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Isländischer Walfang: »Es ist die Obsession eines einzelnen Mannes«

Dass in Island die Waljagd wieder losgeht, ist ein gutes Zeichen, sagt Walfangexperte Patrick Ramage im Interview: Dadurch könnte schon im Dezember für immer damit Schluss sein.
Ein Wal wird in die Station von Havlur hf gezogen
Ein toter Wal wird in die Walfangstation Midsandur gezogen. Nur eine Firma betreibt in Island noch Jagd auf Finnwale. Im Dezember 2023 läuft die Fünfjahreslizenz der Firma aus – womöglich für immer.

Für kurze Zeit schien es in diesem Sommer bereits vorbei zu sein mit dem Walfang auf Island. Das Fischereiministerium stoppte am 20. Juni, kurz vor Beginn der Fangsaison, die Jagd auf den Finnwal. Das ist die einzige Walart, die in Islands Gewässern noch getötet wird. Um das Jagdverbot zu begründen, berief sich Svandís Svavarsdóttir, die Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Fischerei, auf einen von ihr in Auftrag gegebenen Bericht vom 8. Mai. Darin untersuchte eine Fachgruppe, ob der isländische Walfang die Tierschutzgesetze einhält oder nicht.

Dem war nicht so. Zwischen August und September 2022 hatte die Veterinäraufsichtsbehörde Videos auf den Walfängerbooten gemacht. Die Filme zeigten, wie qualvoll die Jagd auf den Finnwal abläuft. Ein knappes Viertel der erlegten Tiere musste mehrfach harpuniert werden; sie hatten die erste Sprengladung überlebt. Der Todeskampf zweier Finnwale zog sich über ein bis zwei Stunden hin. Einem anderen Tier wurde fünf Stunden lang nachgejagt. Die Leine der Harpune, die in seinem Rücken steckte, war gerissen.

Der isländische Fachrat für Tierwohl, der den Bericht begutachtete, kam zu dem Schluss: Dieser Walfang ist mit den Tierschutzgesetzen nicht vereinbar – und wird es vermutlich niemals sein. Svavarsdóttir reagierte umgehend mit dem Verbot der Jagd, Tierschutzorganisationen in aller Welt brachen in Jubel aus.

Doch die Freude der Aktivisten war voreilig. Die Fischereiministerin verlängerte den Fangstopp nicht, am 31. August lief er aus. Seitdem kann die Jagd auf den Finnwal weitergehen, bis Ende September der Saisonschluss kommt. Die Boote sind bereits in den Fanggründen. Allerdings müssen die Besatzungen nun neue, verschärfte Regeln einhalten und überdies nachweisen, dass sie im Einklang mit den Tierschutzgesetzen arbeiten.

Keine Lizenz, kein Walfang

Das Walfang-Business auf Island ist das Geschäft eines einzigen Mannes: Kristján Loftsson, inzwischen 80 Jahre alt, sehr vermögend, und vollkommen von der Waljagd eingenommen. Nur sein Unternehmen Hvalur hf – «hval» ist das isländische Wort für Wal – verfügt über eine Walfangerlaubnis. Im Dezember dieses Jahres endet seine Fünfjahreslizenz. Ob er eine neue erhält, die bis 2028 gilt, ist offen. Wird ihm die Jagderlaubnis verweigert, wäre dies das Aus für den isländischen Walfang.

Einer, der den alten Mann und die Waljagd auf Island gut kennt, ist Patrick Ramage. Bis 2020 leitete er das Meeresschutzprogramm der Tierschutzorganisation IFAW (International Fund for Animal Welfare) und ist heute Senior Director für Internationale Beziehungen. Ramage ist zuversichtlich, dass die Entscheidung der Fischereiministerin, die Jagd wieder freizugeben, nichts anderes bedeutet als das letzte Halali für Loftsson.

