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SpaceX: Der erste Start mit Astronauten

Zehn Jahre Vorarbeit und mehrere Milliarden Dollar waren nötig. Doch nun wollen die USA ihre Raumfahrer wieder selbst ins All schießen.
Falcon-9-Rakete mit Crew-Dragon-Kapsel

Update, 30. Mai 2020: Um 21:22 Uhr deutscher Zeit ist die Rakete mit den Astronauten an Bord erfolgreich zur ISS gestartet.

Ein Touchscreen? Zur Steuerung eines Raumschiffs? Doug Hurley war – gelinde gesagt – überrascht, als er das erste Mal in sein neues Dienstfahrzeug kletterte und statt der bewährten Knöpfe und Schalter mehrere Touchscreens vorgesetzt bekommen sollte.

Der altgediente Astronaut, der den letzten Flug des Spaceshuttles eigenhändig mit seinem Steuerknüppel pilotiert hatte, würde so etwas natürlich nie offen sagen. Dafür ist er viel zu diplomatisch. Er sagt lieber: »Als gelernter Pilot, der damit groß geworden ist, Raumfahrzeuge auf eine bestimmte Art und Weise zu steuern, ist das sicherlich etwas anderes.«

Beginn einer kommerziellen Ära

Vieles wird anders sein, wenn an diesem Mittwoch um 22.33 Uhr mitteleuropäischer Zeit erstmals die neue »Crew Dragon«-Kapsel des kalifornischen Unternehmens SpaceX mit Astronauten an Bord abheben wird. Nicht nur bei der Steuerung. Das Raumfahrzeug, das derzeit in Cape Canaveral startbereit gemacht wird, steht auch für eine neue Ästhetik und für eine neue Sicherheitskultur. Vor allem aber steht es für den Beginn einer kommerziellen Ära in der astronautischen Raumfahrt – mit allen damit verbundenen Chancen und Risiken.

Die Vorbereitungen und den Start können Sie live hier verfolgen:

© NASA
NASA TV

Fast neun Jahre ist es her, dass Doug Hurley zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen zum letzten Mal ein Spaceshuttle sanft auf die Landebahn in Cape Canaveral gesetzt hat. Die wiederverwendbaren Raumgleiter, seit 1981 insgesamt 135-mal im Einsatz, waren zu teuer geworden und zu unsicher. Fortan mussten die Amerikaner auf russische Sojus-Kapseln vertrauen, um ihre Astronauten zur Internationalen Raumstation ISS zu bringen. Für jede Mitfluggelegenheit überwies die US-Raumfahrtbehörde NASA bis zu 90 Millionen Dollar nach Russland.

Um dies zu ändern und die Abhängigkeit zu beenden, startete die NASA bereits 2010 ein neues Programm: innovativ, kommerziell, anders. Hatte die Behörde ihre Raumfahrzeuge zuvor stets selbst geplant, besessen, betrieben, sollen das nun kommerzielle Firmen wie SpaceX übernehmen. Die NASA selbst will nur noch für einzelne Sitzplätze an Bord dieser Kapseln bezahlen – als wären es Charterflüge ins All.

Hurley und Behnken | NASA-Astronauten Douglas Hurley (links) und Robert Behnken (rechts) in den von SpaceX entworfenen Raumanzügen ein paar Tage von dem Start des ersten bemannten Flugs der Crew-Dragon-Kapsel.

Zehn Jahre und viele Verzögerungen später ist mit Crew Dragon nun das erste Raumschiff aus diesem Programm bereit für einen Testflug mit Menschen. Verbunden damit sind hohe Erwartungen: Von einem »neuen Zeitalter«, einer »neuen Generation« schwärmte NASA-Chef Jim Bridenstine bei einer im Internet übertragenen Pressekonferenz kurz vor dem Start. Und er wiederholte das, was er derzeit in jedes Mikrofon sagt: »Wir werden amerikanische Astronauten mit amerikanischen Raketen von amerikanischem Boden starten.« Das Pathos ist enorm. Sogar einen eigenen Hashtag hat die NASA entworfen: #LaunchAmerica. Amerika starten.

Und das, was da startet, ist in der Tat innovativ – sowohl technisch als auch optisch: Die Rohrkonstruktion der alten Startrampe aus Shuttle-Zeiten hat SpaceX mit schwarzen Platten verkleidet. Der Steg, über den die Astronauten ihre Kapsel an der Spitze einer Falcon-9-Rakete erreichen, war früher ein zugiges Gerüst mit Baustellencharme. Nun hat er große Fenster, ist hell und klimatisiert. Eine Art Catwalk ins All.

Auch der Raumanzug, den Hurley und sein Kollege Bob Behnken tragen werden, kündet von einer neuen Zeit. Kein Orange, wie es zu Shuttle-Zeiten angesagt war. Kein starrer, unförmiger Anzug, wie er in Russland seit Jahrzehnten genutzt wird. Stattdessen klassisches Weiß mit geraden Schnitten und grauen Applikationen – entworfen, so heißt es, von einem Kostümdesigner aus Hollywood. Dennoch soll der Anzug seine Funktion, den Schutz vor Feuer und Druckabfall, problemlos erfüllen.

