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Naturschutz heute: Kampf den Einwanderern?

Weltweit werden immer mehr Pflanzen und Tiere in neue Regionen eingeführt. Vielerorts gilt das als großes ökologisches Problem. Aber stimmt das überhaupt? Oder sollten Naturschützer da mehr Toleranz an den Tag legen?
Ratte in der Falle

Eine Tüte überfahrene Fuchskusus kostet in Neuseeland nur ein paar Dollar. Zwar bestehen die angeblichen Verkehrsopfer darin lediglich aus Schokolade. Doch das Design der Süßigkeit zeigt sehr deutlich, welches Image das aus Australien eingeführte Beuteltier in seiner neuen Heimat hat: Es gilt als eine Art Staatsfeind, den man unbedingt zur Strecke bringen muss. Schließlich haben die nachtaktiven Baumbewohner mit dem weichen, grauen Fell die Bestände vieler einmaliger Vogel- und Pflanzenarten des Landes schon massiv dezimiert. Da will man weiteren Umtrieben möglichst Einhalt gebieten. Und auch andere eingeschleppte Vogelfeinde wie Hermeline und Ratten versucht die neuseeländische Naturschutzbehörde Department of Conservation (DoC) mit Giftködern, Fallen und großem Aufwand zu bekämpfen.

Mit dieser Strategie steht der Inselstaat im Pazifik nicht allein da. Rund um die Welt werden immer mehr Arten in neue Regionen eingeführt. Vor allem seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat dieser Trend durch die Zunahme des internationalen Handels, durch Transporte und Tourismus stark zugenommen. Und vielerorts genießen die Neuankömmlinge keinen guten Ruf. Gerade Arten, die sich in ihrer neuen Heimat besonders erfolgreich vermehrt und ausgebreitet haben, gelten oft als unerwünschte Plagegeister, deren Vormarsch man stoppen sollte. "Das hat nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun, wie uns manchmal vorgeworfen wird", betont Ingolf Kühn vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ in Halle. "Da geht es ausschließlich um ökologische Fragen."

Fuchskusu | Der australische Fuchskusu wurde 1837 nach Neuseeland gebracht, damit die Siedler mit seinem Fell Handel treiben konnten, und breitete sich rasch in weiten Teilen der neuseeländischen Wälder aus. Die Tiere zerstören Nutzpflanzen, konkurrieren mit einheimischen Vögeln, Fledermäusen, Eidechsen und Insekten um Nahrung und fressen sogar ausgewachsene Vögel und Fledermäuse. Fuchskusus gelten zudem als Reservoir und Überträger von Rindertuberkulose, einer Infektionskrankheit landwirtschaftlicher Nutztiere.

Es gibt allerdings ein paar Stimmen, die eine Bekämpfung von gebietsfremden Arten auch aus Naturschutzgründen nicht unbedingt für sinnvoll halten. Der britische Umweltjournalist Fred Pearce zum Beispiel sieht in den meisten erfolgreichen Neuankömmlingen keine Plage, sondern eine Bereicherung der Ökosysteme. Diese Arten hätten sogar besonders viel Zukunftspotenzial, so dass man sie begrüßen statt diffamieren sollte, schreibt er in seinem 2016 erschienenen Buch "The New Wild". Wird es also Zeit für eine Ehrenrettung der tierischen und pflanzlichen Invasoren? Müssen Naturschützer in dieser Hinsicht umdenken, wie Fred Pearce es fordert?

Inselwelten in Gefahr

Zumindest für einige Regionen der Erde würden die meisten Wissenschaftler diese Fragen wohl eindeutig mit Nein beantworten. So belegt eine Vielzahl von Studien, dass Inselökosysteme höchst empfindlich auf vom Menschen eingeführte Arten reagieren. Denn dort hat sich im Lauf der Evolution eine ganz eigene Flora und Fauna entwickelt, die gegenüber neuen Konkurrenten und Feinden oft den Kürzeren zieht.

