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Zytomegalievirus: Wie sich ein Virus schlafen legt

Die meisten von uns tragen es in sich: das Zytomegalievirus. In der Regel ist es harmlos und schläft. Forscher wollen nun herausgefunden haben, wie man es aufweckt.
Manche Viren warten jahrelang auf die Gelegenheit zum Ausbruch

Manche Viren können ein Leben lang in unserem Körper schlummern. Eines davon ist das Humane Zytomegalievirus (HCMV). Manchmal wacht es auf, vermehrt sich und kann schwere Schäden verursachen, etwa bei Empfängern einer Organtransplantation. Ob das Virus eher schläft oder wacht, hängt offenbar davon ab, welche Menge eines bestimmten Proteins es in sich trägt. Das will ein Team um den Virologen Leor Weinberger von den Gladstone Institutes an der University of California herausgefunden haben. Möglicherweise könne man das Protein pp71 als Schalter benutzen, um das Virus aufzuwecken und anschließend abzutöten, schreiben die Forscher im Fachblatt »PNAS«.

Das Zytomegalievirus gehört zur Familie der Herpesviren. Wie jedes Virus benötigt es verschiedene Proteine, um sich in unseren Zellen zu vervielfältigen. Den Bauplan dafür trägt es in seinem Erbgut mit sich. Damit dieser abgelesen wird, braucht es das Protein pp71. Es befindet sich in der so genannten Tegumentschicht zwischen der Außenhülle und dem gut verpackten Erbgut im Inneren des Virus. Als die Forscher einige HCMV-Partikel unter einem speziellen Mikroskop betrachteten, stellten sie fest, dass manche davon bis zu 40-mal mehr pp71 in sich trugen als andere. Diese Viren schienen deutlich infektiöser zu sein und sich besser vermehren zu können als solche mit wenig pp71, wie das Team in Zellkulturexperimenten beobachtete.

Wenn pp71-reiche Viren erfolgreicher sind, wieso gibt es dann überhaupt Viruspartikel mit wenig pp71? »Wir vermuten, dass diese Viren bei bestimmten Bedingungen einen Vorteil haben«, sagt Sonali Chaturvedi, die Erstautorin der Studie in einer Pressemitteilung. Die Forscher vergleichen die Verteilung des Virusproteins mit der Strategie von Finanzhäusern, die ihr Kapital auf mehrere Posten verteilen, um das Risiko eines Börsencrashs zu minimieren.

Weitere Experimente des Teams bestätigten diesen Verdacht: Viren, die nicht genügend pp71 haben, um die Expression ihrer Gene anzuwerfen, legen sich offenbar schlafen und hoffen auf bessere Zeiten. Fachleute sprechen hierbei von Latenz. In diesen Zustand begeben sich auch andere Viren, zum Beispiel jene Herpesviren, die uns unangenehme Lippenbläschen bescheren, oder auch das Humane Immundefizienz-Virus (HIV). Wodurch die Latenz durchbrochen und die Viren aktiviert werden, ist Forschern noch nicht ganz klar. Oftmals geschieht es, wenn das Immunsystem des Wirts durch eine Infektion mit einem anderen Erreger geschwächt ist oder durch Medikamente unterdrückt wird.

Wenn sich Viren nicht aktiv vermehren, ist es für unser Immunsystem schwer, sie aufzuspüren. Das macht es auch extrem schwierig, die Infektion durch Medikamente zu bekämpfen. Denn die meisten Wirkstoffe zielen auf Werkzeuge ab, die das Virus benutzt, um sich fortzupflanzen. Das Phänomen der Latenz besser zu verstehen, könnte Forschern und Pharmafirmen helfen, Behandlungen zu entwickeln, die nicht nur die aktiven, sondern auch die latenten Viren im Körper eines Menschen zu beseitigen. Das Tegumentprotein von HCMV wäre möglicherweise ein Ansatzpunkt: Vielleicht könne die Gabe von pp71 oder einem Abkömmling davon das Virus aufwecken und dazu bringen, sich zu vermehren und damit angreifbar zu machen, spekulieren die Forscher. Ob das Virus das fremde Protein überhaupt aufnehmen kann, ist allerdings fraglich. Der umgekehrte Ansatz wäre, das Protein zu blockieren und das Virus dadurch dauerhaft in die Latenz zu zwingen.

Wie gegen HIV gibt es auch gegen HCMV bislang keinen Impfstoff. Man kann im Fall einer Erkrankung die Vermehrung des Virus durch antivirale Medikamente hemmen. In den meisten Fällen ist dies aber gar nicht notwendig. 50 bis 70 Prozent aller Erwachsenen sind mit dem Zytomegalievirus infiziert – die meisten merken gar nichts davon. Bei Personen mit geschwächtem Immunsystem kann das Virus jedoch Komplikationen verursachen, die Organe schädigen und sogar zum Tod führen. Infiziert sich eine schwangerere Frau erstmals mit HCMV, kann sie das Virus auf das Baby übertragen. Besonders im ersten Drittel der Schwangerschaft kann das bleibende Schäden hervorrufen: Das Kind wächst möglicherweise langsamer, und auch die Entwicklung des Gehirns sowie das Gehör können beeinträchtigt sein.

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