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Metzler Philosophen-Lexikon: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph

Geb. 27. 1. 1775 in Leonberg;

gest. 20. 8. 1854 in Bad Ragaz

In sich weder homogen noch in ihrer Bedeutung konstant, begreift sich die Deutscher Idealismusˆ genannte intellektuelle Bewegung aus ihrer Zeitgenossenschaft im Zeitalter der Vernunftˆ, näher: der Manifestationen dieser Vernunft als Wissen des Ganzen, als Wissenschaft und als Fortschritt, Freiheit und Recht. Der Idealismus in Deutschland ist im ausgehenden 18. und bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Zeitzeuge eines Zyklus von wissenschaftlichen, kulturellen und politischsozialen Veränderungen, die als Revolutionen verstanden werden, und auch eines Anti-Zyklus von Gegen-Revolutionen und Restaurationen. Wie seine Zeitgenossen, wie Kant, Fichte und Hegel, und auch wie Baader, Görres und Müller, weiß Sch., daß die Philosophie kein bloß äußerliches Verhältnis zu den Umbrüchen des politischen Systems der Feudalität und der bürgerlichen Gesellschaft, des ästhetischen und religiösen Weltbildes und philosophischen und wissenschaftlichen Wissens hat. Kants Revolution der Denkungsartˆ und Fichtes Philosophie der Freiheit der Subjektivität begleiten den Prozeß nach 1789; Hegels Philosophie der Geschichte im Bewußtsein des Fortschritts erlebt noch die Revolution von 1830, Feuerbachs Kritik der Religion und der spekulativen Philosophie trägt dazu bei, den Vormärz zu prägen und die demokratischen Revolutionen von 1848 zu begreifen. Für keinen der deutschen philosophischen Klassiker dieser Zeit aber kann gesagt werden, was die intellektuelle Biographie Sch.s und sein Werk zwischen der Magisterdissertation von 1792 Antiquissimi de prima malorum humanorum origine philosophematis Genes. III. explicandi tentamen criticum et philosophicum und der auch im Todesjahr 1854 noch nicht vollendeten Philosophie der Mythologie und Philosophie der Offenbarung als eine »Philosophie im Werden« (Xavier Tilliette) kennzeichnet: Zeitgenosse dieser gesamten Epoche von Revolutionen zu sein. Sch.s Denken vermittelt sich in und mit dem Geist einer Zeit, in der Kant und Herder, Fichte und Jacobi, Hegel und Schopenhauer, Feuerbach und der Spätidealismus und Marx, Lessing und Goethe, Wieland und Lenz, Bürger und Schiller, Forster und Humboldt, Kierkegaard und Heine koexistieren.

Sch. hat seine Zeit nicht allein, ja nicht einmal in erster Linie als eine Epoche politischer Revolutionen wahrgenommen. Spricht er von den »Metamorphosen, die in dem Geiste des Menschen selbst vorgehen«, als »Revolutionen der Wissenschaften«, so belegt dies, wie sehr auch ihn die Atmosphäre von Innovationen geprägt hat, die das Jahrhundert kennzeichnen, nicht zuletzt jene in den Wissenschaften. Zu seiner Lebenszeit gehört die Chronologie wissenschaftlicher Entdeckungen und Erfindungen, z.B. auf dem Gebiet der Elektrodynamik, – von der quantitativen Elektrostatik im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts bis hin zur Theorie des elektromagnetischen Feldes Mitte der 1840er Jahre. Zu erwähnen sind die Wiederbelebung und Präzisierung der Wellentheorie des Lichts, die Entwicklung der Wärmelehre, der Übergang vom chemischen Gewerbe zum wissenschaftlichen System der Chemie; die Phlogiston-Theorie wird durch den experimentellen Nachweis chemischer Elementeˆ und Verbindungen auf der Grundlage von Lavoisiers Oxydationstheorie abgelöst. Gewichtige Entwicklungen spielen sich in der Biologie ab, so im Bereich der Morphologie und Klassifikation der Arten und in der durch Verbesserung der technischen Erkenntnismittel (Mikroskope) geförderten Embryologie; in der Zellen-Lehre wird das struktuelle Grundelement aller Lebewesen festgestellt. Nicht weniger bedeutend sind die Veränderungen in der geologischen Forschung, in der etwa durch den schottischen Geologen Charles Lyell bewußt wird, daß in der Erdgeschichte mit langen Zeiträumen zu rechnen ist (Sch.s Äußerung in den Weltaltern: »Kaum waren die ersten Schritte, Philosophie mit Natur wieder zu vereinigen, geschehen, als das hohe Alter des Physischen anerkannt werden mußte«). Die Geographie wird in einer zweiten Zeit der Entdeckungsreisen durch eine Fülle an Daten bereichert, z.B. durch die Südamerika-Expeditionen A. v. Humboldts, mit dem Sch. in Verbindung steht (vgl. den »Wissenschaftshistorischen Bericht zu Schellings naturphilosophischen Schriften 1797–1800«).

Mit dem Hinweis auf die Naturwissenschaften ist der Geist der Zeitˆ freilich noch nicht hinreichend erfaßt. Sch. hat sich den intellektuellen, theoretischen und politischen Anforderungen und Zumutungen seiner Epoche nicht entzogen. Die Universität, die Akademie, der Hof der Monarchien, der Salon der Gebildeten und das Gespräch in Gesellschaft beim Essen mit Freunden, Honoratioren, Mächtigen und Epigonen, die intensive Lektüre von Zeitungen und Zeitschriften und nicht zuletzt eine weitverzweigte Korrespondenz – er lebt ein öffentliches Leben und trägt maßgeblich dazu bei, das 19. Jahrhundert in Deutschland zu prägen. Wo sich der frühe Sch., immer in kritischem Habitus, intellektuell auf dominante Denkbilder einläßt – so vor allem auf die kritische Philosophie Kants, die Geschichtstheorie des Fortschritts und die Naturforschung –, leistet er wesentliche Beiträge zur Entwicklung. Wo er Fehlentwicklungen beobachten zu können und kritisieren zu müssen meint, leistet er Gegen-Entwürfe. Er streitet mit der Idee freier Subjektivität gegen Zwangsrecht und Staat, mit spekulativer Physik gegen den einfachen Induktivismus positiver Wissenschaften, mit der Kunst als Organonˆ der Philosophie gegen abstrakte Verstandeskonstruktionen, mit der Idee einer Zukunft der Mythologie gegen den theologischen und philosophischen Rationalismus und mit der geschichtlichen Rekonstruktion des Seins gegen die Hegelsche ontologische Dialektik des Seienden. Philosophie hat für ihn die ganze Seinsgeschichte als offenen Prozeß zu ihrem Gegenstand.

