sars-CoV-2-verwandte Coronaviren in Rhinolophus-Fledermauspopulationen, die in der gesamten Region leben, sagt Holmes. »Hoffentlich werden eines oder mehrere davon so eng mit Sars-CoV-2 verwandt sein, dass wir es als den wahren Vorfahren betrachten können.«

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