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Decoded: Quantencomputer, Rechenwunder in Arbeit

Künftig sollen Quantencomputer die schwierigsten Rechenrätsel knacken. Wie schaffen sie das? Und was unterscheidet sie von herkömmlichen Computern? Antworten liefert das Video.
Decoded Quantencomputer

Stell dir einen Quantencomputer vor. Was siehst du? Vielleicht einen normalen Computer – nur größer, mit einer mysteriösen physikalischen Kraft im Inneren? Vergiss Laptops oder Desktops. Vergiss Serverfarmen. Ein Quantencomputer unterscheidet sich nicht nur optisch – er verarbeitet Informationen auch ganz anders.

Quantencomputer können verschieden gebaut werden. Eines der führenden Modelle sieht folgendermaßen aus: Stell dir eine Glühbirne vor – mit dem kompliziertesten Glühdraht, den du je gesehen hast. Statt eines einzelnen Drahts winden sich ganze Drahtbündel um einen Kern herum. Sie sind in immer schmaler werdenden Schichten angeordnet. Platten aus Gold unterteilen das Drahtgebilde in mehrere Abschnitte. Den äußeren Teil nennt man Kronleuchter: Er kühlt den Quantenchip in seinem Inneren mit einer flüssigen Mischung verschiedener Heliumisotope herunter – fast bis auf die tiefstmögliche Temperatur, den absoluten Nullpunkt. Das kitzelt die Quanteneigenschaften der supraleitenden Schaltkreise des Chips hervor. Sie könnten Berechnungen möglich machen, die auf einem klassischen Computer praktisch unmöglich wären.

© Scientific American / Spektrum der Wissenschaft
Wie lösen Quantencomputer Probleme?
Quantencomputer sollen einmal die schwierigsten Rechenrätsel knacken. Noch haben herkömmliche Supercomputer ihnen aber einiges voraus.

Herkömmliche Prozessoren arbeiten binär – Milliarden von Transistoren im Computer sind entweder eingeschaltet (1) oder ausgeschaltet (0). Diese binären Signale werden über eine Reihe von Schaltkreisen weiterverarbeitet, die Gatter. Klassische Computer folgen bestimmten strengen Regeln. Das macht sie extrem zuverlässig. Dafür können sie gewisse Probleme nicht lösen – insbesondere wenn es darum geht, die Nadel im Heuhaufen zu finden. Hier glänzen Quantencomputer.

Auf der Suche nach einer Lösung ähneln Computer Mäusen, die in einem Labyrinth nach Käse fahnden. Klassische Computer probieren so lange herum, bis sie den richtigen Weg gefunden haben. Quantencomputer gehen anders vor: Sie prüfen alle möglichen Wege gleichzeitig. Statt der binären »Bits« (0) und (1) verwenden sie Quantenbits, kurz »Qubits«. Qubits funktionieren nach den Gesetzen der Quantenmechanik: Auf atomarer und subatomarer Ebene gelten andere physikalische Regeln.

Ein Beispiel: Licht tritt durch eine Wand mit zwei Spalten und trifft auf einen Beobachtungsschirm. Dort erzeugen die aufeinandertreffenden Lichtwellen ein Interferenzmuster. Nun wird das Licht so weit gedimmt, dass einzelne Photonen nacheinander abgefeuert werden. Das sind die Elementarteilchen, aus denen Licht besteht. Jedes Photon wandert durch einen der Spalte, so dass es nicht mit anderen Teilchen interferieren kann. Trotzdem entsteht ein Interferenzmuster. Quantenmechanisch passiert Folgendes: Bis sie auf dem Bildschirm sichtbar werden, befinden sich die Photonen in einem Überlagerungszustand, der »Superposition«.

Was genau ist ein Virus? Wie lernen Maschinen? Und was passiert in einem Schwarzen Loch? In der Videoserie »Decoded« von »Scientific American« und »Spektrum der Wissenschaft« entschlüsseln wir grundlegende Fragen aus Forschung und Wissenschaft.

See the English-language version at »Scientific American«.

Das ist, als ob sie jeden Weg auf einmal nehmen würden. Bis der Zustand unter Beobachtung kollabiert. Auf dem Bildschirm bleibt ein einzelner Punkt. Qubits nutzen diese Fähigkeit, um sehr effiziente Berechnungen durchzuführen. Zurück zum Labyrinth: Im Überlagerungszustand wären alle möglichen Wege enthalten. Erst wenn er unter Beobachtung kollabiert, wird der beste Weg zum Käse sichtbar.

Je mehr Qubits, desto mehr Rechenleistung

Klassische Computer werden leistungsfähiger, je mehr Transistoren in ihnen stecken. Analog dazu baut man in Quantencomputer viele Qubits ein. Dank der Quantenverschränkung können mehrere Qubits in denselben Zustand versetzt werden, ohne dass sie direkt verbunden sind. Einzelne Qubits existieren in zwei Zuständen gleichzeitig. Werden sie miteinander verschränkt, steigt die Anzahl ihrer Zustände exponentiell. Ein Zwei-Qubit-System speichert also vier mögliche Zustände, ein 20-Qubit-System mehr als eine Million.

