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Weltraumtourismus: Grenzüberschreitende Reisefreiheit

Drei Raumfahrtunternehmen planen die ersten Pauschalreisen ins All, »Blue Origin« sogar schon für diesen Juli. Wer hat das Zeug für einen echten Durchbruch in den Weltraum?
Blue Origins »New Shepard« bei einem Start von Launch Site One in West-Texas

Urlaub ist dieses Jahr mit einigen Herausforderungen verbunden – insbesondere wenn es in den Weltraum gehen soll. Da ist die Frage des nötigen Kleingelds: Einen sechsstelligen Betrag, gerne auch mehr, verlangen Reiseveranstalter für Ausflüge ins All. Da ist die Frage der Technik, die keinesfalls ausgereift ist. Und da ist eine dritte, eine grundlegende Frage: Wo fängt der Weltraum eigentlich an, dieser ominöse Sehnsuchtsort?

Wenn jetzt nach vielen Rückschlägen und Vertröstungen die Flüge endlich starten sollen, muss man sich bewusst sein, dass es auf die letzte der drei Fragen nie eine befriedigende Antwort geben wird. Eine feste Grenze zum Weltraum, die überschritten werden könnte, existiert nicht – anders als beim Urlaubstrip ins benachbarte Ausland. Die Erdatmosphäre wird mit zunehmender Entfernung vom Boden einfach immer dünner und dünner. Doch selbst in 400 Kilometer Höhe, wo die Internationale Raumstation ISS ihre Runden dreht, sind noch immer einige Luftmoleküle zu finden.

Traditionell hat sich daher die so genannte Kármán-Linie als theoretische Grenze etabliert. Sie liegt bei 100 Kilometer. Um genügend aerodynamischen Auftrieb zu erzeugen, müsste ein Flugzeug in dieser Höhe derart schnell um die Erde rasen, dass es allein durch die Fliehkraft auf seiner Bahn gehalten würde. Anders gesagt: Der Auftrieb verliert an Wert, die Gesetze der Raumfahrt übernehmen. Die US-Luftwaffe setzt die Grenze zum Weltall hingegen bei einer anderen runden Zahl an: bei 50 Meilen, etwa 80 Kilometer. Ein Widerspruch, den sich die Anbieter der neuen All-Touren gerne zu Nutze machen.

Drei konkurrierende Fluglinien

»Willkommen im Weltall«, twitterte zum Beispiel Virgin Galactic, die Weltraumfluglinie des britischen Milliardärs Richard Branson, Ende Mai beim dritten Testflug des Unternehmens. Da hatte »VSS Unity«, das Raumflugzeug von Virgin Galactic, gerade einmal 89 Kilometer erreicht. Blue Origin, das Weltraum-Start-up des Amazon-Gründers Jeff Bezos, will sich hingegen an der Kármán-Linie orientieren, wenn wie geplant am 20. Juli die ersten zahlungskräftigen Touristen in Richtung All abheben. Allerdings auch nur, um gleich wieder zurück zur Erde zu stürzen. Konkurrent SpaceX plant noch größer: Am 15. September soll es auf 540 Kilometer Höhe gehen, vier Tage im All inklusive.

»Crew Dragon« bei der ISS | SpaceX – Gründer: Elon Musk – hat sogar schon Astronauten zur Internationalen Raumstation (ISS) befördert. Bald sollen auch zahlende Passagiere an Bord sein.

Der Beginn einer schönen neuen Urlaubswelt? Nicht so ganz. Eher das vorläufige Ende eines mehr als holprigen Wegs. Denn der Weltraumtourismus, sollte er nun endlich durchstarten, hat eine lange, bislang wenig glorreiche Geschichte hinter sich – gebrandmarkt als Spielzeug der Reichen, geprägt von vielen Rückschlägen und mehreren Toten.

Vor 17 Jahren sollte es losgehen. Am 21. Juni 2004 beschleunigte hoch über der kalifornischen Mojave-Wüste das experimentelle »SpaceShipOne« auf dreifache Schallgeschwindigkeit und erreichte eine Höhe von 100,124 Kilometern – der erste private Raumflug mit einem Menschen an Bord. Drei Monate später wiederholte das Raketenflugzeug sein Kunststück. »SpaceShipOne« gewann den Ansari-X-Prize, einen Wettbewerb, der den Weltraumtourismus beflügeln sollte.