Raumkapsel wie aus einem Sciencefiction-Roman

Das Design – hell, cool, aufgeräumt – setzt sich im Innern der Kapsel fort. Bis zu sieben Astronautinnen und Astronauten sollen darin Platz finden. Sie sitzen komfortabel, ohne die Knie fast bis zu den Ohren ziehen zu müssen, wie es in den russischen Sojus-Kapseln der Fall ist. Schließlich hofft SpaceX, die sportlich geformten Sitze künftig nicht allein mit leidensfähigen NASA-Raumfahrern zu füllen, sondern auch mit zahlungskräftigen Privatkunden. Deshalb die neue Ästhetik. Deshalb das Sciencefiction-Ambiente.

Beim Testflug mit Astronauten werden nur zwei Menschen in der Kapsel Platz nehmen: Hurley und Behnken, beide gelernte Testpiloten und Shuttle-Veteranen. Vor ihnen, auf der SpaceX-Variante eines Armaturenbretts, werden sie einige wenige Knöpfe und Schalter vorfinden, darunter einen Drehgriff zum Missionsabbruch. Über all dem thront allerdings eine dreiteilige Tafel aus Touchscreens. »Während des Trainings hat es sicherlich etwas länger gedauert, sich an diese Art der Steuerung zu gewöhnen«, sagte Hurley bei einem NASA-Pressegespräch kurz vor dem Start. »Bedenklich oder extrem schwierig erschien dabei allerdings nichts.«

Startrampe | Die Crew-Dragon-Kapsel startet vom berühmten Launch Complex 39A des Kennedy Space Center, von dem einst auch viele Apollo-Missionen abhoben. Hier ist die Kapsel an der Spitze einer Falcon-9-Rakete wenige Tage vor dem ersten bemannten Flug zu sehen.

Eines war der Crew, die fünf Jahre lang gemeinsam mit SpaceX am Bedienkonzept gefeilt hat, jedoch wichtig: Jede Eingabe musste vom Bildschirm optisch bestätigt werden. Auch im Weltall will sich schließlich niemand vertippen. Wie gut das mit Handschuhen und in der Schwerelosigkeit funktioniert, können Hurley und Behnken nun ausgiebig testen: Verläuft alles nach Plan, dann haben die beiden 19 Stunden Zeit, bis sie an der ISS andocken, dem eigentlichen Ziel des Testflugs.

Es ist erst das neunte Mal in der Geschichte der Raumfahrt, dass Menschen zu einem Jungfernflug in ein neues Raumfahrzeug klettern. Allein die USA haben es bislang viermal versucht, bei Mercury, Gemini, Apollo und dem Spaceshuttle. Stets war der Erstflug erfolgreich, auch wenn es auf dem Weg dorthin immer wieder Zwischenfälle gab. Wie 1967, als in einer Kapsel der Apollo-Missionen bei einem Test Feuer ausbrach, was drei Astronauten das Leben kostete.

Sicherer als das Spaceshuttle

Dieses Mal, bei der Crew Dragon, sollten die technischen Risiken das geringste Problem sein. Das gilt erst recht im Vergleich zum Spaceshuttle. Als es – eine hochkomplexe Maschine, zusammengesetzt aus zweieinhalb Millionen beweglichen Teilen – 1981 zum ersten Mal abhob, war es zuvor nie geflogen. Trotzdem hätten die beiden Testpiloten John Young und Bob Crippen nur zu Beginn des Flugs, bei niedrigen Geschwindigkeiten, eine Chance gehabt, sich mit ihren Schleudersitzen zu retten. Im weiteren Verlauf der Mission wäre jeder katastrophale Fehler dagegen ihr Todesurteil gewesen. Auf mehr als elf Prozent schätzt Wayne Hale, der langjährige Leiter des Shuttle-Programms, rückblickend die Wahrscheinlichkeit für den Verlust der Crew beim Erstflug.

Das Commercial Crew Programm, Anfang 2010 vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama in die Wege geleitet, ist ein völlig neuer Ansatz in Amerikas astronautischer Raumfahrt: Statt wie bislang eigene Raumfahrzeuge zu entwickeln, zu besitzen und zu betreiben, will die US-Weltraumagentur NASA künftig nur noch Kunde sein – und zwar »ein Kunde unter vielen in einem robusten kommerziellen Markt«, wie es NASA-Chef Jim Bridenstine formuliert. Um das zu erreichen, hat die Behörde zwei Raumfahrtunternehmen, SpaceX und Boeing, damit beauftragt, nach deren eigenen Ideen ein Raumschiff für den Transport von Astronautinnen und Astronauten zur Internationalen Raumstation ISS zu bauen. Als Anschubfinanzierung erhielt SpaceX für die Crew-Dragon-Kapsel knapp drei Milliarden Euro. Boeing bekam sogar 4,4 Milliarden Euro, liegt mit seiner Starliner-Kapsel auf Grund technischer Probleme allerdings zurück. Die NASA erhofft sich von dem Programm deutlich niedrigere Flugpreise. Kosteten Flüge im Spaceshuttle pro Raumfahrer noch gut 150 Millionen Euro, rechnet die NASA für Flüge in SpaceX-Kapseln mit Ausgaben von lediglich 60 Millionen Euro.

