Exoplaneten: Wie viele Sterne verschlingen ihre Planeten?

Die chemische Zusammensetzung eines Sterns kann sich unter dem Einfluss seines Planetensystems ändern. Das kann sehr früh geschehen, indem die sich noch bildenden Planeten bevorzugt festes Material aus der Scheibe aufsammeln, aus welcher der junge Stern ebenfalls seine Masse bezieht. Oder der Stern kann sich zu einem späteren Zeitpunkt einen ganzen Planeten einverleiben, der ihm durch gravitative Störungen in seiner Bahn zu nahe kommt und auseinanderbricht (siehe »Planetenfresser«).
Spuren dieser Ereignisse verraten viel über die Vorgänge in Planetensystemen, sie sind allerdings schwierig zu beobachten. Man weiß nicht genau, wie oft sie auftreten, und sie hinterlassen – je nach Prozess und Zeitskala – manchmal nur geringe Änderungen in der Zusammensetzung. Zudem gibt es eine enorme Vielfalt an Sternen, die sich allein auf Grund ihrer Entstehungsorte und ihres Alters in der chemischen Zusammensetzung unterscheiden. Abhilfe verspricht das Beobachten von Zwillingssternen: Diese gingen aus der gleichen Molekülwolke hervor und sollten daher dieselbe Zusammensetzung haben (siehe »Sternentstehung im Doppelpack«). Wenn es Abweichungen gibt, können diese ein Zeichen für Wechselwirkungen eines Sterns mit seinem Planetensystem sein.
Sternentstehung im Doppelpack
Die Existenz eines Sterns beginnt in einer gigantisch großen Molekülwolke, die sich über dutzende Lichtjahre erstrecken kann. Molekülwolken sind sehr kalt – etwa 10 bis 20 Kelvin – und bestehen hauptsächlich aus molekularem Wasserstoff. Schwere Elemente wie Eisen, Magnesium, Sauerstoff oder Kohlenstoff haben mit zirka einem Prozent nur einen kleinen Anteil. Auf Grund von äußeren Wechselwirkungen, zum Beispiel durch gravitative Wechselwirkungen mit anderen Sternen, kann es zu Verdichtungen der Materie innerhalb der Wolke kommen. Diese können so ausgeprägt sein, dass sie durch die zunehmende Eigengravitation in sich zusammenfallen, bis Dichte und Temperatur schließlich so stark ansteigen, dass die Kernfusion von Wasserstoff zu Helium einsetzen kann. Damit ist ein Stern geboren, und seine chemische Zusammensetzung entspricht derjenigen der Molekülwolke. Sonnenähnliche Sterne fusionieren während ihrer Lebensdauer Wasserstoff zu Helium, während schwere Elemente nur von massereicheren Sternen gegen Ende ihres Lebens gebildet werden oder bei deren Explosionen, den Supernovae, entstehen.
Um den jungen Stern bildet sich eine so genannte Akkretionsscheibe, deren Material über Jahrmillionen von ihm aufgesammelt wird und in der Planeten entstehen können. In vielen Fällen bildet sich während des Kollapses der Molekülwolke nicht nur ein einzelner Stern, sondern es bilden sich Doppel- oder gar Mehrfachsysteme. So haben mehr als 50 Prozent aller Sterne einen oder mehrere stellare Begleiter – im Gegensatz zu unserer Sonne. Diese Mehrfachsysteme entstehen gleichzeitig, wodurch angenommen werden kann, dass die Sterne aus demselben Material bestehen und die Häufigkeiten ihrer chemischen Elemente identisch sind.
