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Tierwohl: Fleisch essen (fast) ohne schlechtes Gewissen

Viele Menschen, die Fleisch essen, wünschen sich, dass es den Tieren zu Lebzeiten gut geht. Doch was heißt das genau? Und woher kommt das Geld für den dringend nötigen Umbau der Tierhaltung?
Vier Ferkel auf einer Wiese
Wenn wir schon Tiere essen, dann sollen sie zuvor wenigstens ein angenehmes Leben gehabt haben. Aber was ist damit eigentlich genau gemeint?

Sind die süß! Ein gutes Dutzend Ferkel, erst wenige Tage alt, drängt mit wackelnden Schwänzchen zu den Zitzen der Mutter. Die Sau, schwarz-rosa gescheckt wie die Kleinen, liegt auf einem Boden aus blankem Kunststoff und wartet geduldig, bis eines nach dem anderen seinen Platz gefunden hat und saugt. Das alles geschieht im warmen, fast schon kitschigen Schein einer Rotlichtlampe. Selbst der scharfe Stallgeruch stört fast nicht mehr, sondern gehört irgendwie dazu.

Doch die beschriebene Szenerie erzeugt gleichzeitig einen gewaltigen mentalen Widerspruch: In einem Moment lässt man sich von den jungen Tieren anrühren, möchte sie am liebsten vor allem Bösen dieser Welt bewahren – um sie dann im nächsten Moment, wenn sie älter sind, ohne mit der Wimper zu zucken, zu verspeisen.

So geht es vielen Menschen. 90 Prozent der Deutschen essen Fleisch – wenn auch oft mit schlechtem Gewissen. Regelmäßig berichten Medien und Organisationen über die negativen Auswirkungen der Tierhaltung auf die Natur und über die katastrophalen Zustände in zahlreichen Mastbetrieben. Kaum jemanden lassen die Bilder von Schweinen, Rindern oder Hühnern kalt, die in Ställen eingepfercht sind, sich wegen der Enge und Langeweile gegenseitig attackieren, teilweise bewegungsunfähig sind oder elendig ersticken. Diesen traurigen Tatsachen gegenüber stehen Genuss und Gewohnheit; maßvoller Fleischverzehr wird sogar von Ernährungsmedizinern empfohlen.

Ein Ausweg aus diesem Dilemma lautet: Wenn wir schon Tiere essen, dann sollen sie zuvor wenigstens ein angenehmes Leben gehabt haben. Tierwohl wird zunehmend zum Kaufargument. Doch was genau ist damit gemeint? Kann ich als Konsument wirklich nachvollziehen, wie es den Tieren erging, deren Fleisch nun auf meinem Teller liegt? Was muss in den Ställen dieses Landes unbedingt verbessert werden? Und: Wer bezahlt dafür?

Zu solchen Themen wird in Deutschland unter anderem am Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf bei Rostock gearbeitet. Die wissenschaftliche Einrichtung führt die Nutztierforschung fort, die hier bereits im Jahr 1939 begann, und wird heute je zur Hälfte vom Bund und dem Land Mecklenburg-Vorpommern finanziert. Die rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter untersuchen beispielsweise, wie Rinder vor Hitzestress geschützt werden können und welche Emotionen Schweine durch ihre Grunzlaute mitteilen. Den Ferkeln, die gerade an den Zitzen ihrer Mutter trinken, scheint es gut zu gehen – und das trotz konventioneller Haltung auf einem typischen Spaltenboden mitsamt Gitter um die Sau, das ihr kaum Bewegungsfreiheit zugesteht. Es lässt sich zumindest mit ungeschultem Blick nichts anderes an ihrem Verhalten ablesen. Gleich nebenan gibt es zum Vergleich eine Abteilung mit Biohaltung, das heißt, den Tieren dort stehen 7,5 statt 6,5 Quadratmeter Liegefläche zur Verfügung plus Auslauf ins Freie. Geht es ihnen dort besser? Fühlen sie sich wohler?