Das betrifft nicht nur die vielen flugunfähigen Vögel Neuseelands, die nach Jahrmillionen der Isolation nicht gegen die Angriffe von Hermelin, Katze und Co gewappnet sind. Auf der Insel Guam im Westpazifik hat die eingeführte Braune Nachtbaumnatter den Bruterfolg der dort ansässigen Vogelarten um 90 Prozent reduziert; viele Arten sind ausgestorben. Die Tier- und Pflanzenwelt von Hawaii besteht inzwischen zu rund 60 Prozent aus gebietsfremden Arten, während viele der ursprünglichen Bewohner bedroht sind. Und in Australien überwuchern europäische Ginsterarten riesige Flächen und verdrängen die heimische Vegetation. Ob die Neuankömmlinge in diesen einzigartigen Inselwelten als Bereicherung gelten können, bezweifeln die meisten Wissenschaftler doch stark. Zumal in solchen Fällen oft mehr einheimische Arten verschwinden als neue dazukommen, so dass die Artenvielfalt zurückgeht.

Aga-Kröte

Gonzalo Rivas-Torres von der Universidad San Francisco de Quito in Ecuador und seine Kollegen haben das zum Beispiel in zwei Gebieten auf der Galapagosinsel Santa Cruz nachgewiesen. Das eine ist ein natürlicher Wald, in dem wie von alters her die so genannten Sonnenblumenbäume den Ton angeben. Diese Korbblütler der Gattung Scalesia kommen nur auf Galapagos vor und werden anders als die meist eher kleinen Vertreter ihrer Verwandtschaft stolze zehn Meter hoch. Im zweiten untersuchten Wald waren diese exzentrischen Bäume dagegen schon auf dem Rückzug, stattdessen dominierte die eingeführte Westindische Zedrele aus der Familie der Mahagonigewächse. Und dort fanden die Forscher dann auch 17 Prozent weniger Pflanzenvielfalt als im natürlichen Wald. Der Artenreichtum der einheimischen Gewächse hatte sogar um 42 Prozent abgenommen.

Neue Arten für die Kontinente

Nun besteht die Welt natürlich nicht nur aus Inseln. Und auf den Kontinenten stellt sich die Lage oft weniger dramatisch dar, obwohl es auch dort ein paar Problemkandidaten gibt. In den Everglades in Florida etwa wurden Tigerpythons illegal ausgesetzt. Seit den 1970er Jahren haben sich diese großen Würgeschlangen dort so kräftig vermehrt, dass sie inzwischen als ernst zu nehmende Gefahr für verschiedene einheimische Arten vom Rotluchs bis zum Rallenkranich gelten.

Pflanzen können sich ebenfalls durchaus unbeliebt machen. So hat der als Zierpflanze aus dem Kaukasus eingeführte Riesenbärenklau in Mitteleuropa längst den Sprung aus den Gärten in die freie Natur geschafft. Nun überwuchert die große Staude nicht nur die heimische Vegetation von kleinen Wiesentälern. Sie kann auch zur Gesundheitsgefahr werden. Wer ihre Blätter und Stängel berührt, bekommt eine Flüssigkeit in die Haut injiziert, die sich im Sonnenlicht verändert und dann starke Verbrennungen auslösen kann.

Nachtbaumnatter – wo sie auftaucht, singt bald kein Vogel mehr | Während des Zweiten Weltkriegs herrschte reger Flugbetrieb zwischen den Kampfgebieten, etwa rund um die Insel Neuguinea und dem US-Stützpunkt auf Guam. Irgendwann gelang es Braunen Nachtbaumnattern (Boiga irregularis), sich in eines der Frachtflugzeuge zu schmuggeln. Für die auf Guam entkommene Schlange war das Eiland ein Paradies: Sie hatte hier keine Fressfeinde, und umgekehrt kannten die heimischen Tiere keinen Gegner wie sie. Seit damals folgt ein Lehrstück darüber, was passiert, wenn die Nahrungskette durcheinandergebracht wird. Die Schlange rottete zehn der zwölf nur auf dieser Insel vorkommenden Vogelarten sowie verschiedene Reptilienarten aus und dezimierte die heimischen Flughunde. Ohne ihre natürlichen Gegenspieler konnten sich Insekten explosionsartig vermehren, was wiederum von Spinnen reichlich genutzt wird. Wer heute durch den Wald auf Guam geht, hört kaum einen Vogel singen, läuft aber permanent durch Spinnennetze. Immer wieder wird auch über Attacken auf kleine Kinder berichtet. Zudem verursachen die Schlangen wirtschaftliche Schäden durch Stromausfälle – sie nisten sich gerne in Verteilerkästen ein. In ihrer Not überlegen die Behörden, vergiftete Mäuse aus dem Flugzeug abzuwerfen, um die Plage einzudämmen. Das soll auch das Risiko minimieren, dass die Nattern auf andere Inseln verschleppt werden.