Zwillingsforschung
Ein internationales Team mit Forschenden aus Australien, Europa und den USA hat sich dieser Fragen angenommen und seine Ergebnisse im Fachjournal »Nature« veröffentlicht. Mit Hilfe von Daten des Astrometriesatelliten Gaia identifizierten sie zunächst 125 geeignete Sternpaare für die Studie, von denen 91 einen gemeinsamen Ursprung haben und 34 als Kontrollgruppe dienen. Dies ist die bisher größte Auswahl dieser Art. Um die geringen Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung innerhalb eines Zwillingspaars nachweisen zu können, nutzten die Wissenschaftler die derzeit größten Teleskope für die Beobachtungen. Nur mit dem Very Large Telescope und dem Magellan-Teleskop in Chile sowie dem Keck-Teleskop auf Hawaii ließen sich die notwendige Auflösung und Empfindlichkeit erreichen, um Signaturen einzelner chemischer Elemente bei den Sternen nachzuweisen und ihre Häufigkeiten zu bestimmen.
Wie konnte man geeignete Zwillingspaare in dem umfangreichen Datensatz erkennen? Die Sterne sollen gemeinsam entstanden sein, was durch einen geringen Abstand voneinander und eine sehr ähnliche Eigengeschwindigkeit im Raum gekennzeichnet ist. Gleichzeitig müssen sie jedoch weit genug voneinander entfernt sein, so dass es zu keinem Austausch von Materie untereinander kommt, wie es bei engen Doppelsternen der Fall sein kann. Die Autoren der Studie untersuchten daher Sternpaare, die zwischen 2000 und 1 000 000 Astronomische Einheiten (AE) – oder etwa 0,03 bis 15,8 Lichtjahre – voneinander getrennt sind. Eine Astronomische Einheit entspricht dabei dem mittleren Abstand zwischen Erde und Sonne. Sterne innerhalb eines Sternhaufens ließen sich für die Untersuchung übrigens nicht verwenden, weil sie häufig zu dicht beieinander sind und sich über lange Zeiträume betrachtet gegenseitig beeinflussen könnten.
Zusammensetzungen messen
Die Elementhäufigkeiten von Sternen werden durch das Messen der Zusammensetzung der oberen Sternschicht bestimmt und dabei relativ zu Wasserstoff angegeben. Durch diese Normierung sind auch Sterne unterschiedlicher Masse miteinander vergleichbar. Wir haben keinen Einblick in die unteren Schichten von Sternen, weil von ihnen keine Strahlung nach außen gelangt. Die obere Sternschicht ist konvektiv; hier steigen heiße Plasmazellen auf, und kühle sinken ab, was den Austausch von Materie sehr effektiv macht. Die Dicke der konvektiven Schicht hängt neben der Masse eines Sterns auch von seinem Alter ab: Sehr junge, sonnenähnliche Sterne sind anfangs vollständig konvektiv, bevor ihre konvektive Zone nach ungefähr 50 bis 100 Millionen Jahren einen relativ geringen Anteil von ein bis drei Prozent der Sternmasse erreicht. Dieser Wert bleibt erhalten und gilt auch für Sterne, die schon einige Milliarden Jahre alt sind – wie die Sterne in unserer Auswahl und auch unsere Sonne.
In den beobachteten Spektren der Sterne lassen sich die Absorptionslinien verschiedener Elemente deutlich erkennen (siehe »Hohe Auflösung«). Die Stärke der Absorptionslinien ist allerdings nicht mit der Elementhäufigkeit gleichzusetzen. Letztere wird zwar mit Hilfe der Linien berechnet, berücksichtigt aber auch stellare Parameter wie Temperatur und Schwerebeschleunigung. In der Studie wurden insgesamt 21 Elemente zwischen Kohlenstoff (C) und Cer (Ce) beobachtet. Der auf Grundlage ihrer jeweiligen Häufigkeiten bestimmte durchschnittliche Unterschied zwischen zwei Sternen eines Paars liegt bei 3,5 Prozent. Eine Differenz dieser Größenordnung verursacht bei Astronomen noch kein Stirnrunzeln, weil sie sich durch kleine Ungenauigkeiten der Messungen erklären lässt. Allerdings gab es innerhalb des Samples sieben Zwillingspaare, die viel höhere Unterschiede von mehr als zwölf Prozent in den Elementhäufigkeiten zeigen (siehe »Ungleiche Zwillinge«). Bei 91 Paaren in der Gruppe entspricht das ungefähr acht Prozent der Fälle. Was ist dafür verantwortlich?
