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Lexikon der Neurowissenschaft: Leib-Seele-Problem

Essay

Achim Stephan

Leib-Seele-Problem

Wenn in zeitgenössischen Debatten in der Philosophie des Geistes oder in den Kognitions- und Neurowissenschaften das Leib-Seele-Problem (E mind-body problem) erörtert wird, dann geht es in der Regel um die nach wie vor rätselhaft anmutende Beziehung zwischen der physischen Beschaffenheit unseres Körpers auf der einen Seite und den uns unmittelbar präsenten psychischen Zuständen und Vorgängen, unserem "Geist", auf der anderen Seite. Unter philosophie- und kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten stellt die gegenwärtige Problemlage allerdings nur den vorläufigen Endpunkt einer langen Entwicklung dar, die – noch in mythischen Vorstellungen wurzelnd – von ersten philosophischen Diskussionen in der Antike über mittelalterliche Dispute bis in die Neuzeit führt, um schließlich in der Auseinandersetzung mit Descartes' substanzdualistischer Leib-Seele-Theorie ihre nun vorherrschende Zuspitzung zu erfahren. Den Beginn der philosophischen Auseinandersetzung über das zwischen Leib und Seele anzunehmende Verhältnis charakterisieren freilich ganz andere als die heute für zentral gehaltenen Fragen, allen voran Fragen nach dem, was das Lebendige vom Unbelebten unterscheide, nach dem, was das Wesen eines Menschen konstituiere und danach, ob das, was das Wesen eines Menschen ausmache, auch dessen Tod überdauern könne ( siehe Zusatzinfo ). Es ist der durch diese Fragen umrissene Kontext, in dem Seele und Leib ursprünglich miteinander kontrastiert werden und die Seele als das stets Leben mit sich bringende und das Wesen eines Menschen konstituierende Prinzip angesehen wird.
Bevor die zur Zeit im Rahmen des psychophysischen Problems ( siehe Zusatzinfo ) besonders intensiv und kontrovers diskutierten Fragen behandelt werden – sei es das Problem der phänomenalen Qualitäten, das Problem der Intentionalität oder das Problem der mentalen Verursachung –, sollen daher einige der traditionellen Ansichten über das Verhältnis von Leib und Seele etwas ausführlicher vorgestellt werden.