Es gibt Sch.-Biographien, doch ist die Geschichte noch nicht geschrieben, in der die wesentlichen Elemente dieses Lebens zwischen öffentlichem, oft polemischem Eingreifen und scheinbar stummem Rückzug in Privatheit erhellt wären. Erst mit dem Fortgang der Historisch-kritischen Ausgabe und der Veröffentlichung der von 1809 bis 1854 nahezu lückenlos vorliegenden Tagebücher wird auch das biographische Profil klarere Züge annehmen. Es ist hermeneutische Normalität, wenn man feststellt: Als Werk für uns entsteht Sch.s Philosophie noch immer. Karl Rosenkranz’ Wort »Schelling ist einmal Schelling und man muß ihn nehmen, wie er ist« bezeichnet ein Problem, keine Tatsache. Sch.s Philosophieren hat Freunde und Feinde provoziert. Nie hat ein Sch.-Bild verbindlich werden können. Es oszilliert zwischen heftiger Anklage und kritikloser Verteidigung. Für Fichte war dieses Denken schon bald »absolute Unphilosophie und Antiphilosophie«; Hegel würdigte den »Stifter der neueren Naturphilosophie« und geißelte die Genialitätsanmaßung einer Philosophie, die sich nicht gemein machen wollte mit dem »profanum vulgus«; Friedrich Schlegel warnte vor dem »kritischen Mystizismus«, der, »wie der Prometheus des Äschylus, mit Erdbeben und Untergang« ende; für Heine war Sch. nur »restaurierende Reaktion«, für Feuerbach letztlich nicht anderes als »entstellter Hegelianismus« und »theosophische Posse«.

Sch.s Philosophie hat sich in andauernder Beschäftigung mit immer gleichen Fragen nach der Freiheit (zum Guten und zum Bösen) im geschichtlichen Sein und zugleich in Brüchen der Selbstüberprüfung entwickelt. Tritt in den Werken die philosophierende Persönlichkeit zurück, so begegnet in der Korrespondenz und in den privaten Aufzeichnungen der Philosophischen Entwürfe und Tagebücher ein in Details unablässig nach Verbesserungen der Begründung suchender und von Selbstzweifeln nicht unbehelligter Philosoph. Nach seiner Freiheitsschrift (1809) wird Sch. mit keinem seiner großen Veröffentlichungspläne mehr fertig. Er kündigt an, verwirft, kündigt an. Doch sein Denken ist nicht sprunghaft und unsystematisch. Was Sch. sucht, ist der systemische Zusammenhang allen Seins in Natur und Geist. Wie seine Vorlesungen zeigen, zielt sein Denken allerdings nie auf ein abgeschlossenes System; er hält sich in seinem Denken offen.

Sch. entstammt einer traditionsreichen schwäbischen Pfarrersfamilie. Der Vater, Leonberger Pastor, wurde 1777 Professor am Höheren Seminar des Bebenhausener Klostersˆ, ein Theologe im Traditionsfeld auch des spekulativen Pietismus. Früh an der deutschen und der Lateinschule in der geistigen Kultur der Antike, protestantischer Theologie und Ethik, in Logik und Rhetorik und nicht zuletzt in Sprachen geschult, gelangt Sch. bereits 1790 ans feudal-konservativ regierte und um so mehr zu Opposition geneigte Tübinger Stift. Theologie, (Kantische) Philosophie, eine nachhaltig wirkende Platon-Rezeption, Psychologie, Mathematik und Naturwissenschaft, Ästhetik und Recht und, bereits jetzt lebenslanges Interesse auslösend, die historische Mythenkritik sind die Wegmarken einer Bildung, die der junge Sch. weniger als fraglose Überlieferung denn als Auslöser intellektueller Unruhe aufnimmt. Auch hierin ist er den Tübinger Freunden Hölderlin und Hegel verbunden. Aufklärerische Christentum-Kritik, Rousseaus Traum einer im Vertrag zur Vernunft gezügelten Gesellschaft und die Französische Revolution tragen im Stift zur jugendlichen republikanischen Gebärde bei; Republikaner wurden und blieben wenige.

Wer in Tübingen Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus verfaßt hat, ist umstritten. Es kann aus Sch.s Feder stammen. Dieses Programm gibt ein Echo der Revolution weiter, und es ist in einem solchem Maße der Vorschein dessen, was Sch. später systematisch zusammenbindet – die Idee der Freiheit, die spekulative Physik, die Philosophie der Kunst, die Erinnerung der Mythos, die Religionen des Polytheismus und des Monotheismus, die Kritik des Staates –, daß seine Philosophie als die eigentliche Vollstreckerin des Programms gelten kann: »eine Ethik. Die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst als einem absolut freien Wesen. Mit dem freien, selbstbewußten Wesen tritt zugleich eine ganze Welt ...aus dem Nichts hervor – die einzig wahre und gedenkbare Schöpfung aus Nichts.... Hier werde ich auf die Felder der Physik herabsteigen; die Frage ist diese: Wie muß eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein? Ich möchte unserer langsamen, an Experimenten mühsam schreitenden Physik ein mal wieder Flügel geben.«

Es war J. G. Fichte, der Sch. zu ersten Arbeiten zur Möglichkeit von Philosophie und zur Rechtskritik inspiriert hat. Als Fichte-Schüler wäre er aber verkannt. Er macht sich schon bald als originärer Denker einen Namen, nachdem er noch ab 1796 als Hauslehrer der Barone von Riedesel, die er an die Leipziger Universität begleitet, das Los junger Intellektueller in feudaler Gesellschaft geteilt hat: Der Hofmeister dient; sein Wissen macht ihn suspekt. Sch. reflektiert dies: »Sie sollen alle von der französischen Propaganda in ihr Interesse gezogen sein und sich anheischig machen, ihre adeligen Jungen zu Demokraten und Revolutionärs zu bilden.«

