Direkt zum Inhalt

Antarktis: Unerwünschte Einwanderer auf dem Südkontinent

Der unwirtliche Eiskontinent ist eine der letzten unberührten Wildnisse der Welt. Doch Mensch und Klimawandel bahnen nun Eindringlingen aus wärmeren Regionen den Weg.
Moospolster in der Antarktis

Für Jahrmillionen war die Antarktis völlig abgeschirmt von menschlichen Einflüssen; Tiere und Pflanzen lebten fast wie auf einem eigenen Planeten. Seit den legendären Antarktis-Expeditionen Anfang des 20. Jahrhunderts haben jedoch viele Menschen ihren Fuß auf das ewige Eis gesetzt. Forscher und immer mehr Touristen reisen dort hin, Zehntausende sind es pro Jahr, mit steigender Tendenz. Dadurch wächst auch die Gefahr der Einschleppung von »alien species« in die als besonders fragil geltenden südpolaren Lebensgemeinschaften.

»Die Gründe hierfür sind das hohe Maß menschlicher Aktivitäten und die für antarktische Verhältnisse vergleichsweise hohen Temperaturen in diesem Gebiet«, erklärt der Ökologe Fritz Hertel, beim Umweltbundesamt für den Schutz der Polargebiete zuständig. Das Umweltbundesamt ist nicht nur die nationale Genehmigungsbehörde für alle von Deutschland ausgehenden Aktivitäten in der Antarktis, sondern unterstützt auch verschiedene Monitoring-Programme. Auf King George Island (South Shetland Island) beispielsweise gebe es seit einigen Jahren lokale Populationen verschiedener Fliegenarten (Gattung Trichocera). Diese seien zunächst auf das Gelände der dortigen Forschungsstationen beschränkt gewesen, doch Berichte aus jüngster Zeit würden darauf hinweisen, dass sich diese Fliegen auch außerhalb der Stationen aufhalten und eventuell sogar fortpflanzen.

Nicht nur Tiere werden eingeschleppt, sondern auch Pflanzen, obwohl man die Antarktis auf den ersten Blick nicht mit »grün« assoziiert. Mächtige Eispanzer und Gletscher beherrschen schließlich den größten Teil der Landmasse. Und natürlich ist es für Vegetation fast überall zu kalt und zu unwirtlich. In den Randbereichen jedoch, die frei von Eis sind, schaffen es tatsächlich einige sehr spezialisierte Pflanzen zu überleben. Sie haben sich an extreme Lebensbedingungen angepasst: Dazu zählt außer Kälte wenig Licht beziehungsweise monatelange Dunkelheit und ein trockener, zudem salzhaltiger Boden.

Spezialisierte Pflanzen blühen in der Antarktis

Unter diesen Bedingungen gedeihen überwiegend Vertreter der niederen Pflanzen wie Algen, Flechten und Moose; zudem Pilze. Immerhin zwei Blütenpflanzen sind auch dabei: die Antarktische Schmiele (Dechampsia antarctica), ein Süßgras mit 10 bis 30 Zentimetern Höhe, und die Antarktische Perlwurz (Colobanthus crassifolius, Synonym: Colobanthus quitensis), die zu den Nelkengewächsen gehört. Sie bildet üppige, gelb blühende Polster auf Felsbrocken und steinigem Boden.

Die artenreichste Gruppe innerhalb der antarktischen Flora bilden die Flechten, ein symbiotischer Zusammenschluss aus Algen und Pilzen. Sie haben sich in mehr als 750 Arten aufgespalten; und manche sind in der Lage, noch bei minus zehn Grad Fotosynthese zu treiben. Aber die harschen Bedingungen haben ihren Preis: Die Vegetationsperioden sind kurz, die Pflanzen wachsen und verbreiten sich nur langsam, die meiste Zeit ruhen sie.