Patrick Ramage | Der Naturschützer war von 2007 bis 2020 Leiter des Meeresschutzprogramms der Tierschutzorganisation IFAW (International Fund for Animal Welfare). Heute ist er dort Senior Director für Internationale Beziehungen. In seiner Zeit als Programmdirektor leitete er viele Male die IFAW-Delegation bei den Treffen der Internationalen Walfangkommission. Außerdem vertrat er IFAW beim Arktischen Rat und bei der Welthandelsorganisation. Ramage lebt in den USA.

Spektrum.de: Herr Ramage, Sie befassen sich seit vielen Jahren mit dem Walfang auf Island. Nun sagen Sie: Die Entscheidung, die Jagd auf Finnwale für den Rest der Saison wieder zuzulassen, sei kein Rückschritt. Im Gegenteil: Damit werde der isländische Walfang endgültig zu Grabe getragen. Das müssen Sie erklären.

Patrick Ramage: Die Fischereiministerin musste diese Entscheidung, den Fangstopp wieder aufzuheben, nach isländischem Recht treffen. Sie hat die maximale Zeitspanne von drei Monaten ausgeschöpft, andernfalls hätte sie eine juristische Auseinandersetzung riskiert. Nun ist die Saison fast vorbei, Ende September ist Schluss. Ich weiß, es klingt grotesk zu sagen: Die Entscheidung pro Walfang ist ein Schritt, ihn endgültig zu stoppen, aber in diesem Fall trifft es zu. Nun muss der letzte Walfänger Islands, Kristján Loftsson, beweisen, dass er Wale schonend fangen kann, im Einklang mit dem Tierschutzgesetz und den neuen, sehr strengen Vorschriften. Wir glauben nicht, dass ihm das gelingt.

Welche neuen Regeln muss Loftsson nun einhalten, wenn er Finnwale jagt?

Seine Walfänger müssen auf mindestens 25 Meter an die Tiere herankommen, weiter weg dürfen sie nicht sein, wenn sie die Harpunen abfeuern. Es darf ausschließlich bei Tageslicht gejagt werden, das begrenzt im September die Fangzeit. Zudem gibt es eine ständige Überwachung auf den Booten, die Jagden werden alle gefilmt. Die Fänger müssen darin geschult worden sein, die Wale schonend zu fangen. Aber das ist unmöglich, diese Jagd ist immer qualvoll. Und genau das wird die Analyse der Daten am Ende dieses Monats auch zeigen. Es ist furchtbar, dass nun noch weitere Finnwale sterben müssen. Aber die Entscheidung der Ministerin war notwendig, sie hatte keine andere Wahl. Und am Ende der Saison werden ihr viele gute Gründe vorliegen, keine neue Fangerlaubnis mehr auszustellen. Das wäre das Ende des isländischen Walfangs.

»Hobby eines Milliardärs« | Der 80-jährige Milliardär Kristján Loftsson (rechts) betreibt den Walfang ohne ernsthafte Gewinnabsichten. Denn die Nachfrage nach Walfleisch ist so gering, dass die Kosten nicht gedeckt werden.

Was, wenn Loftsson es doch schafft, entgegen Ihrer Erwartung? Wenn er nachweisen kann, dass er mit seinen Fangmethoden die Tierschutzgesetze einhält?

Auch dann denke ich nicht, dass die Fischereiministerin eine neue Lizenz erteilt. Svavarsdóttir ist klar gegen den Walfang. Sie hat bereits Anfang 2022 in einem Artikel für die Tageszeitung »Morgunbladid« geschrieben, dass die Finnwaljagd nicht wirtschaftlich ist und dem Ansehen des Landes schadet. Schon damals hielt sie es für sehr unwahrscheinlich, dass es nach 2023 noch eine neue Jagderlaubnis gibt, und da lag diese Studie zur Grausamkeit des Walfangs noch gar nicht vor.

Im August erschien der Bericht eines isländischen Beratungsunternehmens, das die Wirtschaftlichkeit des heimischen Walfangs untersucht hat. Darin stand, dass die Jagd auf den Finnwal ein Minusgeschäft ist. Zwischen 2011 und 2019 hat sie etwa drei Milliarden Isländische Kronen Verlust gemacht, rund 21 Millionen Euro.