Sch. reist; er sieht Heidelberg, Frankfurt am Main, Jena, Leipzig und Berlin. Seine eigenen Studien erstrecken sich vor allem auf Mathematik, Naturwissenschaften und Medizin. Mitte 1798 wird er von der abhängigen Stellung frei; sein Interesse richtet sich auf das universitäre Lehramt. Pläne für Tübingen zerschlagen sich. Im Sommer 1798 nimmt er, für kurze Zeit in Dresden, Kontakt mit dem romantischen Kreis Friedrich Schlegels auf. Im Juli wird der Dreiundzwanzigjährige als außerordentlicher Professor nach Jena berufen, nachdem nach einem Gespräch Ende Mai 1798 Goethes Urteil über ihn günstig ausgefallen ist: »Es ist ein sehr klarer, energischer und nach der neuesten Mode organisierter Kopf, dabei habe ich keine Spur einer Sansculotten-Tournure an ihm bemerken können.« Goethes Urteil ist nicht oberflächlich; schon zuvor hat er von Sch.s Weltseele und von den Ideen Kenntnis. In Jena trifft Sch. auch mit Schiller zusammen. Hier beginnt eine aufsehenerregende akademische Karriere, zugleich eine Symbiose mit der avanciertesten deutschen Literatur und Naturforschung der Romantik. Nach einem Zwischenspiel medizinischer Forschung in Bamberg – Sch. wird durch den Tod Auguste Böhmers traumatisiert, der Tochter Caroline Schlegels – kommt es 1801 in Jena zu einer engen Zusammenarbeit mit Hegel, begleitet von zunehmender Ferne zu Fichte. Sch. liest mit großem Erfolg jene Transzendental- und Naturphilosophie, die miteinander zu vereinigen das Ziel seines ersten großen, 1800 veröffentlichten Werks ist: System des transscendentalen Idealismus. Auch sein Interesse an der Philosophie der Kunst zeichnet sich ab. Mehrere Schriften zur Begründung der Naturphilosophie machen Sch. als glänzenden Kenner der Naturforschung und empirischen Naturwissenschaft bekannt.

Sch.s Naturphilosophie wurde für viele Kritiker zum Stein des Anstoßes; Naturwissenschaftler wie die Biologen Schwann und Schleiden und der Chemiker v. Liebig wandten sich in den 1840er Jahren mit Hohn gegen sie. Im Zeitbewußtsein war nur der Sch. einer spekulativen Physik gegenwärtig; die spekulative Physik mit ihrer intimen Nähe zum Wissen empirischer Naturforschung war es nicht mehr. Bald trat Sch.s Naturphilosophie – nicht zuletzt unter dem Eindruck der Angriffe aus den positivenˆ Wissenschaften – in den Hintergrund auch des philosophischen Interesses. Heute geht von ihr erneut Faszination aus, wie die Literatur belegt. Berücksichtigt man, daß Sch. seit 1807 – »seit ich den Mißbrauch, der [in der Romantik] mit den Ideen der Naturphilosophie getrieben worden, gesehen« – Naturphilosophisches mit einer Ausnahme bis zu seinem Tode 1854 nicht mehr veröffentlicht hat, ist dieser Befund um so bemerkenswerter.

1797 kündigt Sch. die Ideen zu einer Philosophie der Natur »als künftige Grundlage eines allgemeinen Natur-Systems« an, das die allgemeine Bewegungslehre, Statik und Mechanik, die Prinzipien der Naturlehre, der Teleologie und der Physiologie umfassen sollte. 1798 erscheint Von der Weltseele, eine Hypothese der höheren Physik; der junge Philosoph sieht sich noch außerstande, »das Ganze mit einer wissenschaftlichen Physiologie zu beschließen, die erst dem Ganzen Rundung geben kann«. Bereits in der Vorrede formulierte er zwei erkenntnisleitende Motive und Prinzipien: »Was für die theoretische Philosophie [im Zeitalter nach Kant] übrig bleibt, sind allein die allgemeinen Prinzipien einer möglichen Erfahrung, und anstatt eine Wissenschaft zu seyn, die auf Physik folgt (Metaphysik), wird sie künftig eine Wissenschaft seyn, die der Physik vorangeht.« Zur Perspektive der Einleitung notiert die Vorrede, wie Sch. nun die Beziehung zwischen Philosophie und Wissenschaft sieht: Philosophie ist Prinzipien-Wissenschaft und verhält sich so zu empirischem Wissen. Es geht nun nicht mehr um das »Tagelöhnergeschäft«, »Philosophie auf Naturlehre anzuwenden«; ihr »Zweck ist vielmehr: die Naturwissenschaft selbst philosophisch entstehen zu lassen«. Als Prinzipientheorie ist sie zugleich eine Hermeneutik der Natur: »Es ist wahr, daß uns Chemie die Elemente, Physik die Sylben, Mathematik die Natur lesen lehrt; aber man darf nicht vergessen, daß es der Philosophie zusteht, das Gelesene auszulegen.« Sch., der für die Transzendentalphilosophie das verlorene Terrain des Materiellen, der Realität als Natur zurückzugewinnen sucht, will im »Ich« dessen bloße Selbst-Bezüglichkeit überwinden. Die Lösung, die er in den Ideen vorschlägt, um zwischen der Skylla des metaphysischen Realismus (»die Dinge existiren außer uns, unabhängig von unseren Vorstellungen«) und der Charybdis des metaphysischen Idealismus (»daß auch die Erscheinungen selbst zugleich mit der Succession nur in unsern Vorstellungen werden und entstehen«) einen Weg zwischen Geist und Materie zu finden, ist die einer bemerkenswerten Weiterentwicklung der Kantischen Kritik der Urteilskraft: »Philosophie ist also nichts anderes, als eine Naturlehre unsers Geistes. Wir betrachten das System unserer Vorstellungen nicht in seinem Seyn, sondern in seinem Werden. Die Philosophie wird genetisch Von nun an ist zwischen Erfahrung und Spekulation keine Trennung mehr. Das System der Natur ist zugleich das System unsers Geistes, und jetzt erst, nachdem die große Synthesis vollendet ist, kehrt unser Wissen zur Analysis (zum Forschen und Versuchen) zurück.«

