Direkt zum Inhalt

»Wetter, Viren und Wahrscheinlichkeit«: Mit Zahlen gegen den Zufall

Ian Stewart lässt Ungewissheiten mit Hilfe der Mathematik gar nicht mehr so ganz ungewiss erscheinen. Eine Rezension
Lottokugeln

Die Evolution des menschlichen Gehirns ist unter anderem von der Notwendigkeit geprägt worden, Fakt von Fiktion, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden. Wir beurteilen neue Informationen im Kontext dessen, was wir bereits gelernt haben. Wenn wir also auf etwas Neues stoßen, akzeptieren wir es in der Regel nicht sofort. »Wir wären verrückt, wenn wir das täten«, schreibt Ian Stewart in seinem Buch »Wetter, Viren und Wahrscheinlichkeit«.

Kein Wunder, dass der Autor so denkt. Stewart ist einer der bekanntesten Professoren für Mathematik in Großbritannien und damit sicher ein extrem rational denkender Zeitgenosse. Das wird schnell deutlich, wenn man sein neues Buch zur Hand nimmt. Vor Zahlenreihen, Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnungen sollte man nicht zurückschrecken: Sie sind elementarer Bestandteil der Lektüre. Wer sich im Reich der Zahlen wohlfühlt, ist nicht schlecht aufgehoben, wenn der Autor erklärt, wie Ungewissheiten mathematisch betrachtet gar nicht mehr so ungewiss erscheinen – und warum berechnete Vorhersagen durchaus eine hohe Chance haben, einzutreffen.

Als eines der ersten Beispiele führt Stewart das Auftreten von Seuchen und Pandemien an. Kein Wunder, entstand das Buch teilweise zu den Hochzeiten der Corona-Pandemie. Noch vor wenigen Jahrhunderten galten solche Katastrophen als zufällige Naturereignisse. Doch Fortschritte auf verschiedenen Gebieten – und Mathematik spielt dabei eine wichtige Rolle – hat uns Werkzeuge an die Hand gegeben, viele der schlimmsten Auswirkungen abzumildern, davon ist Stewart überzeugt. Wie die Mathematik der Medizin dient, erläutert er in einem eigenen Kapitel. Die aktuelle Covid-Pandemie thematisiert er darin aber nicht, stattdessen geht es unter anderem um Wahrscheinlichkeiten abgeschlossener Studien zum Thema Brustkrebs oder die Einnahme von Antidepressiva.

Von Pandemien über das Wetter zu den Quanten

Neben der Medizin kommen im Buch viele weitere Themen zur Sprache, bei denen die Mathematik Unwägbarkeiten abzufedern vermag. Etwa in der Wetterforschung, die sicher zu den schwierigsten Disziplinen gehört, wenn es darum geht, verlässliche Prognosen abzugeben. Zur Sprache kommt dabei auch die berühmte Frage, ob der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien wirklich einen Sturm in Texas auslösen kann.

Spannend wird es auch gegen Ende, wenn es um die Mutter aller Zufallsereignisse, die Quantenungewissheit, geht. Die Quantenphysik lehrt uns, dass im Kosmos alles zufällig passiert. Vorhersagen werden schon im Ansatz vaporisiert. Auch Stewart bezweifelt, dass sich die Quantenungewissheit jemals ausräumen lassen wird, glaubt aber dennoch, dass es eine deterministische Erklärung dafür geben könnte.

Meist sieht der Autor die Ungewissheit als Problem, das den Blick in die Zukunft verwehrt. Doch Ungewissheiten können auch von Nutzen sein, schreibt er. Der unmittelbarste Nutzen trete bei der Lösung mathematischer Probleme auf. So kann man etwa in so genannten Monte-Carlo-Simulationen Lösungen aus vielen Probesimulationen von Ungewissheiten ableiten.

Nach der Lektüre bleibt zumindest eine Gewissheit: Trotz aller Mathematik, Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnungen wird unser Leben weiterhin von Zufällen und Unwägbarkeiten geprägt bleiben. Nicht zuletzt machen sie unser Dasein spannend und auch ein bisschen lebenswert. Die Zukunft ist ungewiss, das erkennt auch Stewart am Ende des Buchs an. Für ihn aber ist die Wissenschaft der Zukunft die Wissenschaft von der Ungewissheit.

Kennen Sie schon …

Spektrum der Wissenschaft – Eine Theorie von allem: Lassen sich Quantenphysik und Schwerkraft vereinen?

Lassen sich Quantenphysik und Schwerkraft vereinen? In der aktuellen Ausgabe der PMT haben wir Beiträge für Sie zusammengestellt, in denen Forscherinnen und Forscher über die Ergebnisse ihrer Suche nach einer fundamentalen Theorie unserer Welt berichten. Entstanden ist eine erkenntnisreiche Sammlung an Beiträgen über die Quantennatur der Raumzeit, denkbaren Experimenten zum Nachweis von Gravitonen, Schwarzen Löchern, der Theorie der Quantengravitation, teleparalleler Gravitation und vielem mehr. Lesen Sie, welche Fortschritte es in den letzten Jahren gab, die Gesetze der Quantenwelt mit den geometrischen Konzepten von Raum und Zeit zu vereinigen, und welche Hürden dabei noch zu überwinden sind.

Spektrum - Die Woche – Was passiert, wenn niemand mehr die Mathematik versteht?

Die moderne Mathematik ist hoch spezialisiert, so dass selbst Experten einander nicht mehr verstehen. Der Forschungsbereich der »Formalisierung« verspricht Abhilfe. Darüber hinaus: Das erste Endlager für Atommüll wird fertiggestellt – tief unter der Erde soll er sicher lagern. Ist das realistisch?

Spektrum Kompakt – Spielen

Bei Tetris, Candy Crush oder Dobble denkt man als erstes wohl nicht an Mathematik. Dennoch sind viele beliebte Spiele voller Mathe, manchmal sogar auf unerwartet komplexe Weise. Nicht nur das beste Startwort bei Wordle lässt sich berechnen, sondern auch eine Strategie, um im Lotto zu gewinnen.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.