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Phthalat im Urin: Woher stammt der verbotene Weichmacher?

In Urinproben vieler Deutscher ist überraschend eine Substanz aufgetaucht, die vermutlich das Abbauprodukt eines verbotenen Weichmachers ist. Auf der Suche nach der Quelle steht jetzt Sonnencreme im Verdacht.
Statuen des Männeken Pis in Gold- Silber- und Bronzefarben; offensichtlich in einem Regal, vielleciht in einem sonderbaren souvenirshop
Weil eine Besorgnis erregende Substanz aufgetaucht ist, untersuchen Behörden jetzt zahlreiche Urinproben der Bevölkerung.

Zur großen Überraschung von Experten sind viele Bürgerinnen und Bürger vermutlich dauerhaft einem seit Jahren verbotenen Weichmacher ausgesetzt. Wie aktuelle Analysen des Umweltbundesamts zeigen, enthalten bislang 37 Prozent der Proben aus einer derzeit laufenden Untersuchung die Substanz Mono-n-hexyl-Phthalat (MnHexP). Der Stoff ist ein Abbauprodukt des gefährlichen Weichmachers Di-n-hexyl-Phthalat (DnHexP) – und der ist seit Jahren in der EU verboten. Woher die Substanz stammt, ist noch unklar, doch ein erster Verdacht der Behörde deutet jetzt in Richtung Sonnencreme.

»So einen Stoff dürfte man nicht im Körper finden und wir finden ihn«, sagte Marika Kolossa, Toxikologin am Umweltbundesamt, am Donnerstag gegenüber der dpa. Wie man aus Tierversuchen weiß, kann die Substanz die Fortpflanzungsorgane männlicher Föten im Mutterleib schädigen und auch für Erwachsene gesundheitsschädlich sein. Sie entsteht, wenn der Körper DnHexP abbaut.

Eine Recherche löst großflächige Untersuchungen aus

Dieser Stoff ist in der EU seit 2013 mit wenigen Ausnahmen praktisch verboten, beispielsweise in Kosmetika, Spielzeug und Materialien, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen. Seit 2023 muss eine Zulassung für einen bestimmten Zweck explizit beantragt werden – bislang hat jedoch niemand einen Antrag gestellt. Deshalb hatten die Behörden ihn eigentlich nicht als potenzielles Problem auf dem Schirm. Das änderte sich schlagartig, als das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) in Nordrhein-Westfalen Ende 2023 eine »anlassbezogene Untersuchung« in die Wege leitete. Auslöser war eine Recherche des Fernsehsenders RTL zur Belastung mit Weichmachern in der Bevölkerung. Das Team hatte Urinproben einer Familie analysieren lassen, um zu sehen, welche solcher Substanzen darin vorhanden waren. Dass sich dort Mono-n-hexyl-Phthalat fand, schockierte die analysierenden Wissenschaftler. Alarmiert von den Ergebnissen, testete das LANUV daraufhin 250 Urinproben, die in den Jahren 2020 und 2021 von Kindergartenkindern genommen worden waren, auf den Stoff. Und tatsächlich: Gut 150 davon – 61 Prozent – enthielten die Chemikalie. Dagegen war das nur bei 26 Prozent der Proben aus den Jahren 2016/17 der Fall. Und auch die Konzentrationen unterschieden sich deutlich: In den älteren Proben lagen diese bei durchschnittlich 0,28 Mikrogramm pro Liter, im Jahr 2021/21 waren sie zehnmal so hoch.

Experten gehen davon aus, dass das Problem flächendeckend besteht und sich nicht auf Nordrhein-Westfalen beschränkt. Das Umweltbundesamt hat jetzt einen Zwischenstand aus einer aktuellen Erhebung zur Schadstoffbelastung in der Bevölkerung veröffentlicht, laut der bislang 37 Prozent der Proben an Erwachsenen das Abbauprodukt enthalten. Auf der Suche nach den Quellen haben die Fachleute jetzt eine Spur. »In unseren ersten sondierenden Analysen sehen wir einen Zusammenhang zwischen der Belastung mit MnHexP und Kosmetika, darunter insbesondere Sonnenschutzmitteln«, erklärt Kolossa. Sie warnte aber davor, auf diese zu verzichten, da sie vor Krebs erregenden UV-Strahlen schützen.

Phthalate sind als Weichmacher in Kunststoffen weit verbreitet. Weil sie den Hormonhaushalt stören können (»endokrine Disruptoren«), sind sie unter anderem in Spielzeug und Kosmetika in der EU mittlerweile verboten. Der Mensch nimmt die Stoffe in der Regel über die Atemwege auf, wenn sie aus Kunststoffgegenständen ausgasen. Der Körper baut sie ab und scheidet sie mit dem Urin normalerweise innerhalb weniger Tage aus. Wenn sich in Urinproben der Bevölkerung konstant Abbauprodukte dieser Stoffe finden, deutet das darauf hin, dass die Menschen ihnen dauerhaft ausgesetzt sind.

Das Umweltbundesamt informiert auf seiner Website über die wichtigsten Erkenntnisse zu dem Fall.

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