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Pestizide: Erst stirbt die Fledermaus, dann der Mensch?

Forscher wollen einen Zusammenhang zwischen Fledermaussterben, vermehrtem Pestizideinsatz und höherer Kindersterblichkeit gefunden haben. Doch viele Experten sind skeptisch.
Eine tote Fledermaus wird in einer dunklen Höhle untersucht. Ein Mensch mit blauen Handschuhen hat ihre Flügel aufgeklappt und hält sie gestreckt. Vom Menschen sind nur die Hände und der Unterarm zu sehen. Der Körper der Fledermaus liegt auf einem hellen Kalkstein, der mit Kotkötteln bedeckt ist.
Die Biologin Alyssa Bennett untersucht eine tote Fledermaus in einer Höhle im US-Bundesstaat Vermont – das Tier starb an einer Pilzerkrankung.

Mindestens seit 2006 grassiert eine verheerende Pilzerkrankung unter nordamerikanischen Fledermäusen: Die Weißnasenkrankheit durch Pseudogymnoascus destructans hat wahrscheinlich Millionen der Tiere getötet und dadurch eine fatale Kettenreaktion ausgelöst. Der Verlust an Fledermäusen habe zu mehr Insektenplagen geführt, die Landwirte wiederum mit Pestiziden bekämpfen mussten – was am Ende zu erhöhter Kindersterblichkeit führte. Das zumindest schreibt eine Arbeitsgruppe um Eyal Frank von der University of Chicago in »Science«.

Für seine Studie hatte das Team US-Countys miteinander verglichen, in denen die tödliche Weißnasenkrankheit zwischen 2006 und 2017 Fledermausbestände bereits drastisch reduziert hatte beziehungsweise die noch nicht betroffen waren. Wo genau die Erkrankung zuerst ausbrach, war laut der Arbeit unabhängig von weiteren relevanten Merkmalen der Countys und damit zufällig. Dadurch konnten Frank und Co Unterschiede beim Gebrauch von Pestiziden und in der Sterblichkeit von Kindern unter einem Jahr dem Rückgang der Fledermäuse zuschreiben.

In von der Seuche geplagten Regionen stieg demnach der Einsatz von Pestiziden um 31 Prozent, weil Fledermäuse als Insektenkontrolle eine geringere Rolle spielten und die Landwirtschaft so stärker von Schädlingen betroffen war. Dieser Zuwachs habe sich dann auch im Gesundheitsbereich niedergeschlagen, folgern die Wissenschaftler. Im vierten Jahr nach Ausbruch der Weißnasenkrankheit sei die Säuglingssterblichkeit (ohne Unfälle und Tötungsdelikte) in betroffenen Countys statistisch signifikant erhöht gewesen: Sie habe um acht Prozent zugenommen, was hochgerechnet 1300 Kleinkinder zusätzlich das Leben gekostet habe. In bis 2017 seuchenfreien Gebieten wäre der Pestizidgebrauch dagegen gleich geblieben und die Kindersterblichkeit veränderte sich dort nicht.

Als Beleg für ihre These führen Frank und Co die Entwicklung in Countys an, die später als 2006 von der Weißnasenkrankheit heimgesucht wurden: Nachdem es zum Massensterben der Fledermäuse kam, wuchs anschließend der Pestizideinsatz an und nachfolgend die Kindersterblichkeit nach dem immer gleichen Muster.

Dennoch ist die Meinung anderer Expertinnen und Experten zu den Ergebnissen gespalten, wie eine Umfrage des Science Media Center in Köln zeigt. Martin Huber von der Université de Fribourg in der Schweiz etwa attestiert der Studie, dass die »kausale Methode zur Messung des Effekts einer erhöhten Fledermaussterblichkeit auf den Einsatz von Insektiziden und die Kindersterblichkeit sehr plausibel erscheint«. Verschiedene methodische Ansätze der Arbeit hätten zudem gezeigt, dass die Resultate immer ähnlich ausfallen, was die »Glaubwürdigkeit der gemessenen Folgen weiter stützt«.

Das unterstreicht auch die Umweltökonomin Julia Mink von der Universität Bonn: »Die Ergebnisse sind auf Grund der umfangreichen Robustheitsüberprüfungen sehr überzeugend.« Der Ökotoxikologe Carsten Brühl von der Technischen Universität Kaiserslautern-Landau regt zudem an, die Studie mit neueren Daten fortzuführen, da sich die Weißnasenkrankheit weiter ausgebreitet hat: »Mit aktuellen Daten könnte man prüfen, ob in neu betroffenen Gebieten ebenfalls mehr Insektizide eingesetzt wurden und ob dies auch zu höherer Kindersterblichkeit führte.«

Kritik kommt dagegen vom Statistiker Christoph Rothe von der Universität Mannheim: »Leider ist das verwendete statistische Verfahren für die zentrale Analyse nicht mehr zeitgemäß, da es in der Literatur als anfällig für bestimmte Verzerrungen bekannt ist.« Ob dies im Fall von Franks Studie konkret die Ergebnisse beeinflusst habe, könne er jedoch nicht sagen. Und die Ökologin Rita Triebskorn von der Universität Tübingen geht sogar noch weiter: »Insgesamt ist meiner Meinung nach durch die Arbeit kein kausaler Zusammenhang, weder zwischen den zunehmenden Insektenbeständen durch das Ausbleiben der Fledermäuse noch zwischen dem vermehrten Insektizideinsatz und der erhöhten Kindersterblichkeit, belegt.« Sie sei erstaunt, dass diese Arbeit überhaupt von »Science« zur Veröffentlichung angenommen wurde. »Aussagen zu ursächlichen Zusammenhängen sind auf der Basis der durchgeführten Analysen, denen auch vielfach Schätzungen zu Grunde liegen, schlichtweg nicht möglich«, so ihr Urteil: Vermehrte Pestizidausbringung sowie höhere Kindersterblichkeit können von einer Vielzahl an Faktoren direkt und indirekt beeinflusst werden, die nicht ausreichend berücksichtigt worden seien.

Auf Deutschland übertragen lasse sich die Studie ohnehin nicht, so viele der befragten Forscher: Die Weißnasenkrankheit und das dadurch ausgelöste Fledermaussterben sind bislang ein nordamerikanisches Phänomen, das dort derzeit elf von 50 Arten betrifft. Es wird sogar vermutet, dass die schädlichen Pilze aus Europa stammen und in Nordamerika eingeschleppt wurden. Europäische Fledermäuse könnten daher immun sein und nicht daran verenden.

Die Infektion zeigt sich bei befallenen Tieren unter anderem rund um die Nase, wo sich weiße Pilzflächen ausbilden, die der Seuche ihren Namen geben. In der Folge wachen die Fledermäuse immer wieder aus dem Winterschlaf auf, verbrauchen ihre Energiereserven und sterben schließlich ausgezehrt. Bei manchen Arten sorgte die Epidemie für einen derart drastischen Einbruch der Population, dass ihr Aussterben befürchtet wurde. Allerdings gibt es erste Hinweise darauf, dass sich zumindest manche Spezies an die Pilze anpassen und eine Immunität entwickeln. Bei der Kleinen Braunen Fledermaus (Myotis lucifugus) scheinen sich die Bestände seit ihrem Tiefststand wohl wieder zu erholen.

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  • Quellen
Science 10.1126/science.adg0344, 2024

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