Forschung für mehr Tierwohl | Corinna Gladbach (links), Tierärztin am Forschungsinstitut für Nutztierbiologie, und Marianne Zenk, Stallleiterin, stehen neben einer Sau mit ihren Ferkeln. Die Sattelschweine werden hier zwar konventionell auf einem Spaltenboden gehalten, aber ohne den üblichen Ferkelschutzkorb. Im Mittelpunkt der Forschung steht die Frage, wie eine tier-, umwelt- und klimafreundliche Nutztierhaltung aussehen kann.

»Das ist schwer zu sagen«, meint Marianne Zenk, die Chefin des Forschungsstalls. Auslauf für die Tiere sei gut, weil sie von Natur aus gern in der Erde wühlen. Dort sammelten sich jedoch Parasiten wie Leberegel oder Würmer. »Bioschweine sind häufiger davon befallen«, sagt sie. In der konventionellen Zucht würden die Ferkel vier Wochen gesäugt, mit Biosiegel seien es zwei Wochen mehr. »Für die Ferkel ist das vielleicht gut«, sagt Zenk. »Aber die Sauen strengt das wirklich an, sie brauchen sehr lange, um sich davon zu erholen.« Das Metallgitter um die Muttertiere mag zudem unnatürlich, einengend und unbarmherzig erscheinen, doch es rettet Leben. »In der Biohaltung ohne Gitter werden deutlich mehr Ferkel von ihrer Mutter erdrückt.«

Das zeigt: Es ist nicht einfach, festzulegen, was »Tierwohl« eigentlich ist. Drei Dimensionen gelten gemeinhin als wesentlich: die Gesundheit der Tiere, das Ausführen natürlicher Verhaltensweisen sowie der emotionale Zustand. Teilweise hängen die Aspekte voneinander ab und können sich sogar widersprechen, wie am Auslauf auf natürlichem Boden erkennbar ist. Er entspricht zwar dem arttypischen Bedürfnis der Schweine, im Dreck zu wühlen, begünstigt aber einen Befall mit Parasiten.

Mehr Transparenz durch Label und Siegel?

Auf der Suche nach einem Kompromiss haben sich in Deutschland die so genannten Haltungsstufen durchgesetzt. Doch dieser Versuch, den Konsumentinnen und Konsumenten transparent darzulegen, wie die Tiere vor der Schlachtung gelebt haben, hat einige blinde Flecken, wie später deutlich werden wird.

Unterschieden werden dabei zunächst einmal vier Stufen: von der konventionellen Haltung im Stall, die die gesetzlichen Mindeststandards verspricht, über eine Stallhaltung mit Kontakt zur Außenwelt bis hin zur Premiumhaltung, die ständig Zugang ins Freiland ermöglicht und beispielsweise jedem Schwein doppelt so viel Platz zugesteht wie gesetzlich vorgeschrieben. Der höchsten Kategorie werden auch alle Biostandards zugeordnet.

Die Haltungsform auf einer Wurst- oder Fleischpackung anzugeben, war bisher eine freiwillige Selbstverpflichtung verschiedener Supermärkte. Nun hat die Bundesregierung für die Schweinehaltung in einem ersten Schritt eine verpflichtende Kennzeichnung in fünf Abstufungen (von »Stall« bis »Bio«) beschlossen. Ab 2024 müssen die staatlichen Logos auf den Produkten platziert werden. Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) will die Tierhaltungskennzeichnung künftig auf weitere Tierarten, die Gastronomie und auf verarbeitete Produkte ausweiten. Wie bei allen Labels gilt: Verbraucher und Verbraucherinnen müssen darauf vertrauen, dass die Kriterien regelmäßig kontrolliert und eingehalten werden.

Manche Bauern wollen über die Labels hinaus Vertrauen aufbauen, öffnen ihre Tore für Interessierte, stehen mit ihrem Namen für die Erzeugnisse, suchen individuelle Vertriebswege, etwa über das Internet – oft bewegen sie sich damit im höheren Preissegment. Und der allgemeine Zuspruch gibt ihnen Recht.

