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Lexikon der Mathematik: Das Zentralblatt MATH

B. Wegner, Chefredakteur des Zentralblatt MATH

Einführung

Das Zentralblatt MATH (vormals Zentralblatt für Mathematik und ihre Grenzgebiete) ist ein Informations- und Dokumentationsdienst über die weltweit erscheinende Literatur in der Mathematik und ihren Anwendungen.

Rechnet man seinen Vorgänger, das Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik, hinzu, so gibt es solch einen systematischen Dienst für die Mathematik seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Gegenüber der anfänglichen gedruckten Version ist das Angebot heutzutage durch recherchierbare elektronische Dienste im Netz und auf CD-ROM erweitert worden.

Im folgenden wird kurz auf die Geschichte, die augenblicklichen Nutzungsmöglichkeiten und die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten für das Zentralblatt MATH eingegangen.

Die Geschichte des Zentralblatt MATH

Mit der aufwärts strebenden Entwicklung der Mathematik in der Mitte des 19. Jahrhunderts ergab sich sowohl für diesen Bereich als auch für andere wissenschaftliche Disziplinen ein steigender Bedarf nach einem vollständigen und zuverlässigen Literaturinformationsdienst. Er führte 1868 zur Gründung der Referatezeitschrift „Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik“, die später durch das „Zentralblatt für Mathematik und ihre Grenzgebiete“ sowie ab dem Zweiten Weltkrieg auch noch durch andere mathematische Referatezeitschriften wie die „Mathematical Reviews“ ergänzt wurde. Das Jahrbuch und das Zentralblatt nahmen bis zum Zweiten Weltkrieg eine einzigartige Stellung in der Mathematik ein. Während das Jahrbuch dann 1943 sein Erscheinen beenden mußte, ist das Zentralblatt auch danach noch eines der führenden mathematischen Referateorgane geblieben. Zur Zeit werden die Bände des Jahrbuchs in einer Datenbank erfaßt und im Zusammenhang mit der Datenbank des Zentralblatts im Internet zugänglich gemacht.

Gegenstand der Berichterstattung im Jahrbuch war die gesamte Mathematik nebst Anwendungsgebieten, die anfangs vorwiegend in der Physik lagen. Sämtliche in den genannten Gebieten publizierte Literatur wurde jahrgangsweise erfaßt und nach Gebieten geordnet angezeigt. Das Jahrbuch hatte das Bestreben, abgeschlossene Jahrgänge zu publizieren, was einen beträchtlichen Aktualitätsverlust zur Folge hatte. So konnte der erste Jahrgang 1868 erst 1871 erscheinen. Für 1868 wurden ca. 800 Publikationen angezeigt. Das ist nur wenig mehr als ein Prozent des aktuellen jährlichen Publikationsvolumens in der Mathematik und ihren Anwendungen. Der 1939 erschiene Band für das Berichtsjahr 1935 enthielt dann schon an die 6000 Arbeiten, die aus ca. 400 Zeitschriften stammten. Die Referate wurden von mehr als 200 Referenten aus vielen Teilen der Welt erstellt.

Der große Aktualitätsrückstand beim Jahrbuch erweckte in den zwanziger Jahren Unzufriedenheit bei den Wissenschaftlern, die bei wachsenden Publikationszahlen an einer schnellen Information über neuere Arbeiten in der Mathematik interessiert waren. Hierin lag einer der Gründe für den Springer-Verlag (Berlin), das Zentralblatt für Mathematik zu gründen. Das Spektrum der bearbeiteten Gebiete war mit dem des Jahrbuchs vergleichbar. Wie beim Jahrbuch lag auch hier die wissenschaftliche Aufsicht bei der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Anders als beim Jahrbuch zeigten die einzelnen Bände jedoch gleich die Referate an, die der Redaktion zum jeweiligen Redaktionstermin zur Verfügung standen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Arbeiten am Zentralblatt auf Initiative der Deutschen Akademie der Wissenschaften nach nur kurzer Unterbrechung wieder aufgenommen. Bald wurde das Zentralblatt durch Einbezug der Heidelberger Akademie der Wissenschaften ein gesamtdeutsches Unternehmen, das sich immerhin bis 1978 in dieser Konstellation hielt. Dann wurde als Folge des Fachinformationsprogramms der Bundesrepublik Deutschland die Mitarbeit der DDR an diesem Unternehmen aus politischen Gründen eingestellt. Das damals neu gegründete Fachinformationszentrum Karlsruhe beteiligte sich fortan an der Herausgabe. Schließlich wurde in den neunziger Jahren die Europäische Mathematische Gesellschaft EMG in den Kreis der Herausgeber aufgenommen. Hierdurch wurde der weltweite Charakter des Zentralblatts unterstrichen. Ferner ergab sich damit ein erster Schritt in Richtung einer Europäisierung des Zentralblatts, womit ein verteiltes System von kooperierenden Redaktionen verbunden sein wird.

