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Technikgeschichte: Präzise Rillen in alten Ringen

Echte Handarbeit erkennt man an den feinen Unregelmäßigkeiten im Werkstück. Was heute ein Zeichen für Qualität ist, war vor 2500 Jahren alltäglicher Standard. Damals galt absolute Ebenmäßigkeit als schick, wie sie nur Maschinen liefern können. Und so ersannen geniale chinesische Handwerker die ersten Apparate zur Gravur exakter mathematischer Muster.
Jadering
Richtig eingesetzt, machen Maschinen das Leben leichter und angenehmer. Das erkannte die Menschheit schon sehr bald und begann, einfache Arbeiten mit Hilfe ebenso einfacher Geräte auszuführen. So beschleunigte die Töpferscheibe etwa bereits vor mehr als 5000 Jahren die Herstellung von Gefäßen, die obendrein von sehr viel besserer Qualität als frühere Keramiken waren. Doch das Reservoir der Maschinen blieb lange Zeit begrenzt, denn um komplexere Aufgaben zu lösen, reicht oftmals keine simple Drehung oder geradlinige Bewegung. Erst die Kombination von herum, auf und ab, vor und zurück ergibt zum Beispiel eine spiralige Kerbe. Über diese Fähigkeiten verfügte aber damals einzig die Hand als universelles Instrument aus dem Werkzeugkasten der Natur. Das zumindest dachten Wissenschaftler bislang. Nun werden sie wohl das Auftreten der ersten komplexen Maschinen vordatieren müssen.

Gravur | Die Gleichmäßigkeit und Präzision der Rillen legen nahe, dass sie von einer komplexen Maschine erzeugt wurden.
Der Physiker Peter Lu von der US-amerikanischen Harvard Universität stellte bei Untersuchungen verzierter Jaderinge aus alten chinesischen Gräbern fest, dass deren Rillenmuster zu exakt ausgearbeitet sind, um mit der Hand geritzt worden zu sein. Nicht mehr als zwei Zehntelmillimeter betrugen die Abweichungen von der Ideallinie. Dabei verliefen die Rillen nicht einfach gerade oder in Kreisen, sondern in Teilstücken von Spiralen. Ein derartiges Muster setzt jedoch die präzise Koordination einer linearen mit einer Drehbewegung voraus. "Wir haben bislang keine Hinweise, wie die Handwerker das gemacht haben", gibt Lu zu. Mit der Hand ist diese Genauigkeit jedenfalls nicht zu erreichen.

Mögliche Maschine | So könnte die Maschine ausgesehen haben, die dazu in der Lage war spiralförmige Gravuren auf dem Jadering herzustellen. Die Rotationsbewegung eines Plattentellers ist über einen stramm gespannten Faden an die Linearbewegung eines Ritzstiftes gekoppelt.
Mag die wirkliche Maschine auch noch unentdeckt sein, eine Vorstellung, wie sie funktioniert haben könnte, liefert Lu mit einem selbst gebauten Modell. Dazu wickelt er eine Schnur fest um den zentralen Stift eines alten Plattenspielers. Die Enden der Schnur werden straff an einen Stab geknotet, an dem eine spitze Nadel für die Gravur steckt. Bewegt man nun den Stab vor und zurück, wie ein Pfadfinder beim Feuermachen, dreht er über die Schnur den Plattenteller, und die Nadel ritzt eine exakte Spirale.

Auf diesen oder einen ähnlichen trickreichen Mechanismus müssen chinesische Handwerker bereits in der so genannten Frühlings- und Herbst-Epoche gekommen sein, die von 771 bis 475 v. Chr. dauerte. Der älteste genau datierte Jadering stammt aus dem Grab eines Ministers, der 552 v. Chr. beigesetzt worden war. Ob es noch frühere Exemplare gibt, ist laut Lu nicht bekannt, weil bislang noch niemand nach ihnen gesucht hat.

Damit waren die asiatischen Kunsthandwerker den westlichen Ingenieuren wieder einmal um mehrere Jahrhunderte voraus. Die bislang ältesten verlässlichen Hinweise auf komplexe Maschinen weisen auf die Apparate des Heron hin, der vermutlich im 1. Jahrhundert n. Chr. in Alexandria die Bevölkerung zum Staunen brachte. Und wenn man Plutarch glauben darf, hat zuvor Archimedes im 3. Jahrhundert v. Chr. im Hafen von Syrakus Schiffe mit Maschinen bewegt. Im Gegensatz zu diesen Apparaten hat die Schönheit der chinesischen Jaderinge sich bis zum heutigen Tag bewahrt.

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