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»Der Codebreaker«: Der Titel ist Programm

Nobelpreisträgerin Jennifer Doudna und »ihre« Genschere CRISPR-Cas: eigentlich Stoff für viele gute Geschichten. Leider wird das Buch von Walter Isaacson dennoch zur Geduldsprobe. Eine Rezension.
Der CRISPR-Cas9-Komplex (blau) kann DNA (lila) schneiden. Die Streitigkeiten darüber, wer das Gen-Editing-System erfunden hat und wer von wichtigen Patenten profitieren sollte, dauern an.

Was ist ein Codebreaker? Das könnte die erste Frage sein, wenn man die fast 700 Seiten starke Doudna-Biografie des US-amerikanischen Autors Walter Isaacson in die Hände bekommt. Titeltauglich wäre auch »Die Codeknackerin« gewesen. Aber vom Übersetzungs-Fauxpas abgesehen: Welchen Code soll die Biochemikerin Doudna überhaupt geknackt haben? Den genetischen Code haben Heinrich Matthaei und Marshall Nirenberg bereits in den 1960er Jahren entschlüsselt. Tatsächlich geht es in »Codebreaker« um »die Erfindung der Genschere«, wie der Untertitel aufklärt.

Fachlicher Hintergrund fehlt

Leider ist der verunglückte Titel programmatisch für das Buch, dessen roter Faden durch Leben und Werdegang Doudnas vorgegeben wird. Isaacson begleitet die Berkeley-Forscherin von ihrer Kindheit auf Hawaii über ihre ersten Schritte zur Erforschung der RNA und der Genschere – wofür sie 2020 gemeinsam mit der Französin Emmanuelle Charpentier den Nobelpreis für Chemie erhalten hat – bis hin zu ihren aktuellen Bemühungen, einen Impfstoff gegen Sars-CoV-2 zu finden. Entlang dieses Wegs stellt der Autor ihre wissenschaftlichen Weggefährten und Konkurrenten ebenso vor wie bedeutsame wissenschaftliche Entdeckungen rund um Doudnas Forschungsschwerpunkte. Vor allem in der zweiten Hälfte des Buchs beschäftigt sich Isaacson ausführlich mit ethischen Implikationen der Geneditierung.

Im Prinzip birgt das Potenzial für viele spannende Geschichten, die Isaacson allerdings nicht umsetzen kann. Seine Charaktere bleiben ohne Tiefgang, die kurzen Beschreibungen der verschiedenen Forscher enthalten oft irrelevante Details mit teilweise despektierlichem Unterton: »Blake Wiedenheft war ein […] ein wenig an ein knuddeliges Bärenjunges erinnernder junger Mann.« Im Gegenzug wird Doudnas Leistung tendenziell überhöht, was sicherlich daran liegt, dass der Autor ohne naturwissenschaftlichen Hintergrund für die Bewertung von Forschungsleistungen auf die Aussagen seiner Interviewpartner angewiesen ist.

Man muss Isaacson anrechnen, dass er über viele Jahre mit unzähligen Menschen gesprochen und durch seine Recherchen ein großes Faktenwissen zusammengetragen hat. Dem wissenschaftlichen Anspruch seines Buchs kann er dennoch nicht gerecht werden. Wie CRISPR-Cas funktioniert, wird an keiner Stelle systematisch erklärt. Stattdessen eingestreute Info-Häppchen sind meist nicht für sich verständlich. Man merkt, dass der Autor wissenschaftliche Zusammenhänge oft lediglich nacherzählt: Mal übernimmt er dazu Absätze in Fachsprache aus wissenschaftlichen Aufsätzen, die für Laien unverständlich bleiben, mal treibt er Vereinfachungen so weit, dass die Korrektheit auf der Strecke bleibt.

Das beginnt bei der Rolle der wichtigsten Biomoleküle DNA, RNA und Protein, für deren Beschreibung er oftmals schlechte Bilder wählt: Die RNA ist eben nicht das Arbeitstier der Zelle; das wären die Proteine. Die DNA ist nicht einfach ein Biomolekül, das »faul« im Zellkern verbleibt, während die RNA »wirklich arbeitet«. Eine solche Aussage wird ihrer Funktion als universeller Informationsspeicher nicht gerecht. Die Bezeichnung des Wettrüstens zwischen Bakterien und Phagen als »längsten, gewaltigsten und heftigsten Krieg, der jemals auf diesem Planeten ausgetragen wurde« ist eine effekthascherische Übertreibung, die nicht belegt wird. Schlichtweg falsch ist die Darstellung der Wirkung von Penizillin – einem Antibiotikum, das die Bildung der bakteriellen Zellwand hemmt und nicht die »suizidale Produktion von Enzymen in Gang setzt, die die Zellwand zerstören«.

Eine Katastrophe ist die Übersetzung aus dem Englischen. Heredität mag man als Fachwort noch akzeptieren, auch wenn es sich gut mit Erblichkeit übersetzen lässt. Aber warum nicht Dummheit statt Stupidität? Und was bedeutet es, wenn ein Mensch luzide ist? Auf den letzten 200 Seiten werden unzählige neue Themenstränge und Protagonisten eingeführt beziehungsweise kurz angerissen, bis die Leserinnen und Leser nicht mehr mithalten können. Glücklicherweise gibt es hervorragende, leicht verständliche und doch fachlich korrekte Wissenschaftsbücher über ähnlich komplexe Zusammenhänge, die beweisen, dass es möglich ist, spannende Forschung für Laien verständlich aufzubereiten!

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