Zum Verhältnis von Leib und Seele

Die Unterscheidung von Leib und Seele findet sich in nahezu allen Überlieferungen und Mythen früher Kulturen und ist insofern älter als die philosophische Diskussion ihrer Beziehung. Für zahlreiche Religionen ist sie auch heute noch von zentraler Bedeutung.
Ihren Ursprung haben Seelen-Vorstellungen in der Unterscheidung zwischen belebten und unbelebten Körpern. Nach alter griechischer Vorstellung, wie sie etwa in den homerischen Epen zum Ausdruck kommt, ist es die Seele (psyché), die durch ihr Hinzutreten den ohne sie leblosen Körper lebendig werden läßt. Im Augenblick des Todes verläßt sie ihn wieder, einem Lufthauch gleich, um als ein schattenhaftes "Abbild" des Verstorbenen in der Unterwelt umherzuschweifen. Viele der Eigenschaften, die wir heute mit dem Begriff der Seele oder mehr noch mit dem (häufig synonym gebrauchten) Begriff des Geistes in Verbindung bringen, kommen der Seele bei Homer jedoch nicht zu. Sie ist für das Lebendigsein des Menschen zuständig, aber nicht für dessen geistige Fähigkeiten wie Wahrnehmen, Fühlen, Denken oder Wollen. Deshalb hat auch die vom Körper wieder gelöste Seele keine geistigen Zustände.
Sokrates und Platon sind da ganz anderer Ansicht. Zwar ist für sie die Seele weiterhin das Prinzip alles Lebendigen, darüber hinaus schreiben sie ihr aber noch weitere Merkmale zu: So mache die für sich allein existenzfähige, unsterbliche Seele das eigentliche Selbst eines Menschen aus. Auch sei sie der Träger seines Charakters und seiner geistigen Fähigkeiten. Losgelöst vom Körper, mit dem sie nur für die kurze Zeit seines irdischen Bestehens eine Gemeinschaft bilde, und unbehindert von allen leiblichen Bedürfnissen und Gebrechen sei sie in der Lage, ihrem Drang nach Erkenntnis in vollkommener Weise nachzugehen und durch Schau der reinen Ideen dauerhafte Einsichten zu gewinnen. So sei auch das uns zugängliche Erfahrungswissen der Sache nach nichts anderes als ein Wiedererinnern der Seele an früher rein Geschautes. Aus Sicht der Seele müsse ihr das Zusammensein mit einem Körper eher wie eine Gefangenschaft und der Tod demzufolge wie eine Befreiung aus dem Gefängnis erscheinen.
Während mit Platons Ansichten eine voll ausformulierte substanzdualistische Position vorliegt (Dualismus), die im übrigen die Leib-Seele-Konzeption des Christentums nachhaltig beeinflußte, vertreten die Atomisten Leukipp, Demokrit und Epikur eine materialistische Auffassung von Seele und Geist. Am ausführlichsten überliefert ist die in der epikureischen Tradition stehende substanzmonistische Theorie (Monismus) des Römers Lukrez. Für ihn ist der abwägende und Entscheidungen treffende Geist (animus) ein ebenso materieller Teil des Menschen wie dessen Hand oder Auge. Der Geist bilde als der bestimmende Teil gemeinsam mit der Seele (anima) eine Einheit, habe seinen Sitz in der Gegend des Herzens, während sich der übrige Teil der Seele über den ganzen Körper ausbreite. Beide zusammen seien für die Lebenserhaltung des Menschen, seine Bewegungen, den Rhythmus von Schlafen und Wachen, kurz: für die ganze Steuerung des Organismus zuständig. Da diese Vorgänge nicht ohne Berührung geschehen könnten, folge, daß auch Geist und Seele materieller Natur sein müßten. Von den übrigen Atomen des Körpers unterscheiden sich Lukrez zufolge die Geist- und Seelenatome lediglich durch ihre größere Feinheit und Beweglichkeit. Generell seien Leib und Seele sowohl in den einzelnen Lebensverrichtungen als auch in ihrer prinzipiellen Existenz aufeinander angewiesen: Die Seele sorge für das Fortbestehen des Körpers, dieser wiederum enthalte einem Gefäß gleich die aus besonders flüchtigen Atomen bestehende Seele. Deshalb bedeute die im Tod erfolgende Trennung der Seele vom Körper auch ihren Untergang. Beim Verlassen des Leichnams verliere sie nämlich ihre Gestalt und Einheit, da sich ihre Atome in alle Richtungen verflüchtigten.
Die für substanzdualistische Positionen bestehende Herausforderung, eine plausible Erklärung für die Vereinigung und Wechselwirkung von Leib und Seele anzubieten – ein Problem, das von Platon als solches noch gar nicht erörtert wurde –, stellt sich für die Atomisten nicht. Denn im Prinzip bietet die wechselseitige Einflußnahme verschiedener materieller Elemente aufeinander keine Schwierigkeiten. Um wirklich zu überzeugen, müßte freilich die monistische Position eine Antwort auf die Frage haben, wie materielle Teile die uns als Empfindungen, Willensakte oder Denkvorgänge bekannten mentalen Prozesse realisieren können.