Gründe für gemessene Unterschiede
Abweichungen in den Elementhäufigkeiten innerhalb eines Zwillingspaars können durch die Akkretion von Material auf einen der beiden Sterne verursacht werden, das in der konvektiven Zone gemischt wird. Sollte zum Beispiel ein erdähnlicher Planet von einem Stern geschluckt werden, würde das einen Unterschied in den Elementhäufigkeiten von zirka 41 Prozent verursachen, wenn die konvektive Zone ein Prozent der Sternmasse ausmacht. Falls das Material allerdings am Anfang der Sternentwicklung geschluckt wird, wenn die konvektive Zone eher 50 Prozent der Sternmasse beträgt, würde der Unterschied unterhalb von einem Prozent liegen. Damit ist klar, dass der Zeitpunkt, an dem die Materie von einem Stern geschluckt wird, von größter Bedeutung ist. Aber welche Prozesse sorgen überhaupt für die Akkretion von Materie auf den Stern?
Frühe Akkretion
Während ein Stern entsteht, bildet sich um ihn eine Akkretionsscheibe, die aus Wasserstoff und Helium sowie aus Staubteilchen besteht, welche die schweren Elemente beinhalten. Die Staubteilchen kollidieren miteinander und wachsen, bis sie Größen von Millimetern bis Zentimetern erreichen. Sie bewegen sich sehr schnell Richtung Stern durch die Scheibe, weil sie durch die Wechselwirkungen – zum Beispiel durch Reibung – mit dem Gas der Scheibe Energie verlieren und innerhalb von einigen Millionen Jahren auf den Stern fallen. Zu dieser Zeit ist dessen konvektive Zone noch sehr ausgedehnt, so dass der durch diesen Prozess verursachte Unterschied in den Elementhäufigkeiten sehr gering im Vergleich zu seinem Zwillingsstern ist. Die in der Studie gemessenen großen Unterschiede in der Zusammensetzung lassen sich damit nicht erklären.
In der Akkretionsscheibe entstehen allerdings auch Planeten, die ihrerseits Material aus der Scheibe aufsammeln und somit deren Zusammensetzung verändern können. Sollte zum Beispiel ein Planet mit der Masse von Neptun (17 Erdmassen) entstehen, würde er die entsprechende Menge an schweren Elementen aus der Scheibe entfernen und dafür sorgen, dass weniger von ihnen von dem noch wachsenden Stern akkretiert werden. Gleichzeitig könnte ein solcher Planet eine Lücke in der Scheibe öffnen, die dafür sorgt, dass die Staubteilchen nicht mehr durch die Scheibe wandern können und hinter dem Planeten aufgehalten werden, ähnlich wie Laub in einem Biberdamm. Beide Mechanismen agieren während der Lebenszeit der Scheibe (einige Millionen Jahre), womit ihre Auswirkungen auf die Unterschiede in den Elementhäufigkeiten ebenfalls zu gering sind, um für die beobachteten Unterschiede zu sorgen.
Späte Akkretion
Planetensysteme können so aussehen wie unseres, mit kleinen terrestrischen Planeten näher am Stern und großen Gas- und Eisriesen weiter außen. In der Regel sehen sie jedoch etwas anders aus: Etwa 30 bis 50 Prozent aller Planetensysteme um sonnenähnliche Sterne haben Supererden nahe am Zentralgestirn. Dabei handelt es sich um Planeten, die – ähnlich wie die Erde – aus Gestein und Eisen bestehen, aber um ein Vielfaches massereicher als unser Heimatplanet sind. Außerdem umkreisen die Supererden ihren Zentralstern meistens auf engeren Umlaufbahnen als Merkur in unserem Sonnensystem und somit in weniger als 88 Tagen.
Nachdem die Bildung der Planeten abgeschlossen und die Akkretionsscheibe verschwunden ist, sind die Systeme relativ dicht gepackt. Durch die gravitativen Wechselwirkungen der Planeten untereinander kommt es zu Instabilitäten. In der Folge können Planeten ihre Umlaufbahnen ändern, aus dem Planetensystem herausgeschleudert werden oder im Extremfall gar mit dem Stern kollidieren. Bei Letzterem würde es zu Änderungen der Elementhäufigkeiten im Stern kommen.
