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Klimawandel: Wälder könnten noch enorm viel mehr Kohlenstoff speichern

Weit mehr als das Zehnfache der jährlichen Kohlenstoffemissionen könnten die globalen Wälder speichern, wenn man sie nur ließe. Das hat jetzt ein Forscherteam berechnet.
Alte Bäume auf Vancouver Island
Alte, artenreiche, vielfältige Wälder speichern die größten Mengen Kohlenstoff - über und unter der Erde. Doch bis sie an diesen Punkt gelangen, vergeht viel Zeit.

Wälder sind jetzt schon wichtige Kohlenstoffspeicher, bleiben aber noch deutlich unter ihrem Potenzial, weil sie zum Großteil durch menschlichen Einfluss verarmt sind. Würde man diese Verarmung rückgängig machen, könnten die Wälder große Mengen zusätzliches Kohlendioxid aus der Atmosphäre ziehen und in Form von Biomasse langfristig einschließen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie zur Rolle von Wäldern als Kohlenstoffspeicher.

Konkret zeigte sich: Würde man alle bestehenden Wälder der Welt, die abseits dicht besiedelter Gebiete liegen, in ihren natürlichen, ungestörten Zustand versetzen, entzöge dies der Atmosphäre rund 139 Gigatonnen Kohlenstoff. Das entspricht etwa dem 14-Fachen dessen, was die Menschheit jedes Jahr an Kohlenstoff in Form von CO2 emittiert. Würde man zusätzlich in dünn besiedelten Gebieten alle abgeholzten Flächen wiederaufforsten, käme ein weiterer Kohlenstoffspeicher im Umfang von 87 Gigatonnen hinzu.

Das rechnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun im Fachblatt »Nature« vor. Das Ziel des vielköpfigen Autorenteams um Lidong Mo von der ETH Zürich war es zu bestimmen, welches Kohlenstoffspeicherpotenzial die Wälder hätten, wenn man gleichzeitig die Landnutzungskonflikte möglichst gering halten wolle.

Für ihre Abschätzung kombinierten sie bodengebundene und satellitengestützte Messungen des Kohlenstoffgehalts von Wäldern über und unter der Erde und erstellten daraus ein globales Modell.

Renaturierung und nachhaltiges Waldmanagement könnten folglich einen substanziellen Beitrag zum Klimaschutz leisten, resümiert das Team. Gleichzeitig geht aus der Studie hervor, dass die Menschheit trotzdem nicht auf eine Verringerung der CO2-Emissionen verzichten können wird.

Je höher die Biodiversität eines Waldes, desto größer sein Speicherpotenzial. »Die meisten Wälder der Welt sind stark geschädigt. Viele Menschen dürften noch nie in ihrem Leben in einem der wenigen noch existierenden alten Wälder gewesen sein«, sagt Erstautor Mo. »Um die biologische Vielfalt weltweit wiederherzustellen, muss es oberste Priorität haben, die Entwaldung zu stoppen.« (Mehr zum Thema auf Spektrum.de: »Nachhaltig abgewirtschaftet: Der Mythos der nachhaltigen Forstwirtschaft am Amazonas«)

Die Studie entstand unter Federführung von Thomas Crowther, der ebenfalls an der ETH Zürich forscht. Seine Arbeitsgruppe hatte 2019 mit einer viel beachteten, aber auch stark kritisierten Studie für Aufsehen gesorgt. Damals erklärten die Fachleute, dass man allein durch Aufforstung brachliegender Flächen rund 200 Gigatonnen Kohlenstoff speichern könne. Diese Zahl wurde in der Fachwelt als viel zu hoch kritisiert, unter anderem weil große Teile der berücksichtigten Flächen gar nicht für eine Wiederaufforstung zur Verfügung stehen. Trotzdem war die Studie von Gegnern einer ambitionierten Klimapolitik als Beleg zitiert worden, dass sich die Welt dank Aufforstungsmaßnahmen mit dem Ausstieg aus der fossilen Energieerzeugung noch länger Zeit lassen könne.

Speicher mit vielen Löchern

In ihrer aktuellen Publikation will die Forschungsgruppe diesen Fehler nun nicht wiederholen und nur jenes Land in die Rechnung einbeziehen, das auch tatsächlich in Wald umgenutzt werden kann oder auf dem bereits Wald wächst. Fachleute bescheinigen der jüngsten Veröffentlichung in der Tat auch eine solide Methodik und nachvollziehbare Schlussfolgerungen. Auf Anfrage des Science Media Center räumen Experten allerdings ein, dass das Speicherpotenzial aus zwei Gründen in der Praxis nur eingeschränkt zur Geltung kommt.

Zum einen könnte sich die fortschreitende Klimaerwärmung durch Effekte wie Hitze, Dürre und vermehrte Waldbrände negativ auf die Renaturierungsfähigkeit geschädigter Wälder auswirken. Selbst Wälder, die noch in ihrem Ursprungszustand sind, drohen aktuell an gespeichertem Kohlenstoff zu verlieren. Wie die globalen Wälder auf verschiedene Klimaszenarien reagieren, haben Mo und Team nicht durchgerechnet.

Zum anderen wachsen Bäume nur sehr langsam, entsprechend lange dauert der Prozess: »Mit den hier berechneten, maximal möglichen Vorräten [an Biomasse, d. Red.] ist, unabhängig von der Flächengröße, wohl erst in 100 bis 200 Jahren zu rechnen, wenn man sofort überall gleichzeitig beginnen würde«, sagt Christian Körner, emeritierter Professor von der Universität Basel, dem Science Media Center. Das ist viel zu spät, um den derzeitigen Klimawandel zu bremsen.

Zudem ignoriere die Studie die Dynamik im Wald: Der über Generationen aufgebaute Kohlenstoffspeicher könne durch Feuer, Windwurf und Insekten binnen Tagen oder Wochen geleert werden, danach dauere es wieder Generationen, bis er sich füllt. Eine solche Umwälzung sei in der Realität eher die Regel als die Ausnahme. Körner veranschlagt deshalb den dauerhaften Vorrat an Biomasse im langjährigen Schnitt eher grob bei der Hälfte des von Mo und Team zu Grunde gelegten Maximalwerts.

Offen bleibt bei der Interpretation der Ergebnisse auch, wie stark das Speicherpotenzial der wiederhergestellten Wälder sinkt, wenn sie genutzt werden – und auf welche Art sie genutzt werden sollten. Oberstes Ziel bei der Wiederaufforstung sei die Erzeugung von Vielfalt, erklären die Autoren der »Nature«-Studie: Aufforstung bestehe nicht im Anlegen einer Baumplantage, wird Thomas Crowther in einer Pressemitteilung der Universität zitiert. Stattdessen müssten lokale Gemeinschaften, indigene Völker und Menschen, die Landwirtschaft betreiben, auch finanziell in die Lage versetzt werden, die Biodiversität zu bewahren. »Nur wenn eine gesunde biologische Vielfalt die bevorzugte Wahl für lokale Gemeinschaften ist, werden wir als Nebenprodukt eine langfristige Kohlenstoffbindung erreichen«, erklärt der Forscher.

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