Aristoteles distanziert sich in seinen Überlegungen zum Verhältnis von Leib und Seele sowohl von denjenigen, die wie Platon die Seele ihrem Wesen nach als etwas Immaterielles ansehen, als auch von denjenigen, die sie wie die Atomisten als etwas Körperliches betrachten oder wie die Pythagoreer als eine Art Harmonie oder Gestimmtheit des Körpers auffassen. Für ihn selbst ist gar nicht klar, ob es überhaupt einen einheitlichen Begriff der Seele gibt, denn "beseelt" zu sein bedeute für Pflanzen etwas anderes als für Tiere und noch einmal etwas anderes für Menschen. Zwar teilten Menschen und Tiere mit den Pflanzen die durch die Seele vermittelten Vermögen der Nahrungsaufnahme und des Wachstums, die Fähigkeiten der Bewegung und Wahrnehmung kämen jedoch nur Tieren und Menschen zu, das Denkvermögen schließlich sei dem Menschen allein vorbehalten. Insofern diese verschiedenen Funktionen der Seele zu ihrer Erfüllung eines Leibes bedürfen, gehöre ihr Studium in den Bereich naturwissenschaftlicher Forschung. Sollte sich jedoch herausstellen, daß es auch vom Körper abtrennbare Seelenvermögen geben kann, dann gehöre das Studium dieser Seelenart nicht mehr zum Gegenstandsbereich der Naturphilosophie, sondern zum Gegenstandsbereich der "ersten Philosophie", also der Metaphysik.
Bei den meisten psychischen Vorgängen ist Aristoteles zufolge der Leib beteiligt, und zwar nicht nur beiläufig, sondern so, daß die Seele ohne den Leib zu ihren Leistungen gar nicht fähig wäre. Für Wahrnehmungsakte sei dies offenbar; aber auch die Heftigkeit von Gefühlsregungen sei vom körperlichen Zustand des emotional Erregten abhängig. Doch während es nur dann zu Wahrnehmungen kommen könne, wenn das Wahrgenommene auch tatsächlich im Wahrnehmungsfeld präsent sei, sei das Denken nicht in gleicher Weise von externen Stimulierungen abhängig. Einer vom Leib getrennten Seele könnten die Gegenstände ihres Denkens nämlich auch ohne Leib und ohne deren körperliche Anwesenheit gegeben sein. Daher könne der für das Nachdenken zuständige Teil der Seele, den Aristoteles den tätigen Geist der Seele (nus poiethikos) nennt, auch abgetrennt vom Körper existieren. Ihn hält Aristoteles, und in dieser Hinsicht ähnelt seine Position derjenigen Platons, für ewig und unsterblich. Hingegen sei der leidende oder rezeptive Geist (nus pathetikos) wie alle anderen Seelenvermögen auf den Körper angewiesen und wie dieser vergänglich. Bei diesen Annahmen stellt sich allerdings die Frage, inwiefern der vom Leib abgetrennte Geist noch mit der im Leib denkenden Seele identisch sein kann.
Anders als für die Atomisten, Aristoteles oder auch Platon wird für Descartes und seine Zeitgenossen die Erörterung des Verhältnisses von Leib und Seele zu einem schwierigen philosophischen Problem. Jeder vermeintliche Lösungsversuch hat seine Folgelasten, und das ist bis heute so geblieben.
Die von Descartes vertretene Position ist wie diejenige Platons substanzdualistisch. Für ihn zerfällt die Welt in zwei Substanztypen, die ihrem Wesen nach nicht unterschiedlicher sein könnten: So definiert er die Seele als eine Sache, für die es wesentlich ist zu denken (res cogitans), und den Körper als ein Ding, für das es wesentlich ist, ausgedehnt zu sein (res extensa). Descartes zufolge impliziert das Denken in seiner reinen Form kein körperliches Substrat; in dieser Hinsicht ähnelt seine Auffassung derjenigen Platons und auch derjenigen, die Aristoteles bezüglich des tätigen Geistes vertritt.
Seine These, daß die Seele unabhängig vom Körper existieren könne, stützt Descartes auf metaphysische und naturphilosophische Überlegungen. In seinem metaphysischen Argument geht er von der Annahme aus, daß all das, was sich klar und deutlich begreifen läßt, von Gott auch genau so, wie es begriffen wird, gemacht werden könne, mithin in dieser Weise möglich sei. Da es für ihn denkbar ist, daß er allein mit der Eigenschaft des Denkens und ohne alle körperlichen Eigenschaften existieren könnte, und da er es für ebenso denkbar hält, daß jeder Körper allein mit der Eigenschaft des Ausgedehntseins, d.h. ohne zu denken, existieren könnte, folgt für ihn, daß Seele und Körper zwei vollkommen verschiedene Substanzen sind. Denn wenn jemand mit seinem Körper identisch wäre, wäre es offenbar undenkbar, daß er ohne alle körperlichen Eigenschaften existieren könnte. – Allerdings kann Descartes' Argument nicht stärker sein als seine zentralen Annahmen. Aus der Tatsache, daß er seine Existenz als denkendes Wesen beweisen kann, während er zugleich noch an der Existenz der gesamten Körperwelt zweifelt, folgt nämlich keineswegs, daß es objektiv möglich ist, daß er auch ohne körperliches Substrat existieren könnte.