Entscheidend fürs Tierwohl sei jedoch weniger die formale Haltungsart, sondern mehr, wie gut die Tiere betreut werden, sagt Marianne Zenk. »Man erreicht schon viel, wenn man sie genau anschaut.« Ist ein Schwein blass, hat es struppiges Fell, Schnupfen oder Durchfall, Probleme beim Laufen? Wer frühzeitig Probleme erkennt, kann schneller helfen. Auch hinhören sei wichtig. »Wenn Gefahr droht, quieken sie anders«, sagt die Agraringenieurin. »Dann springe ich aus meinem Büro und schaue nach, was los ist.«

»Der Preisdruck am Markt ist massiv, es wird vor allem am Personal gespart, das teilweise weniger als eine Minute pro Tag hat, um ein einzelnes Tier anzuschauen«Sandra Düpjan, Verhaltensbiologin

In einem kleinen Forschungsstall geht das, in einer großen Mastanlage mit hunderten Schweinen ist das schwieriger bis unmöglich. Entsprechend fraglich ist, inwiefern Tierwohlstudien in einem kontrollierten und gut überwachten Rahmen wie am FBN auf reale Großställe übertragbar sind.

»Der Preisdruck am Markt ist massiv, es wird vor allem am Personal gespart, das teilweise weniger als eine Minute pro Tag hat, um ein einzelnes Tier anzuschauen«, sagt Sandra Düpjan, Verhaltensbiologin am FBN. Auch ihr fällt es schwer, auf die Frage, ob nun die konventionelle oder die Biohaltung besser ist, eine klare Antwort zu geben. »Es existieren kaum wissenschaftliche Untersuchungen, die beide Haltungsbedingungen vergleichen«, sagt sie. Die Bezeichnung »bio« sei zunächst aus einem Umweltschutzgedanken hervorgegangen, weniger aus Gründen des Tierwohls. Darum gehe es bei anderen Labels wie etwa »Neuland« oder »Für mehr Tierschutz«.

Im direkten Vergleich mit der konventionellen Haltung sieht Düpjan bei der Biohaltung dennoch »sehr wahrscheinlich mehr Tierwohl«. Weil die Schweine mehr Auslauf haben, in der Erde wühlen und ihren Wohlfühlplatz suchen können. Wie auch ihre Kollegin betont sie, dass viel vom Management im Stall abhänge. Ein gut geführter konventioneller Betrieb mit Mitarbeitern, die genau hinschauen, an heißen Sommertagen vielleicht eine Dusche für die Tiere herrichten oder Beschäftigungsmöglichkeiten anbieten, könne besser sein als ein lieblos geführter Biohof.

»Beschäftigung ist immer gut, damit sich die Tiere nicht langweilen und beispielsweise anfangen, einander die Schwänze anzuknabbern«, sagt die Forscherin. Doch das Spielzeug sollte zum Verhalten der Tiere passen. So faszinierend Bälle für Menschen auch sein mögen, »ich habe hier bisher nur ein einziges Schwein erlebt, das gern mit einem Ball gespielt hat«. Besser sei Langstroh, das aus Netzen oder Gefäßen herausgeholt werden muss. Das fordere die Tiere. Und wenn sie es fressen, haben sie seltener Magengeschwüre. Die konventionellen Schweinehalter indes mögen Stroh weniger. »Gelangt es in den Spaltenboden, können die Güllepumpen verstopfen«, sagt Düpjan. »Frisst das Schwein zu viel davon, nimmt es weniger Kraftfutter auf und damit weniger an Gewicht zu.«

Einem Tier, das Schmerzen hat, nützt Auslauf nichts

Das Problem: Egal ob Schwein, Rind oder Geflügel – was jeder einzelne Halter fürs Tierwohl tut und was er unterlässt, bleibt Konsumenten verborgen. Hilfsweise können sie sich an der Haltungsform orientieren, die je nachdem zumindest mehr Fläche, mehr Auslauf und damit mehr Möglichkeiten für arttypisches Verhalten verspricht. Diese Kennzeichnungen klammern jedoch einen maßgeblichen Faktor aus, kritisiert Albert Sundrum: die Gesundheit der Tiere. »Voraussetzung dafür, dass es den Tieren gut geht, ist, dass sie keine gravierenden gesundheitlichen Störungen aufweisen«, sagt der langjährige Leiter des Fachgebiets Tierernährung und Tiergesundheit an der Universität Kassel. Einem Tier, das Schmerzen hat, nütze der größere Auslauf nichts. Manchmal sei das Leid gut zu erkennen, beispielsweise wenn ein Tier lahmt. Anders verhalte es sich mit Brustbeinfrakturen bei Legehennen, Lungenentzündungen bei Schweinen oder Entzündungen der Milchdrüsen bei Milchkühen. All das sei nicht unmittelbar zu sehen.