»Der Durchmesser vieler Flechten nimmt in 100 Jahren nur um 10 bis 16 Millimeter zu«, heißt es auf der Website des Umweltbundesamts. »Einfache Fußspuren im Moos können selbst nach Jahrzehnten noch sichtbar sein. Wegen dieser Sensibilität ist es wichtig, das Ökosystem der Antarktis zu schützen. Selbst geringe Eingriffe können zu dauerhaften und irreversiblen Schäden führen.«

Hitzerekord in der Antarktis

Die Antarktische Halbinsel im Nordwesten des Kontinents steht besonders im Fokus der Einschleppung. Beim Blick auf die Landkarte wirkt sie wie ein Wurmfortsatz, der Richtung Südamerika zeigt. Auf Grund ihres relativ milden Klimas befinden sich hier die meisten Forschungsstationen, und diese Region ist ebenfalls das bevorzugte Ziel von Touristen. Jüngst machte die Nordspitze aber mit einem neuen Hitzerekord Schlagzeilen: Mit 18,3 Grad Celsius wurde die höchste Temperatur seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen.

Welche Auswirkungen die Einschleppung fremder Arten auf hochspezialisierte Pflanzen haben kann, zeigt zum Beispiel das Einjährige Rispengras (Poa annua). Es ist auch bei uns sowie in der gesamten gemäßigten Zone verbreitet. Auf Grund seiner Anspruchslosigkeit gedeiht es selbst auf Schutthalden und wird wegen seiner Robustheit auf Golfplätzen eingesetzt. Chilenische Wissenschaftler veröffentlichten 2012 die Ergebnisse ihrer botanischen Untersuchung auf dem Südkontinent, darunter auch der Antarktischen Halbinsel.

Fazit: »Die Anwesenheit des Einjährigen Rispengrases ging einher mit einer statistisch signifikanten Biomasse-Abnahme der Antarktischen Schmiele und der Antarktischen Perlwurz« – also der beiden einheimischen Arten. Deren Fotosyntheseleistung sank durch die Anwesenheit des invasiven Rispengrases ebenfalls statistisch signifikant, wie Laborexperimente mit den drei Pflanzen unter nachgestellten Umweltbedingungen zeigten. Das Rispengras fand sich vor allem in der Nähe der Schifffahrtsrouten sowohl von Forschern als auch Touristen. Deshalb schlussfolgern die Autoren: »Wenn die Aktivitäten des Menschen und die regionale Erwärmung andauern, wandern wahrscheinlich mehr Pflanzenarten ein, was negative Folgen für die heimischen Arten haben kann.«

Menschen schleppen Tiere und Pflanzen ein

Auch andere Wissenschaftler befürchten, dass nicht heimische Arten die empfindlichen Lebensgemeinschaften im Meer und an Land dominieren werden. Eine vor Kurzem veröffentlichte Studie einer internationalen Forschergruppe unter der Leitung von Kevin Hughes, Umweltwissenschaftler vom British Antarctic Survey (BAS), wertete Hunderte wissenschaftlicher Studien und Datensätze aus, um jene Arten zu identifizieren, deren Invasion auf der Antarktischen Halbinsel sehr wahrscheinlich ist.

Von 103 möglichen Arten definierte das Team 13 Arten mit der größten Wahrscheinlichkeit. Ganz oben stehen Muscheln, Krebse und ein vielborstiger Meereswurm (Chaetopterus variopedatus); außerdem Kelp-Algen. Auf dem Land sind es Springschwänze (Collembolen) und Milben sowie zwei Blütenpflanzen (Leptinella spec.), die zur Familie der Asterngewächse gehören.

»Ein besonderes Problem stellen Meeresbewohner dar, die an Schiffsrümpfen haften und so nach Antarktika kommen«Kevin Hughes

Gebietsfremde Pflanzen und Tiere werden auf verschiedene Weise von Menschen eingetragen. Zum Beispiel, wenn an Kleidung oder Schuhen der Besucher Samen oder Bodenreste haften. Oder über Fahrzeuge, Gepäck und Nahrungsvorräte, in denen sich Insekten oder gar Mäuse und Ratten verbergen können. »Ein besonderes Problem stellen Meeresbewohner dar, die an Schiffsrümpfen haften und so nach Antarktika kommen«, erklärt Kevin Hughes. »Wenn die sich erst mal etabliert haben, kann es sehr schwer sein, sie wieder zu entfernen.«