Descartes' naturphilosophisches Argument basiert auf der Überlegung, daß Menschen Fähigkeiten haben, die keine Maschine besitzen kann, d.h. kein physisches System, dessen Verhalten sich allein aus den für seine Teile geltenden Naturgesetzen ergibt. Zu diesen Fähigkeiten rechnet Descartes unsere grenzenlos erscheinende Sprachkompetenz und unsere universelle Problemlösekompetenz. Da keine Maschine in der Lage sei, diese beiden Fähigkeiten zu realisieren, müsse ein nichtphysischer Träger, nämlich die Seele, für diese Leistungen zuständig sein. Auch Tiere verfügen nach Descartes nicht über diese Fähigkeiten, nicht einmal Affen. Denn deren Leiber könne man für aus den Händen Gottes stammende Automaten halten, die keiner zusätzlichen Steuerung durch eine Seele bedürften.
Bei Descartes büßt die Seele, verstanden als eine res cogitans, die von vielen früheren Autoren betonte Funktion des Lebensbringers ein. Lebendig sind auch Pflanzen und Tiere, doch diese können als sehr komplexe Maschinen angesehen werden, die für ihr durchaus vielfältiges Verhalten keine Seele benötigen. Für Descartes ist die Seele weiterhin diejenige Entität, die das Wesen eines Menschen ausmacht, sie ist der Träger des Mentalen, zuständig für unsere geistigen und charakterlichen Eigenschaften, und sie ist unabhängig vom Körper existenzfähig.
Doch inwiefern ist mit Descartes' Konzeption von Körper und Seele ein philosophisches Problem aufgeworfen? Nun, wenn man die Ansicht vertritt, daß Menschen aus zwei vollkommen verschiedenen Substanzen bestehen, dann sollte man auch eine plausible Theorie über das zwischen diesen Substanzen anzunehmende Verhältnis anbieten können. Descartes war davon überzeugt, daß sich Geist und Körper wechselseitig kausal beeinflussen, und zwar im Gehirn in der Zirbeldrüse (Epiphyse). Der von ihm vertretene interaktionistische Dualismus (cartesischer Dualismus) wird damit zunächst der Alltagserfahrung gerecht, die uns an vielen Beispielen die enge Verflechtung von mentalen und physischen Vorgängen zu lehren scheint: Ein plötzlicher Donnerschlag erschreckt uns, Angst führt zu kaltem Schweiß, und der Wunsch, in Platons Phaidon etwas nachzuschlagen, mag einen Griff ins Bücherregal nach sich ziehen. Doch trotz der zu bescheinigenden Anfangsplausibilität läßt der Interaktionismus die zentralen Fragen unbeantwortet: Wünsche und Überzeugungen, die komplexe Handlungen auslösen, wirken offensichtlich nicht direkt auf die Muskulatur; vielmehr läßt sich die Koordination unserer Glieder bis auf neuronale Prozesse in den motorischen Hirnarealen zurückverfolgen. Die Einflußnahme des Geistes auf den Körper müßte folglich dort erfolgen. Aber warum gerade da und nicht woanders? Und mit Hilfe welcher Mechanismen? Wie soll die wechselseitige Einwirkung zweier Substanzen, die nach Voraussetzung keine einzige Eigenschaft gemeinsam haben, überhaupt konzipiert werden? Darüber hinaus würde die postulierte Einwirkung des Geistes auf physische Prozesse den nach bisheriger Erfahrung ausnahmslos geltenden Erhaltungssätzen der Physik widersprechen. Der Bereich des Physischen scheint kausal geschlossen zu sein. Für jedes physische Ereignis lassen sich physische Ursachen angeben, die es herbeigeführt haben.
Auch viele Zeitgenossen Descartes' haben bereits die inhärenten Probleme gesehen, denen der interaktionistische Dualismus ausgesetzt ist. In der Regel akzeptieren sie jedoch das von Descartes scheinbar unerschütterlich etablierte dualistische Paradigma und suchen nur innerhalb desselben nach neuen Lösungen. Die vorgeschlagenen Alternativen, bei denen vor allem der Cartesische Interaktionismus zur Disposition steht, sind der von Malebranche und Geulincx vertretene Okkasionalismus sowie der von Leibniz vorgeschlagene Parallelismus. Während der Okkasionalismus annimmt, daß Gott gleichsam als "kausaler Vermittler" zwischen den einander entsprechenden Leib-Seele-Zuständen auftritt, behauptet der Parallelismus, Gott habe die Abfolge der Zustände in den beiden grundverschiedenen Substanzen so aufeinander abgestimmt, daß zwischen diesen eine prästabilisierte Harmonie wie zwischen zwei synchron laufenden Uhren bestehe, ohne daß sich diese in irgendeiner Weise wechselseitig kausal beeinflußten. Beide Positionen scheinen jedoch nicht zuletzt aufgrund ihrer starken theologischen Prämissen noch unplausibler zu sein als der Interaktionismus Descartes' ( siehe Zusatzinfo ).

