Direkt zum Inhalt

Vor 3800 Jahren: Tsunami entvölkerte Küste für Jahrhunderte

Eine Riesenwelle, ausgelöst von einem Erdbeben, veränderte die prähistorische Kultur Nordchiles. Über Jahrhunderte hielten die Menschen respektvoll Abstand vom Meer.
Chilenische Küste bei Antofagosto in der Atacama-Wüste.

Ein außerordentlich großer Tsunami vor 3800 Jahren vertrieb die Bevölkerung in Nordchile für viele Generationen von der Küste. Zu diesem Schluss kommt eine Arbeitsgruppe um Diego Salazar von der Universidad de Chile in Santiago auf Grund geologischer Spuren der Monsterwelle, darunter weit im Inland abgelagerter Schlamm und Schutt, typische Abtragungsspuren und zerstörte Steingebäude. Diese seien im Rahmen der Messgenauigkeit zeitgleich mit deutlichen Veränderungen im Siedlungsmuster, berichtet das Team in »Science Advances«. Archäologische Spuren zeigen, dass die Menschen nach der Katastrophe weiter entfernt von der Küste in höher liegenden Gebieten siedelten. Anhand der Indizien schätzt es, dass der Tsunami von einem Erdbeben ausgelöst wurde, das mit einer Magnitude von 9,5 etwa so stark war wie das Valdivia-Beben von 1960 in Chile. Das hatte Tsunamis von bis zu 25 Meter Höhe verursacht.

Hinter den extremen Beben in Chile steckt der Zusammenstoß zweier Erdplatten, durch den der Meeresboden vor dem Land unter den Kontinent ins Erdinnere abtaucht. Diese als Subduktionszonen bezeichneten Bereiche erzeugen die stärksten bekannten Erdbeben. Der langsam vorrückende Meeresboden verhakt sich mit der Kante des Kontinents und presst die Erdkruste nach und nach zusammen, bis die Kontaktzone bricht und zurückschnellt. Diese Bewegung verdrängt sehr viel Wasser und verursacht die Tsunamiwellen – je größer die Bruchzone, desto stärker das Erdbeben. Die Fachleute vermuten, dass vor 3800 Jahren ein rund 1000 Kilometer langer Teil der Subduktionszone in einem Stück brach. Damit wäre die Bruchzone doppelt so lang wie jene des großen Tohoku-Bebens von 2011.

Ungefähr um die Zeit des mutmaßlichen Tsunamis herum verorten Fachleute das Ende der als »Archaisch IV« bezeichneten Kulturstufe, deren Mitglieder als Fischer und Wildbeuter nahe der Küste lebten. Von der darauf folgenden Stufe »Archaisch V« fanden Ausgrabungsteams weniger Wohnstätten, weniger Artefakte und weniger Friedhöfe. Auf den dauerhaften Effekt, den der Tsunami auf die Bevölkerung der trockenen Küstenebene hatte, deutet nach Ansicht des Teams um Salazar vor allem die Verteilung der Friedhöfe hin. Während diese vor dem Beben zwischen 10 und 25 Meter über dem Meer lagen, findet man nach der fraglichen Zeit kaum eine Fundstätte unterhalb von 20 Metern.

Ihre Entfernung vom Meer stieg gleichzeitig von gemeinhin weniger als 200 auf fast immer mehr als 300 Meter vom Ufer. Die Verschiebung, die sich noch Jahrhunderte später nachweisen lässt, sei in der mehr als 12 000 Jahre andauernden Besiedlungsgeschichte der Region einzigartig, so das Team. Wie hoch der Tsunami vor 3800 Jahren genau war, lässt sich heute nicht mehr exakt erschließen. Mit Hilfe von Computermodellen des Bebens und der Verbreitung der Tsunamispuren kommt das Team um Salazar zu dem Schluss, dass die Wellen in vielen Bereichen der Küste mindestens 20 Meter hoch gewesen sein müssten, wenn nicht sogar deutlich mehr.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.