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Fitnesstools: Was die »Laufmaus« wirklich bringt

Das neue Sportgerät soll Haltung, Leistung und Gesundheit verbessern. Allerdings ist die Laufmaus noch neu – wissenschaftliche Studien sollen nun erst beginnen.
Gelbe Plastikgegenstände mit Schlaufen.

Lachend und schwatzend setzt sich die Menschentraube grüppchenweise in Bewegung. Etwa 40 Frauen und Männer haben sich nach Feierabend getroffen, um gemeinsam zu laufen. Nicht weiter seltsam. Doch wer genauer hinschaut, sieht: Alle tragen in beiden Händen ein ungewöhnlich aussehendes Plastikteil.

»Die Laufmaus ist ein ergonomisch geformtes und ultraleichtes Griffelement für die Hände«, heißt es auf der Homepage des Herstellers. Es soll die Körperhaltung verbessern und dafür sorgen, dass man beim Laufen weniger Energie verbraucht. Sportphysiotherapeut Christian Münzing aus Ulm, der den Testlauf mit Maus veranstaltet, kann bestätigen, dass einige Menschen von dem Hilfsmittel nach eigener Aussage profitieren. »Manche haben damit plötzlich keine Schmerzen mehr, andere laufen schneller«, erzählt er. Etwa alle zwei Wochen hat er jemanden in seiner Sprechstunde, dem er die Maus empfiehlt.

Zwei Laufmäuse kosten etwa 80 Euro. »Bevor ich so viel Geld ausgebe, will ich das erst mal ausprobieren«, sagt eine Läuferin. Andere stimmen zu. Alle haben ihren Zeigefinger durch eine Lasche auf der Oberseite der Laufmaus gesteckt, die restlichen Finger umschließen locker das hohle Plastikteil, dessen Form an einen Fuß erinnert. Leichte Einkerbungen an der Seite helfen, eine gute Position für die Hand zu finden. Trotzdem fühlt es sich zunächst ungewohnt an, damit zu laufen.

Diese Rückmeldung hat Geschäftsführer Martin Rutemöller schon häufig bekommen und selbst erlebt. »Als ich zum ersten Mal mit dem Prototyp laufen war, hatte ich einen leichten Muskelkater in den Händen«, sagt der Sportwissenschaftler, der seit vielen Jahren in der Gesundheitskommunikation tätig ist. Als Horst Schüler mit seiner Erfindung an ihn herantrat, sei er zunächst skeptisch gewesen, berichtet Rutemöller. Doch die Expertise des Allgemein- und Sportmediziners und nicht zuletzt dessen persönliche Geschichte hätten ihn überzeugt, sich auf die Laufmaus einzulassen.

Keine Belege für den Nutzen der Laufmaus

Bei einem Autounfall im Jahr 2007 wurde Schülers Rückenmark stark geschädigt. Eine Operation schien zunächst zu riskant, etwa ein Jahr lang konnte er sich kaum bewegen und hatte heftige Schmerzen. Nachdem er schließlich doch operiert worden war, verbesserte sich sein Zustand. Beim Gehen und Stehen verkrampfte sein Körper aber noch immer. Weil er merkte, dass es ihn entspannte, wenn er seine Arme anwinkelte und die Handflächen nach oben drehte, baute er sich ein Hilfsmittel, mit dem er diese Position leichter einnehmen konnte: Die erste Laufmaus war geschaffen. Stück für Stück kämpfte sich Schüler zurück in ein bewegteres Leben, mittlerweile ist er nahezu beschwerdefrei. Mit Rutemöller und anderen entwickelte der nun 70-Jährige das Tool weiter und möchte es auch weiteren Menschen zugänglich machen.

»Damit würde ich mich nicht an die Öffentlichkeit trauen«René Schwesig

Hinter der Laufmaus stecken guter Wille und persönliche Erfahrung – aber lässt sich ihre Wirkung wissenschaftlich belegen? Bisher nicht. Der Hersteller hofft, dass sich das irgendwann ändert. »Die Laufmaus, wie wir sie heute kennen, gibt es seit etwa anderthalb Jahren«, sagt Rutemöller. Studien nach wissenschaftlichen Standards sucht man vergeblich, auf der Homepage des Herstellers findet sich lediglich eine Powerpoint-Präsentation mit Bildern, die zeigen sollen, wie sich die Laufmaus auf die Belastung der Füße und den Laufstil auswirkt. Dafür wurden jeweils zehn Menschen zwischen 24 und 50 Jahren in Lauflaboren in Berlin und Münster untersucht. Die Ergebnisse klingen viel versprechend: »Die Fußdruckbelastung hat sich (…) deutlich reduziert«, heißt es beispielsweise. Oder: »Insgesamt wurde mit der Laufmaus ein leichteres und lockereres Gangmuster detektiert.« Wie genau das gemessen wurde und wie groß die Unterschiede zwischen einzelnen Testpersonen waren, steht nirgends.