Das psychophysische Problem in der zeitgenössischen Debatte

Die genannten Probleme haben im Laufe der Zeit dazu geführt, das substanzdualistische Paradigma insgesamt in Zweifel zu ziehen und durch ein substanzmonistisches, materialistisches Paradigma zu ersetzen. Daher ist es nicht erstaunlich, daß sich im 20. Jh. die Diskussion erheblich verändert hat. Von wenigen Ausnahmen wie Eccles oder Swinburne einmal abgesehen, ist kaum noch jemand gewillt, immaterielle Träger für mentale Eigenschaften zu postulieren. Was die Grundbausteine betrifft, ist man vielmehr zu der Auffassung gelangt, daß die Organismen oder Systeme, die Geist haben, im Prinzip aus keinen anderen Bestandteilen bestehen als diejenigen Systeme, die unbelebt sind oder keine mentalen Eigenschaften haben. Hat man aber zugestanden, daß auch das Mentale ein Resultat der äußerst komplexen Struktur der Organismen ist, so ergeben sich eine Reihe neuer schwieriger Fragen, die zum größten Teil jedoch in ein naturwissenschaftliches Forschungsprogramm eingebunden werden können. Dabei geht es dann nicht mehr um das systematische Verhältnis zwischen den beiden vermeintlichen Substanzen Leib und Seele, von denen die eine als Träger der somatischen, die andere als Träger der mentalen Eigenschaften und Zustände angesehen wird, sondern um die Frage, wie ein durch und durch materieller Körper mentale Eigenschaften haben kann: Wie ist Erinnerung möglich (Gedächtnis), wie Mustererkennung, was liegt einem Sehvorgang zugrunde? Auf viele dieser Fragen haben die Neuro- und Kognitionswissenschaften in den letzten Jahren neue und überzeugende Antworten gegeben. Einige Probleme erweisen sich allerdings als sehr hartnäckig. Dazu zählen insbesondere die philosophischen Fragen danach, wie materielle Strukturen Intentionalität implementieren, wie sie bewußtes phänomenales Erleben ermöglichen, oder wie im Rahmen des materialistischen Paradigmas mentales Verursachen überhaupt konzipiert werden kann. Es sind diese Fragen, die das psychophysische Problem derzeit charakterisieren.