So massiv wie auf manchen Inseln sind die Probleme mit neu eingeführten Arten beispielsweise in Mitteleuropa aber bei Weitem nicht. "In Deutschland machen nur etwa zehn Prozent aller eingeführten Pflanzen Schwierigkeiten", sagt Ingolf Kühn. Bei den Tieren sei der Prozentsatz etwas höher. Hier hat etwa der Amerikanische Mink den Unmut von Naturschützern erregt, weil er die Eier von Wasservögeln frisst und so deren Bestände dezimiert. Und etliche neue Insekten betätigen sich als unerwünschte Schädlinge in der Land- und Forstwirtschaft. Die meisten neu eingeführten Arten aber sterben hier zu Lande entweder wieder aus oder gliedern sich ein, ohne ihre Nachbarn zu vernichten oder die Ökosysteme umzukrempeln.

"In Deutschland ist bisher keine Pflanze auf die Rote Liste geraten, weil jemand andere Pflanzenarten eingeführt hat", sagt Ingolf Kühn. Trotzdem müsse man auch in Deutschland darauf achten, welche Arten sich wo breit machen. So könne dasselbe Gewächs in einem Lebensraum fatale und in einem anderen sogar wünschenswerte Auswirkungen haben. Da gelte es, genau hinzuschauen, welches Ziel man jeweils erreichen wolle.

Die zwei Gesichter der Robinie

Der Forscher denkt dabei zum Beispiel an die Robinie. Dieser ursprünglich aus Nordamerika stammende Baum wird in Europa schon seit 300 Jahren in Parks und Gärten angepflanzt und ist ebenso zu einem beliebten Forstgehölz avanciert. Denn er wächst schnell, liefert wertvolles, widerstandsfähiges Holz, und seine duftenden, weißen Blütentrauben sind bei Bienen beliebt. Vor allem aber scheint er die Anspruchslosigkeit in Baumgestalt zu sein. Als Vertreter der Hülsenfrüchtler-Familie kann er mit Hilfe von Knöllchenbakterien in seinen Wurzeln Stickstoff aus der Luft fixieren und sich so selbst düngen. Dadurch kommt er auch auf extrem nährstoffarmen Böden zurecht, auf denen viele einheimische Gehölze keine Chance haben.

"Deshalb verwendet man die Art gern, um Industriebrachen, Bergbaufolgelandschaften oder andere gestörte Standorte aufzuforsten", erklärt Ingolf Kühn. Auf solchen Flächen können Robinien Bodenerosion verhindern und durch ihren selbst gemachten Stickstoffdünger sogar anderen Pflanzenarten den Weg bereiten. Damit scheinen diese Bäume auf den ersten Blick ein Paradebeispiel für das positive Wirken von gebietsfremden Arten zu sein, das Fred Pearce in seinem Buch beschwört.

Allerdings hat die Sache einen Haken. Denn so genügsam die forstlichen Alleskönner sind, so ausbreitungsfreudig sind sie auch. Sie denken gar nicht daran, in den Städten und auf all den vom Menschen gestörten Flächen zu bleiben, auf denen sie willkommen wären. Stattdessen haben sie den Sprung in die freie Natur geschafft – und bringen nun zahlreiche bedrohte Arten noch weiter in Bedrängnis. Besonders ungern sehen Naturschützer ihren Vormarsch in trockenen Graslandschaften, die zu den artenreichsten Lebensräumen Mitteleuropas gehören. Denn das Talent zur Stickstofffixierung, das auf gestörten Standorten erwünscht ist, wirkt sich in diesen von Natur aus nährstoffarmen Ökosystemen fatal aus. Wenn sich dort Robinien ausbreiten, verändern sie den Boden, die Lichtverhältnisse und das Mikroklima. Dadurch verdrängen sie viele der Licht und Wärme liebenden Pflanzen und Insekten, die für trockenes Grasland typisch sind. "So gestalten die Bäume diese Lebensräume komplett um und verdrängen konkurrenzschwächere Arten", erklärt Ingolf Kühn.

Robinie | Robinien helfen der Natur auf Industriebrachen und können dort der Artenvielfalt dienlich sein. Sie breiten sich aber auch auf Standorte aus, die Naturschützer eigentlich gerne erhalten würden.