Das Angebot des Zentralblatt MATH

Entsprechend der augenblicklichen Entwicklung des Publikationswesens in der Mathematik wird das Zentralblatt sowohl als gedruckter Dienst als auch in elektronischer Form auf CD- ROM und online im Internet angeboten. Für die online-Version ist ein internationales System von Spiegeln eingerichtet worden, um den weltweiten Zugriff zu erleichtern und mögliche Ausfälle des zentralen Servers für das System zu kompensieren. Der Bestand der Datenbank weist zur Zeit (2001) ca. 1.800.000 Referate über mathematische Dokumente auf. Er wächst im Moment jährlich um etwas mehr als 70.000 Referate. An der Erstellung der Referate wirken fast 7.000 externe Referenten mit, die für diese Unterstützung kein nennenswertes Entgelt erhalten. Der Input für die Datenbank erfolgt in der Redaktion des Zentralblatts. Diese wird von der deutschen Regierung finanziell unterstützt.

Die qualitativen Anforderungen an die Berichterstattung über die mathematische Literatur haben sich seit der Herausgabe des ersten Bandes des Jahrbuchs nicht geändert. Allerdings sind die für ein modernes Angebot zu berücksichtigenden Anforderungen an die Ausstattung des Dienstes erheblich gestiegen.

Als wichtige Kriterien für die Qualität des Inhalts des Zentralblatts sollen die folgenden genannt werden.

Aktualität: Die publizierte Literatur soll möglichst schnell angezeigt werden, trotzdem soll eine sorgfältige Auswertung erfolgen. Aus diesem Grund gibt es ein zweistufiges Angebot in der Datenbank, die vorläufigen Daten, die erst einmal nur das widerspiegeln, was unmittelbar bei der Erfassung der Arbeiten abgespeichert werden kann, und die endgültigen Daten, die die vollständige Beschreibung der jeweiligen Publikation gemäß den vorgegebenen Standards angeben.

Vollständigkeit: Sämtliche weltweit erscheinenden Publikationen in der Mathematik und ihren Anwendungsgebieten sollen angezeigt werden. Der Begriff der Publikation schließt hierbei die Bedingung ein, daß es sich um Arbeiten handelt, die vor der Veröffentlichung erfolgreich einen Begutachtungsprozeß durchlaufen haben. In den aus den Anwendungsgebieten erfaßten Arbeiten sollten die mathematischen Aspekte überwiegen.

Bibliographische Präzision: Die bibliographischen Daten sollten in einer standardisierten Weise erfaßt werden, die einerseits eine vollständige Information über die Quelle liefert, und andererseits bei der Erstellung von Bibliographien als Norm übernommen werden kann.

Mitwirkung externer Referenten: Obwohl die erfaßten Arbeiten einen Begutachtungsprozeß erfolgreich durchlaufen haben sollten, hat sich die Beteiligung von unabhängigen Experten (Referenten) an der Erstellung der Inhaltsbeschreibung dieser Arbeiten für die Verbesserung des Informationsangebots für wichtig erweisen. Es wird generell keine erneute Begutachtung durch die Referenten erwartet, obwohl auch kritische Stellungnahmen zugelassen sind. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf der übersichtlichen objektiven Beschreibung des Inhalts und des Bezugs der Arbeit zu anderen Publikationen.

Inhaltliche Erschließung: In Ergänzung zum recht allgemeinen Zugang zum Inhalt der Arbeiten über die Volltextsuche muß es die Möglichkeit einer qualifizierten Abfrage der für den Inhalt einer Arbeit relevanten Begriffe geben. Dies leisten zur Zeit einerseits durch Experten frei vergebene Schlagworte, sowie die Zuordnung von Klassifikationscodes.

Die Klassifikation erfolgt nach dem weltweit akzeptierten Klassifikationsschema MSC 2000 (das Mathematics Subject Classification Scheme in der für 2000 aktualisierten Version). Hinzu kommt die Zuordnung von relevanten Zitaten anderer Arbeiten in standardisierter Form.

