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Handelsverbot in China: Neue Chance für bedrohte wilde Tiere

In China sind Jagd, Handel und Transport von Wildtieren aus der Natur unter strenger Strafe verboten. Covid-19 machte es möglich. Wird es Arten retten? Naturschützer sind vorsichtig zuversichtlich.
Der Handel mit Wildtieren ist in China nun verboten.

Sie sind die Elite innerhalb der Führungsschicht der zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde. Wenn die handverlesenen Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses in China zusammentreten, geht es üblicherweise um weltpolitisch bedeutsame Dinge wie den Wettlauf mit den USA um die Vorherrschaft in Asien oder die Ausweitung des globalen Einflusses des Riesenreichs über die neue Seidenstraße. Ende Februar aber dominierte ein anderes Thema die Sitzung des inneren Zirkels der Macht in China: der Handel mit Wildtieren. Mit beeindruckendem Ergebnis.

Erstmals seit Bestehen der Volksrepublik haben die kommunistischen Funktionäre ein landesweites, dauerhaftes Verbot für den Verzehr von Wildtieren beschlossen. Die Coronavirus-Epidemie mit mehr als 80 000 Infizierten allein in China und bislang mindestens 3200 Toten hat dazu den Ausschlag gegeben. Konkret verbietet das verabschiedete Gesetz, an Land lebende Wildtiere zu essen. Einschließlich jener, die in zahlreichen Tierfarmen gezüchtet werden. Auch die Jagd, der Transport und der Handel zum Zwecke des Verzehrs sind fortan unbeschränkt verboten, »um das Leben und die Gesundheit der Menschen zu schützen«, wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua umgehend meldete. Das Verbot trat noch am selben Tag in Kraft. Doch wird es Wirkung zeigen? Naturschützer sind vorsichtig zuversichtlich.

»Es ist äußerst bemerkenswert, dass das Thema Wildtierhandel nun auf höchster staatlicher Ebene die Aufmerksamkeit erhält, die es verdient«, sagt Aron White von der internationalen Umweltorganisation Environmental Investigation Agency. Die Organisation kämpft seit mehr als 30 Jahren gegen den Wildtierhandel vor allem in Asien. »Es gibt jetzt die wirkliche Chance für einen dauerhaften Wandel im Umgang mit wilden Tieren«, sagt White.

»Corona hat den Wildtierhandel in das Scheinwerferlicht gerückt wie nie zuvor«

Etwas verhaltener, aber durchaus optimistisch zeigt sich Terry Townshend. Der britische Umweltjurist und Naturschützer lebt seit vielen Jahren in Peking und hat zahlreiche Projekte zum Schutz bedrohter Vogelarten in China geleitet, einem der artenreichsten Länder der Erde. »Es ist noch etwas früh für verlässliche Aussagen, aber es sieht gut aus«, sagt Townshend auf die Frage, ob das Handels- und Verzehrverbot für Wildtiere zum Rettungsanker für bedrohte Arten werden kann.

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»Der Ausbruch von Covid-19 hat ein Licht auf den illegalen Handel mit Wildtieren geworfen wie nie zuvor«, sagt er weiter. Hoffnungsvoll sei vor allem, dass die Gesellschaft mittlerweile eine rücksichtslose Ausbeutung der Natur verurteile. »Die überwiegende Mehrheit, vor allem junge Menschen und Stadtbewohner, befürwortet angesichts der Risiken für die öffentliche Gesundheit und teilweise auch der Auswirkungen auf die Wildtierpopulationen ein vollständiges Verbot«, sagt der Naturschützer.

Eine aktuelle Umfrage mehrerer chinesischer Naturschutzorganisationen stützt die Beobachtung. Sie versuchen seit dem Ausbruch des Virus Sars-CoV-2 die Stimmung in der Öffentlichkeit in sozialen Medien mit Hilfe eines Fragebogens zu ergründen. Mehr als 100 000 Menschen haben laut dem Interdisciplinary Centre for Conservation Science bereits geantwortet, von denen mehr als 96 Prozent angaben, dass sie ein Verbot des Verzehrs aller Wildtiere befürworten.