Es herrschte Goldgräberstimmung. In New Mexico entstand ein Raumflughafen, der Spaceport America. Geplante Aufnahme des Flugbetriebs: 2009. Richard Branson gründete Virgin Galactic. Die ersten Käuferinnen und Käufer seiner Tickets, darunter die Deutsche Sonja Rohde, ließen sich von den Medien feiern als Pioniere, die im Leben nichts mehr aufhalten könne.

Doch es kam anders.

Im Juli 2007 explodierte bei Tests in der Mojave-Wüste ein Treibstofftank, drei Menschen starben. Im Oktober 2014 brach das Nachfolgemodell, das »SpaceShipTwo«, bei einem Testflug auseinander, Kopilot Michael Alsbury kam ums Leben. Im Februar 2019 traten im Flug schwere strukturelle Schäden auf. Im Dezember 2020 zündete der Raketenmotor erst gar nicht. Ein ums andere Mal musste Virgin Galactic die geplanten Touristenflüge verschieben.

»VSS Unity« gleitet zum Spaceport America | Virgin Galactic – Gründer: Richard Branson – setzt auf ein zweistufiges Aufstiegsverfahren: Das Raketenflugzeug wird von einem Trägerflugzeug in große Höhen gebracht, dann wird es abgekoppelt, steigt auf und landet schließlich im Gleitflug.

Virgin Galactic verkauft erst einmal keine Tickets

Und nun soll plötzlich alles gut werden? Immerhin: Der Testflug Ende Mai in New Mexico, bei dem vor Ort keine Journalisten zugelassen waren, sei »nahezu perfekt« verlaufen, gab Virgin-Galactic-Manager Mike Moses zu Protokoll. Ein weiterer Test mit vier Angestellten auf den Passagiersitzen soll nun folgen, vielleicht sogar mit Richard Branson selbst. Beim darauffolgenden Flug will der Firmenchef auf jeden Fall einsteigen. Und schließlich steht der kommerzielle Jungfernflug im Auftrag der italienischen Luftwaffe an.

Klappt all das, was keinesfalls sicher ist, könnten auch die ersten Touristen zum Zug kommen. 250 000 Dollar pro Ticket verlangte Virgin Galactic einst von seinen hoffnungsfrohen Möchtegernpassagieren. Wie viel nun fällig werden soll, verrät das Unternehmen nicht. Auch zum genauen Startdatum hält sich Branson bedeckt. Zu oft hat sich Virgin Galactic, das allein im ersten Quartal dieses Jahres 130 Millionen Dollar Verlust vermelden musste, mit nicht eingehaltenen Startterminen eine blutige Nase geholt.

Bezos' Blue Origin hebt schon im Juli ab

Konkurrent Blue Origin wird da konkreter. Am 20. Juli soll es losgehen. Dann könnte »New Shepard«, eine 18 Meter lange Rakete in Form eines Dildos, Passagiere ins All bringen. Mit an Bord: der Unternehmensgründer Bezos höchstpersönlich. Wie er seine Fans unlängst über Instagram wissen ließ, will er dann in Begleitung seines Bruders einen Traum wahrmachen, den er seit seinem fünften Geburtstag hegt. Auch das erste Ticket versteigert Blue Origin gerade öffentlich. Das aktuelle Gebot liegt bei 3,8 Millionen Dollar. Viel interessanter für das Unternehmen dürfte aber die bereits abgeschlossene erste Phase der Auktion gewesen sein: Im Geheimen konnte jeder Interessent angeben, wie viel ihm solch eine Reise wert ist – wichtige Anhaltspunkte, wo künftig der Marktpreis für Touristenflüge liegen könnte.

»New Shepard« hebt ab | Blue Origin – Gründer: Jeff Bezos – will seine Passagiere mit einer Rakete über die Grenze zum All bringen. Die Kapsel an der Spitze steigt nach der Abkopplung noch weiter auf und landet schließlich an Fallschirmen.

