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Ornithologe enttarnt Fake-Guerilla-Video: »Diese Art gibt es nicht in Kolumbien. Unmöglich«

Mitten im Wahlkampf sollte ein brisantes Video Ecuadors Präsidentschaftskandidaten Andrés Arauz in Verruf bringen. Es sei ein Fake, sagt der Ornithologe Manuel Sánchez Nivicela im Interview. Vögel haben die Macher verpfiffen.
Der Brauentinamu (Crypturellus transfasciatus) ist endemisch in Ecuador und Peru.

Nur 45 Sekunden dauert das Video, das den Wahlkampf in Ecuador beeinflussen sollte. 45 bedeutende Sekunden. Sie zeigen drei vermummte, bewaffnete Männer in Flecktarn mit dem Banner der kolumbianischen ELN-Guerilla im Hintergrund. Der Mann in der Mitte verliest eine Botschaft an die »revolutionären Kameraden der Schwesterrepublik Ecuador«. Die Guerilla werde sich weiter in die Politik des Nachbarlandes einmischen und die unterstützen, die auf ihrer Linie seien, verspricht er.

Sein Schlachtruf verrät, wer das ist: Andrés Arauz, der politische Ziehsohn des linken Expräsidenten Rafael Correa. Darunter steht: »Dschungel von Kolumbien, 31. Januar«. Arauz, Marionette einer Bande aus Kolumbien – das wäre äußerst wertvoll für seine politischen Gegner und Gegnerinnen.

Alles Bluff, sagt Manuel Sánchez Nivicela. Der 40-Jährige aus Quito ist Experte für Wissenschaftskommunikation und Ornithologe und hat unter anderem an der Roten Liste der bedrohten Vögel Ecuadors mitgearbeitet. Im Interview erklärt er, warum das Video unmöglich in Kolumbien gedreht worden sein kann.

»RiffReporter«: Sie haben mitten im Wahlkampf in Ecuador mit ornithologischem Fachwissen ein brisantes Video als Fälschung entlarvt. Wie haben Sie das gemacht?

Manuel Sánchez-Nivicela: Ich verfolge die Nachrichten in Ecuador nicht besonders, aber ich stolperte darüber auf Twitter, weil es plötzlich überall war. Also spielte ich es ab. Ehrlich gesagt habe ich nicht einmal wirklich hingeschaut. Bei Sekunde 30 hörte ich plötzlich den Vogel pfeifen. Ich stoppte das Video, spielte es noch mal von vorne ab und sagte mir: Das ist nicht Kolumbien.

Warum kann das Video nicht in Kolumbien gedreht worden sein?

Ich bin Ornithologe, ich war in anderen Ländern Südamerikas, um Vögel zu beobachten, im Vereinigten Königreich, der Türkei. Ich kenne mich mit Vogelgesängen aus und wusste sofort: Diese Art gibt es nicht in Kolumbien. Unmöglich.

Die Wahl in Ecuador

Am Sonntag, 7. Februar 2021, haben etwa 13 Millionen Menschen in Ecuador einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament gewählt. Der linke Exminister Andrés Arauz hat die erste Runde der Präsidentenwahl in Ecuador klar gewonnen. Der Zögling des früheren Staatschefs Rafael Correa kam auf 32,20 Prozent der Stimmen, wie das Wahlamt des südamerikanischen Landes am Montag nach der Auszählung fast aller Stimmen mitteilte. Damit zieht der ehemalige Notenbankchef sicher in die Stichwahl am 11. April 2021 ein.

Im Kampf um den zweiten Platz könnte es hingegen zu einer Überraschung kommen: Mit geringem Vorsprung lag der indigene Umweltaktivist Yaku Pérez mit 19,80 Prozent der Stimmen knapp vor dem konservativen Banker Guillermo Lasso, der auf 19,60 Prozent der Stimmen kam.

Hören Sie hier auf Xeno-Canto die Stimme des Vogels.

Wer hat die Macher denn da verpfiffen?

Da singt ein Brauentinamu (Crypturellus transfasciatus, spanisch: perdiz de ceja blanca). Das ist eine endemische Art, die nur in den Laubwäldern der Tumbes-Region lebt (siehe Infokasten »Die Tumbes-Region«). Diese endemische Region teilen sich Ecuador und Peru. Die Tinamus ernähren sich von Insekten, Früchten und Samen, die sie am Boden finden. Sie können nur in diesem Ökosystem leben. Und dann hörte ich noch zwei Vögel …

Die Tumbes-Region

Die »Región tumbesina oder bosque seco ecuatorial« umfasst ein Gebiet endemischer Vögel (»endemic bird area«). So bezeichnet die Vogelschutzorganisation BirdLife International schützenswerte Lebensräume von Vogelarten, die nur in einem begrenzten Bereich vorkommen. Die Region erstreckt sich vom Westen Ecuadors bis in den Nordwesten Perus – wobei der größte Teil in Ecuador liegt. Der Name leitet sich von dem gleichnamigen Fluss ab, nicht von der Stadt, der Provinz oder dem Departamento Tumbes, die alle in Peru liegen. Die Tumbes-Region ist eine der am stärksten bedrohten endemischen Vogelregionen. Von den Wäldern sind weniger als fünf Prozent übrig.

Was waren das für zwei andere Vögel?