Wegen des illegalen Handels droht so manche Art auszusterben

Niemand nutzt Wildtiere – ganz oder zerteilt – so intensiv wie China; legal und illegal. Entsprechend bedeutsam wäre es für den weltweiten Artenschutz, den Handel in China einzudämmen. »Insgesamt ist Übernutzung der zweitgrößte Treiber für das aktuelle massive Artensterben«, sagt der Leiter der Abteilung Artenschutz beim WWF Deutschland Arnulf Köhncke. Schwerer wiege nur der direkte Lebensraumverlust.

Auch Stuart Butchart, Chefwissenschaftler von Birdlife International, ist überzeugt, dass sich ein konsequenter Handelsbann weltweit auswirken kann. »Für einige Arten ist China der Haupthandelsplatz, wenn ein Verbot also wirksam umgesetzt wird, hätte das eine substanzielle positive Wirkung.«

Dass der illegale Handel in China so manche Art tatsächlich an den Rand des Aussterbens gebracht hat, zeigt das Beispiel der Weidenammer. Der kleine Singvogel war noch in den 1980er Jahren eine der häufigsten Vogelarten überhaupt. Hunderte Millionen Ammern besiedelten ein Gebiet von Skandinavien im Westen bis zum Pazifik. Auf dem Zug rasten die Vögel in großen Verbänden beispielsweise in Reisfeldern und auf Weideland, wo sie in China millionenfach Opfer von Vogelfängern wurden.

Obwohl Fang und Handel mit den Ammern in China bereits seit 1997 verboten sind, ging die Verfolgung in den dortigen Durchzugs- und Überwinterungsgebieten offenbar auch danach zunächst in großem Maßstab weiter. So wurden bei einer einzigen Razzia 2013 nicht weniger als zwei Millionen Singvögel verschiedener Arten beschlagnahmt.

Innerhalb von 30 Jahren soll der Bestand um bis zu 95 Prozent eingebrochen sein. Das hat die Untersuchung eines internationalen Wissenschaftlerteams um den Vogelforscher Johannes Kamp aus dem Jahr 2015 gezeigt. Die Studie bekam so viel Aufmerksamkeit, dass die chinesischen Behörden gezwungen waren zu handeln. »Es hat sich einiges getan«, sagt Kamp, der heute beim Dachverband Deutscher Avifaunisten arbeitet. Mittlerweile gebe es eine leichte Erholung. Einige Gebiete im europäischen Teil Russlands etwa, in denen die Art schon ganz verschwunden war, würden langsam wiederbesiedelt, sagt Kamp: »Das Verbot des Wildtierhandels und die Verunsicherung durch die Coronavirus-Epidemie könnten ein weiterer Baustein zur Erholung der Weidenamer sein.«

Allerdings zeigt gerade das Beispiel der Weidenammer eine bedeutende Schwachstelle der gegenwärtigen chinesischen Naturschutzgesetzgebung. »Auf dem Papier sieht es erstmal gut aus, allerdings sind die Ausfuhrbestimmungen oft veraltet und spiegeln nicht die aktuelle Lage vieler Arten wider«, sagt der Pekinger Naturschützer Townshend. Ausgerechnet Arten wie die Weidenammer oder der Löffelstrandläufer, eine weitere weltweit bedrohte Vogelart, seien nicht in der Liste der besonders geschützten Arten enthalten.

Traditionelle Medizin bleibt vom Verbot ausgenommen

Doch nicht nur das. Artenschutzexperten bemängeln das jüngst verkündete Verbot aus einem weiteren anderen Grund: Weiterhin erlaubt ist nämlich, Wildtiere für die Traditionelle Chinesische Medizin zu verwenden. Vor allem wegen der vermeintlichen medizinischen Wirkung gewisser Wildtierteile aber schlachten Wilderer beispielsweise Raubkatzen, Elefanten und Nashörner ab. »Für all diese Arten steht und fällt das Überleben mit dem Schutz vor Handel und Verwertung in China und einigen anderen Ländern Südostasiens«, sagt Artenschützer Aron White. Das Verbot geht deshalb nicht weit genug.