Als erstes großes Werk, das die im Deutschen Idealismus vielfach favorisierte Idee zu verwirklichen sucht, Philosophie müsse Systemˆ sein, hat Sch. 1800 das System des transscendentalen Idealismus vorgelegt. Es geht von der – nun allerdings spinozistisch gewendeten – Kantischen Frage aus: »Wie können die Vorstellungen zugleich als sich richtend nach den Gegenständen, und die Gegenstände als sich richtend nach den Vorstellungen gedacht werden?« Sch. leitet nun aus der ersten, materiellen und produktiven Natur eine Geschichte des Selbstbewußtseins ab, die ihren Weg über die zweite Natur des Menschen in Recht und Staat nimmt und in der Kunst als Organon der Philosophie ihren Gipfel erreicht. Das Werk will den transzendentalen Idealismus »zu einem System des gesamten Wissens« dadurch erweitern, daß es »alle Teile der Philosophie in Einer Kontinuität und die gesamte Philosophie als das, was sie ist [darstellt], nämlich als fortgehende Geschichte des Selbstbewußtseins, für welche das in der Erfahrung Niedergelegte nur gleichsam als Denkmal und Dokument dient«. Der »Parallelismus der Natur mit dem Intelligenten« verlangt im Begriff der neuen Transzendentalphilosophie die Erneuerung der Einheit der philosophischen Formen, die von Fichte getrennt worden waren. Sch. verweigert sich der Alternative, entweder in Gestalt der Naturphilosophie »das Objektive zum Ersten« zu machen oder aber in Form der Transzendentalphilosophie »das Subjektive zum Ersten« zu erheben. Das Band zwischen beiden ist dadurch geknüpft, daß es die Natur selbst ist, die ihr Ziel, »selbst ganz Objekt zu werden«, erst »durch die höchste und letzte Reflexion« erreicht, »welche nichts anderes als der Mensch, oder, allgemeiner, das ist, was wir Vernunft nennen, durch welche zuerst die Natur vollständig in sich selbst zurückkehrt, und wodurch offenbar wird, daß die Natur ursprünglich identisch ist mit dem, was in uns als Intelligentes und Bewußtes erkannt wird«. Das transzendentale Wissen ist »ein Wissen des Wissens«, in dem sich die Identität der »beiden Sätze: Ich bin, und: es sind Dinge außer mir« herstellt. Gegen jenen »Empirismus« gewandt, »welcher alles von außen in die Intelligenz kommen läßt«, räumt die theoretische Transzendentalphilosophie einer anderen Form der Anschauung den zentralen Ort der philosophischen Konstruktion ein, – dem freien, sich seiner selbst bewußten Ich. Die Form, in der es »Objekt des Wissens« werden kann, »wird im Gegensatz gegen die sinnliche, welche nicht als Produzieren ihres Objekts erscheint, wo also das Anschauen selbst vom Angeschauten verschieden ist, intellektuelle Anschauung genannt«. Sch. sieht das Modell dieser welt-bildenden Produktivität des Ich in der ästhetischen Tätigkeit: »Die objektive Welt ist nur die ursprüngliche, noch bewußtlose Poesie des Geistes; das allgemeine Organon der Philosophie – und der Schlußstein ihres ganzen Gewölbes – die Philosophie der Kunst

Dies ist der Rahmen, in dem Sch. im System erstmals Probleme der Moralphilosophie thematisiert, freilich nicht als solche, sondern im Horizont einer transzendentalen »Deduktion der Denkbarkeit und der Erklärbarkeit der moralischen Begriffe überhaupt«. Das Grundproblem, vor das sich Sch. – nicht anders als Kant – gestellt sieht, ist das der Beziehung zwischen Freiheit und Notwendigkeit. Er plädiert für einen Lösungsweg, der zu einer Harmonie von Freiheit und Notwendigkeit in den Begriffen einer zweiten Natur und eines »Naturgesetzes zum Zwecke der Freiheit« führt. »Die Natur kann nicht handeln im eigentlichen Sinn des Worts. Aber Vernunftwesen können handeln, und eine Wechselwirkung zwischen solchen durch das Medium der objektiven Welt ist sogar Bedingung der Freiheit. Ob nun alle Vernunftwesen ihr Handeln durch die Möglichkeit des freien Handelns aller übrigen einschränken oder nicht, dieß hängt von einem absoluten Zufall, der Willkür, ab. So kann es nicht seyn. Es muß durch den Zwang eines Unverbrüchlichen Gesetzes unmöglich gemacht seyn, daß in der Wechselwirkung aller die Freiheit des Individuums aufgehoben werde. Es muß eine zweite und höhere Natur gleichsam über der ersten errichtet werden, in welcher ein Naturgesetz, aber ein ganz anderes, als in der sichtbaren Natur herrscht, nämlich ein Naturgesetz zum Behuf der Freiheit. Ein solches Naturgesetz ist das Rechtsgesetz, und die zweite Natur, in welcher dieses Gesetz herrschend ist, die Rechtsverfassung, welche daher als Bedingung des fortdauernden Bewußtseyns deducirt ist.«

Trotz seiner Nähe zu Kant und obwohl er dessen Idee einer weltbürgerlichen Rechtsordnung zunächst nicht ablehnt, sieht Sch. für den Optimismus der Schrift Zum ewigen Frieden schon früh keine guten Gründe. Liest man die Würzburger Vorlesungen zum System der gesammten Philosophie (1804), so haben die »menschenfreundlichen Ideen eines künftigen goldenen Zeitalters, eines ewigen Friedens u.s.w. großentheils ihre Bedeutung [verloren]. Das goldene Zeitalter würde von selbst kommen, wenn es jeder in sich darstellte, und wer es in sich hat, bedarf es nicht außer sich.« Den Ruf nach Würzburg nimmt Sch. 1803 an; das Zerwürfnis mit Fichte und die Auflösung des Jenenser Romantiker-Kreises ist vorangegangen. In Würzburg widmet er sich erneut naturphilosophischen Themen; er trägt das System der gesamten Philosophie und der Naturphilosophie inbesondere vor; auch der Medizin widmet er sich intensiv. Im Zentrum des Interesses steht aber die Philosophie der Kunst. 1804 erschließt er sich mit Philosophie und Religion endgültig den Kontinent seines Denkens: In der – auch durch Theosophie beeinflußten – Neubestimmung des Verhältnisses von Glauben und Wissen vollzieht sich die Wende zu neuer Erklärung der Beziehung von menschlichem endlichem und göttlichem »unvordenklichem« Sein. Nicht wenige seiner Zeitgenossen sind enttäuscht; so schreibt J. J. Wagner 1805 an Goethe: Ich »habe mich denn gegen Schelling erklären müssen, sobald ich aus seiner neuesten Schrift (Philosophie und Religion) erkannte, daß er in der Spekulation untergegangen war, deren Vernichtung man ehemals von ihm erwarten konnte.«