Denn es geht um viel für Blue Origin. Das Unternehmen hinkt bislang weit hinter seinen Ansprüchen zurück: Es plant eine Rakete für Starts in die Erdumlaufbahn, die seit Jahren nur auf dem Papier existiert. Es entwickelt Triebwerke für Amerikas neue Schwerlastrakete, die »Vulcan«, kommt aber nicht zu Potte. Es wollte die Mondfähre für die nächsten US-Astronauten bauen und wurde von SpaceX ausgestochen, das ein deutlich besseres Angebot abgegeben hatte.

Teure Hopser knapp über die Grenze zum Weltraum

Bleiben die suborbitalen Flüge: einmal kurz über die Kármán-Linie und wieder zurück. Immerhin kann Blue Origin dabei – anders als Virgin Galactic – auf ein erfolgreiches Testprogramm zurückblicken. Bereits 15-mal ist »New Shepard« weitgehend problemlos gestartet und wieder gelandet, allerdings ohne Menschen an Bord. Auch die Technik unterscheidet sich grundlegend: Das »SpaceShipTwo« benötigt ein Mutterflugzeug, das es zunächst auf 15 Kilometer Höhe bringt. Dort klinkt sich das Raumschiff aus, zündet sein Raketentriebwerk, erreicht das All oder – je nach Definition – auch nicht, und steuert schließlich wie ein Flugzeug die Landebahn des Spaceport America an. Beim deutlich einfacher konzipierten »New Shepard« beschleunigt hingegen eine Rakete eine Raumkapsel, die sich ausklinkt, weiterfliegt und dann unter Fallschirmen in der Wüste von Westtexas landet.

Unbezahlbare Aussicht | Bei Virgin Galactic reist man in futuristischem Ambiente. Wie viel das Unternehmen von den Passagieren verlangen wird, wenn es denn den Flugbetrieb aufnimmt, ist unbekannt. Zuletzt sollte der garantierte Fensterplatz eine viertel Million US-Dollar kosten.

Das Erlebnis für die jeweils sechs Passagiere an Bord unterscheidet sich kaum. Beide All-Ausflüge versprechen mehrere Minuten Schwerelosigkeit, ausschließlich Fensterplätze und einen Blick auf die gekrümmte Erde vor dem Schwarz des Weltraums – nur einmal eben aus einer Höhe von gut 100 Kilometern und einmal aus knapp 90 Kilometern.

SpaceX plant den orbitalen Mehrtagestrip

SpaceX-Gründer Elon Musk hat für solche Kurzstreckenflüge nur Spott übrig. »Kriegt keinen hoch (in die Umlaufbahn)«, ätzte Musk Ende April bei Twitter in Richtung seines Konkurrenten Bezos. Darum soll die erste rein private Astronautenmission von SpaceX auch nicht nur kurz über die Kármán-Linie reichen, sondern mehrere Tage lang dauern und rund um den Globus führen. Gekauft hat den orbitalen Flug, der im September mit vier Menschen in einer »Crew Dragon«-Kapsel starten soll, der Milliardär Jared Isaacman – zu einem nicht näher genannten Preis.

Auch für SpaceX sind solche Missionen ein wichtiger Zusatzverdienst. Mit der wiederverwendbaren »Falcon 9« hat das Unternehmen zwar den Raketenmarkt umgekrempelt und die Startkosten gedrückt, der erhoffte Nachfrageboom ist bislang allerdings ausgeblieben. Da kommen Touristen gerade recht, insbesondere wenn sie nicht auf jeden Cent schauen müssen. Anfang 2022 will SpaceX gemeinsam mit dem US-Unternehmen Axiom erstmals die Internationale Raumstation ISS ansteuern und dort eine zahlungskräftige Privatcrew abliefern – ein Abenteuer, das bislang nur mit russischen Sojus-Kapseln möglich war. Und es soll nicht dabei bleiben: Einen Vertrag über drei weitere ISS-Flüge bis zum Jahr 2023 haben die Partner vor wenigen Tagen unterzeichnet.

Aber nur für die wenigsten dürften solche Charterflüge eine Alternative zum Sommerurlaub auf Mallorca darstellen. Nach Informationen der »Washington Post« verlangt Axiom einen stolzen Preis für den ISS-Flug: 55 Millionen Dollar, pro Ticket.

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