Einen Bio-Vorteil gibt es dabei nicht. »Dort sind die Erkrankungsraten auf dem gleichen Niveau wie in konventionellen Betrieben«, sagt Sundrum. Verglichen mit anderen Staaten liege Deutschland im unteren Mittelfeld, weit hinter Dänemark, Finnland oder den Niederlanden. Dort wird ein Prinzip angewendet, das der Wissenschaftler hier zu Lande gerne übernehmen würde: Für jeden Betrieb wird eine Kennzahl ermittelt, die sich aus den Mortalitätsraten sowie aus Befunden der Fleischbeschau im Schlachthof ergibt. Wer auffallend viele kranke Tiere oder wiederholt Verluste hat, wird sanktioniert. Strafen können sein, dass für die Tiere niedrigere Abnahmepreise gezahlt werden oder dass sich weiterverarbeitende Unternehmen wie Molkereien und Schlachthöfe weigern, die Rohwaren anzunehmen, berichtet der Forscher. Schlimmstenfalls werde die Berechtigung entzogen, Lebensmittel zu erzeugen. »Die relevanten Daten werden auch in Deutschland erhoben, für die Lebensmittelsicherheit und für Qualitätssicherungssysteme«, sagt Sundrum. »Aber es gibt keine zentralen Zugriffsmöglichkeiten, um den Tierschutz zu verbessern.«

Das zu ändern sei schwer, weil es eine starke Lobby auf mehreren Seiten gebe. Da seien zum einen die landwirtschaftlichen Verbände. Sie fürchten, Mitglieder zu verlieren, wenn die Gefahr besteht, dass einzelne Betriebe im Ranking auffallen und sanktioniert werden. Da sei zum anderen der Tierschutzbund, der sich auf Flächengrößen und Haltungsbedingungen konzentriert, aber nicht auf die veterinärmedizinischen Aspekte.

Womöglich könnte ein nationales Tierwohlmonitoring etwas bewegen. Seit 2019 haben zehn wissenschaftliche Einrichtungen ein Konzept erarbeitet, anhand welcher Indikatoren der Status quo in der Nutztierhaltung ermittelt werden kann, um dann gezielt das Tierwohl zu verbessern. Im Juni 2023 wurde der Bericht an den Auftraggeber, das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL), übergeben. Was davon umgesetzt wird, ist offen. Das Ministerium prüft die Empfehlungen noch.

Die Tiergesundheit ist in dem Konzept enthalten, doch Sundrum ist unzufrieden. »Es wird nur ein nationaler Durchschnitt anhand von Stichproben ermittelt, aber nicht der Einzelbetrieb adressiert.« Damit werde eine große Chance vertan. »Wenn man für jeden Betrieb die Tiergesundheit und die Haltungsbedingungen erfasst, ist das ein guter Gradmesser für das Tierwohl.« Zugleich wäre es eine gute Gelegenheit für die Betriebe, die in einer Sackgasse stecken: Sie sind abhängig von den Weltmarktpreisen und versuchen die Kosten weiter zu senken, während die Anforderungen steigen. »Den Unterbietungswettbewerb kann man nicht gewinnen, man kann nur mit Qualität punkten.« Ist das Wohlergehen der Tiere nachweislich besser, sei das gut für das Image und es ließen sich höhere Preise erzielen, meint er.

»Die heute verbreitete Form der Tierhaltung in Deutschland ist nicht mehr zeitgemäß, immer mehr Menschen wollen das nicht mehr – das haben auch die Landwirte verstanden«Achim Spiller, Agrarökonom an der Universität Göttingen

Der Agrarökonom Achim Spiller von der Georg-August-Universität Göttingen sieht das ähnlich. »Die heute verbreitete Form der Tierhaltung in Deutschland ist nicht mehr zeitgemäß, immer mehr Menschen wollen das nicht mehr – das haben auch die Landwirte verstanden«, sagt der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats des BMEL für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz. Spiller sieht eine große Unsicherheit bei den Haltern, die sich fragten, wie Politik und Markt auf die sich ändernden Wünsche der Konsumenten reagieren.