Manche Muschelarten verbreiten sich leicht in polaren Gewässern und können dann heimische Tierarten, die am Meeresgrund leben, überwachsen. Das Umweltbundesamt weist darauf hin, dass in einigen Fällen sogar Arten aus der Arktis in die Antarktis gelangen. Und: »Gerade bei Kreuzfahrten, bei denen mehrere Orte der Antarktis angelaufen werden, erhöht sich das Risiko, bereits eingeschleppte Arten weiter zu verbreiten.«

Forschungsstation in der Antarktis

Welche Folgen können eingewanderte Arten haben? Julian Gutt, der seit mehr als 30 Jahren die Ökologie des südlichen Ozeans erforscht, erklärt, das Problem sei vielfältig. Eine Risikoabschätzung sei schwierig wegen unterschiedlichster Variablen – zum Beispiel das Angebot an Nahrung, Fortpflanzungschancen und nicht zuletzt Klimaveränderungen. Doch der Ökologe am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, sagt auch: »Insgesamt muss das antarktische terrestrische und marine Ökosystem wegen der langen Isolation als besonders empfindlich angesehen werden.«

»Insgesamt muss das antarktische terrestrische und marine Ökosystem wegen der langen Isolation als besonders empfindlich angesehen werden«Julian Gutt

Beispielsweise könne ein scherentragender Krebs für Bewohner des Meeresbodens zu einer Gefahr werden, weil sie als potenzielle Futterorganismen nicht an einen solchen Räuber angepasst seien und weil die Krebse keine Konkurrenten hätten. Und die Miesmuschel könnte der antarktischen Jakobsmuschel Konkurrenz machen.

Um die Rolle des Menschen beim Eintrag von »alien species« in der Antarktis zu untersuchen, vergab das Umweltbundesamt einen Forschungsauftrag an das Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz. Zu den Ergebnissen, die 2013 publiziert wurden, gehören »signifikante Auswirkungen des Menschen auf die Bodenfauna«, die »meist zu verringerten Individuendichten« führten. Bei den Springschwänzen und Milben (Actinedida) wurden acht Arten als nicht einheimisch und potenziell eingeschleppt identifiziert, vor allem auf subantarktischen Inseln.

Vor Betreten der Antarktis bitte Schuhe säubern!

Als Konsequenz forderten die Forscher intensiveren Schutz vor Einschleppung durch vorbeugende Maßnahmen sowie eine Einschränkung der Gebiete, die Touristen besuchen dürfen. Das Umweltbundesamt hat einen Leitfaden mit Verhaltensregeln für Antarktis-Reisende veröffentlicht, zu denen unter anderem die gründliche Reinigung von Schuhen, Wanderstöcken, Stativen und Klettverschlüssen gehört.

Nach Auskunft von Fritz Hertel funktioniert das »in der Praxis bislang relativ gut«. Allerdings steige auch hier die Gefahr der Einschleppung mit zunehmender Zahl von Schiffen und Touristen. Das Umweltbundesamt dringe deshalb regelmäßig darauf, »die Monitoring-Bemühungen der Antarktis-Vertragsstaaten zu verstärken und besser aufeinander abzustimmen. Dies betrifft auch das Monitoring im Bereich der ›non-native species‹.«

Bei Wirbeltieren wie Ratten und Mäusen gilt die Gefahr einer dauerhaften Ansiedlung derzeit zumindest als gering. Zwar haben sie es schon bis auf einige subantarktische Inseln geschafft, zum Beispiel zur Marion-Insel, die zu den Prinz-Edward-Inseln gehört, und nach Südgeorgien, einer südöstlich von Argentinien gelegenen Insel. Dennoch steht die Etablierung von Nagern auf der Antarktischen Halbinsel innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht bevor. Dafür ist es – draußen – zu kalt. »In Gebäuden der Forschungsstationen könnten Mäuse und Ratten jedoch überleben«, vermutet die Ökologin Helen Roy vom UK Centre for Ecology & Hydrology, die ebenfalls an der BAS-Studie mitgearbeitet hat. »Deshalb sollten die Bewohner dort gezielt auf Kot- und Nage-Spuren achten.«

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.