Betrachten wir die Probleme im einzelnen. Was gewöhnlich als Qualia-Problem (Qualia) diskutiert wird, ist das Problem, unser Haben phänomenaler Erlebnisse physikalistisch akzeptabel zu erklären. Gleichviel, ob es sich um das Riechen von Rosenduft, den von einem eitrigen Zahn verursachten bohrenden Schmerz oder das Schmecken eines langsam über die Zunge wandernden Schluckes Laphroaig handelt, eine wirklich befriedigende physikalistische Theorie des Mentalen sollte eine reduktive Erklärung für diese qualitativen Erlebnisse anbieten können.
Eigenschaftserklärungen, die reduktiv sind, bestehen in der Regel aus zwei Komponenten: In einem ersten, gleichsam a priorisch-begrifflichen Schritt muß die zu reduzierende Eigenschaft adäquat "präpariert" werden. Dazu ist es erforderlich, die für sie charakteristische kausale oder funktionale Rolle zu identifizieren, für die man dann in einem zweiten, empirischen Schritt auf der Ebene der Systembestandteile diejenigen Mechanismen ausfindig machen muß, die jene Rolle ausfüllen. Die zentrale Frage ist daher, ob Qualia in der für reduktive Erklärungen angemessenen Weise funktionalisiert werden können, oder ob sie sich solchen Funktionalisierungen widersetzen.
Wie gelingende reduktive Erklärungen aussehen, läßt sich am Beispiel der Temperatur zeigen. Der Begriff der Temperatur ist ein funktionaler Begriff, der mit Hilfe einer Vielzahl von Gesetzen definiert wird, die die Temperatur mit anderen Eigenschaften in Verbindung bringen. So hat die Temperatur eines Gegenstandes G eine ganze Reihe von kausalen Rollen inne. Je nachdem, wie niedrig bzw. hoch sie ist, läßt sie G brüchig werden oder schmelzen usw. Nach unseren heutigen Erkenntnissen ist es jeweils die mittlere molekulare Energie des betreffenden Gegenstandes, die genau diese kausalen Rollen erfüllt. Die Temperatur eines Gegenstandes läßt sich somit reduktiv auf die mittlere molekulare Energie seiner Bestandteile zurückführen. Solche Erklärungen systemischer Makroeigenschaften durch Rekurs auf physische Mechanismen auf der Mikroebene sind ein Musterbeispiel für das Modell der reduktiven Erklärung. Doch wie sieht es mit den phänomenalen Erlebnissen aus? Ist die Neurowissenschaft in der Lage, eine entsprechende reduktive Erklärung für Qualia anzubieten? Viele Philosophen sind eher skeptisch. Denn Qualia scheinen einfach nicht zu den Entitäten zu gehören, die erfolgreich für reduktive Erklärungen präpariert werden können. Offenbar können sie nicht adäquat über kausale Rollen individuiert werden. Wenn sie sich aber nicht angemessen funktional analysieren lassen, dann sind sie irreduzibel und entziehen sich einer vollständigen Einbettung in ein physikalistisches Weltbild.
Die Naturalisierung intentionaler Zustände stellt ein weiteres – mitunter nach Franz Brentano benanntes – Problem für reduktiv-physikalistische Theorien dar. Intentionale Zustände zeichnen sich dadurch aus, daß sie einen Inhalt haben, auf etwas gerichtet sind oder von etwas handeln. Wenn wir befürchten, glauben oder verlangen, dann befürchten, glauben oder verlangen wir stets etwas. Brentano glaubte, mit dem Merkmal der Intentionalität ein generelles Spezifikum des Mentalen gefunden zu haben, da keine physischen, aber alle psychischen Phänomene auf etwas anderes bezogen seien. Auch wenn sich Brentano im Hinblick auf die Verallgemeinerbarkeit seiner These getäuscht haben dürfte, denn einige mentale Zustände wie z.B. Stimmungen scheinen nicht auf etwas anderes gerichtet zu sein, stellen die genuin intentionalen Zustände wie Überzeugungen, Wünsche oder Befürchtungen für naturwissenschaftliche Theorien ein Problem dar. Für diese Zustände ist es nämlich charakteristisch, daß sie semantisch bewertbar sind und Wahrheits- oder Erfüllungsbedingungen haben. Ferner scheinen Kausalbeziehungen zwischen intentionalen Zuständen in der Regel die zwischen diesen bestehenden semantischen Beziehungen sowie gewisse Rationalitätsprinzipien zu respektieren. Da nicht zu sehen ist, wie diese normativen Aspekte intentionaler Zustände reduktiv auf physische Vorgänge zurückgeführt werden könnten, schließen einige Autoren, daß die Kluft zwischen dem "Raum der Gründe", dem die Rationalitätsprinzipien sowie die intentionalen Zustände angehören, und dem Bereich der Natur und der Naturgesetze, dem die neurophysiologischen Vorgänge angehören, nicht zu überbrücken sei und daß jeder Versuch, die intentionalen Zustände zu naturalisieren, mit einem (naturalistischen) Fehlschluß enden müsse.
Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Frage nach den Individuationsbedingungen intentionaler Zustände. Während auf den ersten Blick viel für die Annahme spricht, daß der Inhalt dessen, was eine Person denkt, befürchtet oder glaubt, allein davon abhängt, was in ihrem Kopf vor sich geht (Internalismus), legen subtile Gedankenexperimente die Ansicht nahe, daß der Inhalt intentionaler Zustände auch von der Sprachgemeinschaft abhängt, der jemand angehört, und von der Umgebung, in der man lebt (Externalismus). Wenn das so ist, folgt jedoch, daß selbst physikalische Doppelgänger unterschiedliche intentionale Zustände haben können, der Inhalt ihrer Gedanken also nicht allein durch ihre Gehirnzustände festgelegt ist. Neurowissenschaftliche Untersuchungen wären dann aus prinzipiellen Gründen nicht in der Lage, den Inhalt einer intentionalen Einstellung vollständig zu erfassen.
Wenden wir uns abschließend der Frage nach der kausalen Potenz mentaler Zustände zu. Wenn wir davon ausgehen, daß der physische Bereich kausal abgeschlossen ist, daß also jedes physische Ereignis ausschließlich physische Ursachen hat, dann stellt sich die Frage, inwiefern mentale Zustände überhaupt einen kausalen Einfluß auf physische Vorgänge haben können, wenn wir sie nicht mit physischen Zuständen identifizieren wollen. Die Diskussion phänomenaler und intentionaler Zustände hat jedoch gezeigt, wie schwer es ist, diese reduktiv zu erklären, geschweige denn sie mit neurophysiologischen Zuständen zu identifizieren. Wenn wir Qualia und intentionale Zustände aber nicht vollständig in ein physikalisches Weltbild integrieren können, dann bleibt – aller gegenläufigen Intuition zum Trotz – fraglich, inwiefern ihnen überhaupt eine kausale Rolle zugestanden werden kann. Geist und Gehirn.