1806 wird die Münchner Akademie der Wissenschaften zum Ort von Sch.s Tätigkeit. 1808 übernimmt er das Amt des Generalsekretärs der neugegründeten Akademie der Bildenden Künste. Die Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809) erschließen das Terrain für die nunmehr explizit gegen die Negativitätˆ von Kritik und Dialektik gerichtete positive Philosophie. Die positiveˆ Philosophie löst freilich die negativeˆ nie restlos ab; in der positivenˆ bleiben die Anliegen der negativenˆ Philosophie erhalten. Die neue Philosophie will nicht mehr allein nach den Bedingungen der Möglichkeit von Wissen fragen; was sie von der Transzendentalphilosophie unterscheidet, ist ihr Ziel, Philosophie dessen zu sein, was ist. Und zu dem, was sie als Wirklichkeit entdeckt, gehört das Böseˆ, freilich nicht in erster Linie als moralisches Problem. Das Böse, das sich im Sündenfallˆ ausdrückt, ist eine für die Entfaltung des geschichtlichen Seins unverzichtbare, für die Geschichte konstitutive Form der Freiheit. In diesem Prozeß des Umdenkens zerbricht die Freundschaft mit Hegel, der 1801 in Differenz des Fichte schen und Schelling schen Systems der Philosophie als Anwalt Sch.s gegen Fichte aufgetreten war und mit dem Sch. gemeinsam das Kritische Journal der Philosophie herausgegeben hatte. Die in Hegels Phänomenologie des Geistes ausgesprochene Kritik an Sch.s Identitätsphilosophie setzt der fruchtbaren Zusammenarbeit 1807 ein Ende.

Nach der Freiheits-Schrift wird Sch. – mit Ausnahme seiner Polemik gegen Jacobi 1811/12 – bis 1834 zwar zahlreiche Systemversuche, vor allem seine Weltalter, ankündigen, aber nahezu nichts mehr publizieren. Seit 1811 kündigt er sein neues geschichtliches System an; Teile gibt er in Druck; veröffentlicht werden sie zu seinen Lebzeiten nicht. Im Tagebuch 1813 notiert er: »27. |Dezember| Die Weltalter endlich angefangen. Ich habe dies Buch Weltalter überschrieben. Auch Syst|em| der Zeiten oder Zeiten der Offenb|arung| G|otte|s. Vergang|enheit,| ein wunderbarer Begriff. – Ich habe es Weltalter genannt, warum? Was Philos|ophie| von jeher gesucht? Wiss|enschaft| alsoˆ = Historie.« Dieses Geschichtsdenken ist nicht allein der Frage gewidmet, wie eine allgemeine Geschichte im Horizont der Seinsgeschichte Gottes, der Natur und der Menschen begriffen werden kann; sie fragt zugleich nach den epistemischen Geschichtskulturen, den Formen, in denen Geschichte erkannt werden kann und gewußt ist: »Das Vergangene wird gewußt, das Gegenwärtige wird erkannt, das Zukünftige wird geahndet. Das Gewußte wird erzählt, das Erkannte wird dargestellt, das Geahndete wird geweissagt.«

In seiner Münchner Zeit und in Erlangen arbeitet Sch. die Konzeption seiner positiven Philosophie weiter aus; die spätere Berliner Philosophie der Mythologie und Philosophie der Offenbarung ist in wesentlichen Stücken vorbereitet. Es kommt auch in dieser Phase zu keinem vollständigen Bruch mit der früheren negativen Philosophie, die er in Berlin unter dem Titel einer reinrationalen Philosophie noch einmal aufnehmen und neu bearbeiten wird. In seinen Münchner Vorlesungen Zur Geschichte der neueren Philosophie (1827) betont Sch. im Rahmen seiner Rationalismus-Kritik das empirische Moment der Philosophie und plädiert in Auseinandersetzung mit dem klassischen Empirismus für einen neuen, höheren Empirismus: »Es ist an uns, sage ich, das System, das wir zu ergreifen und zu erreichen hoffen dürfen, jenes positive System, dessen Prinzip eben wegen dieser seiner absoluten Positivität selbst nicht mehr a priori, sondern nur a posteriori erkennbar sein kann, bis zu dem Punkt auszubilden, wo es mit jenem – in gleichem Verhältnis erweiterten und geläuterten Empirismus zusammenfließen wird.«

Nach der Juli-Revolution von 1830 setzte sich in Bayern eine ultramontaneˆ Politik durch. Das im November 1837 berufene Ministerium Abel hob die Religionstoleranz gegenüber dem Protestantismus weitgehend auf und unterwarf auch die wissenschaftlichen Institutionen rigider Kontrolle. In dieser Situation begrüßt Sch., inzwischen Ritter der Französischen Ehrenlegion und Korrespondierendes Mitglied der Pariser Akademie, trotz seines freundschaftlichen Verhältnisses zum Bayerischen Kronprinzen den Ruf nach Berlin, der mit dem Regierungsbeginn Friedrich Wilhelms IV. von Preußen möglich wird; dessen Absicht ist, durch Sch. den Hegelianismus ausrottenˆ zu lassen. Im November 1841 tritt Sch. unter größter Aufmerksamkeit nicht nur der deutschen und Berliner Intellektuellen, sondern auch der internationalen Presse vor seine Berliner Hörer. Er zieht junge engagierte Köpfe aus dem In- und Ausland an, zu denen etwa Bakunin, Engels und Kierkegaard gehörten. Der erhoffte Erfolg stellte sich zunächst ein. Was viele interessiert, ist nicht zuletzt die Stellung, die er gegenüber Hegel einnimmt. Die linke Hegel-Schule ist empört: »Schelling ist nach Berlin berufen, Schelling nach Hegel! wie unverantwortlich wäre es, wenn man diese Herausforderung der Reaktion nicht mit Bomben und Kartätschen begrüßte« (A. Ruge). Marx sekundiert: »Ein Angriff auf Schelling ist also indirekt ein Angriff auf unsere gesamte und namentlich preußische Politik. Schelling’s Philosophie ist die preußische Politik sub specie philosophiae.« Da Sch. auch in seinen öffentlichen Vorlesungen und Reden aus seiner zeitkritischen Einstellung kein Hehl macht, haben die Gegner zu ihrer Kritik durchaus Anlaß. Von anderen wird er als Retter begrüßt; so schreibt A. Ch. Eschenmayer 1841 an J. Kerner: »Schelling ist jetzt an seinem rechten Platz, um das Hegelsche Steinkohlen-Feuer durch das Licht aus der Sonne zu ersetzen. Möge es ihm gelingen, die Offenbarung an die Stelle des absoluten Vernunftgeschwäzes zu bringen.«

Im Zentrum des Sch.schen Denkens steht die Philosophie der Mythologie und der Offenbarung als Philosophie des geschichtlichen Werdens der Freiheit, des Seins und des Seienden; er trägt sie letztmalig im Wintersemester 1845/46 in Berlin vor. Die philosophische Frage, die sowohl die Zeitwahrnehmung als auch die metaphysische Konstruktion Sch.s leitet, ist: Was ist das Seiende? Die philosophische Antwort lautet, daß wir diese, die entscheidende Frage in den überlieferten Formen philosophischen Denkens nicht beantworten können: »Die Philosophie sucht den vollkommenen Gegenstand. Sie hat ihn mit dem, was wir Definition genannt haben, noch nicht wir wissen nicht, was das Seiende ist.« Dies ist der Kontext, in dem nach und nach aus der Kritik der Vernunft eine Kritik der Freiheit und eine Kritik der Zukunft wird.

