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Persönlichkeitsprofile: Typologie mit Macken

Vier Etiketten stehen zur Wahl: durchschnittlich, vorbildlich, egozentrisch oder zugeknöpft. Die zugehörigen Profile basieren auf Angaben von anderthalb Millionen Menschen und lassen dennoch einiges zu wünschen übrig.
Porträtfotos von Menschen, jung und alt, Männer und Frauen

Menschliche Persönlichkeiten sind äußerst vielfältig und daher wenig geeignet, sich in wenige Schubladen pressen zu lassen. Das hält Forschende natürlich nicht davon ab, nach geeigneten Schubladen zu suchen. Einen neuen Versuch präsentiert nun ein US-Team im Fachmagazin »Nature Human Behavior«.

Die neue Typologie steht durchaus auf stabilen empirischen Füßen, angefangen bei den vier riesigen, unabhängigen Stichproben. Das Team um die Physiker Martin Gerlach und Luís Amaral von der Northwestern University entwickelte die Kategorien zunächst aus Angaben von rund 145 000 Menschen, die online einen 300 Fragen langen Persönlichkeitstest durchlaufen hatten. Dann wiederholten sie die statistische Analyse an weiteren drei Stichproben, so dass schließlich Daten von rund 1,5 Millionen Menschen in das Modell einflossen. Die verwendeten Tests erfassten jeweils die fünf großen Dimensionen der Persönlichkeit, die »Big Five«. Dazu zählen Neurotizismus (versus emotionale Stabilität), Extraversion (versus Introversion), Offenheit für Neues, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Diese setzen sich wiederum aus engeren Merkmalen zusammen; beispielsweise gilt als emotional instabil, wer sich für stressempfindlich, leicht reizbar, ängstlich und unzufrieden hält.

Die Ausprägungen auf den Skalen lassen sich theoretisch zu unendlich vielen Profilen kombinieren. Um besonders häufige Kombinationen zu identifizieren, bündelten die Autoren die Befragten anhand von Ähnlichkeiten ihrer Profile in so genannte Cluster. Allein bei einer Anzahl von vier Clustern sammelten sich um die Zentren der Cluster mehr Menschen, als per Zufall zu erwarten gewesen wäre – ein Hinweis auf vier typische Profile.

Das »Musterbeispiel« eines Charakters

Für diese vier Typen wählten die Forschenden allerdings ungeschickte Namen. Einem Profil gaben sie das Label »role model« (Vorbild): verträglich, gewissenhaft, extravertiert, emotional stabil und offen für Neues. Das schwarze Schaf der Familie ist der »selbstzentrierte« Typ: extravertiert und in allen übrigen Merkmalen eher unterdurchschnittlich – ein Mensch, »mit dem man nicht seine Zeit verbringen will«, wie Amaral auch noch in der Pressemitteilung der Hochschule erläutert. Als »reserviert« bezeichnen sie den introvertiertesten Typ, der zudem wenig offen und im Übrigen durchschnittlich sei. Und schließlich gibt es noch einen »Durchschnittstyp«, der ebenso wenig offen ist wie der reservierte, aber eher extravertiert, emotional stabil, gewissenhaft und verträglich.

Mal abgesehen von den fragwürdigen Etiketten: Die Cluster selbst wurden nicht hinreichend validiert. Dafür sollte man beispielsweise die Kategorien experimentell daraufhin testen, ob sich mit ihrer Hilfe auch ein entsprechend unterschiedliches Verhalten vorhersagen lässt. Die Physiker und ihre Kollegen überprüften ihre Typologie lediglich, indem sie nach erwarteten Zusammenhängen mit Alter und Geschlecht suchten. Beispielsweise werteten sie es als Beleg für ihr Modell, dass vor allem Menschen bis 20 Jahre in die Gruppe der Egozentriker fallen, in die der Musterbeispiele (»Leute, die gut Verantwortung übernehmen könnten) hingegen mehr Frauen und Ältere. Damit gewinnt immerhin die Empfehlung von Amaral an Charme, seine Typologie bei Mitarbeiterauswahl und Partnersuche zu nutzen.

Schon die alten Griechen wollten Menschen nach ihrer Persönlichkeit in Kategorien einordnen; doch diese Versuche und etliche nachfolgende wurden von wissenschaftlicher Seite stets aufs Neue verworfen. Die Typologien ließen sich schlecht replizieren, und sie bewährten sich nicht in der Praxis. Auch wenn im beschriebenen Versuch nun Datenbasis und statistische Analyse mehr überzeugen: Es bleibt zu hoffen, dass sich das neue Modell nicht über akademische Kreise hinaus verbreitet. Derart simple und wertende Kategorien laden zum Missbrauch ein, und das umso mehr, wenn man sich dabei auf wissenschaftliche Ergebnisse berufen kann.

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