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Simulationsstudie : Drei Viertel aller Infektionen gehen von Ungeimpften aus

Und an acht oder neun von zehn Infektionen ist mindestens ein Ungeimpfter beteiligt, zeigt eine Studie. Und das, obwohl Menschen ohne Impfschutz die deutlich kleinere Gruppe sind.
Menschen gehen durch die Fußgängerzone Hohe Straße in Köln

Angesichts der Vielzahl von Impfdurchbrüchen stellt sich die Frage, ob Coronavirus-Impfungen überhaupt geeignet sind, das Virus an seiner Verbreitung zu hindern. Eine direkte Antwort lässt sich nicht geben, weil Infektionsketten nicht mehr systematisch nachverfolgt werden. Darum ist bei einer neuen Infektion nicht gewiss, ob sie auf einen Kontakt zwischen Geimpften oder Ungeimpften zurückgeht.

Um dennoch zu einer Einschätzung zu kommen, haben Forscherinnen und Forscher um Dirk Brockmann von der Humboldt-Universität Berlin die Ausbreitung des Coronavirus in der deutschen Bevölkerung simuliert. Dabei kommen sie zu dem Ergebnis, dass es tatsächlich maßgeblich die Ungeimpften sind, die die Infektionsdynamik in Deutschland vorantreiben. Laut ihrer Studie fand nur eine von zehn Neuinfektionen zwischen zwei Geimpften statt. Am Rest der Neuinfektionen war mindestens ein Ungeimpfter beteiligt – zumeist als jener, von dem die Ansteckung ausging.

Obwohl Ungeimpfte mit ungefähr einem Drittel der Bevölkerung deutlich in der Minderheit sind, verursachen sie damit überproportional häufig Neuinfektionen. Simuliert haben die Forscher das Infektionsgeschehen in Deutschland in den Tagen zwischen dem 11. Oktober und dem 4. November 2021. In diesen Wochen begann die landesweite Inzidenz bereits stark zu steigen.

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In einem noch nicht begutachteten Fachartikel nennen Brockmann und sein Team Details zu ihrer Studie. Wie gut eine Impfung die Ausbreitung des Virus einbremst, hängt vor allem von ihrer Wirksamkeit gegen eine Infektion ab. Die Forschergruppe simulierte hier zwei Szenarien. Im ersten schätzte sie die Wirksamkeit mit 92 bis 72 Prozent je nach Altersgruppe ab, im zweiten Szenario auf nur 60 bis 50 Prozent.

Auch bei geringer Impfeffektivität gibt es kaum Ansteckungen unter Geimpften

Die Annahme im »optimistischen« Szenario 1 ergab rechnerisch etwas mehr Impfdurchbrüche, als tatsächlich gemeldet werden, und deckt sich insofern mit dem Infektionsgeschehen in Deutschland, schreiben die Wissenschaftler. Aber selbst unter Annahme einer noch deutlich geringeren Impfeffektivität (Szenario 2) finden Infektionen ausschließlich zwischen Geimpften kaum statt – konkret: lediglich 16 von 100. Geimpfte geben das Virus nicht nur deshalb seltener weiter, weil sie seltener erkranken als Ungeimpfte, sondern auch, weil sie weniger lange ansteckend sind als diese.

Im Endergebnis führt dies die Forscherinnen und Forscher zu der Annahme, dass 76 Prozent (Szenario 1) beziehungsweise 67 Prozent (Szenario 2) der Neuinfektionen von Ungeimpften verursacht werden.

Unklar bleibt, wie Brockmann und sein Team ausführen, wie der Einfluss ungeimpfter Kinder und Jugendlicher einzuschätzen ist. Geht man von einer reduzierten Infektiosität im Vergleich zu Erwachsenen aus, gelangt man zu den oben genannten Zahlen. Nimmt man dagegen an, dass Kinder und Jugendliche das Virus genauso schnell weitergeben wie Erwachsene, verstärkt die Gruppe der Ungeimpften das Infektionsgeschehen noch einmal merklich. Ungeimpfte verursachen dann mehr als 80 beziehungsweise mehr als 75 Prozent der Neuinfektionen.

Gleiches gilt, wenn man davon ausgeht, dass Geimpfte und Ungeimpfte eher unter sich bleiben. In diesem Fall treiben die Ungeimpften die Infektionsdynamik sogar noch stärker voran, als es durch die oben genannten Zahlen beschrieben wird.

Als Ergebnis seiner Untersuchung empfiehlt das Team, dafür zu sorgen, dass es vor allem weniger Kontakte zwischen Ungeimpften gibt. Eine Reduktion der Kontakte in dieser Gruppe um ein Viertel würde bereits genügen, um den R-Wert auf unter 1 zu drücken, was ein langsames Abflauen der Inzidenzen zur Folge hätte. Dafür müsste die (geimpfte) Bevölkerungsmehrheit dann keine weiteren Einschränkungen mehr hinnehmen.

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