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Auf dem Weg in eine neue Wissensgesellschaft?

Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, Ex-Google-CEO Eric Schmidt und der Informatikprofessor Daniel Huttenlocher beschreiben ihre Sicht auf das neue Zeitalter der KI.

Zum Thema künstliche Intelligenz ist in den vergangenen Jahren eine Flut von Sachbüchern erschienen. Einige sind leichtgängig, andere wiederum sehr sperrig geschrieben, was sich angesichts der Technizität des Gegenstands wohl nicht vermeiden lässt, aber auf Dauer ermüdend wirkt. Wenn aber ein Elder Statesman zur Feder greift, schenkt man dem Werk schon wegen des biografischen Hintergrunds des Autors Beachtung. So auch im Fall des Buchs »The Age of AI«, das der ehemalige US-amerikanische Außenminister Henry A. Kissinger gemeinsam mit dem Ex-Google-CEO Eric Schmidt und dem Informatik-Professor Daniel Huttenlocher vorgelegt hat.

Wie die Aufklärung endet

Kissinger hat 2018 in der US-Zeitschrift »The Atlantic« einen viel beachteten geschichtsphilosophischen Aufsatz mit dem Titel »How the enlightenment ends« (Deutsch: Wie die Aufklärung endet) publiziert, in dem er die These aufstellt, dass KI im Zusammenspiel mit der Datenflut zu einer neuen Verrätselung der Welt führen könnte.

Das Buch lässt sich als Fortsetzung des Essays verstehen. Zwar formuliert es nicht den Anspruch einer neuen »Dialektik der Aufklärung« (Theodor W. Adorno und Max Horkheimer), kann jedoch in diese Richtung gelesen werden. In sieben Kapiteln vermisst das Autorentrio das Thema: von den geistesgeschichtlichen Voraussetzungen über den aktuellen Forschungs- und Entwicklungsstand bis hin zur globalen Sicherheitsordnung. Letzteres trägt klar die Handschrift des ehemaligen US-Außenministers.

Das interessanteste Kapitel ist das über die menschliche Identität. Künstliche Intelligenz, so die These der Autoren, könnte das humanistische Weltbild in seinen Grundfesten erschüttern. Jahrhundertelang hätte der Mensch sich »in der Mitte der Erzählung platziert«. Doch jetzt gäbe es Werkzeuge, die Aufgaben übernehmen, die bis dato die Domäne des menschlichen Verstands waren – zum Beispiel Schreiben, Malen oder Komponieren. Damit verändere sich nicht nur das Selbstverständnis des Menschen, seine Rolle, sein Bestreben, seine Erfüllung, sondern auch unsere Annahmen über die Welt und unseren Platz darin.

So wie die Vernunft die Wissenschaft revolutionierte und die feudale Ordnung zu Fall brachte, könnte KI nun abermals eine gesellschaftliche Umwälzung hervorrufen. Automatisierte Entscheidungssysteme, wissenschaftliche Entdeckungen und lebenslanges Lernen sind nur ein paar Beispiele, in denen KI-Systeme schon heute bestehende Ordnungen herausfordern. Mit dem zunehmenden Einsatz dieser Instrumente stelle sich allerdings auch die Frage nach der Autonomie und Würde des Menschen.

Lautete das Diktum der Aufklärung »Sapere aude« (»Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen«), gibt es nun Softwareagenten, die – wie etwa der Google-Algorithmus – Informationen filtern und vorsortieren. Und diese Maschinen operieren nicht nach Maßgabe menschlicher Vernunft, sondern nach einer rein mathematischen, einprogrammierten Logik. Mit Folgen: »KI wird unsere Vorstellung von dem, was wir wissen, woher wir etwas wissen und sogar das, was überhaupt erkennbar ist, tief greifend verändern«, schreibt das Autorentrio.

Kann die Prämisse der Aufklärung, das vernunftgeleitete Denken, noch Bestand haben, wenn uns die Maschine das Denken mehr und mehr abnimmt? Leben wir in Zukunft noch in derselben Realität, was Voraussetzung für eine demokratische Öffentlichkeit ist?

Die Autoren sehen KI als ambivalentes Werkzeug, dessen Auswirkungen auf das menschliche Wissen »paradox« sei. Einerseits erschließen KI-Systeme durch die systematische Analyse großer Datenmengen und Mustererkennung neues Wissen, etwa Medizindiagnosen oder Vorboten einer Umweltkatastrophe. Andererseits schränken sie durch maßgeschneiderte Informationen den Zugang zur Realität ein und untergraben die Fähigkeit des Menschen zur kritischen Nachfrage. Die Autoren warnen daher davor, die »Verkündungen der KI« als »quasi-göttliche Urteile« zu interpretieren.

Zwischen einer neuen Wissensgesellschaft, in der KI-Systeme den Erkenntnisfortschritt beschleunigen und neue Fakten ans Licht bringen, und einem »Dark Age«, in dem algorithmische Autoritäten Menschen bevormunden und keine objektive Wahrheit mehr existiert, liegt ein schmaler Grat. »Im Zeitalter der KI wird der menschliche Verstand also sowohl erweitert als auch reduziert«, resümieren die Autoren. Ob wir uns als Gesellschaft auf eine Art Aufklärung 2.0 zubewegen, das lernt man in diesem anregenden und geistreichen Buch, ist am Ende keine Frage künstlicher, sondern menschlicher Intelligenz.

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