1848 schreibt er wesentliche Teile seiner im Rahmen der Philosophie der Mythologie formulierten reinrationalen Philosophie. Als er sich erneut intensiv mit Aristoteles und mit Kant befaßt, geht der politischeˆ Sch. beim preußischen Hof aus und ein und ist vertrauter Korrespondenzpartner des bayerischen Königshauses. Am 20. April 1848 ein Tagebucheintrag: »Zur Probe den Anfang von XIII. [Vorlesung] definitiv geschrieben. Zu Mittag bei Königlicher Hoheit Prinz Wilhelm (General Reyher, Oberst v. Weber, Direktor Waagen). Zu Hause gefunden die bayerischen lithografierten Entwürfe, bezüglich auf die künftige [Bundes]- Verfassung, mit einem Schreiben von König Max.

Habe Besorgnis wegen republikanischer Emeuten in Frankfurt.«

Sch. ist hinsichtlich der Entwicklungstendenzen der Revolution so argwöhnend wie weitsichtig: Er verwirft sie wegen ihrer demokratischen Ziele und wegen der Rolle, welche die Proletarier in ihr spielten. Sch. kennt den zeitgenössischen Sozialismus und Kommunismus. Der frühe französische Sozialismus ist in seiner politischen Wahrnehmung bereits in den 1830er Jahren zum Bezugspunkt geworden. Spricht Sch. 1834 in seiner Vorrede zur deutschen Cousin-Übersetzung explizit vom »plumpe[n] Skandal des St.-Simonismus«, so weiß er, was in Rede steht. Der eigentliche Adressat seiner Kritik ist nicht der an sozialpolitischen Reformen interessierte Sozialismus, sondern der die bürgerliche Gesellschaft insgesamt attackierende Kommunismus französischer Provenienz. Sch. kennt zu dieser Zeit Proudhon; im Tagebuch 1849 finden sich Exzerpte aus Bakunin. Die Revolutionskritik der vor allem in den 1850er Jahren ausformulierten 22. bis 24. Vorlesung zur Philosophie der Mythologie gibt von Sch.s Erfahrung mit der 1848er Revolution merkwürdig wenig wieder. Die Sätze gegen die Idee der Demokratie und das Verbrechen der Staatsumwälzungˆ, die Verteidigung der Rechte individueller Innerlichkeit gegen den realen Staat und das Plädoyer für das den Staat legitimierende Gesetz der Vernunft in der Seinsgeschichte wirken blaß gegenüber den tagespolitischen Erfahrungen und systematischen Einsichten. Der Zeitzeuge Sch. erwartet für 1849 »eine neue, noch schrecklichere und tiefer eindringende Revolution«, und diese Aussicht macht »die Gegenwart so unerfreulich, daß man sich endlich ganz in die Innenwelt zurückzieht«. Doch die Revolution von 1848 führt Sch. philosophisch zurück zum Kern seiner Theorie, die eine Philosophie der Geschichtlichkeit der Freiheit ist. Seine Prognose lautet, »das Ende der gegenwärtigen Welt-Krisis werde sein, daß der Staat wieder an seine wahre Stelle – als Bedingung, als Voraussetzung, nicht als Gegenstand und Zweck der individuellen Freiheit gesetzt werde«.

Sch. begreift, anders als Hegel, Recht und Staat nicht als Entitäten mit der Würde der Substanz, sondern er legt durchgängig pragmatische, funktionale Bestimmungen vor. Recht und Staat sind für ihn geschichtlich notwendig; sie sind Folge der Freiheit, die der Grund der Geschichtlichkeit der Existenz ist – der Freiheit zum Guten und zum Bösen; sie gehören intrinsisch zu dem, was er den Sieg des Subjektiven über das Objektiveˆ nennt – freilich aus einem aporetischen Grund. Die Freiheit der Menschen, welche die Geschichte stiftet und ihre Geschichtlichkeit prägt, ist problematisch und begründet das Bedürfnis nach einer auf Notwendigkeit gegründeten Ordnung. Der Staat ist historisch notwendig; zugleich sind Grenzen seiner Wirksamkeit zu beachten. Er, der weder zu stark noch zu schwach sein darf, hat sich – so Sch. in seinen Stuttgarter Privatvorlesungen – auf das notwendig zu Regulierende zu beschränken; er ist nicht mehr und nicht weniger als die Bedingung der Möglichkeit einer freien, durch das Recht limitierten Entfaltung des Individuums. »Will man dem Staat die Kraft-Einheit geben, so verfällt er in den abscheulichsten Despotismus: beschränkt man die oberste Staats-Gewalt durch Verfaßung und Stände, so hat er nicht die gehörige Kraft.« Kaum eine zweite Formulierung ist für Sch.s Staatsverständnis so repräsentativ wie die geschichtstheoretische, das Sündenfall-Motiv aufnehmende Bilanz, die er bereits 1810 zieht: »Die Natureinheit, diese zweite Natur über der ersten, zu welcher der Mensch notgedrungen seine Einheit nehmen muß, ist der Staat, und der Staat ist daher eine Folge des auf der Menschheit ruhenden Fluchs Es ist bekannt, wie viel Mühe man sich, besonders seit der Französischen Revolution und den Kantischen Begriffen, gegeben hat, eine Möglichkeit zu zeigen, wie mit der Existenz freier Wesen Einheit vereinbar, also ein Staat möglich sei, der eigentlich nur die Bedingung der höchstmöglichen Freiheit sei. Allein dieser ist unmöglich.«

Die Kritik des Staats durchzieht Sch.s gesamte Philosophie. In seiner positiven Philosophieˆ ändern sich die systematischen Gründe für sein Verdikt nicht mehr. So heißt es in der 31. Vorlesung der Münchner Grundlegung der positiven Philosophie aus dem Winter 1832/33 im Kontext einer scharfen Hegel-Kritik: »Der Staat, so viel Positives er in sich schliesst, so gehört er doch gegen alles Positive, gegen alle Erscheinungen des höheren und geistigen und sittlichen Lebens auf die Seite des Negativsten. Die wahre, aber sehr missverstandene Aufgabe unserer Zeit ist, den Staat selbst und den Staat überhaupt, d.h. in jeder seiner Formen, zu beschränken, nicht bloß etwa in der monarchischen.« Sch. ist als systematischer Philosoph ein durchaus moderner Theoretiker der Freiheit und des Rechts, modern, weil er sich im Unterschied zu Hegel aller Bestimmungen hinsichtlich materialer ethischer oder religiöser Prinzipien der Rechtsbegründung und -geltung enthalten hat.