Lit.: Beckermann, A.: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes. Bieri, P. (Hrsg.): Analytische Philosophie des Geistes. Damasio, A.: Descartes' Irrtum. Kim, J.: Philosophie des Geistes. Lycan, W. (Hrsg.): Mind and Cognition. Metzinger, T. (Hrsg.): Bewußtsein. Snell, B.: Die Entdeckung des Geistes.

Leib-Seele-Problem

Angesichts der signifikanten Unterschiede, die zwischen den ursprünglich mit dem Leib-Seele-Problem verbundenen Fragen und den heute unter diesem Etikett diskutierten Problemen bestehen, schlagen einige Autoren vor, die gegenwärtige Debatte auch begrifflich von der traditionellen zu unterscheiden und vom Körper-Geist- oder Gehirn-Geist-Problem statt vom Leib-Seele-Problem zu sprechen (Geist und Gehirn). Noch angemessener mag freilich die Bezeichnung psychophysisches Problem sein, da sie biozentristische Einschränkungen vermeidet und damit auch Fragen nach der Möglichkeit von Mentalität in künstlichen Systemen nicht ausschließt.

Leib-Seele-Problem

Eine weitere substanzdualistische Variante stellt der bereits von Mill erörterte, vor allem aber mit dem Namen Huxleys verbundene Epiphänomenalismus dar. Diese Theorie geht davon aus, daß die mentalen Vorgänge und Zustände durch physische verursacht werden, selbst aber keine Wirkungen auf den Körper ausüben. Der Epiphänomenalismus widerspricht zwar nicht wie der Interaktionismus den Erhaltungssätzen der Physik, läßt jedoch ebenfalls die Frage nach den zwischen dem Physischen und dem Psychischen bestehenden Kausalmechanismen unbeantwortet; vor allem kollidiert er jedoch mit der Erfahrung, daß unsere mentalen Zustände einen Einfluß auf den Lauf der Welt haben. In letzter Konsequenz würde nämlich die epiphänomenalistische Theorie besagen, daß der Lauf der Welt der gleiche wäre, auch wenn es überhaupt keine geistigen Zustände gäbe.

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