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Ernährung: Doppelschlag vernichtet Frankreichs Austern

In manchen Jahren sterben 100 Prozent aller Austern in französischen Gewässern. Jetzt wissen Forscher, was die Muscheln vorzeitig ableben lässt.
Austern

Gourmets müssen tapfer sein, dürfen aber auch Hoffnung schöpfen: Wissenschaftler wissen nun, warum in manchen Jahren bis 100 Prozent aller Austern in französischen Farmen innerhalb kurzer Zeit vor der Ernte sterben. Und das bietet womöglich einen Ansatz für Gegenmaßnahmen. Wie Julien de Lorgeril von der Université de Montpellier und seine Kollegen in »Nature Communications« schreiben, sorgt ein Doppelschlag durch das Herpesvirus OsHV-1 sowie Bakterien dafür, dass seit 2008 immer wieder zahlreiche der Muscheln sterben – bis hin zum kompletten Zusammenbruch ganzer Austernbänke. Betroffen seien davon sowohl Zuchttiere als auch wild lebende Exemplare der Pazifischen Auster (Crassostrea gigas), die weltweit die wichtigste Zuchtauster ist. Die wiederkehrenden Krankheitsausbrüche betrafen daher auch nicht nur Frankreich und Großbritannien, sondern fanden auch in China – wo laut de Lorgeril etwa 80 Prozent aller Austern weltweit erzeugt werden –, Australien, Neuseeland oder Südkorea statt.

Es war schon bekannt, dass das Herpesvirus die Austern befallen kann. Allerdings hat die Zahl der Ausbrüche sowie die Sterberate der Weichtiere dadurch seit zehn Jahren dramatisch zugenommen und sich weltweit ausgebreitet. Die Wissenschaftler setzten deshalb Zuchtaustern in Aquarien gezielt verschiedenen Infektionsszenarien aus, um die Hintergründe dieser Pandemien erforschen zu können. Ein wichtiger Grund für diese Entwicklung liegt im Virus selbst: Durch Mutation hatte sich ein neuer Strang entwickelt, der virulenter ist und sich schneller ausbreitet. Nach den Erkenntnissen von de Lorgeril und Co schwächt er das Immunsystem der Austern, indem das Virus Hämozyten kapert, die eine wichtige Rolle in der Immunantwort von Wirbellosen spielen, und sich dort vermehrt.

Doch kritisch wird es für die Muscheln erst 24 bis 48 Stunden später, wie die Tests zeigten. Die Viren schwächen dabei die Tier so stark, dass sie in dieser Zeit eindringenden Bakterien nichts mehr entgegensetzen können – die Mikroben erledigen ihre Opfer anschließend innerhalb weniger Stunden. Beteiligt sind daran verschiedene pathogene Bakterien, die eine so genannte Dysbakterie sowie eine Blutvergiftung auslösen: Sie gehen einher mit Gärungs- und Fäulnisprodukten, welche letztlich tödlich wirken. Erste Befunde deuten darauf hin, dass die Bakterien über die Atmungsorgane in die Muscheln eindringen.

Allerdings haben die Wissenschaftler auch gute Nachrichten, denn es existieren offensichtlich Muscheln, welche die Virenvermehrung erfolgreich verhindern können: Sie weisen bestimmte Gene auf, welche das Immunsystem bereits in einer frühen Ansteckungsphase aktivieren – was entscheidend ist, um die Infektion zu bekämpfen. Diese Austern könnten daher einen Grundstock für zukünftige Züchtungen sein, hoffen die Wissenschaftler. Andere Ansätze sehen die Forscher dagegen momentan nicht, da es weder ein Mittel gegen das Virus noch eine Behandlungsmöglichkeit der Bakterieninfektion gibt.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich OsHV-1 besonders gut vermehrt, wenn die Wassertemperaturen 16 bis 25 Grad Celsius erreichen. Traditionell werden die meisten Austern an Frankreichs Atlantikküste gezüchtet, wo das Meer relativ kühl ist. Durch die Erderwärmung heizt sich der Ozean allerdings hier ebenfalls auf, was die Bedingungen für die Austern prinzipiell verschlechtert, aber für das Herpesvirus verbessert. Zudem nehmen die Tiere in wärmeren Wasser auch mehr Giftstoffe auf, was ihre Widerstandskraft zusätzlich schwächt. Die aus japanischen Gewässern stammende Pazifische Auster hat sich mittlerweile weit über die Zuchtanlagen hinaus ausgebreitet und weite Teile der Nordsee erobert, wo sie womöglich die heimischen Miesmuscheln ersetzen und damit die Ökologie des Wattenmeers verändern könnte.

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