Tilliette, Xavier: Schelling. Biographie. Paris 1999. – Sandkühler, Hans Jörg (Hg.): F. W. J. Schelling. Stuttgart/Weimar 1998. – Baumgartner, Hans-Michael/Harald Korten: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. München 1996. – Sandkühler, Hans Jörg (Hg.): Philosophische Entwürfe und Tagebücher. Aus dem Berliner Nachlaß hg. mit Lothar Knatz und Martin Schraven. Hamburg 1994ff. – Frank, Manfred: Eine Einführung in Schellings Philosophie. Frankfurt am Main 1985. – Baumgartner, Hans Martin (Hg.): Schelling. Einführung in seine Philosophie. Freiburg/München 1975.

Hans Jörg Sandkühler

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Berressem, Hanjo (Aachen): Guattari
Beutel, Albrecht (Münster): Luther
Böhlke, Effi (Berlin): Berdjaev, Solov’ëv, Tocqueville
Boin, Manfred (Köln): Fichte
Borkopp, Peter (London): Schleiermacher
Bormann, Claus von (Bielefeld): Lacan, Lévi-Strauss
Brede, Werner (München): Plessner
Breidbach, Olaf (Jena): Oken
Deitz, Luc (Luxemburg): Antisthenes, Euklid, Kleanthes, Ptolemaios, Sextus Empiricus
Demmerling, Christoph (Dresden): Austin, Bolzano, Carnap, Chomsky, Feyerabend, Kripke, Kuhn, Ryle, Tugendhat
Dorowin, Hermann (Florenz): Ortega y Gasset
Dorsel, Andreas (Menlo Park, Cal.): Newton
Drechsler, Martin (Kreuzlingen): Anaxarch, Berkeley, Chrysippos, Schlick
Elsholz, Günter (Hamburg): Mill
Felten, Hans (Aachen): Saint-Simon
Fick, Monika (Aachen): Lessing
Fischer, Ernst Peter (Konstanz): Bohr, Darwin, Haeckel, Heisenberg, Helmholtz, Pauli, Piaget, Planck, Schrödinger
Fittkau, Ludger (Essen): Virilio
Flaßpöhler, Svenja (Münster): Butler
Früchtl, Josef (Münster): Rorty
Fülberth, Georg (Marburg): Bernstein, Luxemburg
Fütterer, Günther (Neusorg): Fromm
Gehring, Petra (Darmstadt): Serres
Gerhardt, Volker (Berlin): Kant
Gerl-Falkovitz, Hanna-Barbara (Dresden): Guardini
Gillies, Steven (Konstanz): Morris, Needham, Owen, Ricardo, D.F. Strauß
Gmünder, Ulrich (Caracas): Marcuse
Goldschmidt, Werner (Hamburg): Proudhon
Gönner, Gerhard (Bietigheim-Bissingen): Frege, Heraklit
Gosepath, Stefan (Berlin): Rawls
Gräfrath, Bernd (Essen): Hutcheson
Habermehl, Peter (Berlin): Anaxagoras, Anaximander, Augustinus, Boëthius, Clemens von Alexandria, Empedokles, Origenes, Parmenides, Philon von Alexandria, Pythagoras, Xenophanes, Zenon von Elea
Halfwassen, Jens (Heidelberg): Porphyrios
Hausmann, Frank-Rutger (Freiburg): Bodin, La Mettrie, Montesquieu
Heckl, Wolfgang M. (München): Einstein, Galilei
Heidrich, Christian: Kolakowski
Helferich, Christoph (Florenz): Croce, Gramsci, Hegel, Jung
Henckmann, Wolfhart (München): Bakunin, Scheler
Hildebrandt, Hans-Hagen (Essen): Grotius
Hoepner-Peña, Carola (Reichenau): Eriugena
Hoffmann, David Marc (Basel): Steiner
Hogemann, Friedrich (Bochum): Merleau-Ponty
Holenstein, Elmar (Zürich): Jakobson
Holtz, Sabine (Tübingen): Bonaventura
Holz, Hans Heinz (S. Abbondio): Lenin
Horst, Thomas (Stuttgart): Aristippos, Benjamin, Kierkegaard, Rickert
Horster, Detlef (Hannover): A. Adler, Aristoteles, Bloch, Habermas, Luhmann, Sokrates, Thomas von Kempen
Hose, Martin (München): Diogenes Laërtios
Hösle, Vittorio (Tübingen): Lullus
Hoyer, Ulrich (Münster): Gassendi
Hühn, Lore (Berlin): Schopenhauer
Hülle, Alexander (Stuttgart): Melanchthon, C.F. von Weizsäcker
Jamme, Christoph (Jena): Cassirer
Janowski, Franca (Stuttgart): Gentile
Jung, Thomas (Frankfurt am Main): Epiktet
Jung, Werner (Duisburg): Hartmann, Rosenkranz, Ruge
Kaegi, Dominic (Luzern): Heidegger
Kahl, Joachim (Marburg): Topitsch
Karge, Gesine (Berlin): Mach
Keil, Geert (Berlin): Apel, Strawson
Klein, Jürgen (Hamburg): Bacon
Knittel, Elisabeth (Allensbach): Voltaire
Knittel, Hermann (Allensbach): Seuse
Knopf, Jan (Karlsruhe): Korsch
Kocyba, Hermann (Frankfurt am Main): Deleuze
Köller, Wilhelm (Kassel): Peirce
König, Traugott (Frankfurt am Main): Barthes, Kojève, Sartre
Köpf, Ulrich (Tübingen): Bernhard von Clairvaux
Kraus, Manfred (Tübingen): Pyrrhon von Elis
Krauß, Henning (Augsburg): Beauvoir
Kreidt, Dietrich (Stuttgart): Thomasius
Krüger, Marlis (Bremen): Mannheim, Parsons
Kühnl, Reinhard (Marburg): Lukács, Marx/Engels, Spengler
Kulenkampff, Arend (Frankfurt am Main): Reid
Kytzler, Bernhard (Durban): Campanella, Cicero, Joachim da Fiore, Marc Aurel, Morus, Seneca, Xenophon
Laarmann, Matthias (Bochum): Heinrich von Gent