Was das für die Rechenleistung eines Quantencomputers bedeutet, verdeutlicht ein Problem aus der realen Welt: das der Primzahlen. Dazu zählen natürliche Zahlen größer als 1, die nur durch sich selbst oder durch 1 teilbar sind. Kleine Zahlen zu multiplizieren ist einfach. Umgekehrt ist es viel schwieriger, die Faktoren einer großen Zahl zu bestimmen.

Auf dieser Überlegung basiert eine der beliebtesten Formen der Datenverschlüsselung, genannt RSA. Um ein RSA-System zu entschlüsseln, muss man zwei Primzahlen multiplizieren. Solche meist Hunderte von Stellen langen Zahlen sind der Schlüssel zum System. Wer sie nicht kennt, kann das System praktisch nicht knacken. 1995 entwickelte der MIT-Mathematiker Peter Shor einen neuartigen Algorithmus, um Primzahlen jeder Größe zu multiplizieren. Mit Shors Algorithmus und ihrer enormen Rechenleistung könnten Quantencomputer eines Tages alles hacken – von Bankunterlagen bis hin zu persönlichen Daten.

Im Jahr 2001 baute das IT-Unternehmen IBM einen Quantencomputer, um den Algorithmus anzuwenden. Er enthielt sieben Qubits aus Atomkernen, deren zwei Spin-Zustände durch Hochfrequenzpulse gesteuert wurden. Der Nachteil: Aufrüsten konnte man dieses Modell nur schwer. Trotzdem führte er Shors Algorithmus korrekt aus und errechnete die Faktoren 3 und 5 für die Zahl 15. Zugegeben, eine einfache Berechnung. Aber sie bewies, dass der Algorithmus funktioniert.

Quantencomputer, die mehr als klassische Computer können, sind immer noch in Entwicklung. Eine große Herausforderung – denn Quantenzustände sind zerbrechlich. Qubits interagieren mit ihrer Umgebung. Sie davon abzuhalten, ist selbst mit präzisen Lasern in Vakuumkammern schwierig. Jedes Rauschen im System führt zu einer »Dekohärenz«: Die Superposition wird zerstört und der Computer verliert Informationen. Ein paar Fehler sind normal, weil Quantencomputer mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten. Ohne die strengen Regeln des Binärsystems. Aber Dekohärenz stört so sehr, dass das Ergebnis nicht mehr eindeutig ist. Wenn ein Qubit in den Zustand der Dekohärenz gerät, bricht das System aus verschränkten Qubits zusammen.

Dagegen hilft eine Fehlerkorrektur – für die es mehrere Möglichkeiten gibt. Eine Option ist die vollständige Fehlerkorrektur. Dann wären typische Fehler wie »bit flips« für den Quantencomputer kein Problem mehr. Dabei wechselt ein Qubit plötzlich in den falschen Zustand. Dafür braucht der Quantencomputer sowohl die so genannten »logischen« Qubits für Berechnungen als auch eine Menge normaler Qubits für Korrekturen: rund 100 Korrektur-Qubits auf einen logischen Qubit. Heraus käme ein extrem zuverlässiger und nützlicher Quantencomputer.

Eine andere Möglichkeit wäre, das bei Fehlern entstehende Rauschen in den Daten zu unterdrücken. Der »Noisy Intermediate-Scale Quantum Computer« soll genau das schaffen. Er befindet sich jedoch noch in Arbeit – und löst das Problem wahrscheinlich nicht in allen Fällen. Oder aber man verwendet eine neue Qubit-Quelle, die unempfindlicher gegen Rauschen ist. Etwa »topologische Teilchen«, die Informationen besser speichern können. Allerdings existieren einige der Teilchen nur in der Theorie. Daher wird dieser Ansatz wohl noch Jahre bis Jahrzehnte auf sich warten lassen.

Sycamore gilt als großer Durchbruch – wie groß, ist umstritten

Trotz aller Schwierigkeiten hat die Quanteninformatik einige bedeutende Erfolge zu verzeichnen. Im Jahr 2019 testete Google eine Simulation: Der 54-Qubit-Quantencomputer »Sycamore« berechnete die Wahrscheinlichkeiten verschiedener Ergebnisse – eine Million mal innerhalb von vier Minuten. Sycamore funktioniert ganz anders als der Quantencomputer, mit dem IBM Shors Algorithmus bewiesen hat. Das Gerät kühlt die supraleitenden Schaltkreise so weit herunter, dass sich der durchfließende Strom wie ein quantenmechanisches System verhält. Eine der derzeit führenden Methoden zum Bau eines Quantencomputers. Auch beliebt: Ionenfallen. Die Energielevel stehen hierbei für verschiedene Qubit-Zustände.

Sycamore gilt als ein großer Durchbruch. Wie groß, ist allerdings umstritten. Laut Google war es der erste dargestellte Quantenvorteil: Das heißt, ein Quantencomputer löst eine für Computer unlösbare Aufgabe. Selbst der beste Supercomputer der Welt hätte laut Google 10 000 Jahre gebraucht. IBM hat diese Behauptung bestritten.

Noch sind ernst zu nehmende Quantencomputer außer Reichweite. Aber Regierungen und die größten Unternehmen der Welt investieren Milliarden in den Wettlauf um Quantencomputing. Die Frage ist: Wie verändern Quantencomputer unsere Sicht auf das, was ein Computer ist? Wie verändert sich unsere vernetzte Welt? Und wann?

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