Das eine war die Tumbesdrossel (Turdus maculirostris, spanisch: mirlo ecuatoriano), die auch in der Tumbes-Region endemisch ist. Aber im Gegensatz zum Brauentinamu bewegt sie sich mehr. Weil die Wälder der Tumbes-Region immer weiter abgeholzt werden, siedelt sie in den Norden von Ecuador über. Die Tumbesdrossel, die im Übergangsbereich zwischen Trockenwald und Feuchtwald lebt, wurde sogar schon im äußersten Südwesten Kolumbiens nachgewiesen, weil die Abholzung der Wälder es ihr auch ermöglicht, sich in neuen Gebieten anzusiedeln. Es ist deshalb möglich, dass sie nicht mehr als endemische Art der Tumbes-Region gelten darf. Doch den Brauentinamu gibt es nur in diesem Gebiet endemischer Vögel.

Hören Sie hier die Stimme der Tumbesdrossel.

Und dann haben Sie noch einen dritten Vogel singen hören …

Einen, der in Südamerika sehr häufig ist, genauer gesagt zwischen Ecuador und Peru: der Buschstärling (Dives warczewiczi, spanisch: tordo). Er lebt aber auch im äußersten Südwesten Kolumbiens. Von allen drei Vögeln war es also der Brauentinamu, der mir verraten hat, dass das Video in Ecuador gefilmt worden sein muss. So singt kein Vogel in Kolumbien.

Hören Sie hier die Stimme des Buschstärlings.

Bleibt der Tinamu immer dort, wo er aufgewachsen ist?

Ja, er ist kein Zugvogel. Die beiden anderen auch nicht, aber sie siedeln sich anderswo an. Die Abholzung der Wälder zwingt sie dazu. Aber der Brauentinamu kann ohne das Ökosystem der Tumbes-Region nicht überleben. Für meine Arbeit habe ich seinen Gesang aufgezeichnet.

Wieso hat das Video in Ecuador so viel Wirbel verursacht?

Die kolumbianische Wochenzeitschrift »Revista Semana« hatte kurz vorher einen Artikel herausgebracht. Demnach sollen geheime Dossiers und Unterlagen (angeblich vom Computer des von der Armee getöteten ELN-Kommandanten Uriel, Anm. der Autorin) belegen, dass die kolumbianische ELN-Guerilla die Partei von Expräsident Rafael Correa unterstützt. Alles, um seinem Kandidaten Andrés Arauz Stimmen wegzunehmen. Der Artikel war tendenziös und voller Mutmaßungen, löste aber eine heftige Diskussion in Ecuador aus.

Und das Video war Teil dieses »Semana«-Artikels?

Nein, das Video tauchte später auf Twitter auf und ging viral, mitten in dieser Vorwahl-Stimmung. Politiker und Politikerinnen fingen an, es auf ihren Accounts zu teilen. Trolle und ihre Follower und Followerinnen des rechten wie linken politischen Spektrums hatten es verbreitet. Die Quelle ist unbekannt.

»Ich habe das nicht gemacht, um für jemanden politisch Partei zu ergreifen. Ich fühle mich der Wahrheit verpflichtet«
Manuel Sánchez Nivicela, Ornithologe

Dann haben Sie einen mehrteiligen Tweet mit Ihren vogelkundlichen Erklärungen abgeschickt. Der ging ziemlich durch die Decke.

Ich habe das nicht gemacht, um für jemanden politisch Partei zu ergreifen. Ich fühle mich der Wahrheit verpflichtet. Dieses Video widerlegt, dass die ELN-Guerilla den ehemaligen Präsidenten Rafael Correa unterstützt. Außerdem habe ich die Aufmerksamkeit genutzt, um über eines der gefährdetsten Ökosysteme der Welt zu sprechen – und über den Brauentinamu, der ebenfalls vom Aussterben bedroht ist. Zum Beispiel wegen der Abholzungen für die Pazifik-Raffinerie, die Ecuador und Venezuela unter den damaligen Präsidenten Rafael Correa und Hugo Chávez dort gemeinsam bauen wollten, was am Ende scheiterte.

Der kolumbianischen Ornithologe Andrés Cuervo hat unter Ihrem Tweet auf Twitter geschrieben, dass er 2007 von seiner Regierung schon einmal angefragt wurde*. Er sollte anhand der Vogelstimmen in einem Bekennervideo herausfinden, wo im Dschungel die FARC-Guerilla prominente Geiseln gefangen hielt. Haben Sie auch Angebote für Factchecking von Medien bekommen – oder um Verbrechen aufzuklären?

Wegen Factchecking hat mich tatsächlich ein Journalist aus Ecuador angefragt. Verbrechen aufzuklären noch nicht – aber das wäre spannend für mich!

Bei der Wahl am Sonntag traten 15 Männer und eine Frau an, um Präsident beziehungsweise Präsidentin von Ecuador zu werden. Wer von ihnen wäre für die Zukunft des Brauentinamu am besten?

Ich weiß, dass Umweltschutz für keine Politikerin und keinen Politiker in Ecuador Priorität hat. Ich bin genauso besorgt wie seit 25 Jahren. Die Umweltfrage ist reines Gerede.

Hinweis der Redaktion: In dem Video gibt es noch weitere Indizien für eine Fälschung: die Anrede »Kamerad«, die Waffen, die eher auf Finca-Arbeiter hindeuten als auf Untergrundkämpfer, und den Tippfehler im Abspann. Statt für »Ejército de Liberación Nacional« steht ELN dort für »Ejército de Lineración Nacional«.

*Auf Nachfrage hat Andrés Cuervo erklärt, dass er den Aufenthaltsort der FARC-Geiseln damals nicht eindeutig bestimmen konnte. Die Vögel, die zu hören waren, hatten eine weite Verbreitung. Wohl aber konnte er hören, dass sie sich in der riesigen Amazonas-Region befinden mussten. »Ein Grallaria urraoensis (Antioquia-Ameisenpitta) zum Beispiel wäre ein besseres Indiz gewesen, weil dieser nur im Frontino-Páramo von Urrao vorkommt.« Die Entführten wurden Jahre später befreit.

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