Ähnliche Probleme sehen Ökologen weltweit mit den ebenfalls zu den Hülsenfrüchtlern gehörenden Akazien. In den letzten 25 Jahren haben Wissenschaftler fast 500 Studien über Akazieninvasionen und ihre Folgen veröffentlicht. So haben sie nachgewiesen, dass diese Bäume in den Böden des Mittelmeerraums nicht nur die physikalischen und chemischen Verhältnisse, die Aktivitäten der Mikroorganismen und die Vorräte an Pflanzensamen verändern. Sie beeinflussen auch die Nahrungsbeziehungen zwischen den Arten, den Wasserhaushalt sowie die Häufigkeit und Intensität von Feuern. Ähnlich wie Robinien schaffen Akazien also in einigen Regionen ganz neue Ökosysteme.

Mehr Vielfalt durch die Neuen?

Doch ist das etwas Schlimmes? Fred Pearce findet das in den meisten Fällen nicht. Der Naturschutz konzentriere sich einfach zu sehr darauf, die Vergangenheit zu erhalten. Dabei sei die Natur schon immer in Bewegung gewesen, und es gebe keinen Grund, nun ein Museum für nicht mehr zeitgemäße Ökosysteme zu schaffen. Zumal die Lebensgemeinschaften durch die Neuankömmlinge eher artenreicher als artenärmer würden. "Tatsächlich ist die Artenzahl in Deutschland durch gebietsfremde Tiere und Pflanzen gestiegen", bestätigt Ingolf Kühn. Einen ähnlichen Trend haben er und seine Kollegen auch in anderen Teilen Europas festgestellt. Eine Analyse der botanischen Vielfalt von 23 europäischen Regionen zeigt, dass dort seit dem Jahr 1500 insgesamt 69 Pflanzenarten ausgestorben sind. Gleichzeitig sind aber 1621 neue Gewächse aus anderen Teilen der Welt dazugekommen.

"Das hat nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun, wie uns manchmal vorgeworfen wird"Ingolf Kühn

Ein höherer Artenreichtum allein ist aus Sicht von Ökologen allerdings noch nicht unbedingt etwas Positives. Entscheidend sei vielmehr, um welche Arten es sich handle, argumentiert Daniel Simberloff von der University of Tennessee in Knoxville. Was nützt schließlich ein Vormarsch von Allerweltsarten, wenn gleichzeitig die Überlebenskünstler und Spezialisten verloren gehen? Ingolf Kühn sieht das ähnlich. "Unsere Studie bescheinigt den 23 untersuchten Regionen steigende Artenzahlen", erklärt der UFZ-Forscher. "Und andererseits zeigt sie, dass sich die Gebiete untereinander ähnlicher geworden sind." Die Flora vieler europäischer Gebiete hat also einen Teil ihrer Einzigartigkeit verloren.

Diese Entwicklung ist offenbar weltweit im Gang. War die Erde früher in voneinander abgegrenzte biogeografische Einheiten aufgeteilt, die jeweils ihre eigene Tier- und Pflanzenwelt hatten, verwischen die Unterschiede nun immer mehr. Die Globalisierung hat nicht nur den Handel erfasst, sondern auch die Natur. Ingolf Kühn vergleicht das gern mit Einkaufsstraßen, in denen weltweit die gleichen Ladenketten die gleichen Produkte anbieten. "Da fehlt dann einfach das Besondere und Eigene", findet der Forscher.

Rotfeuerfisch – Aquarienzierde wird zum hungrigen Problemfisch | In Aquarien und bei Tauchgängen an Korallenriffen gelten Rotfeuerfische der Gattung Pterois als Zierde, doch außerhalb ihres natürlichen Lebensraums im Indischen Ozean, Pazifik und dem Roten Meer werden die gefräßigen Fische rasch zum Problem. Da dort ihre natürlichen Feinde fehlen, dezimiert die Art Pterois volitans die Bestände anderer Rifffische, beispielsweise vor der US-Ostküste. Wahrscheinlich hatten Aquarianer ihre ehemaligen Lieblinge einfach in den Atlantik gekippt. Mittlerweile gibt es regelrechte Wettbewerbe von Sportfischern, um die Zahl der Rotfeuerfische einzudämmen. Im Mittelmeer macht sich eine andere Art breit: Pterois miles gelangte wohl über den Sueskanal hierher – und frisst sich jetzt langsam durch das Ökosystem.

