Metzler Lexikon Philosophie: Unendlichkeit
(griech. apeiron, lat. infinitum). Das mathemathische Phänomen der endlosen Erweiterbarkeit von Zahlenwerten und Zahlenmengen wird bereits in der vorsokratischen Philosophie im Begriff des Apeiron (Unbegrenztes) als oberstes Seinsprinzip, besonders jedoch als Grundbestimmung der physischen Welt und ihrer Gegenstände diskutiert, bevor es durch Platon in einer v.a. terminologischen Übernahme der pythagoreischen Tradition in seiner Entgegensetzung zur Grenze (peras) in epistemologischer Hinsicht fruchtbar gemacht wird. Hier ist es die unüberschaubare, widersprüchliche und so nicht rationalisierbare Vielzahl der äußeren Bestimmungen (Relationen und Aspekte) eines auf die Weise der Doxa erfassten Gegenstandes, der sich so vollständig auf seine unterschiedlichen Erscheinungsweisen reduziert (Philebos 14c1-e4). Erst durch den Prozess der Hinzufügung der durch das peras bezeichneten wesentlichen Verhältnis- und Maßbestimmungen kann der Gegenstand als ein Gemischtes aus beidem über seinen durch einen logos aufgezeigten Ort innerhalb eines techne-Bezugsrahmens verstanden werden (vgl. ebd. 23c1–26e9). – Aristoteles definiert das Unendliche als ein nicht in diskursiver Weise abschließend Erfassbares (Physik 204a14) und negiert so die Existenz eines »aktual« unendlichen Gegenstandes als diskreter Größe oder Menge sowohl in sinnlicher als auch in nicht-sinnlicher Hinsicht (III, 3). U. kann vielmehr nur als eine »mögliche« gedacht werden (ebd. 203b24; 207b10 f.), d.h. als die allein durch gedankliche Operationen vollziehbare, potentiell endlose Wiederholung oder Aneinanderreihung bisweilen unterschiedlicher endlicher Glieder – etwa bei der Teilung des Kontinuums oder der stetigen Erweiterung der Zahlenreihe. Unendliche Gegenstände sind für Aristoteles einerseits die Bewegung als Prinzip der physikalischen Welt, die – obgleich nicht in sinnlicher Hinsicht unendlich – ebenso unvergänglich ist wie die Zeit (ebd. 207b22–25), zum anderen das Denken als Ort und Instanz der Konstruktion der U. (208a15–16). – Im Neuplatonismus wird in der Nachfolge Philons v. Alexandria durch Plotin der Begriff der U. um diejenige Gottes, des in seiner Vollkommenheit von aller Vielheit freien Einen bzw. Guten, der als absolute Potentialität die Hervorbringung aller Dinge leistet, erweitert (vgl. Enneaden II, 4, 15, 19–20; V 5, 10, 18–25). – Hegel, ähnlich Schelling (Sämtl. Werke IV S. 381 ff.), unterscheidet drei logische Formen der U.: Sie erscheint zunächst im Rahmen der einfachen »affirmativen« Bestimmung der Selbst-Identität des Endlichen als dessen bloße Negation. Sodann bezeichnet sie als »schlechte U.« das dem Verstandesdenken verhaftete, sich allein im abgrenzenden Gegensatz zum Endlichen befindliche und deshalb selbst begrenzte »verendlichte Unendliche«. Erst in der darüber hinaus zu vollziehenden höheren, d.h. konkret affirmativen Bestimmung der Realität des Endlichen, die beide Pole dynamisch im Enthalten des je anderen ihrer selbst erfasst bzw. aufhebt, erweist sich die U. als »wahrhaft Unendliches« (Hegel, Logik (1832), Hamburg 1990. S. 111 ff.).
Literatur:
- E.E. Benitez: Forms in Plato’s Philebus. Assen, Maastricht 1989
- H. Buchner. Plotins Möglichkeitslehre. München/Salzburg 1970
- P. Stekeler-Weithofer: Hegels Analytische Philosophie. Paderborn u. a. 1992
- W. Wieland: Die aristotelische Physik. Göttingen 1962.
MDB
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