Klar ist, dass der Umbau zu tierwohlfreundlichen Systemen teuer ist. Wie ein solcher konkret aussehen kann, hat das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, auch »Borchert-Kommission« genannt, umfassend erarbeitet. Das Netzwerk wurde 2019 vom Landwirtschaftsministerium initiiert und ist mit wichtigen Akteuren aus Landwirtschaft, Lebensmittelhandel, Verwaltung und Wissenschaft besetzt. Laut deren Konzept würden Umbauten für eine bessere Haltung – darunter mehr Platz für die Tiere, Kontakt zu Außenklima und mehr Beschäftigungsmöglichkeiten – bis 2040 jährlich für alle Tierarten zusammen rund drei Milliarden Euro kosten.

Massentierhaltung | Darin, dass sich an den Bedingungen in der Tierhaltung etwas ändern muss, sind sich die meisten Menschen einig. Doch es fehlen der politische Wille und eine gesicherte Finanzierung für die Landwirte.

Würde man das auf die Konsumenten umlegen, entspräche das einer Kostensteigerung von rund 40 Cent pro Kilogramm Fleisch. Das wäre deutlich weniger, als es der direkte Vergleich am Kühlregal vermuten lässt, wo Bioprodukte rasch doppelt so viel kosten wie konventionell erzeugte. »Biobetriebe produzieren kleinere Mengen und haben zudem getrennte Verarbeitungs- und Vermarktungswege, was ebenfalls teurer ist«, erklärt Spiller. »Wenn man die Haltung flächendeckend verbessert, wird es also billiger, als es derzeit erscheint.« Einer repräsentativen Umfrage zufolge wäre etwa die Hälfte der Menschen in Deutschland bereit, diese Mehrkosten zu bezahlen.

Ob die Menschen im Supermarkt so handeln, wie sie im Interview angeben, ist das eine. Das andere sind die Essgewohnheiten. »Konsumenten mit hohen Ansprüchen an eine gute Tierhaltung essen kein oder nur wenig Fleisch«, sagt der Wissenschaftler. »Wer dagegen viel Fleisch verzehrt, hat meist geringere Ansprüche.« Der Markt würde das also nicht regeln, der Tierwohlaufschlag müsste anders organisiert sein.

Nötiger Durchbruch nicht in Sicht

Die Borchert-Kommission, der Spiller ebenfalls angehört, hat bereits verschiedene Vorschläge gemacht. Dazu zählen eine Tierwohlabgabe, manchmal als »Fleischsteuer« bezeichnet, und die Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Fleisch.

Auf Anfrage teilt das BMEL mit, die Ampelfraktionen hätten sich für eine Abgabe ausgesprochen. »Ein solches Finanzierungsinstrument wird jedoch letztlich durch das Bundesfinanzministerium auszuarbeiten und umzusetzen sein«, schreibt ein Sprecher. Im Klartext, so Spiller, »scheitert die politische Umsetzung also an der FDP«. Sicher zur Verfügung stehe derzeit lediglich eine Milliarde Euro, die der Bund zugesagt hat, um die Schweinehaltung zu verbessern. »Das ist zu wenig«, sagt der Agrarökonom. Der BMEL-Sprecher erklärt, die Koalitionsfraktionen arbeiteten zusätzlich »an einem langfristigen Finanzierungsinstrument für die Förderung des Umbaus der Tierhaltung, der weitere Lebensphasen und Tierarten« betreffen soll.

Die Fachleute in der Borchert-Kommission, deren Konzept seit 2020 vorliegt, wollen sich mit solchen vagen Aussichten nicht länger begnügen. Sie drängen auf entschlossenes Handeln und eine gesicherte Finanzierung. Doch »auch der Entwurf des Bundeshaushalts 2024 lässt den notwendigen Durchbruch nicht erkennen«, heißt es in einem öffentlichen Statement vom 22. August 2023. »Das Kompetenznetzwerk beendet deshalb seine Arbeit.« Wann und ob die Lebensbedingungen von Millionen Rindern, Schweinen und Hühnern in Deutschland verbessert werden, ist damit weiter offen.

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