Ihre beobachtete Ausprägung hängt von der Masse des akkretierten Planeten und dem Zeitpunkt der Kollision ab: Leichte Planeten, die von Sternen jünger als 50 Millionen Jahre verschluckt werden, würden nur geringe Unterschiede in den Elementhäufigkeiten erzeugen. Dagegen würden schwerere Planeten, die von älteren Sternen einverleibt werden, größere Unterschiede in den Elementhäufigkeiten verursachen. Das aufgesammelte Material wird dann nämlich in einer kleineren konvektiven Zone gemischt und kann bereits in geringeren Mengen messbare Unterschiede verursachen.
Instabilitäten in Planetensystemen
Mehrere Studien und Modelle weisen darauf hin, dass solche Instabilitäten nichts Außergewöhnliches sind und in allen Planetensystemen auftreten können. Hauptsächlich sind jedoch junge Systeme betroffen. Die Störungen werden durch Wechselwirkungen der Planeten untereinander, aber unter Umständen auch durch den zweiten Stern bedingt. Einflüsse der Planeten machen sich typischerweise früher bemerkbar, nach einigen dutzend Millionen Jahren, während sich solche durch den Sternpartner erst später zeigen, nach 100 Millionen bis einer Milliarde Jahre. Für eine späte Akkretion eines Planeten sorgt damit eher ein stellarer Nachbar.
Grenzen der Beobachtungen
Unterschiede in den Elementhäufigkeiten zwischen zwei Zwillingssternen können also entstehen, wenn ein Stern einen oder mehrere Planeten akkretiert hat, während das beim zweiten Stern nicht der Fall war. Die Daten der Beobachtungen liefern lediglich Erkenntnisse darüber, ob in einem Doppelsystem mehr Material von einem Stern aufgesammelt worden ist als von dem anderen. Es kann nicht gesagt werden, wie viele Planeten von einem Stern akkretiert worden sind und wann genau das geschehen ist.
Die Ergebnisse der aktuellen Studie belegen nur, dass sich der Unterschied durch die Akkretion von Planeten nach mehr als 50 Millionen Jahren erklären lässt. Es ist dabei nicht auszuschließen, dass mehr als die aus den Beobachtungen abgeleiteten acht Prozent aller Sterne einen oder mehrere ihrer Planeten verschlungen haben, solange das während der ersten 50 Millionen Jahre nach dem Entstehen des Sterns passiert ist und die Spuren davon im Laufe der Zeit verloren gegangen sind.
Rückschlüsse auf Planetenentstehung
Durch das Messen der Unterschiede in den Elementhäufigkeiten ergibt sich eine interessante Möglichkeit, etwas über die Entstehung von Planeten zu lernen: Der relative Unterschied lässt sich in die Masse der Planeten umrechnen, die vom Stern verschlungen wurden. Zusätzlich lässt sich ableiten, aus welchen Materialien die einverleibten Planeten bestanden. Das ist durch andere Beobachtungen von Exoplaneten, in denen beispielsweise nur das Gas der oberen Planetenatmosphäre untersucht werden kann, nicht möglich.
Die genaue Zusammensetzung eines Planeten kann uns Auskunft darüber geben, wo er entstanden ist, weil die unterschiedlichen Elemente nicht homogen in der Akkretionsscheibe verteilt sind. Das ist zum Beispiel für Sauerstoff der Fall, der vor allem in Form von Wasser oder Wassereis gebunden ist: Planeten, die im äußeren Teil der Scheibe entstehen, besitzen einen großen Anteil an Wassereis, während Planeten aus dem inneren Teil – wenn überhaupt – nur einen geringen Wasseranteil haben, weil es dort zu heiß ist. Eine statistische Analyse der in der Studie erhobenen Daten in Bezug auf das bevorzugte Entstehungsgebiet der Planeten steht noch aus und ist von großer Bedeutung für unser Verständnis der Entwicklung von Planetensystemen.
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