Vernetzung der Datenbank: Eine interne Verknüpfung der Zitate in den Referaten ist eine Minimalanforderung. Die Referate sollten ferner mit den entsprechenden Volltexten verknüpft (verlinkt) sein, soweit diese elektronisch verfügbar sind. Umgekehrt sollten aus den Bibliographien der elektronisch angebotenen Arbeiten Links zu den entsprechenden Referaten im Zentralblatt erzeugt werden. Eine weitere Unterstützung des Nutzers der Datenbank ergibt sich durch die Möglichkeit, aus der Datenbank heraus Texte bei Bibliotheken zu bestellen, die ein Liefersystem für mathematische Literatur anbieten.

Eine wichtige Schnittstelle zum Nutzer der Datenbank ist die Nutzeroberfläche, sowohl bei der online-Version als auch für das Angebot auf CD-ROM. Es gibt unterschiedlich komplexe Suchmenüs, die auf einer reichhaltigen Feldstruktur basieren. Die wichtigsten Felder sind Autor, Titel, Quelle, Klassifikation, Sprache, Publikationsjahr und der sogenannte Basic Index. Letzterer entspricht der Volltextsuche, allerdings bezogen auf die in der Datenbank pro Artikel abgespeicherte Information. Eine Anfrage kann über das Menü auf einfache Art und Weise in einer logischen Verknüpfung dieser Felder zusammengefaßt werden, sie kann aber auch im Expertenmenü in einer Booleschen Kombination der Suchterme frei formuliert werden. Das Suchergebnis läßt sich in unterschiedlicher Ausführlichkeit abrufen. Es gibt die üblichen Angebote der Formeldarstellung elektronischer Versionen von mathematischen Artikeln. Der Nutzer kann ferner die bibliographische Information für die einzelnen Artikel bequem in sein System importieren und für die Erstellung von Literaturverzeichnissen für seine Publikationen verwenden.

Die Zukunft des Zentralblatt MATH

Trotz aller Verbesserungen der Suchmöglichkeiten im Internet und der rapide wachsenden Verfügbarkeit elektronischer mathematischer Publikationen wird die Mathematik auf das qualifizierte Angebot von Literaturinformation in einer durch Experten ausgewerteten Form angewiesen bleiben. Die Striktheit, mit der in der Mathematik die wiederholte Publikation derselben Ergebnisse in Forschungsartikeln als unseriös betrachtet wird, und die zeitunabhängige Gültigkeit der Resultate mathematischer Forschung erfordern deren möglichst präzise Dokumentation, und nicht nur eine schnelle Information über neue Publikationen.

Angesichts des schnellen Fortschritts in der Informationstechnik wird sich jedoch ein Zwang zu Änderungen ergeben, die den Nutzungsmöglichkeiten des Zentralblatts nur zum Vorteil gereichen können. Zur Zeit (2001) wird ein erster Schritt unternommen, diesen Dienst auf breiterer Basis als fundamentale Infrastruktur für die mathematische Forschung zu etablieren. Nicht zuletzt gehört dazu, daß die Kostenstruktur in einen Rahmen gebracht wird, der es jedem Mathematiker oder Anwender von Mathematik ermöglicht, das Zentralblatt oder vergleichbare Dienste tatsächlich zu konsultieren. Verarbeitung von bereits verfügbarer elektronischer Information und die Verteilung der Arbeit an der Datenbank auf ein System von Redaktionen sollen die Redaktionskosten reduzieren.

Eine Einbindung der vom Zentralblatt erstellten Information in andere elektronische Angebote ist ein weiterer Schritt. Für die Nutzung durch Forscher, die Mathematik anwenden wollen, ist es ferner erforderlich, die Information im Zentralblatt für deren Bedürfnisse aufzubereiten und die Suchmenüs durch Navigationssysteme für Nicht-Experten zu erweitern. Solch eine Schnittstelle käme der Mathematik insgesamt zugute. Die Erschließung der verfügbaren Literatur und die interne Vernetzung der dazu angebotenen Information wird neue Möglichkeiten eröffnen und höhere Ansprüche stellen. Im Gegensatz zur statischen gedruckten Version ist das elektronische Angebot offen für Modifikationen und Aktualisierungen der Detailinformation. Hier bieten sich viele Ansätze für eine Weiterentwicklung. Insofern besteht nicht die Frage, ob das Zentralblatt eine Zukunft hat oder nicht. Es geht nur darum, wie dieser Teil der Fachinformation in Mathematik in zukünftige möglicherweise erweiterte Systeme eingebunden werden kann.

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  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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