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Klimawandel: 50:50-Chance für 1,5-Grad-Marke bis 2026

Die Welt hatte vereinbart, die Erderwärmung möglichst auf weniger als zwei Grad Celsius zu begrenzen. Doch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass wir bis 2026 eine erste Grenze erreichen.
Waldbrände tauchen San Francisco in einen roten Schimmer.

Schon in den nächsten vier Jahren könnte die Durchschnittstemperatur der Erde eine wichtige Schwelle überschreiten, warnt die Weltmeteorologieorganisation (WMO) mit Sitz in Genf: Es bestehe eine 50:50-Chance, dass die globale Mitteltemperatur in mindestens einem der nächsten fünf Jahre zwischen 2022 und 2026 zumindest vorübergehend 1,5 Grad Celsius über dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung liegt, schreiben die Beteiligten. Und diese Wahrscheinlichkeit steige stetig an: Sie lag 2015 noch nahe null und zwischen 2017 und 2021 nur bei etwa zehn Prozent.

Zugleich beträgt die Wahrscheinlichkeit 93 Prozent, dass eines der Jahre zwischen 2022 und 2026 das wärmste Jahr seit Beginn moderner Wetteraufzeichnungen wird. Damit würde 2016 als bisheriger Spitzenreiter verdrängt werden. Und eine ebenfalls 93-prozentige Wahrscheinlichkeit errechnete die Arbeitsgruppe dafür, dass der Fünf-Jahres-Durchschnitt für 2022 bis 2026 höher liegt als der der letzten fünf Jahre von 2017 bis 2021.

»Diese Studie zeigt mit hoher wissenschaftlicher Güte, dass wir dem unteren Ziel des Pariser Klimaabkommens vorübergehend messbar näher kommen. Die 1,5 Grad sind ein Indikator für den Punkt, an dem die Klimaauswirkungen für die Menschen und den gesamten Planeten zunehmend schädlich werden«, sagte WMO-Generalsekretär Petteri Taalas. »Ein einziges Jahr mit einer Überschreitung von 1,5 Grad bedeutet nicht, dass wir die symbolische Schwelle des Pariser Abkommens überschritten haben. Aber es zeigt, dass wir einer Situation immer näher kommen, in der dieser Wert für einen längeren Zeitraum überschritten werden könnte«, ergänzt Leon Hermanson vom Met Office, der den Bericht federführend erstellte.

In Bezug auf das Pariser Klimaabkommen ist nicht das Temperaturniveau eines einzelnen Jahres entscheidend. Die 1,5-Grad-Grenze gilt dann als offiziell überschritten, wenn die globale Durchschnittstemperatur über eine meteorologische Messperiode von 20 oder 30 Jahren darüberliegt.

2022 dürfte dieser Wert noch nicht fallen, da im Pazifik La Niña herrscht: Das Wetterphänomen sorgt für unterkühlte Bedingungen im tropischen Pazifik und dämpft damit den globalen Mittelwert. Umgekehrt dürfte der nächste El Niño mit seinem erwärmenden Einfluss die Temperaturen nach oben treiben, wie es 2016 der Fall war. Bislang gibt es für eine Umkehrung der Bedingungen zu Ende 2022 keine eindeutigen Signale.

Mit verstärkter Trockenheit rechnen die Fachleute der WMO im laufenden Jahr für Südwesteuropa und den Südwesten von Nordamerika, wo bereits gegenwärtig eine ausgeprägte Dürre herrscht. In Nordeuropa, der Sahelzone, dem Nordosten Brasiliens und in Australien erwarten sie hingegen feuchtere Bedingungen als im langjährigen Mittel. Zumindest Letzteres hängt auch mit La Niña zusammen.

Die WMO wagt zudem eine Prognose für die Arktis, wo die Erwärmung in den nächsten fünf Wintern mehr als dreimal so stark ausfallen soll wie beim Rest des Planeten. Die Region bestätigt damit den Trend der letzten Jahrzehnte, dass sich hier der Klimawandel schneller und stärker bemerkbar macht als in vielen anderen Gebieten der Erde.

»Die Aktualisierung der WMO macht deutlich, wie schnell sich unser Planet erwärmt. Es sind erst sechseinhalb Jahre seit der Verabschiedung des Pariser Abkommens vergangen, und schon jetzt gibt es Vorhersagen, dass wir in naher Zukunft eine kurze Überschreitung der 1,5-Grad-Grenze für die globale Erwärmung erleben könnten. Selbst wenn es erst einmal nur für ein einzelnes Jahr wäre, ist das Besorgnis erregend. Unsere Treibhausgasemissionen sind zudem nach wie vor rekordverdächtig hoch, und solange wir die Emissionen nicht auf null reduzieren, wird die Erderwärmung weitergehen. Wenn wir diese Maßnahmen nicht ergreifen, werden wir noch viel schlimmere Hitzewellen und Buschfeuer erleben und Korallenriffe, die bis zur Unkenntlichkeit dezimiert sind«, warnt der Klimatologe Andrew King von der University of Melbourne gegenüber dem australischen Science Media Center.

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