Heute wäre solch eine Gefahr jedenfalls nicht mehr hinnehmbar. Die Vorgabe der NASA an SpaceX lautete vielmehr, das Risiko rein rechnerisch unter 0,37 Prozent zu drücken. Nicht zuletzt deshalb musste Crew Dragon die anstehende Mission schon einmal absolvieren – im März 2019, noch ohne Astronauten an Bord. Die Falcon-9-Rakete hat in ihrer aktuellen, für Flüge mit Menschen zugelassenen Konfiguration sogar schon zwei Dutzend erfolgreiche Flüge hinter sich gebracht.

Zudem ist die Sicherheitsphilosophie verglichen mit dem Spaceshuttle eine andere: Die SpaceX-Crew hat während der gesamten Mission die Möglichkeit, sich in Sicherheit zu bringen. Bereits vor dem Start, sobald die Türen geschlossen und die Systeme scharf geschaltet worden sind, können Rettungstriebwerke die Kapsel vom Rest der Rakete wegkatapultieren – zum Beispiel, falls diese beim Tanken explodieren sollte.

Das Gleiche gilt während der ersten Flugphase, wenn die Kapsel noch auf der Falcon 9 sitzt. Um das Okay für den Testflug mit Menschen zu bekommen, musste SpaceX sogar eine Rakete für einen derartigen Abbruchtest opfern. Während sich die Kapsel dabei wie erwartet in Sicherheit bringen konnte und wenig später unter ihren vier Fallschirmen im Atlantik landete, endete die Flugkarriere der eingesetzten Falcon 9 in einem planmäßigen Feuerball.

Kapseln sind aus Sicht der NASA ein bewährtes Konzept. Das gilt insbesondere bei der Rückkehr aus dem All. Selbst wenn die Steuerung ausfallen sollte, richtet sich eine Kapsel beim Rücksturz zur Erde eigenständig auf – Form und Luftwiderstand sorgen dafür. Es reicht somit ein relativ einfacher Hitzeschild an der Unterseite. Der unförmige Spaceshuttle-Orbiter brauchte hingegen einen hochkomplexen Hitzeschutz, der beim Erstflug, wie sich später herausstellen sollte, sogar beschädigt worden war. Zudem musste der Raumgleiter bis zur Landung wie ein Segelflugzeug gesteuert werden, verzieh keine Fehler und flog sich, glaubt man den Piloten, wie ein herabfallender Backstein. Die wiederverwendbare Crew-Dragon-Kapsel gleitet hingegen ohne menschliches Zutun unter ihren Fallschirmen zurück zur Erde.

Der Astronaut als Zuschauer

Viele Vorgaben hat die NASA ihrem Partner SpaceX während der Entwicklung nicht gemacht. Eine wichtige lautete allerdings: Crew Dragon muss sämtliche Aufgaben autonom erfüllen können – insbesondere das Andocken an die Raumstation. Nur im Notfall soll die Crew eingreifen müssen. Amerikas allererste Astronauten, die in ihren Mercury-Kapseln ebenfalls zum Zuschauen verdammt waren, wurden einst als »spam in a can«, als Dosenfleisch, verspottet und forderten mehr Eingriffsmöglichkeiten.

Der heutigen Astronautengeneration sind solche Aversionen fremd. Hurley preist lieber die SpaceX-Ingenieure und das »herausragende Fluggerät«, das sie erschaffen haben. Die Zusammenarbeit verlief dennoch nicht immer reibungslos. Es war vielmehr ein Kampf der Kulturen: Hier die NASA mit ihrer Bürokratie und ihrem Sicherheitsdenken. Dort das Start-up mit seinen Querköpfen, die lieber schnell agieren und Rückschläge in Kauf nehmen. »Offen gesagt sind Fehler sogar die beste Art, etwas zu lernen und Systeme an ihre Grenzen zu bringen«, sagte SpaceX-Präsidentin Gwynne Shotwell beim NASA-Pressegespräch. Nur dürfen sie nicht bei der alles entscheidenden astronautischen Mission passieren.

SpaceX hat daher nicht zuletzt mit Psychologie versucht, Sicherheit und Moral hochzuhalten. Auf allen Arbeitsanweisungen prangten zum Beispiel Fotos von Hurley und Behnken. »Wir wollten, dass jeder bei SpaceX Bob und Doug als Astronauten, Testpiloten, Draufgänger kennt, aber auch als Väter und Ehemänner«, sagte Shotwell. »Wir wollten etwas Menschlichkeit in dieses durch und durch technische Geschäft bringen.« Schon bald wird sich zeigen, ob das gelungen ist.

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