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Coronavirus: Überraschend viele Covid-19-Fälle in Afrika

Mediziner haben Verstorbene in Sambia untersucht und bei unerwartet vielen das Virus Sars-CoV-2 nachgewiesen. Der Erreger scheint verbreiteter zu sein als gedacht.
Neun von zehn Kindern im Alter von 0 bis 19 Jahren, die HIV haben, leben in Afrika südlich der Sahara.

Offenbar erkranken deutlich mehr Afrikaner an Covid-19, als bisher bekannt ist. Zu diesem Schluss kommen Mediziner um Christopher Gill von der Boston University. Die Forscher haben hunderte Todesfälle in Sambia untersucht. Ihr Ergebnis: Etwa jede(r) fünfte Verstorbene war mit Sars-Cov-2 angesteckt gewesen und die meisten Infizierten hatten typische Covid-19-Symptome gehabt. Fast keiner von ihnen war zu Lebzeiten auf das Virus getestet worden. Wahrscheinlich, so die Forscher, würden die Covid-Fallzahlen in Afrika massiv unterschätzt. Die Gesundheitssysteme dort seien häufig unterfinanziert und schlecht ausgestattet und könnten sich Massentests schlicht nicht leisten. Das Team berichtet darüber in der Fachzeitschrift »British Medical Journal«.

Auf den ersten Blick scheint Afrika vergleichsweise wenig von Covid-19 betroffen. Das WHO-Regionalbüro für Afrika meldet rund 3,8 Millionen Erkrankungs- und 100 000 Todesfälle auf dem Kontinent. Die Zahlen in westlichen Ländern liegen, gemessen an den Bevölkerungsgrößen, um ein Vielfaches höher. Immer wieder kommt deshalb die Diskussion auf, warum Afrika weitgehend verschont werde. Werde es nicht, wie Gill und sein Team schreiben.

Spur des Virus

Der Mediziner und seine Kollegen haben 362 Menschen untersucht, die in Lusaka (Sambia) zwischen Juni und September 2020 gestorben sind. Bei 70 Toten wiesen sie mit Hilfe der Polymerase-Kettenreaktion das Virus Sars-CoV-2 nach. Somit waren etwa 20 Prozent der Verstorbenen damit infiziert gewesen. Nicht für alle ließ sich klären, unter welchen Beschwerden sie gelitten hatten. Doch jene, bei denen Angaben dazu vorlagen, hatten fast durchweg Covid-19-typische Symptome gehabt, etwa Husten, Fieber und Atemnot. Lediglich 6 von den 70 nachweislich Infizierten waren vor ihrem Tod auf den Erreger getestet worden.

Wie bereits aus anderen Ländern bekannt, lag der Anteil der Todesfälle, an denen Sars-CoV-2 beteiligt war, bei den über 70-Jährigen am höchsten. In absoluten Zahlen ausgedrückt, starben die meisten jedoch in der Altersgruppe unter 60 Jahren. Unerwarteterweise waren sieben Kinder dabei, die somit 10 Prozent der Sterbefälle ausmachten. Ein Vergleich mit dem offiziellen Sterberegister Sambias ergab, dass die Stichprobe der Getesteten eine repräsentative Altersstruktur aufwies.

Dass unter den Verstorbenen mit nachgewiesener Sars-CoV-2-Infektion relativ viele jüngere Menschen waren, lässt sich möglicherweise mit deren Lebensumfeld erklären. Die meisten kamen aus besonders armen und dicht besiedelten Stadtteilen Lusakas, in denen Abstandhalten kaum möglich ist und Masken nur selten getragen werden. Häufige Begleiterkrankungen dieser Menschen waren Tuberkulose, Bluthochdruck, Aids, Alkoholismus und Diabetes. Einige hatten angeblich Malaria gehabt, doch jene Erkrankung werde in Lusaka oft diagnostiziert, wenn Patienten an Fieber unbekannter Ursache litten, betonen die Forscher.

Warum es in Afrika so wenige bekannte Covid-19-Fälle gibt, ist intensiv diskutiert worden. Zum Teil liegt es daran, dass die dortigen Gesundheitssysteme viel weniger testen als die in westlichen Ländern. Als weiteren möglichen Grund nennen Forscher das geringere Durchschnittsalter in vielen afrikanischen Staaten; junge Menschen erkranken seltener schwer. Eine Rolle könnte zudem der niedrigere Anteil an Übergewichtigen spielen; Fettleibigkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes erhöhen das Risiko eines kritischen Covid-19-Verlaufs. Auch vermuten manche Immunologen, Afrikaner könnten öfter in Kontakt mit anderen Coronaviren, Malaria- und weiteren Erregern kommen, weshalb ihr Immunsystem stärker auf neue Pathogene reagiere. Die neue Studie deutet nun darauf hin, dass viele Covid-Todesfälle in Afrika nicht als solche erkannt werden.

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