Nun kann man natürlich sagen, dass diese Läden eben besonders erfolgreich und damit zu Recht überall vertreten seien. Genau so argumentiert Fred Pearce im Fall von invasiven Arten. Diese hätten sich ja unter anderem deshalb ausgebreitet, weil sie mit menschengemachtem Stress so gut zurechtkommen und auch in gestörten Ökosystemen gedeihen. Deshalb seien sie extrem gut für den Klimawandel und andere Herausforderungen der Zukunft gerüstet. Sie zu dämonisieren und zu bekämpfen, sei daher ein Fehler.

Doch sind die erfolgreichsten Invasoren tatsächlich jene, die über besonders zukunftsträchtige biologische Stärken verfügen? Auch dieser Frage sind Ingolf Kühn und seine Kollegen nachgegangen. Mit Computermodellen haben sie zum Beispiel untersucht, wie erfolgreich sich mitteleuropäische Pflanzen in Nordamerika etabliert haben und wovon das abhängt. Wie viele amerikanische Regionen ein pflanzlicher Neuankömmling erobert hat, hängt demnach vor allem davon ab, wie lange er schon vor Ort ist und wie viele Habitate er in seiner alten Heimat besiedelt hatte. Biologische Talente wie die Fähigkeit, dauerhafte Samenbanken im Boden aufzubauen oder lange zu blühen, spielten dagegen eine deutlich geringere Rolle.

Reichtum fördert Invasionen

In anderen Studien haben die UFZ-Forscher ebenfalls nachgewiesen, dass vor allem das Handeln des Menschen über den Erfolg von gebietsfremden Arten bestimmt. Wie oft wurden die jeweiligen Tiere und Pflanzen eingeführt? Wurden sie dauerhaft kultiviert und gehalten? Und wie steht ihre neue Heimat wirtschaftlich da? Das sind die entscheidenden Fragen. "Reiche Länder importieren viele Güter und damit auch gebietsfremde Arten", erklärt Ingolf Kühn. "Und sie greifen oft besonders stark in ihre natürlichen Lebensräume ein." Darum haben die Neuankömmlinge dort oft leichteres Spiel. Wohlstand und Bevölkerungsdichte eines Landes beeinflussen die Zahl der dort etablierten neuen Arten demnach stärker als zum Beispiel das Klima.

Ob die heutigen Invasoren tatsächlich besser für die Zukunft gerüstet sind als andere, ist also keineswegs gesichert, zumal sie ihr tatsächliches Potenzial oft erst nach Jahrzehnten zeigen. So haben die UFZ-Forscher zehn verschiedene Organismengruppen, von Gefäßpflanzen über Pilze und Insekten bis hin zu Säugetieren, in 28 europäischen Ländern untersucht. Wie sie dabei festgestellt haben, hängt die Zahl der in freier Wildbahn etablierten Neuankömmlinge in einem Land stärker von der sozialen und wirtschaftlichen Situation des Jahres 1900 ab als von der heutigen. "Auf welche Weise sich die aktuelle Lage auswirkt, werden wir wohl erst in ein paar Jahrzehnten wissen", sagt Ingolf Kühn.

Bis dahin einfach die Hände in den Schoß zu legen und dem Vormarsch der neuen Arten tatenlos zuzusehen, hält er allerdings für keine gute Idee. Denn wenn sich eine Art in Europa erst einmal etabliert hat, wird man sie kaum wieder los, und wenn sie noch so viele Probleme macht. Ingolf Kühn plädiert daher dafür, invasive Arten möglichst gar nicht erst einzuführen – oder wenigstens schon gegen sie vorzugehen, wenn erst wenige Individuen in freier Wildbahn aufgetaucht sind. Bei den bereits etablierten Neuankömmlingen sei eine flächendeckende Bekämpfung dagegen sinnlos und eine Lizenz zum Geldverbrennen. "Da können wir nur versuchen, die problematischen Arten zumindest von den Naturschutzgebieten fernzuhalten", meint der Ökologe. Wenn man da nichts unternehme, würden sich Robinien und vielleicht ein gutes Dutzend weitere gebietsfremder Gehölze vielerorts durchsetzen. Und so viel Einförmigkeit mag er schon in den Einkaufsstraßen Europas nicht. Geschweige denn in der Natur.

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