Als Beispiel führt er Tiger an, die weltweit zu den am stärksten bedrohten Arten gehören. »Hier sehen wir besonders drastisch, wie die Nachfrage aus verschiedenen Richtungen sich verheerend auf die Bestände auswirkt«, sagt White. Nur noch rund 4000 dieser stolzen Jäger gibt es insgesamt. Während es etwa in Indien und in Teilen Nepals einige stabile Populationen gebe, sei die Entwicklung in Südostasien in den vergangenen Jahren »wirklich erschreckend«, sagt White. In Kambodscha, Laos und Vietnam ausgerottet, stehen sie in Myanmar und China kurz vor dem Aussterben. Dennoch würden Tigerteile weiter – auch legal – genutzt. »Als Tigerreiswein, Tigerknochenwein oder als Puder für medizinische Anwendungen«, erklärt White. Zudem sei das Fell weiterhin ein beliebter Wandschmuck, und selbst das Fleisch werde in einigen Regionen noch in Restaurants und Geschäften angeboten, ebenso wie die Zähne, die als Schmuck und Amulette gefragt seien.

Vergleichbar ist die Geschichte der Schuppentiere, auch Pangoline genannt. Nach wie vor ist es legal, verarbeitete Schuppen der Schuppentiere aus einer zertifizierten Quelle zu verwenden oder das Horn der vom Aussterben bedrohten Saiga-Antilope zu besitzen. Fakt ist: Eine beträchtliche Anzahl bedrohter Arten wird von dem jetzt ausgesprochenen Verbot nicht erfasst.

Artenschützer sind verhalten optimistisch

Auch in den massenhaft in China errichteten Zuchtstationen für Tiger, Gürteltiere und andere in der Wildnis bedrohte Arten können Naturschützer keine Entlastung der Wildbestände sehen. Ganz im Gegenteil: Diese »animal farms« förderten die illegale Verfolgung, weil sie ein Schlupfloch schafften, getötete Wildtiere als Zuchttiere deklariert zu verkaufen, sagen sie. Immerhin ist auch der Verzehr von Fleisch der hier gezüchteten Farmen verboten worden.

Covid-19 müsse als Weckruf dienen für ein Ende der nicht nachhaltigen Nutzung gefährdeter Tiere und ihrer Teile – »ob als exotische Haustiere, als Lebensmittel oder als Medizin«, sagt der WWF-Artenschützer Köhncke.

Trotz aller Lücken sehen Artenschützer mit langjähriger Chinaerfahrung verhaltenen Grund zum Optimismus. »In den vergangenen Jahren gab es in China viele positive Schritte in Bezug auf den Naturschutz«, sagt etwa Terry Townshend. Die Regierung habe erkannt, dass das Tempo ihres Wirtschaftswachstums in den letzten Jahrzehnten zu der massiven Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden sowie dem Verlust von Lebensräumen und Artenvielfalt geführt habe und es so nicht weitergehen könne. Die Einführung von Umweltkriterien bei der Leistungsbewertung von Regierungsbeamten auf lokaler und nationaler Ebene sei ein Zeichen für ein Umdenken. Die Ausweisung der wichtigsten Küstenfeuchtgebiete entlang des Gelben Meeres – lebenswichtig für dutzende Millionen von Küstenvögeln entlang des ostasiatisch-australischen Zugwegs – als Welterbestätten ein weiteres. Und nun eben das offizielle Verzehrverbot.

Hoffnung setzt Townshend auf ein weiteres Ereignis von globaler Bedeutung: Der Weltbiodiversitätsgipfel findet im Herbst ausgerechnet in China statt. Hier als Vorbild zu glänzen, könne durchaus ein Ziel der chinesischen Führung sein, sagt der Naturschützer.

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