»Damit würde ich mich nicht an die Öffentlichkeit trauen. Die Daten sind nicht systematisch aufbereitet, und es gibt keine belastbare statistische Analyse«, sagt René Schwesig, Leiter des Forschungslabors für Experimentelle Orthopädie und Sportmedizin am Universitätsklinikum Halle. Die Behauptungen, die die Entwickler aufstellen, hält er für gewagt. Der Sportwissenschaftler führt in seinem Labor ähnliche Analysen durch, etwa bei Profisportlern. »Da gibt es verschiedene Kriterien, zum Beispiel: Wie setzt jemand den Fuß auf, wie rollt er ab, wie hält er den Oberkörper, wie ausgeprägt sind Kniehub und Schwungphase?« Die richtige Haltung der Hand – »gerade und offen« – gehöre zwar auch dazu. Das sei aber eine der letzten Stellschrauben, an denen er drehen würde.

»Vielleicht haben wir da was verpasst?«

Biomechaniker Dieter Rosenbaum sieht das ähnlich. Auch er hat nie zuvor von der Laufmaus gehört. Am Institut für Experimentelle Muskuloskelettale Medizin der Universitätsklinik Münster hat er viele Gang- und Laufanalysen durchgeführt, war zudem in der Schuhsportforschung tätig. Seit Anfang 2021 ist er in Rente. »Wir haben uns nie groß mit der Handhaltung auseinandergesetzt«, sagt er. »Vielleicht haben wir da was verpasst?«

Wer sich durch die Homepage klickt, findet zahlreiche begeisterte Stimmen. Von mehr Leichtigkeit und neuen Bestzeiten ist die Rede. Zu den Fans zählen nicht nur Hobbyläufer, sondern beispielsweise auch Leichtathleten der LG Olympia Dortmund. Selbst hartnäckige Schmerzen etwa im Rücken oder in der Achillessehne soll die Laufmaus lindern. Wie kann das sein?

»Bringt man die Hand mit Hilfe der Laufmaus in eine pistolenartige Stellung, setzt eine mechanische Funktionskette ein«, sagt Geschäftsführer Rutemöller. Was er skizziert, lässt sich zum Teil am eigenen Körper nachvollziehen: Zeigt der Zeigefinder nach vorn und der Daumen nach oben, dreht man den Handrücken automatisch nach außen, der Unterarm dreht mit. Schwingt man den Arm nun – wie von Lauftrainern empfohlen – seitlich am Körper entlang, rückt der Ellenbogen näher an den Körper heran, der Oberarm rotiert leicht nach außen.

Das sei die optimale Stellung für die Schulter, sagt Stefan Sesselmann, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Die Schulterblätter rückten näher zusammen und unterstützten so die Stabilität des Rumpfes. Gleichzeitig verlagere sich der Körperschwerpunkt mehr nach vorn, wodurch sich die Belastung auf die Gelenke verändere. Sesselmann postuliert, dass sich die durch die Laufmaus ausgelöste Kettenreaktion bis in die Füße fortpflanzen und somit positiv auf die gesamte Laufbewegung auswirken kann.

Der Körper als Kette

Grundsätzlich funktioniere unser gesamter Bewegungsapparat wie eine Kette, sagt der Orthopäde. »Stellen Sie sich eine Absperrkette vor, die links und rechts aufgehängt ist. Ziehen Sie eines der mittleren Glieder hoch, werden sich die anderen zwangsläufig mitbewegen.« Für die Beine sind solche Kettenphänomene bekannt. Man weiß: Eine Verletzung am Sprunggelenk kann sich auch auf Knie, Hüfte oder die Lendenwirbelsäule auswirken. Für den Oberkörper gibt es dazu bislang wenige Untersuchungen. »Warum sollte das, was für die unteren Extremitäten gilt, nicht auch für die oberen gelten?«, fragt Sesselmann.

»Bringt man die Hand mit Hilfe der Laufmaus in eine pistolenartige Stellung, setzt eine mechanische Funktionskette ein«Martin Rutemöller

Anfänger liefen oft wenig ökonomisch. »Viele setzen die Arme falsch ein, machen einen Rundrücken und rotieren stark mit dem Oberkörper. Das kostet viel Energie«, erklärt er. Zudem werden die Gelenke übermäßig belastet, was Schmerzen verursachen kann. Möglicherweise kann die Laufmaus dem entgegenwirken.