Loftsson ist das egal, er ist Milliardär. Er gibt Unsummen aus, um seine Walfangindustrie zu betreiben, die keinen Gewinn abwirft. Das Fleisch der erlegten Wale kann er ausschließlich nach Japan exportieren, doch dort sinkt seit Jahren die Nachfrage kontinuierlich. Selbst die japanischen Walfänger haben inzwischen große Mühe, ihr Walfleisch loszuwerden. Loftsson hat eine Firma in Japan gegründet. Dadurch exportiert er Walfleisch auf der isländischen Seite und importiert es auf der japanischen Seite. Aber wir können nicht nachvollziehen, was damit passiert, sobald er es nach Japan gebracht hat. Es ist schwierig, es auf dem dortigen Markt zu verfolgen.

Ein Walfangschiff der Firma Hvalur hf | »Hoffnungslos veraltet« seien die Fangschiffe. Mit ihnen muss die Besatzung auf mindestens 25 Meter an den Meeressäuger herankommen.

Was ist mit dem inländischen Markt?

In Island isst niemand das Fleisch von Finnwalen. Was noch verzehrt wird, in sehr geringem Ausmaß, ist das Fleisch von Zwergwalen. Früher gab es neben Loftsson, der ausschließlich Finnwale jagt, noch einen Minkwalfänger auf Island, doch der hat 2020 die Jagd eingestellt. Wir haben 2011 eine Kampagne gemacht, um Touristen davon abzuhalten, Walfleisch in Restaurants zu bestellen. Damals entfielen rund 40 Prozent des Verzehrs auf Touristen, die glaubten, ein traditionelles Gericht zu sich zu nehmen. Aber Walfang hat keine lange Tradition auf Island. Das erste Walfangunternehmen in der Hand eines Isländers wurde 1897 gegründet. Davor jagten ausschließlich ausländische Kompagnien in den Gewässern der Insel.

Ist Ihnen bekannt, welche Investitionen Loftsson getätigt hat, um die strengeren Vorschriften zu erfüllen?

Loftsson hat während des Sommers verschiedene Vorgehensweisen und Ausrüstungen entwickelt, die seiner Meinung nach die Bedenken hinsichtlich des Tierschutzes ausräumen und ein humanes Schlachten der Wale ermöglichen. Er hat auch vorgeschlagen, die Wale vor dem Harpunieren mit einer elektrischen Lanze zu betäuben. Doch dies wurde von der Ministerin abgelehnt, weil nicht sicher ist, ob das dem Tierwohl dient. Und er hat seine Mitarbeiter in der Technik geschult, sehr nah an den Wal heranzufahren. Aber seine Schiffe, Maschinen und Anlagen gehören im Grunde alle in ein Walfangmuseum, das sind Antiquitäten, hoffnungslos veraltet.

Offenbar lehnt eine Mehrheit der isländischen Bevölkerung inzwischen den Walfang ab. Der nationale Rundfunksender RÚV hat die Zahlen der jüngsten Umfrage veröffentlicht: Danach sind 42 Prozent gegen den Walfang, 29 Prozent sind dafür. Im vergangenen Jahr waren nur 33 Prozent dagegen und noch 35 Prozent dafür. Was ist mit dem Rest – und wie kommt es zu diesem Meinungsumschwung?

Viele Isländer haben keine Meinung zum Walfang, er ist für sie ohne Bedeutung. Dass jetzt mehr Einheimische dagegen als dafür sind, liegt meiner Ansicht nach daran, dass der Tourismus, vor allem der Ökotourismus, als Einnahmequelle so stark geworden ist. Whalewatching gehört zu den beliebtesten Angeboten des Ökotourismus auf Island. Mit der Walbeobachtung kann man viel mehr Geld verdienen als mit dem Harpunieren und Töten von Finnwalen. Das ist nichts anderes als das persönliche Interesse eines einzigen Mannes, sein Hobby und seine Obsession.

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