Lachmann, Rolf (Köln): Langer
Lambrecht, Lars (Hamburg): B. Bauer
Lang, Peter Christian (Frankfurt am Main): Adorno, Dilthey, Gadamer, Horkheimer, Plotin, Singer
Lazzari, Alessandro (Luzern): Reinhold
Lohmann, Hans-Martin (Heidelberg): Anders, Freud, Kautsky
Lunau, Martina (Tübingen): M. Mead, Toynbee
Lutz, Bernd (Stuttgart): Anselm von Canterbury, Jaspers, Löwith
Maas, Jörg F. (Hannover): Bayle, Danto, Goodman, Toulmin
Mai, Katharina (Stuttgart): Derrida
Martens, Ekkehard (Hamburg): Platon
Maser, Peter (Telgte): Buber, Scholem
Maurer, Ernstpeter (Dortmund): Quine, Wittgenstein
Meckel, Wolfgang (Staffel): Abaelard, Averroës, Avicenna, Maimonides, Ockham
Mehring, Reinhard (Berlin): Kelsen, Schmitt
Meier, Albert (Kiel): Holbach
Meier, Heinrich (München): L. Strauss
Mensching, Günther (Hamburg): Duns Scotus
Meuter, Norbert (Berlin): MacIntyre
Meyer, Thomas (Dortmund): Nelson
Mohl, Ernst Theodor (Seeheim-Jugenheim): Heß
Münch, Dieter (Berlin): Brentano
Neumann, Sabine (Münster): Flusser
Ollig, Hans-Ludwig (Frankfurt am Main): Cohen, Natorp, Riehl, Windelband
Opitz, Peter J. (München): Voegelin
Peter, Niklaus (Riehen/Basel): Overbeck
Pietsch, Christian (Mainz): Dionysius Areopagita
Pollmann, Karla (St. Andrews): Prudentius
Prechtl, Peter (München): Bentham, Dewey, Hume, James, G.H. Mead, Nussbaum, A. Smith, Taylor
Pries, Christine (Frankfurt am Main): Lyotard
Prill, Ulrich (Münster): Bachelard, Klossowski, Malebranche, Spinoza
Raab, Jürgen (Konstanz): Sennett
Raffelt, Albert (Freiburg): Blondel, Rahner
Rentsch, Thomas (Dresden): Husserl, Lask, Simmel, Suárez
Reschke, Renate (Berlin): Nietzsche
Richter, Mathias (Berlin): Castoriadis, Gorz
Rohr, Barbara (Bremen): Weil
Rommel, Bettina (Freiburg): Alembert, Condillac, Condorcet, Taine
Roughley, Neil (Konstanz): Gehlen
Sandkühler, Hans Jörg (Bremen): Dühring, Labriola, Plechanow, Schelling
Schäfer, Thomas (Berlin): Althusser, Foucault
Scherer, Georg (Oberhausen): Al-Farabi, Pieper, Stein, Thomas von Aquin
Schmidt-Biggemann, Wilhelm (Berlin): Leibniz, Pascal
Schmitz, Bettina (Würzburg): Irigaray, Kristeva
Schmitz, Matthias (Hamburg): Arendt, Herder, W. von Humboldt, Montaigne, Rousseau
Schneider, Thomas (Linsengericht): Hobbes, Locke, Machiavelli
Scholten, Clemens (Köln): Johannes Philoponos
Schönberger, Rolf (Regensburg): Buridanus
Schönwälder, Karen (London): Babeuf
Schorpp, Maria (Konstanz): Popper
Schürgers, Norbert J. (Lauf a. d.Pr.): M. Adler, Russell
Schwab, Hans-Rüdiger (Münster): Albertus Magnus, F. von Baader, L. Büchner, Erasmus von Rotterdam, Hemsterhuis, Reuchlin, Schweitzer
Semler, Christian (Berlin): Heller
Soeffner, Hans-Georg (Konstanz): Goffman
Stoecker, Ralf (Bielefeld): Davidson
Tenigl, Franz (Wien): Klages
Thaidigsmann, Edgar (Ravensburg): Barth, Tillich
Theisen, Joachim (Nea Kifissia/Athen): Meister Eckhart, Tauler
Thiel, Rainer (Marburg): Simplikios
Thoma, Heinz (Halle): Helvétius
Thunecke, Inka (Berlin): Camus
Ulrich, Jörg (Kiel): Hildegard von Bingen
Vietta, Silvio (Hildesheim): Vico
Villwock, Jörg (Niederhausen/Ts.): Blumenberg
Vogt-Spira, Gregor (Greifswald): Menander, Theophrast
Vöhler, Martin (Berlin): Longinos
Voigt, Uwe (Bamberg): Comenius
Vollhardt, Friedrich (Hamburg/Gießen): F. H. Jacobi, Mandeville, Mendelssohn, Shaftesbury
Waszek, Norbert (Paris): Stirner
Weber, Walter (Bremen): Baumgarten, Reimarus, Teilhard de Chardin, Wolff
Weinmann, Martin (Wiesbaden): Bergson
Weiß, Johannes (Kassel): Weber
Welsch, Wolfgang (Magdeburg): Lyotard
Werner, Reinold (Paris): Böhme, Marcel, Nikolaus von Kues
Wetzel, Michael (Bonn): Derrida
Wichmann, Thomas (Berlin): Descartes, Saussure
Wild, Reiner (Mannheim): Hamann
Willaschek, Marcus (Münster): Putnam
Winter, Michael (Koblenz): Fourier, Paine, Sade
Wohlrapp, Harald (Hamburg): Lorenzen
Wolf, Frieder Otto (Berlin): Ferguson, Goldmann, Lefebvre
Wörther, Matthias (München): Kepler, Kopernikus, Whitehead
Wüstehube, Axel (Münster): Moore
Zacher, Klaus-Dieter (Berlin): Demokrit, Epikur, Leukipp, Lukrez, Plutarch
Zeidler, Lothar (Edison/New York): Spencer
Zimmer, Jörg (Girona): Holz
Zimmermann, Bernhard (Konstanz): Anaximenes, Antiphon, Diogenes von Sinope, Kritias, Thales
Zimmermann, Wolfgang (Tübingen): Bruno, Calvin, Pico della Mirandola, Weigel
Zinser, Hartmut (Berlin): Feuerbach

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