Der beschriebene Mechanismus klänge zwar plausibel, sagt Schwesig. Viel wichtiger sei es allerdings, die Hypothesen belegen zu können. Genau das will Sesselmann tun. Er leitet das Biomechaniklabor an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden, eines der modernsten seiner Art. Durch Zufall wurde der ambitionierte Hobbysportler im April 2021 auf das Tool aufmerksam. Er probierte es aus, war begeistert und verfasste einen Facebook-Beitrag dazu. Daraufhin meldete sich das Laufmaus-Team und fragte, ob er an einer Zusammenarbeit interessiert sei. »Ich habe zugestimmt, aber gleich dazugesagt: Wenn ich euch helfen soll, müssen wir noch mal ganz von vorne anfangen«, sagt Sesselmann.

Im ersten Schritt will er Menschen, die erst kürzlich mit dem Laufen begonnen haben, mit und ohne Laufmaus untersuchen. Bei dieser Zielgruppe erwartet er größere Effekte als bei Profisportlern, bei denen sich an Technik und Leistung nicht mehr viel verbessern lässt. Grundsätzlich sei eine biomechanische Bewegungsanalyse sehr komplex: »Es gibt dutzende Parameter, die man untersuchen kann«, erklärt Sesselmann. Erst wenn man wisse, welche und wie große Effekte man erwarte, könne man abschätzen, wie viele Probanden man für eine aussagekräftige Studie brauche und ob es sich überhaupt lohnt, eine durchzuführen. Falls ja, will sein Team zwei Gruppen von Testpersonen einen Monat lang mit und ohne Maus nach einem bestimmten Programm trainieren lassen und dann prüfen, welche Veränderungen auf die Laufmaus zurückzuführen sind. Mit ersten Daten rechnet der Orthopäde frühestens in sechs Monaten.

Keine Wunder, aber auch kein Schaden

»Die Laufmaus wird vermutlich keine Wunder bewirken«, sagt Sesselmann. Man müsse sich klarmachen, dass sie bewährte Mittel wie Stabilisations- und Techniktraining nicht ersetzen, aber gegebenenfalls sinnvoll ergänzen kann. Insbesondere Anfängern, die oft schnell wieder aufgeben, weil sie sich nicht verbessern oder auf Grund von Fehlhaltungen Schmerzen entwickeln, könnte die Laufmaus eine große Hilfe sein, meint der Orthopäde. Vielleicht fungiert sie als eine Art Gedankenstütze, die einem sagt: Achte auf deine Handhaltung!

Sollte Letztere tatsächlich einen so wichtigen, bislang vernachlässigten Effekt haben: Könnte man statt der teuren Maus nicht etwas anderes, zum Beispiel ein Stück Holz oder einen Tannenzapfen, in die Hand nehmen? »Nein«, meint Rutemöller. Diese Gegenstände müsse man aktiv greifen, dabei verschließe man die Hand und verkrampfe den Arm. Die Laufmaus hingegen muss man nicht festhalten: Sie hängt an einem Band, das man sich locker ums Handgelenk schlingt. Zudem sei denkbar, dass die Laufmaus über ihre besondere Form bestimmte Zonen der Hand stimuliert und Signale ans Gehirn sendet, sagt Sesselmann. Ähnlich wie sensomotorische Schuheinlagen, deren Wirkung aber ebenfalls noch nicht zweifelsfrei bewiesen ist.

Nach dem Testlauf wird lebhaft diskutiert. Ein paar der – allesamt recht erfahrenen – Läuferinnen und Läufer überlegen, sich eine Maus zu kaufen, andere sind eher abgeneigt. Hat man einen halbwegs vernünftigen Laufstil, ist es wohl vor allem Geschmackssache, ob man lieber mit oder ohne Maus läuft. »Das ist so ähnlich wie bei den Schuhen«, stimmt Sportphysiotherapeut Münzing zu. Manche Menschen mögen lieber Marke A, andere Marke B. Und wieder andere brauchen unbedingt eine Karboneinlage. Auf Basis der aktuellen Erkenntnisse sieht Sportwissenschaftler Schwesig in der Laufmaus keinen großen Nutzen, aber auch keinen Schaden. »Wenn die Leute damit mehr Motivation haben, sich zu bewegen, ist es ja gut.«

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